Wasserreinigung in Reinickendorf - Der Schäfersee entwickelt sich von der Kloake zum Mustergewässer

Mo 07.04.25 | 06:19 Uhr | Von Holger Trzeczak
  14
Ein Rettungsring hängt am Schäfersee in Reinickendorf (Quelle: picture alliance/Schoening).
Video: rbb24 Abendschau | 06.04.2025 | Holger Trzeczak | Bild: picture alliance/Schoening

Ein Ingenieur aus Borgsdorf hat ein Verfahren entwickelt, um verschmutzte Seen zu reinigen. Er testete seine Methode erstmals 2014 im Reinickendorfer Schäfersee - mit Erfolg. Nun gibt es das Label "Schäfersee-Verfahren". Von Holger Trzeczak

"Wenn wir für jeden See eine Kläranlage bauen müssten, wäre das unbezahlbar." Ingenieur Hartmut Wassmann zieht eine kleine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit aus der Tasche. "Dies hier ist viel günstiger." Es handelt sich um ein Calziumnitrat, erklärt der Borgsdorfer (Oberhavel), "ein Oxidationsmittel“.

Der Ingenieur Hartmut Wassmann sitzt in blauer Jacke in einem Schlauchboot auf dem Schäfersee (Quelle: rbb/Holger Trzeczak)
Bild: rbb/Holger Trzeczak

Er schaukelt mit einem Schlauchboot über den Schäfersee in Berlin-Reinickendorf. Der Frühling naht, die Sonne scheint. Ein Schwanenpärchen turtelt vor dem Binsengürtel am Ufer. "Dass wir dieses Schilf hier mitten in der Großstadt haben, ist ein Zeichen dafür, dass unsere Art der Wasserbehandlung wirkt." Das würde sonst wohl kaum noch hier wachsen, sagt der Ingenieur.

Das in den See eingebrachte Calziumnitrat bindet Schwefel. Wassmann erläutert: "Bei einer bestimmten Dosierung mit Calziumnitrat werden die Nährstoffe im Wasser, das Phosphat, gebunden und so verfestigt, dass sie sich am Boden absetzen und nicht mehr das Wasser belasten."

Letztes Fischsterben 2018

Der Ingenieur hatte 2016 begonnen, den Schäfersee mit der Substanz zu behandeln. Vorher waren die Uferbereiche zum wiederholten Mal durch den Bezirk kostspielig im sogenannten Saugspülverfahren maschinell entschlammt worden. 2018 gab es im Sommer bei großer Hitze einen letzten Rückschlag: ein Fischsterben. Seither steigt die Qualität des Wassers aber von Jahr zu Jahr.

Aber warum sind Seen wie in Reinickendorf oder auch der Fennsee in Wilmersdorf überhaupt so sehr von Schmutz betroffen? Wassmann, der lange Jahre für das Instituts für Wasserhygiene tätig war und sich mit der kanalisierten Unterwelt Berlins auskennt, erläutert: "Abwasser werden im sogenannten Trennsystem behandelt: Alles Nass, das aus den Häusern kommt, wird über eigene Kanäle zu Klärwerken geführt. Aber beim Regenwasser ist das anders."

Um zu verdeutlichen, was er meint, steuert Wassmann sein Schlauchboot in Richtung Ufer, wo sich eine große vergitterte Kanalöffnung in der Böschung auftut. Er erklärt: "Hier kann man bei Starkregen zuschauen, wie der Pegel des Sees rasant ansteigt. Denn alles Regenwasser wird von den Straßen ringsum über die Gullys direkt in die nächstgelegenen Seen abgeleitet.“

Straßenszene, Am Schäfersee, Residenzstraße, Reinickendorf, Berlin am 25.07.2024. (Quelle: picture alliance/Schoening)
Bild: picture alliance/Schoening

Irrtümer über das Regenwasser

Man sei bis in die 1980er Jahre davon ausgegangen, dass Regenwasser aus der Gosse sauber genug und somit unschädlich sei. Doch das erwies sich als Irrtum. Immer öfter stank es im Sommer nach faulen Eiern. Es wuchs die Erkenntnis, dass mit dem Straßenabwasser etwas nicht stimmt. Laborproben ergaben, dass viele Schadstoffe in Gewässer wie den Schäfersee gelangten. "Je mehr Stadtflächen versiegelt sind, desto mehr werden Schmutzstoffe von Straßen, Laub, Staub oder Reifenabrieb in die Kanalisation gespült und landen im See", so er Ingenieur.

Wassmann lenkt das Boot nun in Richtung Seemitte. Dort sprudelt eine pilzförmige Fontäne aus einem Aggregat. Es ist eine Art Sauerstoffpumpe. Lange Zeit dachte man, es würde genügen, kleine Stadtseen auf diese Weise zu "beatmen". Doch die Probleme nahmen dadurch sogar zu. Blaualgen, Gestank, tote Fische und Wasservögel waren die Folge.

Der biochemische Mechanismus dahinter ist kompliziert. Wassmann vereinfacht: "Das schmutzige Regenwasser im See wird von Bakterien zersetzt. Die nutzen dabei den Sauerstoff, der sich im Seewasser befindet." Durch Belüftung allein könne aber der enorme Sauerstoffhunger der Bakterien üblicherweise nicht gestillt werden. "Es kommt daher zu Fäulnis, und Faulschlamm lagert sich ab. Dazu treten klimaschädliche Faulgase aus, und es entsteht Schwefelwasserstoff. Der stinkt dann wie faule Eier." Aus dem Schlamm steigen dann, sobald es warm wird, Nährstoffe wie Phosphor auf und fördern massenhaften Algenwuchs.

Ingenieur Hartmut Wassmann hält eine Flasche mit einer Wasserprobe in der Hand (Quelle: rbb/Holger Trzeczak).
Bild: rbb/Holger Trzeczak

Lernen von den Kanalarbeitern

Wassmann hatte diese Probleme seit den 90er Jahren auch außerhalb Berlins beobachtet und sprach mit Mikrobiologen und Chemikern. Theoretisch wusste er längst, dass die Flüssigkeit in der kleinen Flasche auf dem Boden des Bootes eine Lösung darstellen könnte. Denn unter Kanalexperten war bereits damals bekannt, dass sich Bakterien sozusagen mit Nitrat "beatmen" lassen.

Wassmann erläutert weiter: "Calziumnitrat wurde schon seit langem im Berliner Kanalnetz gegen Gestank und Korrosion eingesetzt." Deshalb konnte er die Verantwortlichen im Reinickendorfer Rathaus 2014 überzeugen, ihm den Schäfersee als eine Art Versuchsobjekt für seine Theorie zu überlassen.

Andere Möglichkeiten zur Reinigung

Andere denkbare Möglichkeiten, wie etwa dem See künstlich Sauerstoff zuzuführen "waren schlecht", so Wassmann. "Der wäre in kürzester Zeit wieder von den Bakterien verbraucht worden, und eine technische Belüftungsanlage allein hätte nicht ausgereicht", sagt der Ingenieur in Hinblick auf die Pilzfontäne.

Eine andere theoretische Möglichkeit wäre gewesen, die Regenwasserkanäle zu den zentralen Klärwerken zu führen. "Halb Reinickendorf hätte noch mehr aufgerissen werden müssen, als es jetzt schon durch Instandhaltung und Erneuerung geschieht." Dass wäre nicht nur unbezahlbar teuer geworden, so Wassmann, "dem See würde durch Verdunstung nur noch Wasser entzogen statt neues zu bekommen."

Der Rothalstaucher als Beweis

Niemand in den Behörden wollte sich auf kostspielige Lösungen einlassen, zumal die wenig dauerhaft und damit nachhaltig wären. Die dritte Alternative wäre gewesen, das Regenwasser aus dem Einzugsgebiet des Schäfersees - 600 Hektar, also 6 Quadratkilometer versiegeltes Straßenland - so zu säubern, dass keine Schmutzstoffe mehr in den See gelangen. "Das wäre die 'Heilung' der Ursache, aber für solche Kläranlagen wäre nicht genug Platz und auch kaum das nötige Geld da."

Zwei Rothalstaucher schwimmen auf einem See (Quelle: picture alliance/imagebroker/Sven-Erik Arn)
Bild: picture alliance/imagebroker/Sven-Erik Arn

Wassmann zeigt auf ein Pärchen Rothalstaucher, das vorbeischwimmt. Sie sind ein Beweis dafür, dass das Wasser des Sees sich nicht nur erholt, sondern sogar Badequalität bekommen hat. Rothalstaucher sind zwar keine vom Aussterben bedrohte Art, aber doch selten, eher in Skandinavien beheimatet, und schon gar nicht Stammgast in Berlin.

"Was wir mit unserer Methode anbieten, ist eine 'Stützung' des Sees, also die Arbeit am Symptom, das heißt an den schädlichen Auswirkungen der Regenwassereinleitung", so Wassmann. Damit mache man sich eine spezielle Eigenschaft der Bakterien zunutze. "Die sind nämlich eine Art Allesfresser. Am liebsten mögen sie zwar Sauerstoff, aber wenn der fehlt, nehmen sie auch gern Nitrat oder Sulfat." Den Sulfatstoffwechsel wolle man aber vermeiden, weil dann Schwefelwasserstoff und Gestank entstehen. Deshalb gebe man Nitrat. Das hemmt zusammen mit Sauerstoff die Sulfatbildung. "In einer bestimmten Dosis fügen wir dem See nun also flüssiges Nitrat zu und bringen gleichzeitig mithilfe eines Jet-Belüfters Sauerstoff ins Wasser", sagt der Ingenieur. Beides zusammen verhindere die Fäulnis, erklärt er.

Vom Schäfersee in die Welt

Während der Behandlung werden in mehreren Tiefen über elektronische Sensoren der Sauerstoffgehalt und weitere Parameter des Tiefenwassers gemessen. Das Ganze geschieht aus der Ferne, und auch die Zufuhr des Nitrats lässt sich von dort aus steuern. Doch warum genau die Methode so wirkt, muss noch erforscht werden. Fakt ist, dass Partikel, die das Wasser belasten, verfestigt werden und auf den Grund sinken. Das Wasser wird also letztlich sauberer.

Wassmann erzählt, dass er mit der Schäfersee-Methode inzwischen in ganz Deutschland, der Schweiz und in Italien unterwegs sei. Die Palette der Anwendungen ist breit: von der Sanierung überdüngter Seen, über die Behandlung von Badegewässern, die EU-Vorgaben einhalten müssen bis hin zur Säuberung von Parkteichen und andere Kleingewässer. Selbst im industriellen Bereich, etwa bei der Betriebswasserbehandlung, kann sie eingesetzt werden.

Sendung: rbb24 Abendschau, 06.04.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Holger Trzeczak

Nächster Artikel

14 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 14.

    Eine gewisse Verantwortung für die Verhaltenslenkung hat die Politik schon. Konkret im Falle des Schäfersees fehlt jedenfalls der politische Wille, das vom Straßendreck kontaminierte Niederschlagswasser vor Einleitung in den See durch eine Kläranlage aufbereiten zu lassen, also Ursachenbekämpfung zu betreiben, wie es Ing. Wassmann nennt. Stattdessen wird lieber an den Symptomen herumgedoktort ohne zu wissen, was diese Methode langfristig im Ökosytem See anrichtet.
    Es geht somit nicht nur um den Schäfersee sondern auch um darum, dass diese Methode nach den Aussagen von Ing. Wassmann auch auf eine Fülle anderer Gewässer angewendet werden soll. Und hier will die Politik offensichtlich nicht an den Ursachen der Gewässerverschmutzung und -eutrophierung arbeiten, etwa den Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft reduzieren oder flächendeckend vierstufige Kläranlagen errichten, sondern mit einem nicht langzeiterprobten Verfahren die sichtbaren Auswirkungen kosmetisch kaschieren.

  2. 13.

    Ach, der "politische Wille" wieder.
    Schön bequem.
    Nicht Politiker lassen ihrem Dreck in den 16 qkm Einzugsgebiet zurück. Was sollen sie tun? Verbieten, bestrafen...?
    Und auch an alle anderen: steht im Artikel! Immer Mal wieder absaugen. Wie jedes Klär-/Schlemmbecken...

  3. 12.

    Ist es vielleicht auch möglich mit Kalk und Milchsäurebakterien zu arbeiten?

  4. 11.

    Völlig richtig, die ausgefällten Schadstoffe lagern sich am Seegrund ab.

  5. 10.

    Richtig gut. Und wenn man jetzt noch lange genug wartet, müsste aus dem Sediment wieder Erdöl werden. Hab ich das richtig verstanden?

  6. 9.

    Das ist toll! Jetzt brächte man nur noch jemanden der die Methode Wohnungsbau entwickelt, dann ist alles perfekt!

  7. 8.

    Mir stellt sich die gleiche Frage wie den Vorkommentatoren. Das Problem der Verschlammung ist doch mit dem Verfahren nicht vom Tisch? Im Video ist kurz ein Einlauf zu sehen, dessen Einmündung im See mit einer Stahlbarriere abgesperrt ist. Sind also parallel bauliche Maßnahmen getroffen worden, Partikeleinträge zu verhindern? Wenn ja, wie funktioniert das? Mechanische Barriere, und dieses Schlammsammelbecken regelmäßig leeren?

    Im Artikel wird auch die Ursache benannt, verdrecktes Straßen- und vermutlich auch Dachabwasser. Wäre das nicht ein Signal an die Politik, verstärkt gegen die Ursachen der Verschmutzung anzugehen? Also keine Makulatur wie Vorreinigung des Regenabwassers, sondern Verhinderung von Reifenabrieb und anderen Schmutzquellen?

    Schöner Beitrag, aber es bleiben Fragen offen.

  8. 7.

    Hört sich für mich als Laie gut an. Aber wenn die Schadstoffe absinken wird doch der Seeboden verseucht, oder wo bleiben die?

  9. 6.

    Vielleicht sollten besser Sie den Artikel genauer lesen. Zum einen steht nichts zur Menge des eingebrachten Calciumnitrats, zum anderen sagt Ingenieur Hartmut Wassmann ja selbst, dass sie nur am Symptom, nicht der Ursache der Eutrophierungsauswirkungen arbeiten. Hinzu kommt, dass noch keine Langzeitstudien über mögliche Auswirkungen dieser Methode existieren, insbesondere nicht über die ausgefällten Substanzen. Diese Methode aus Kostengründen als Ersatz für die Verringerung der übermäßigen Nähstoffe anzuwenden, sollte daher größten Bedenken begegnen. Vertrauen ist hier fehl am Platze.

  10. 4.

    Im Prinzip richtig, doch sind die meisten Gewässer phosphatlimitiert. Dies bedeutet, es ist ohnehin Nitrat im Überfluss vorhanden, das Wachstum der Organismen der Organismen somit durch den Phosphatgehalt im Wasser beschränkt wird. Wollen wir also das Organismenwachstum verringern, geht dies über eine Senkung des Phosphatgehalts, das zusätzliche Nitrat kann dann wegen des Phosphatmangels kaum verwertet werden. Dennoch ist die Nitratanreicherung natürlich kritisch zu sehen.

  11. 3.

    Wenn hier schon Leute wegen dem Nitrat Bedenken äußern, sollten sie vielleicht den Artikel genauer lesen und generell etwas mehr nachdenken.
    Es kommt auf die Menge an. Es wird bestimmt weniger Calciumnitrat eingesetzt als in der Landwirtschaft. Zum anderen soll diese Methode auch bei überdüngten Gewässern eingesetzt werden, was bestimmt nicht zum Ziel haben wird noch mehr Dünger/Nährstoffe in gefährlicher Menge einzubringen.

    Etwas Vertrauen bitte.

  12. 2.

    Aber müsste Nitrat nicht, vergleichbar mit der Nitrat-Düngung in der Landwirtschaft, zu einer Überdüngung des Gewässers führen? Immerhin drohten in den letzten Jahrzehnten doch immer wieder Gewässer zu "kippen", weil das Nitrat aus umliegenden Feldern ausgewaschen wurde und in die Gewässer gelangte.

  13. 1.

    Problematisch erscheint, dass dem See immer mehr Nitrat, dass da ja auch einen Pflanzennährstoff darstellt, zugeführt wird , während weder Phosphat noch Sulfat wirklich entzogen sondern nur ausgefällt und auf dem Seegrund sedimentiert werden Diese Methode mag an einem ohnehin verloren innerstädtischen See einen gewissen Sinn machen, im Allgemeinen ist es aber notwendig, die übermäßige Nährstoffzufuhr in die limnischen Systeme endlich zu stoppen, doch fehlt dazu ganz offensichtlich der politische Wille. Es ist eben einfacher, Kopfschmerzen mit Aspirin zu bekämpfen als die Ursachen zu beseitigen.