Neue Ausbildung für Psychotherapeut:innen - "Wir rennen sehenden Auges in einen Fachkräftemangel"
Der Ausbildungsweg für angehende Psychotherapeut:innen wurde mit einer Reform geändert. Im Gesetz fehlt aber eine klare Regelung zur Finanzierung. Student:innen der Psychotherapie wissen nun nicht, wie es nach dem Master weitergehen soll. Von Helena Daehler
- Der Ausbildungsweg für angehende Psychotherapeut:innen wurde 2019 reformiert
- Absolventen sollten damit künftig ihre Ausbildung nicht mehr selbst finanzieren müssen
- Die Reform hat jedoch offengelassen, wer die Kosten trägt
- Student:innen wissen nicht, wie es weitergeht. Der Berufsverband befürchtet einen Fachkräftemangel
Paul K. hat vor wenigen Tagen als einer der ersten an der Freien Universität Berlin den im Wintersemester 2021/2022 eingeführten Masterabschluss in Psychotherapie gemacht. Er will nun die neue fünfjährige Weiterbildung machen, um später als Psychotherapeut auch eigenständig arbeiten zu können, aber das geht derzeit nicht. "Meine Situation ist wirklich beschissen. Ich bin top ausgebildet, bringe viel Erfahrung mit, bin super motiviert, möchte unbedingt als Psychotherapeut anfangen zu arbeiten. Aber wo und wie, weiß keiner." Paul findet keinen Weiterbildungsplatz, weil nicht klar geregelt ist, woher das Geld dafür kommen soll.
Neuer Ausbildungsweg für Therapeut:innen
2019 wurde der Ausbildungsweg für Psychotherapeut:innen reformiert. Davor war es so, dass Student:innen nach einem Psychologiestudium noch eine mindestens dreijährige praktische Ausbildung machen mussten. Das Problem: Für diese gab es keinen Anspruch auf Vergütung - vielmehr mussten die Absolvent:innen für die fachtherapeutische Ausbildung an den Ausbildungsinstituten selbst bezahlen. Je nach Fachrichtung konnte das bis zu 60.000 Euro kosten.
Seit der Reform ist es so, dass man die Approbationsprüfung direkt am Ende des neuen Psychotherapie-Masterstudiums ablegt. Durch die Approbationsprüfung erlangen die Absolvent:innen den Titel Psychotherapeut:in. Um aber die volle Qualifikation zum Fachpsychotherapeuten zu erhalten und mit der Kasse abrechnen zu können, müssen Absolventen wie Paul noch eine mehrjährige Weiterbildung machen.
Im Unterschied zur alten Ausbildung sollte diese neue Weiterbildung jetzt eigentlich nicht mehr von den angehenden Therapeut:innen selbst bezahlt, sondern angemessen vergütet werden - wie bei den anderen Heilberufen, etwa Ärzt:innen oder Apotheker:innen, auch. Aber trotz Reform ist nicht geklärt, wer für die Finanzierung der Weiterbildung zuständig ist. Weder Praxen, Kliniken noch bisherige Ausbildungssinstitute fühlen sich in der Lage, das kostentechnisch zu stemmen. Die Krankenkassen sehen sich nicht in der Verantwortung. Solange politisch nichts vorgegeben ist, scheint sich nichts zu bewegen.
Vorhaben Chancengleichheit gescheitert
Einer der Hauptgründe für die Reform war die finanzielle Belastung, die die Ausbildung bisher für die Studierenden darstellte. Diese Erfahrung machte auch Christina Jochim, Landesvorsitzende der Psychotherapeutenvereinigung Berlin: "Ich hatte zum Beispiel drei Jobs gleichzeitig, um die Ausbildung stemmen zu können. Kolleginnen von mir haben sich verschuldet." So sei die neue Regelung auch als ein Schritt in Richtung Chancengleichheit gedacht gewesen.
Durch die fehlende Finanzierung der Weiterbildung sei dieses Vorhaben - Stand jetzt - gescheitert und Jochim befürchtet, dass die jetzige Situation Auswirkungen haben wird auf die zukünftige Versorgung: "Wir rennen sehenden Auges in einen Fachkräftemangel. Es zeichnet sich ab, dass die Studierenden nicht die neue Weiterbildung machen können (…) und das müssen wir unbedingt verhindern."
Nachwuchs in der Warteschleife
Bisher gibt es in Berlin und Brandenburg circa 50 Absolvent:innen, die das Finanzierungsproblem zum Warten zwingt. Im kommenden Jahr könnte es nach Einschätzung der Bundespsychotherapeutenkammer deutschlandweit circa 1.000 Absolvent:innen treffen. Ab dem Jahr 2025 sollen es demnach bis zu 2.500 pro Jahr werden, die theoretisch auf die reformierte Weiterbildung angewiesen sein werden. Dabei wird Nachwuchs gebraucht, denn viele Therapeutinnen und Therapeuten mit Kassensitz stehen nach Zahlen der kassenärztlichen Bundesvereinigung kurz vor dem Ruhestand. So war laut Bundesarztregister 2022 fast ein Drittel der psychologischen Psychotherapeut:innen in Deutschland bereits über 60 Jahre alt.
Gesundheitsministerium prüft Maßnahmen
Ende September forderte der Bundesrat die Regierung in einem Entschließungsantrag dazu auf, die neue Weiterbildung finanziell abzusichern. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf Anfrage des rbb auf die Kliniken und Weiterbildungsinstitute beziehungsweise auf die Krankenkassen. Demnach sollen die Gehälter der Psychotherapeut:innen in Weiterbildung refinanziert werden, indem sie in ihrer Weiterbildung selbst Patient:innen behandeln. Mit Blick auf den Entschließungsantrag des Bundesrates heißt es, die aktuelle Situation werde beobachtet - und mögliche Maßnahmen geprüft.
Noch kein Institut für die neue Weiterbildung zugelassen
In Berlin gibt es derzeit 28 Ausbildungsinstitute, die Psychotherapeut:innen ausbilden. Laut der Psychotherapeutenkammer Berlin ist aber noch keines der Institute für die neue Weiterbildung zugelassen worden. Damit ist auch die Zukunft der Institute unklar. Eines von ihnen ist das Zentrum für Psychotherapie am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Dessen Leiter Thomas Fydrich sagt, man arbeite an der Beantragung zur Anerkennung für die neue Weiterbildung. Das Hauptproblem jedoch bleibt: Noch fehlt das Geld: "Wenn die Finanzierung nicht zeitnah irgendwie gesichert wird, werden die Ausbildungsinstitute noch paar Jahre nach altem Recht die Ausbildungen anbieten, aber dann keine Stellen mehr einrichten können. Das heißt, dann werden die Institute aussterben."
Alter Ausbildungsweg keine Option
Theoretisch könnte Paul derzeit auch die alte Ausbildung zum Psychotherapeuten machen. Das ist für alle Student:innen möglich, die ihr Masterstudium vor dem 01.09.2020 begonnen haben. Für die Ausbildung nach altem Modell müsste er sich aber hoch verschulden. Für ihn derzeit keine Option: "Die letzten Monate habe ich auch darüber nachgedacht, mir einen komplett anderen Job zu suchen. Und die Option besteht immer noch, weil ich meine Miete bezahlen muss."
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.10.2023, 19.30 Uhr