Interview | Studie über Zucker-Ersatzstoff - "Xylit-Konsum könnte die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts verstärken"

Die Lebensmittelindustrie wirbt mit Süßstoffen vor allem bei Diabetikern und Übergewichtigen. Die Studie eines Charité-Forschers zu Xylit - auch Birkenzucker genannt - hat nun ein erhöhtes Thromboserisiko festgestellt. Doch die Forschung steht erst am Anfang.
rbb: Herr Witkowski, wenn Sie die Wahl hätten zwischen Zucker und dem Zucker-Ersatzstoff Xylit, auch als Birkenzucker bekannt, was würden Sie wählen?
Marco Witkowski: Ich würde versuchen mein Essen und meinen Tee gar nicht zu süßen. Sonst würde ich Zucker in kleinen Maßen zu mir nehmen.
Aber dann eher keinen Birkenzucker?
Ich würde nicht meine Zahnpasta aus dem Regal verbannen, weil sie Xylit enthält. Aber ich würde es nicht in großen Maßen als Zucker-Ersatzstoff für meine Getränke oder Gebäck verwenden.
Der Zucker-Ersatzstoff Xylit kann zum Kochen oder Backen verwendet werden. In welchen Produkten und Lebensmitteln ist er noch zu finden?
Xylit ist vor allem in Zahnpflegeprodukten aufgrund der karieshemmenden Wirkung, aber auch in Kaugummis enthalten. Es wird auch in Gebäck verwendet. Der Vorteil ist, dass Xylitol annähernd so süß ist wie Zucker. Das heißt, die Lebensmittelindustrie kann Zucker direkt mit Xylit ersetzen und die Produktionsschritte bleiben gleich. Darum wird es häufig auch in Backwaren eingesetzt, aber auch in gesüßten Getränken oder anderen Süßigkeiten.
Xylit kommt in geringen Konzentrationen auch in natürlichen Lebensmitteln vor, zum Beispiel in Obst und Gemüse. Allerdings sind das sehr kleine Mengen.
In Lebensmitteln sind die Dosen viel höher, weil es im Verhältnis Eins-zu-Eins als Ersatzstoff zum Zucker benutzt wird. Darum haben wir nach Konsum von Xylitgesüßten Speisen diese hohen Konzentrationen im Blut festgestellt, die möglicherweise ein Risiko darstellen.
In Ihrer Studie haben Sie untersucht, wie der Konsum von Xylit sich auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirkt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben zunächst die Blutproben von über 3.000 Herz-Kreislauf-Patienten analysiert und den Xylit-Gehalt gemessen. Die Patienten wurden drei Jahre nachverfolgt. Wir konnten zeigen, dass die Patienten mit einer erhöhten Xylit-Konzentration im Blut ein erhöhtes Risiko hatten im Verlauf der drei Jahre einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder gar den Tod zu erleiden.
Daraufhin haben wir weitere Laborexperimente durchgeführt und untersucht, was die Effekte von Xylit auf die Blutplättchen sind, also Bestandteile im Blut, die für die Gerinnung sorgen. Hier konnten wir nachweisen, dass Xylit die Reaktivität verstärkt. Das heißt, es kann eine Gerinnselbildung verstärkt und die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts erhöht werden.
Als dritten Teil unserer Studie haben wir gesunden Patientinnen und Patienten xylithaltige Getränke verabreicht – und konnten dann auch hier einen signifikanten Anstieg der Blutplättchen-Reaktivität nachweisen.
Bei welcher Dosis haben Sie Effekte gesehen?
Den Patienten in unserer Interventionsstudie haben wir 30 Gramm verabreicht. Das ist schon eher eine größere Dosis. Aber wenn man Zucker ersetzt durch Xylit, dann sind 30 Gramm in einem Backrezept nicht viel.
Für welche Gruppen ist es besonders gefährlich, Xylit in hohen Mengen zu konsumieren?
Xylit-Konsum könnte sich vor allem bei jenen Menschen gefährlich auswirken, für die der Süßstoff oft besonders empfohlen wird: also etwa Diabetes-Patienten oder Übergewichtige; Menschen also, die ohnhin ein höheres Risiko für einen Herzinfarkt haben.
Was leiten Sie aus diesen Studien ab?
Zunächst muss man sagen, dass weitere Forschung nötig ist, um näher zu untersuchen, wie sich Xylit auf das Thromboserisiko auswirkt. Generell ist Vorsicht geboten, weil wir gezeigt haben, dass Xylit nicht unbedingt der harmlose Zuckerersatzstoff ist, für den viele Patienten ihn halten.
Eignet sich Xylit dann auch nicht zur Gewichtsreduktion?
Es gibt Empfehlungen, Süßstoffe für eine Gewichtsreduktion zu benutzen. In letzter Zeit haben wir aber zunehmend Daten, die zeigen, dass die Süßstoffe ihre Versprechen nicht einhalten und die guten Effekte nicht immer nachweisbar sind. Deshalb rät die WHO in ihren aktuellen Leitlinien nicht mehr dazu, Süßstoffe zur Gewichtsreduktion einzusetzen.

Beziehen Sie dabei alle Süßstoffe, wie zum Beispiel Stevia, ein?
Es sind nicht alle Süßstoffe konkret auf das Herzinfarkt-Risiko untersucht worden. Man weiß, dass es Effekte auf den Stoffwechsel im Körper gibt. Man sollte beim Konsum einfach aufpassen. Wir gehören zu den ersten Forschungsgruppen, die Hinweise für ein erhöhtes Thromboserisiko gefunden haben, das mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall in Verbindung steht. Süßstoffe sollten generell weiter untersucht werden, und die Patienten müssen vorsichtig sein.
Werfen Sie der Lebensmittelindustrie vor, dass sie nicht darauf achten?
Lebensmittelzusätze durchlaufen nicht die gleichen Prüfprozesse wie ein neues Medikament, wo viele Studien für den Nachweis der Patientensicherheit und Effektivität nötig sind. Im Hinblick auf unsere aktuellen Daten sollte man aber vielleicht genauer hinschauen, weil grade bei Patienten Süßstoffe besonders populär sind. Von daher wären weitere Studien nötig.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Marco Witkowski führten Anja Herr, rbb24 Abendschau, und Lucia Hennerici, rbbGesund+.
Sendung: rbb24 Abendschau, 17.06.2024, 19:30 Uhr