Nach Angriff auf Israel - Was tun gegen den Antisemitismus an Berliner Schulen?

Di 10.10.23 | 16:46 Uhr | Von Jenny Barke
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Symbolbild: Eion Schulhof am 02.11.2020 in Berlin. (Quelle: dpa/Shotshop/K-H Spremberg)
Audio: rbb24 Inforadio | 10.10.2023 | Jenny Barke | Bild: dpa/Shotshop/K-H Spremberg

Seit dem Wochenende laufen bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) die Telefone heiß: Lehrer bitten um Beratung, wie sie mit ihren Schülern im Nahost-Konflikt vermitteln. Sie befürchten schlimmere Eskalationen. Von Jenny Barke

Als am Montag ein 14-Jähriger in eine Palästina-Flagge eingewickelt in seiner Neuköllner Schule erscheint, eskaliert sofort der Konflikt: Ein 61-Jähriger Lehrer verbietet ihm das Tragen politischer Symbole, daraufhin greift ein 15-jähriger Schüler ein, stößt den Lehrer am Kopf, dieser wehrt sich, gibt ihm eine Ohrfeige. Wegen der Handgreiflichkeiten sind nun sowohl Lehrer als auch Schüler suspendiert.

Der Vorfall zeigt auf besonders dramatische Weise, wie der Nahost-Konflikt den Alltag vieler Berliner Schulen bestimmt. Nicht immer verlaufen die Konflikte so gewalttätig und doch können viele Lehrerinnen und Lehrer von Ausnahmesituationen berichten, sagt Desirée Galert, Projektleiterin bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen berät sie Lehrkräfte und vermittelt unter Schülerinnen und Schülern. Seit dem Angriff auf Israel hatte sie keine ruhige Minute mehr: "Die Telefone klingeln heiß, wir bekommen von allen Seiten E-Mails, Bitten um persönliche Gespräche. Ich bin eigentlich gerade ununterbrochen dabei, die zu beantworten, zu beruhigen. Da sind viele Emotionen und Chaos teilweise dabei."

Sorge vor Reaktion bei Gedenkminuten

Nicht nur aus Kreuzberg und Neukölln, sondern aus ganz Berlin melden sich Lehrkräfte: Schüler jubelten der radikal-islamische Hamas zu, äußerten sich antisemitisch, nicht selten komme es zu lauten Streitigkeiten und Rangeleien.

Dervis Hizarci ist Vorstandsvorsitzender der KIgA und selbst ehemaliger Lehrer. Er erlebt teils überforderte Kollegen, eine stellvertretende Schulleiterin habe zum Beispiel Angst gehabt, dass eine Gedenkminute für die Opfer in Israel eher zu Wut und Ausschreitungen der Schüler führt: "Ich habe gesagt: 'Wie schätzt du denn die Situation ein? Glaubst du, da wird es Störungen geben?', und sie antwortete: 'Mit Sicherheit!'. Dann kann ich nur sagen: 'Ja sorry, vielleicht nicht mit der Gedenkminute anfangen, sondern erst einmal diese Emotionen auffangen und diese Kinder irgendwo abholen.'"

Und Hizarci gibt konkrete Handlungsanweisungen: Wichtig sei, den Kindern und Jugendlichen erst einmal auf Augenhöhe zu begegnen. Fragen, wie sie das Wochenende erlebt hätten. Auch Emotionen wie Wut, Angst, Hass zulassen. Und dann auf der Sachebene sortieren: Was ist die Hamas? Was ist Terror? Was ist Krieg?

Dervis Hizarci (Vorstandsvorsitzender KIgA) im Oktober 2023 in Berlin. (Quelle: rbb)

Widersprüche aushalten und damit arbeiten

Das sei auch deshalb für Lehrerinnen und Lehrer nicht immer leicht, weil sie selbst mit einer emotionalen Haltung in den Konflikt gehen, sagt der Ex-Lehrer Hizarci. "Viele Lehrerinnen und Lehrer haben das Wochenende damit verbracht, sich Nachrichten anzuschauen, was in Israel passiert ist und sind sehr betroffen von den schrecklichen Bildern." Dann kämen sie in die Schule und sähen Kinder und Jugendliche, die sich solidarisch mit der anderen Seite zeigten, gleichzeitig aber auch keine Empathie zeigten für das Leid und den Schmerz der Israelis.

So sei es auch dem 61-Jährigen an dem Neuköllner Gymnasium passiert: Ein selbst emotional betroffener Lehrer sei mit den Schülern zusammengeprallt. Um das zu verhindern, brauche es eine sogenannte Widerspruchstoleranz auf beiden Seiten: Also die Schüler sensibilisieren, was Antisemitismus ist und gleichzeitig akzeptieren, dass sie auf Grund eigener Diskriminierungserfahrung wütend sind.

Desirée Galert, Projektleiterin Praxisstelle Bildung und Beratungmim Oktober 2023 in Berlin. (Quelle: rbb)

Beratung für Lehrer und Schüler

Natürlich sei es eine Gratwanderung, einerseits ein offenes Ohr zu haben und andererseits Grenzen zu setzen - so Desirée Galert: "Wir müssen schauen: Wo sind die Emotionen gerade und wie bekommen wir die Situation in den Griff? Hilft da wirklich ein Tadel in dem Moment oder eher, Luft rauszunehmen, Gesprächsangebote für die Schüler zu schaffen?" Gleichzeitig sei es genauso wichtig, zu intervenieren, wenn menschenverachtende Äußerungen fallen oder es gar eine strafrechtliche Relevanz hat oder es zum Aufruf von Gewalt gegen Gruppen kommt. Doch auch hier müsse erst mit Augenmaß gemessen werden: Wissen die Schüler, welche Symbole verboten sind? Dass Volksverhetzung eine Straftat ist? Aufklärung sei das A und O.

Viele Lehrkräfte seien froh über solche Tipps. Der KIgA steht deshalb eine arbeitsreiche Woche bevor. Sie organisiert Workshops, Beratungstermine, vermittelt in Schulen. Auch mit den Schülern selbst tritt sie in Kontakt, versucht die Konfliktparteien aufeinander zuzubewegen. In geschützten Räumen ohne Lehrer oder Eltern versuchen sie, Verständnis zu zeigen, Emotionen zu spiegeln und aufzuklären.

Angst vor weiterer Eskalation nach Offensive Israels

Vorstandsvorsitzender Dervis Hizarci spricht einerseits von einer ganz neuen Dimension eines Konflikts, der die Berliner Schulen erreicht. Andererseits sieht er die größte Eskalationsstufe noch nicht erreicht. "Sobald Israel die Offensive startet, werden wir sehen, das noch mal eine neue Emotionswelle auf uns zukommen wird", warnt er. Deshalb sei es umso wichtiger, so früh wie möglich zu intervenieren. Eigentlich sei diese Arbeit am wichtigsten in Friedenszeiten, wenn die Emotionen nicht so hochgekocht sind.

Den Lehrerinnen und Lehrern gibt er in akuten Krisen immer mit auf den Weg: Man könne den Nahost-Konflikt nicht aus Berliner Schulen heraus lösen. Nur versuchen, Kindern und Jugendlichen eine Haltung gegen Antisemitismus und einen differenzierten Blick zum Nahost-Konflikt mitzugeben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.10.2023, 16 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

27 Kommentare

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  1. 27.

    Ich glaube nicht, dass die Schulen in der Lage sind dies Probleme zu lösen, die Politer seit Jahrzehnten nicht gelöst bekommen. Die Schulen können höchstens versuchen einen Neutralitätszustand zu erreichen, aber auch das wird schwierig.

  2. 26.

    Muss doch etwas widersprechen ...
    Manch Lehrer wäre zufrieden "reine" Wissenvermittlung mal eine Schulstunde durchziehen zu können.
    Leider tanzen immer ein, zwei oder auch drei aus der Reihe, verstehen Aufgabenstellungen nicht, brauchen gesonderte Anleitung, haben ihr Arbeitsmaterial nicht beisammen oder haben einfach gerade keinen Bock usw. usw.
    Und zwischen durch kleine/größere Streitigkeiten und noch ein paar Respektlosigkeiten dazu.
    Schulalltag 2023!

    ... sicherlich nicht überall, m.E. jedoch sehr häufig

  3. 25.

    Tja, der Alltag in der Schule, der wird wohl nur noch als Wissensvermitlung verstanden, und die pädagogische Komponente des Lehrerauftrags scheint keine Rolle zu spielen.

  4. 24.

    "Schlimm finde ich, dass man sich als Lehrer nach einem körperlichen Angriff nicht unmittelbar wehren darf. Was hätte er machen sollen? "

    Der Lehrer ist an der Eskalation der Situation direkt beteiligt und als Lehrer hätte er anders reagieren müssen. Eine Ohrfeige die dem Tritt vorangegangen ist geht überhaupt nicht.

  5. 23.

    "Was soll man tun? Einfach jeden der den Terror der HAMAS rechtfertigt an die Polizei melden, um mal die elterliche Wohnung zu durchsuchen...." Wenn man das systematisch weiterdenkt, kommt einem aber sofort der MfS-Staat in den Sinn - das hat man vielleicht in Hamburg nicht mehr so auf dem Schirm, wohin solch ein Aufruf zur Denunziation führt.

  6. 22.

    ist vielleicht schon in den Ethikunterricht und Religonsunterricht integriert? ZU meiner Schulzeit gab es das sinnvolle Fach GEMEINSCHAFTskunde...

  7. 21.

    "Oh, wie gut könnte Schule sein, wenn alle EINFACH mal so agieren, wie ich es sage." Kommen Sie, wir freuen uns über Unterstützung!
    Leider bereitet Lehrerausbildung nicht im Ansatz auf den wirklichen Alltag vor. Und dann sollen Projekte helfen! Ne, Lehrkraft im Brennpunkt sein bedeutet, Zeit haben, die Kids und ihre Lebenswelt verstehen zu wollen, ihre Welt größer machen wollen, umfassend informiert zu sein, empathisch und trotzdem klar abgrenzend. Das wollen/können zu viele nicht.

  8. 20.

    Empathie sollten die Kinder normalerweise in ihrer Familie lernen. Für irgendetwas müssen Eltern wohl auch noch verantwortlich sein, oder?

  9. 19.

    Wie lange ist das schon bekannt, dass bestimmte arabische Milieus einen Antisemitismus pflegen?
    Zwanzig Jahre? Wie ist Juden zumute, die dem in Neukölln täglich ausgesetzt sind?
    Antisemiten sind keine Opfer.

  10. 17.

    Wenn dieWelt so einfach wäre... Wohin mit den Jugendlichen? Wir haben Schulpflicht, sie werden also an einer anderen Schule weitermachen, bestärkt durch die große Selbstwirksamkeit, die sie erlebt haben.
    Das, was wirken kann, ist Beziehung, Ruhe, verstehen wollen ... Dazu ist i.d.R. keine Zeit an der Schule. Und wer es leistet, erfährt wenig Solidarität und landet irgendwann im Burnout. Denn die Ausbildung bereitet auf so etwas nicht vor.

  11. 16.

    Schlimm finde ich, dass man sich als Lehrer nach einem körperlichen Angriff nicht unmittelbar wehren darf. Was hätte er machen sollen? Auf sich einprügeln lassen, bis er am Boden liegt?
    Kein Wunder, dass heutzutage wenig Interesse am Lehrerberuf besteht.

  12. 15.

    Was soll man tun? Einfach jeden der den Terror der HAMAS rechtfertigt an die Polizei melden, um mal die elterliche Wohnung zu durchsuchen....

  13. 14.

    Die Kinder kommen nicht alleine auf Antisemitismus. Die Eltern spielen hier eine sehr schlechte Rolle in der Erziehung. Das ist auch Teil der Geschichte. Bedenklich finde ich es aber auch wie weit der Antisemitismus schon in den Schulen fortgeschritten ist. Das kommt davon das man eben keine Integration einfordert, keine klare Kante zeigt sondern immer wieder nachgibt. Und viele dieser Schulen nennen sich dann noch Schulen der Toleranz und Vielfalt.

  14. 13.

    Denkt mal jemand darüber nach, inwiefern fehlende Empathie eine Rolle spielen könnte!
    In Dänemark ist Empathie ein Pflichtfach in der Schule.

  15. 12.

    Das haben Sue sehr treffend beschrieben. Und auch die Unterscheidung deutlich gemacht. Leider machen sich viele Leute in Deutschland nicht die Mühe, unterscheiden zu wollen. Auch hier im Forum. Mittlerweile wird sogar schon Kritik an Israel in einer Art moralischer Überhöhung als antisemitisch aufgefasst.

  16. 11.

    Was tun? Integration ist das Zauberwort. Alles andere bringt leider nichts.

  17. 10.

    Es beginnt mit einer Anerkennung der Fakten und Perspektiven und einem sehr vorsichtigen Umgang mit Begriffen. Was wir Lehrer in Neukölln und anderswo erleben ist kein "Antisemitismus" im Sinne Aiwangers. Sondern ein Anti-Israelismus. Das macht die Sache nicht per se weniger dumm und gefährlich, aber wenn man dagegen ankommen will, hilft es wenig, den historischen Antisemitismus mit der ziemlich gut begründbaren Wut auf einen Staat, der auch nach UN-Recht völkerrechtswidrig Gebiete besetzt, gleichzusetzen. NICHTS rechtfertigt den Angriff auf Zivilisten, aber wenn ich meine palästinensischen Schülys "abholen" will, dann muss ich ihnen erklären, dass der Terror der Hamas das Leben der Palästinenser verschlimmern wird und den ultrarechten Israelis in die Karten spielt. Schulverweise sind völlig sinnlos, weil man dann den "alle-sind-gegen-uns"-Mythos verstärkt, statt ein empathisches Nachdenken auszulösen.

  18. 9.

    Klar, alles eine unerträgliche Situation.
    Nur es wird nie gelingen alle Religionen, Staatsformen, Mentalitäten, Gesellschafts- und Familienstrukturen so zu vereinigen, das aber auch ALLE damit umgehen können.
    Da kommt dann häufig immer irgendeiner daher und verweist auf irgendwas Geschichtliches.
    Welche Dimensionen des Zurückdenkens ist angemessen - 10, 50, 100, 500, 2000, 2500, ... Jahre?
    Und heute reicht, auch hier, schon das Zeigen der Flagge seiner Herkunft/Nationalität, um angezählt zu werden.
    Cain & Abel = ?

  19. 8.

    "[...] Zumal Herr Aiwanger in all den Jahren seiner politischen Tätigkeit niemals negativ aufgefallen wäre. [...]"

    Ziemlich schlechter Scherz...

  20. 7.

    Und was dann?
    Ich glaube das das Problem mit einem Schulverweis nicht behoben sondern auf eine andere Schule verlagert wird.

  21. 6.

    Dazu fällt mir nur ein Spruch von Goethe ein: „Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten!“
    Ich bin mal gespannt, ob Goethe veröffentlichungswürdig ist?

  22. 5.

    So wie er Aiwanger sich verhalten hat, wundert es mich nicht, dass Frau Knobloch die Entschuldigung nicht annehmen wollte. Das hätte ich bei diesem hin- und herreden und den ganzen "Erinnerungslücken" auch nicht getan. Das hat ihn nämlich in meinen Augen nicht sehr glaubwürdig erscheinen lassen. Aber das ist eigentlich ein ganz anderes Thema.

  23. 4.

    Das, was schon lange unter der Oberfläche gebrodelt hat, bricht jetzt aus wie ein Vulkan. Und die Lehrerinnen und Lehrer haben jetzt die schwere Aufgabe, die Agressionen so sachlich und ruhig wie möglich abzufangen. Eine äußerst undankbare Aufgabe. Hoffentlich werden sie dabei nicht allein gelassen.

  24. 3.

    Als sich Herr Aiwanger bei Frau Knobloch wegen der Vorfälle vor 30 Jahren --in einer Schule--entschuldigen wollte--hat sie die Entschuldigung nicht angenommen--nicht annehmen können.

    Ich hätte mir gewünscht, dass sie es hätte tun können. Auch als Zeichen, dass nur ein Verzeihen--auch wenn es schwer fällt--Frieden und Freiheit möglich macht. Zumal Herr Aiwanger in all den Jahren seiner politischen Tätigkeit niemals negativ aufgefallen wäre.

    Was heute in Schulen, in aller Öffentlichkeit--vor aller Augen--in Deutschland-überall auf der Welt und in Israel geschieht--könnte für alle unerträglich werden.

    Jeder, der andere Menschen tötet oder Leid zufügt-ist kein Kämpfer für Freiheit--sondern ein Mörder-ein Straftäter.
    Ein Feigling, dem der Mut und der Anstand fehlt--das Leben anderer zu akzeptieren.

  25. 2.

    Bloß keine falsch verstandene Toleranz walten lassen. Antisemitismus geht gar nicht. Notfalls sind Antisemiten von der Schule zu verweisen.

  26. 1.

    "Schüler jubelten der radikal-islamische" Terrororganisation "Hamas". Auf der Sachebene gibt es daran EuGH-bestätigt nichts zu rütteln, auch wenn das manche weiterhin verschweigen. Hier sollten die Schulen durchaus auch auf breiter Ebene vermitteln, welche Folgen es haben kann, eine Terrororganisation zu unterstützen oder oder auch nur deren Taten gut zu heißen.

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