Konsequenz aus Enteignungs-Volksentscheid - Wohnungs-Vergesellschaftung: Jetzt ist Schwarz-Rot am Zug

Mi 28.06.23 | 19:05 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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Symbolbild: Aufkleber zur Enteignung von Deutsche Wohnen (Quelle: imago/Sabine Gudath)
Video: rbb|24 Abendschau | 28.06.2023 | Tobias Schmutzler | Bild: imago/Sabine Gudath

Ein Jahr lang hat eine vom Berliner Senat eingesetzte Expertenkommission beraten, ob und wie die Bestände großer Wohnungsunternehmen vergesellschaftet werden könnten. Ihr Abschlussbericht fällt überraschend eindeutig aus. Von Thorsten Gabriel

Ein Grundgesetz-Artikel, über den das Bundesverfassungsgericht noch nie geurteilt hat, und eine Materie, die überhaupt juristisches Neuland ist – hinter den 13 Mitgliedern der Berliner "Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen" liegt ein aufregendes Arbeitsjahr.

"Sie glauben doch nicht, dass es nur temperamentlose Juristinnen und Juristen gäbe", merkt die Kommissionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin auf die Frage an, wie sehr man sich intern gezankt habe. "Sie können sich schon vorstellen, dass hier heftig diskutiert wurde, aber dies hat sich in aller Regel ausgesprochen freundschaftlich dargestellt."

Wegner: "Halte das weiterhin für den falschen Weg"

Den mehr als 150-seitigen Abschlussbericht überreicht Däubler-Gmelin am Mittwoch im Roten Rathaus an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Die zeigen sich dafür demonstrativ dankbar, auch wenn beide beim Thema Wohnungsvergesellschaftung bislang eher skeptische bis ablehnende Töne anschlugen.

"Es ist kein Geheimnis, dass ich, was das Thema Vergesellschaftung angeht, stets skeptisch war. Ich halte das weiterhin für den falschen Weg", sagt Wegner. Und Gaebler gibt am Rande der Übergabe erneut zu bedenken: Durch Vergesellschaftung entstünde keine einzige neue Wohnung. Das Thema sei komplex. Deshalb werde man sich den Bericht nun sehr genau anschauen.

Eine Kommission als Antwort auf einen erfolgreichen Volksentscheid

Die Kommission war noch vom rot-grün-roten Senat eingesetzt worden. Er reagierte damit auf den erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" vom September 2021, bei dem sich fast 60 Prozent der abstimmenden Berlinerinnen und Berliner für die Vergesellschaftung privater Wohnungsbestände ausgesprochen hatten.

SPD, Grüne und Linke sowie die Volksentscheids-Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" konnten je drei Fachleute in das Gremium entsenden. Als 13. Mitglied kam die Kommissionsvorsitzende hinzu, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Im Verlauf des Jahres lud die Kommission sich mehrfach weitere Expertinnen und Experten zu mehrstündigen Anhörungen ein, um einzelne Facetten des Themas Vergesellschaftung zu beleuchten.

Kommission einig: Vergesellschaftungen grundsätzlich machbar

Der mehr als 100 Seiten starke Abschlussbericht beschreibt detailliert, welche Argumente die Kommissionsmitglieder in ihren Sitzungen abwogen. Nicht immer kamen sie dabei zu einem einhelligen Ergebnis, aber doch zu einer klaren Mehrheitsansicht. Dem Bericht sind einige "Minderheitsvoten" von Mitgliedern beigefügt, die in Einzelfällen ihre abweichende Meinung darlegen wollten.

Dass das Grundgesetz mit Artikel 15 dem Land Berlin das Recht zuspricht, ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Weg zu bringen, ist unter den Fachleuten unstrittig. Zwar spielte dieser Artikel in den Jahrzehnten seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nie eine große Rolle, doch anwendbar bleibt er trotzdem, sind sich die Kommissionsmitglieder einig.

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Wäre der Eingriff ins Eigentum rechtlich vertretbar?

Bei der Frage, ob ein solcher Eingriff ins private Eigentum "verhältnismäßig", also angemessen, wäre, gab es in dem Gremium zwar keine einhellige Meinung. Immerhin zehn Mitglieder bejahten, dass eine Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. Drei Kommissionsmitglieder sahen das zwar anders, schlossen allerdings trotzdem eine Vergesellschaftung von Wohnungen nicht grundsätzlich aus.

In welcher Höhe betroffene Unternehmen entschädigt werden müssten, ist in der Kommission ebenfalls umstritten. Das Grundgesetz liefert hier nur nebulöse Hinweise: "Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen". Einig sind sich die Kommissionsmitglieder aber darin, dass Entschädigungen unterhalb des Verkehrswerts der betreffenden Immobilien machbar sein müssten. Ob der Verkehrswert überhaupt eine Rolle spielt, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Entschädigungen würden sich auf Milliarden summieren

Über die Entschädigungshöhe gingen die Meinungen schon auseinander, als die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" noch Unterschriften sammelte für Volksbegehren und Volksentscheid. Sie selbst ging in amtlichen Informationsbroschüre von etwa 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro aus, die es kosten könnte, rund 200.000 Wohnungen zu vergesellschaften. Der Senat bezifferte damals die Kosten auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro.

Einhellig ist die Kommission der Auffassung, dass die von der Volksentscheids-Initiative benannte Grenze für Vergesellschaftungen rechtlich zu rechtfertigen wäre: Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von 3.000 Wohnungen oder mehr fielen unter ein Vergesellschaftungsgesetz. Eine solche Festsetzung verstoße nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, so die Kommission in ihrem Abschlussbericht. Das gleiche gilt auch für die gefordert Ausnahme von Genossenschaften oder bereits gemeinnützig bewirtschafteten Wohnungsunternehmen.

CDU und SPD planen Vergesellschaftungsgesetz – nicht nur für Wohnungen

Für den schwarz-roten Senat bedeutet das Kommissionsvotum einen Spagat. Einerseits ist da der erfolgreiche Volksentscheid, über den man nicht einfach hinweggehen kann, auch wenn er nur Aufforderungscharakter hat. Andererseits lehnt die CDU – und in Teilen auch die SPD – Vergesellschaftungen strikt ab, weil durch sie keine neuen Wohnungen entstünden und sie obendrein teuer seien.

Im Koalitionsvertrag haben sich beide Parteien deshalb auf einen Kompromiss verständigt: Auf der Basis des Kommissionsberichts und juristisch neu bewertet soll ein "Vergesellschaftungsrahmengesetz" auf den Weg gebracht werden, das auch die Vergesellschaftung von Wohnungen möglich machen würde – aber nicht nur dort. Auch für andere Bereiche der Daseinsvorsorge wäre es gedacht. Der Fraktionschef der CDU im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, hatte in einem Interview mit dem Tagesspiegel [www.tagesspiegel.de (€)] bereits laut darüber nachgedacht, Energieunternehmen zu "enteignen", um die Klimaziele zu erreichen.

Kommt ein neuer Volksentscheid?

Um sich allerdings nicht erneut nach einem in Gang gebrachten Prozess eine Abfuhr vom Bundesverfassungsgericht zu holen wie zuletzt beim gescheiterten Mietendeckel, soll diesmal dafür eine Frist eingebaut werden: Erst zwei Jahre nachdem das Abgeordnetenhaus ein solches Gesetz beschließt, soll es in Kraft treten – genug Zeit, damit es beklagt und vom Bundesverfassungsgericht beurteilt werden kann.

Sowohl die Volksentscheids-Initiative als auch der Berliner Mieterverein sehen diesen Plan der schwarz-roten Koalition kritisch. Sie unterstellen der Landesregierung, das eigentliche Ansinnen verschleppen zu wollen. Die Initiative hatte vor einiger Zeit bereits angedeutet, einen weiteren Volksentscheid auf den Weg zu bringen – dann mit einem konkreten Gesetzentwurf, der im Erfolgsfalle sofort in Kraft träte.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2023, 06:00 Uhr

 

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Beitrag von Thorsten Gabriel

75 Kommentare

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  1. 75.

    Ja, entschädigungslose Enteignungen hat es unter der sowjetischen Militärverwaltung in der Sowjetzone und anschließend in der DDR gegeben.

  2. 74.

    Da sollen Riesensummen für eine beschränkte Zahl von Nutznießern, nämlich den Mietern der Objekte, ausgegeben werden. Und die große Mehrheit der Steuerzahler soll diese Privilegien bezahlen. Das ist die Ausbeutung einer Mehrheit durch eine relativ kleine Minderheit. Das ist alles andere als sozial.

  3. 73.

    So wirds kommen: Entschädigungslose Enteignungen wie in der DDR/Ostzone geht nicht und Enteignungen in der Nähe des Verkehrswertes geht auch nicht, weil Berlin kein Geld hat. Denn woher soll das Geld kommen, wenn schon jetzt Schulen, Infrastruktur und Universitäten wegen Geldmangel vergammeln? Unter dem Strich wird sich in der Sache daher wenig tun. Nur viel heiße Luft.

  4. 72.

    Weiß jemand wann es in Deutschland Enteignungen unter Verkehrswert gab?

  5. 71.

    Weil die Diese eG zu den Luxusanbietern (Miete + Einlagen) gehört, aber nur schlechte Gebäudesubstanz liefert.

  6. 69.

    Interessante Wahrnehmung, denn jetzt müssen sie in ihrer These nur noch irgendwie widerspruchsfrei das Volksbegehren mit samt Volksentscheid unterbringen.

  7. 68.

    Wohnen ist doch bezahlbar, wo gibt es leerstehende Wohnungen? Es soll auch Leute geben, die mit ehrlicher Arbeit gutes Geld verdienen. Die wollen auch entsprechend wohnen. Wo ist das Problem? Es gibt in Berlin nicht nur Transferleistungsempfänger! Und in Marzahn kann man auch gut wohnen. Es gibt kein Grundrecht auf wohnen in Prenzlauer Berg.

  8. 67.

    Was ist mit der illegalen Untervermietung kompletter AirBnB Wohnungen? Die werden dem Wohnungsmarkt entzogen. Mitkommentatoren haben ja bereits noch andere Beispiele genannt. Der illegale Markt an Ferienwohnungen boomt regelrecht.

    "Das sind gebetsmühlenartig wiederholte Phrasen aus dem mietenaktivistischen Milieu, die einfach ermüdend sind und schon gar nicht dem Ziel, mehr Wohnraum zu schaffen, dienen."

    Lassen sie mich raten, sie sind Vermieter oder bieten Ferienwohnungen an?

  9. 66.

    Es gibt gar keine Mietpreisbremse für Neuvermietungen mehr in Berlin. Die mal geltende Regelung wurde vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Ich denke, mit "illegaler" Untervermietung ist in der Regel die Vermietung als Ferienwohnung oder AirBnB gemeint. Diese Nutzung bedürfte einer Genehmigung nach der Zweckentfremdungsverbotsverordnung, die häufig aber nicht vorliegt.

  10. 65.

    Warum geht ein Baustadtrat Schmidt als zuständiger Politiker nicht dagegen vor und lässt sogar bei guten Bekannten Luxusausbeuten in Milieuschutzgebieten zu?

  11. 64.

    Ich kann nicht für Tom sprechen aber ich meinte mit illegaler Untervermietung u.a. AirBnB Wohnungen. Die werden dem Wohnungsmarkt entzogen. Mitkommentatoren haben ja bereits noch andere Beispiele genannt.

  12. 62.

    Prof. Dr. Eichberger - einziger ehemaliger Verfassungsrichter in der Kommission

    „Prof. Dr. Michael Eichberger (Bundesverfassungsrichter a.D.)“

    https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/mitglieder/

    „Sondervotum zur Entschädigung
    von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner, Prof. Dr. Michael Eichberger, Prof. Dr. Christian Waldhoff
    Die bei Enteignungen im Grundsatz ebenso wie bei Vergesellschaftungen geforderte „Entschädigung (...) unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ kann nach unserer Überzeugung nur ausgehend vom Verkehrswert der in Ge- meineigentum zu überführenden Grundstücke abgewogen bestimmt werden „

    https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/_assets/abschlussbericht_vergesellschaftung-grosser-wohnungsunternehmen-230627.pdf?ts=1687954190

    Seite 122, Absatz 1

  13. 61.

    Illegal ist eine Untervermietung zum Beispiel dann, wenn der Preis über der Mietpreisbremse liegt… Und das dürfte ja wohl regelmäßig der Fall sein. Denn wenn ‚der Mieter‘ eine Möglichkeit sieht, sich an anderen Mietern zu bereichern, dann ergreift er sie in der Regel auch… So viel zum Thema böser Vermieter.

  14. 60.

    Die Wahl musste in Berlin ja bekannterweise wiederholt werden. Die Enteignungsabstimmung hat aber ihre Gültigkeit behalten. Merkwürdig.

  15. 59.

    Was ich nicht verstanden habe? Dass nicht existierender Leerstand und vor allem angeblich illegale Untervermietung zur Wohnungsnot beitragen sollen. Das sind gebetsmühlenartig wiederholte Phrasen aus dem mietenaktivistischen Milieu, die einfach ermüdend sind und schon gar nicht dem Ziel, mehr Wohnraum zu schaffen, dienen.

  16. 58.

    Wenn die Wohnung untervermietet wird, war sie auch vorher nicht frei, sondern es gibt offensichtlich eine reguläre Mietpartei. Was hat eine "illegale" (bitte definieren) Untervermietung jetzt also mit dem Wohnungsmangel zu tun?

  17. 57.

    "Denn nicht jeder Mietvertrag sieht vor, dass Untermieter beim eigentlichen Vermieter angezeigt werden müssen."

    Das braucht auch nicht im Mietvertrag zu stehen, weil es schon im Gesetz steht (§ 540 Abs. 1 BGB). Der Vermieter muss der Weitervermietung an einen Dritten zustimmen. Wenn er das tut, ist der Untervermieter aber nicht gehindert, die Wohnung teurer weiter zu vermieten, wenn ihm das möglich ist

  18. 56.

    "Das Märchen von den zehntausenden leerstehenden Wohnungen in Berlin wird langsam langweilig. "

    Was genau haben sie an "Leerstand, illegale Untervermietung..." nicht verstanden?

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