Hilfseinrichtung Scicomm-Support - Anfeindungen gegen Wissenschaftler nehmen zu

Mi 04.12.24 | 15:01 Uhr
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Blick aus einem Hochhaus auf das Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina.
dpa
Audio: radio3 vom rbb | 04.12.2024 | Jo Goll, Torsten Mandalka | Bild: dpa Download (mp3, 12 MB)

Bedrohliche Mails, Gewaltandrohungen – Wissenschaftler werden nach einer ersten Bilanz der Anlaufstelle Scicomm-Support zunehmend angefeindet. Ein Historiker aus Brandenburg erhielt jetzt eine Morddrohung. Von Torsten Mandalka und Jo Goll

  • Hilfseinrichtung verzeichnet mehr als 2.000 Abrufe
  • Je aktueller das Thema, desto heftiger die Anfeindungen
  • Wissenschaftler sollen zum Schweigen gebracht werden
  • Frauen sind besonders betroffen

"Wir haben das sofort als Morddrohung identifiziert", sagt Jan Claas Behrends von der Viadrina in Frankfurt (Oder) über den Brief, den er Anfang vergangener Woche öffnete. In dem Umschlag fand er ein DIN-A4-Blatt, auf dem eine Pistole abgebildet war. Darunter war der Satz "Geht ins Ohr, bleibt im Kopf" gedruckt. Behrends ging offensiv damit um. Er postete das Drohschreiben in den sozialen Medien unter der Überschrift "Heute mal wieder Fanpost".

Jan Claas Behrends forscht als Historiker zum Themenfeld Diktatur und Demokratie mit dem Schwerpunkt Osteuropa. In Interviews bringt er regelmäßig seine Expertise zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine ein und kritisiert dabei jene, die in Deutschland und Europa dafür eintreten, die Hilfen für die Ukraine herunterzufahren. Da er diese Haltung auch in den einschlägigen sozialen Medien vertritt, ist er aggressiven Gegenwind gewohnt. Die direkte Morddrohung gegen seine Person hat aber auch für ihn eine neue Qualität.

Bedrohte Wissenschaftler suchen Hilfe

Im Mai dieses Jahres hatte eine repräsentative Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) ergeben, dass fast jeder zweite Wissenschaftler in Deutschland Erfahrungen mit Anfeindungen gemacht hat.

Eine Zunahme von Anfeindungen verzeichnet auch die bundesweit tätige Hilfseinrichtung Scicomm-Support. Im Juni 2023 nahm sie ihre Arbeit auf. Sie bietet in solchen Fällen eine Notrufnummer, strategische, psychologische und juristische Unterstützung. Seit der Gründung wurde der Hilfs-Leitfaden von Scicomm-Support mehr als 2.300 Mal von der Webseite abgerufen. In 52 Fällen berät sie fortgesetzt bedrohte Wissenschaftler und hilft ihnen, die richtige Kommunikationsstrategie zu finden, bietet aber auch psychologische und juristische Hilfe an. An präventiven Trainings-Workshops haben fast 500 Wissenschafts-Kommunikatoren teilgenommen. Noch einmal so viele haben sich schon für die weiteren geplanten Veranstaltungen eingeschrieben.

Frauen werden wegen ihres Frau-Seins angegriffen

Der Schwerpunkt der Bedrohungsfälle liegt in Berlin und Nordrhein-Westfalen, am meisten betroffen sind Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie die Geisteswissenschaften. 63 Prozent der Beratungsfälle betreffen Frauen.

Frauen werden anders angefeindet als Männer, wie Julia Wandt von Scicomm-Support sagt. Die Angriffe seien viel persönlicher: "Da geht es dann um Dinge wie Aussehen, die Frisur. Und wirklich das Herabsetzen der Kompetenz, allein deswegen, dass man eine Frau ist." Gerade bei jüngeren Wissenschaftlerinnen verfängt dieses Muster.

Auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erlebt schon seit Jahren Anfeindungen. Immer wieder wird dabei darauf Bezug genommen, dass sie eine Frau ist. Sie sei eine "bildungsschwache strunzdumme Nuss", "Hurengeburt" oder "grüne Scheiße" heißt es dann. "Es geht immer darum", sagt Kemfert, "die Frau an sich zu beleidigen. Und die wissenschaftliche Kompetenz wird infrage gestellt. Männliche Kollegen sind dann automatisch Koryphäen. Frauen nie."

Wissenschaftlerin hat inzwischen Anwalt eingeschaltet

Weil Kemfert bei der Bekämpfung der Klimakrise eine eindeutige Haltung hat, die darauf drängt, aus der Nutzung fossiler Energien möglichst schnell auszusteigen, hat auch sie schon Morddrohungen erhalten: "Solche Angriffe, die auch gegen Leib und Leben gerichtet sind, Morddrohungen, Todesdrohungen, das ist natürlich etwas, was schon etwas mit einem macht." Es gehe eindeutig darum, sie einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, ihre Erkenntnisse öffentlich zu äußern. Aber, so Kemfert, "für mich ist Gegenwind auch immer Energie. Ich kämpfe dagegen an, weil es um die Sache geht und nicht um mich."

Mit den hasserfüllten Einträgen über sie in sozialen Medien beschäftigt sie sich schon längst nicht mehr selbst. Das sehen sich die Medienprofis in ihrer Umgebung an, oder gleich ihr Anwalt und die Staatsanwaltschaft.

Unterschiedliche Anfeindungen in allen möglichen Fachrichtungen

Bei Scicomm-Support hat man festgestellt, dass die Aggression längst nicht mehr nur die prominenten Wissenschaftler trifft und sie auch nicht auf geisteswissenschaftliche Themenfelder beschränkt sind. Seit Corona sind auch Naturwissenschaftler, Biologen oder Verhaltensforscher im Fokus. "Wir haben wirklich fast jede Fachdisziplin", berichtet Julia Wandt, "auch katholische Theolog:innen und Philosoph:innen."

Die Art der Anfeindung ist ebenfalls unterschiedlich: "Es gibt Briefe, es gibt Anrufe, es gibt das Ansprechen beim Einkaufen. Wir haben auch Wissenschaftler:innen in der Beratung, die im Stadtbild angegriffen worden sind, körperlich. Da ist leider wirklich alles dabei." Wandt rät Betroffenen, sich auf jeden Fall Hilfe zu holen, bei Freunden, bei Kollegen, bei den Einrichtungen der eigenen Fakultät, bei Scicomm-Support und im Zweifel auch bei der Polizei.

Dunkelziffer ist hoch

Insgesamt reagiert man in der Wissenschafts-Landschaft immer noch sehr unterschiedlich auf die Anfeindungen. Julia Wandt geht davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist, auch weil der Umgang damit abhängig ist von der jeweiligen Persönlichkeit. Viele Betroffene melden sich erst gar nicht. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin beispielsweise sagt von sich selbst, er sei in dieser Frage "etwas robuster". Doch auch ihn erreichten immer mehr "Pöbeleien" und Bedrohungen, die mit sachlichen Argumenten nicht mehr viel zu tun haben.

Schröder war vor gut zehn Jahren mal Staatssekretär im von der SPD geführten Arbeitsministerium in Brandenburg. Heute forscht er unter anderem zum Thema AfD und Rechtspopulismus. All das macht ihn zur Zielscheibe. "In diesen Milieus haben immer mehr Verschwörungstheorien Einzug gehalten", analysiert Schröder die Ursachen, die "Bewegung" habe immer mehr Sichtbarkeit erlangt und damit auch mehr Souveränität. Sie nehme für sich in Anspruch, das Land retten zu wollen, und betrachte Leute wie ihn deswegen als Feinde, die sie dabei aufhalten wollten. "Und in diesem Sinne", so Schröder weiter, "haben sie für sich das Gefühl, etwas Gutes zu tun, indem sie mich provozieren, denunzieren, sanktionieren oder sogar bedrohen wollen."

Wissenschaft als Projektionsfläche für Aggression

"Selbst wenn es auf eine persönliche Ebene geht", sagt auch Julia Wandt von Scicomm-Support, "sollte man sich immer klarmachen, dass man eine Projektionsfläche für etwas ist, was die Angreifer in dem Moment einfach nicht mögen oder was sie verhindern wollen".

Auch der Viadrina-Professor Jan Claas Behrends hat sich von der Morddrohung gegen ihn nicht einschüchtern lassen, sein Alltagsverhalten nicht geändert. Sein Fall liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft, die von sich aus die Ermittlungen aufgenommen hat.

Sendung: radio3 vom rbb, 04.12.2024, 07:20 Uhr

Kommentar

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79 Kommentare

  1. 78.

    Mann, dieser Typ kommt, wenn nicht von den Blauen, dann aber von ganz weit rects! Er verwickelt Dich in sinnlose ,,Diskussionen'' um seine Anti-Wissenschafts-Propaganda loszuwerden. Ein kleiner ,,afd''-Troll, sonst nix.

  2. 77.

    Gebe Ihnen Recht! Aber das Problem ist, dieses rbb24-Forum, wird zunehmend heterischer und es werden kritiklos auch radikale Kommentare der untersten Schublade durchgewinkt! Das bietet den rechtsradikalen ein breites Propagandafeld!
    Bitte genauer Hinschauen, wer, was und wie sagt rbb24! Sonst könnte ich auch zu X zurückgehen!

  3. 76.

    Ich habe eine Ahung, warum Sie das schon wieder schreiben. Wenn Sie Prof. Dr. Jan Claas Behrends damit meinen, lesen Sie sich einfach sein Leben durch und werden Sie sich darüber bewusst, wieviel Wissen dieser Mann hat. Oder wissen Sie das schon längst und schreiben deswegen solche Kommentare? Jedenfalls ist mir ziemlich klar, woher diese Drohungen kommen. Dass Sie ernsthaft Ihren ersten Kommentar wieder aufgreifen, ohne neue Argumente bringen zu können, zeigt mir, dass es Ihnen um das eigentliche Thema des Artikels nach wie vor wenig geht, sondern dass Sie andere Ziele verfolgen. Ihnen scheint dieser Wissenschafler aus irgendwelchen persönlichen Gründen ein Dorn im Auge zu sein. Gefallen Ihnen seine Forschungsgebiete nicht? Das glaube ich jedenfalls und deswegen argumentieren Sie hier die ganze Zeit auch mit diesem: sie wollen immer beide Seiten sehen. Sie wollen Ihn als Historiker und Forscher in Frage stellen, weil es Ihnen nicht gefällt worüber er forscht und was er dazu sagt.

  4. 75.

    Sie versuchen sich herauszureden, selbstverständlich kann ein Historiker zu aktuellen Themen Stellung, auch und gerade als Historiker durch sein Wissensgebiet.

    Es ist extrem auffällig dass die meisten Wissenschaftler von rechts bedroht werden, da Rechtsextreme, Coronaleugner, Reichsbürger, Klimawandeleugner und weitere Verfassungsfeinde Wissenschaft, sprich Fakten als Bedrohung sehen.

    Das kann man hier jeden Tag aufs Neue beobachten.

  5. 74.

    Du willst allen Ernstes die Freiheit von Wissenschaft einschränken? Was bildest Du Dir ein, wer Du bist? Das kommt einer Drohung gleich und Du machst Dich damit, zurecht, strafbar.

  6. 73.

    ,,,Ich bin nur der Meinung, das sich nicht jeder Wissenschaftler zu jedem Thema äußern sollte, sonst bräuchte es nicht verschiedene Fachgebiete.''
    What? Das ist keine Meinung, das ist eine Drohung gegen Wissenschaftler, sich frei zu äußern! Rbb24, was ist hier los? Wieso laßt Ihr diesen Hetzer durchgehen?

  7. 70.

    Werden Sie konkret. Welche Wissenschaftler meinen Sie. Wenn es um den Historiker geht, dann bleibt er bei seinen Leisten. Putin hat den Krieg durchaus auch mit der Geschichte der Rus erklärt. Wenn ein Historiker also einen Zusammenhang zwischen Geschichte und deren Auswirkungen auf die Gegenwart zieht, hat dies nicht nur seine Berechtigung sondern hilft auch bei Verstehen der Entwicklung. Blicke zurück und Du weiß, was kommen wird. Geschichte wiederholt sich oftmals. Und die diktarorischen Züge der Sowjets wirken nach und Putin verwendet die Geschichte um seine Ansprüche zu untermauern.

  8. 69.

    Weil ich es begrüßen würde, wenn der Schuster bei seinen Leisten, also auch der Wissenschaftler bei seinem Fachgebiet bleibt ? Das empfinde ich ganz und gar nicht als Problem, das ist für mich normal. Wenn man Verlautbarungen zu Themen verfasst die nicht das eigene Fachgebiet betreffen, sollte dies nach meiner Auffassung als Meinungsäußerung gekennzeichnet sein.

  9. 67.

    Wenn Sie derselbe "Nunja," sind, der Kommentar #1 geschrieben hat, sind Sie aber Teil des Problems...

  10. 66.

    Ich bin gegen weiter Waffenlieferungen an die Ukraine, nicht nur wegen der Verlängerung des Krieges, sondern auch wegen des nach wie vor stattfindenden Waffenschmuggel s. Wenn der Wissenschaftler dafür ist und seine Theorien dazu kundtut, egal ob richtig oder falsch, dann ist es seine Sicht und Meinung, die es zu respektieren und besprochen werden soll. Wenn jemand damit nicht klarkommt und Morddrohungen deswegen verschickt, dann ist das kein Meinungsstreit sondern idiotie und absolut zu verurteilen. Wer sowas sendet, hat nicht verstanden, wozu meungsstreit gut ist und unfähig, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.

  11. 64.

    Ich gehe da voll mit Ihnen - dieser Kommentator, verhöhnt die Opfer von Morddrohungen, indem er alles relativiert und Verharmlost! Das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun!

  12. 63.

    Nein, muss man nicht. Hätten Sie wohl gerne. Anfeindungen, Drohungen und Hasskommentare sind nämlich keine "Seite", sondern einfach boshaft und böse und sollen einschüchtern. Nichts anderes.

  13. 62.

    Interessant dass ein "Pazifist" Vergehen gegen Paragraph 241 StGB permanent rechtfertigt.
    Mal davon abgesehen dass es durch die feige Anonymität der Posts dem Bedrohten unmöglich ist (Sie zeigen da keine Möglichkeit auf die der Betroffene gehen könnte) in eine Diskussion einzutreten, ist es Aufgabe der Gerichte, nicht die des Opfers, wie es zu dieser Ungeheuerlichkeit gekommen ist.
    Sie zeigen sehr schön dass es Menschen gibt mit denen man nicht vernünftig diskutieren kann.

  14. 61.

    Man muss nicht beide Seiten hören, sondern man kann, wenn man das möchte. Ich glaube, ich hätte arge Probleme damit, nachvollziehen zu können, warum ein Mensch gegen Wissenschaftler Morddrohungen ausstößt, denn es geht dem Täter bei solch einer Aktion schon lange nicht mehr um Sachlichkeit, sondern genau um das, was er tut, drohen und kleinmachen und das möglichst anonym. Ich bezeichne ein solches Verhalten als erbärmlich, egal was für ein Grund vorliegt, denn man hat immer die Wahl des Weges.

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