"Correctiv"-Recherche - AfD-Politiker sollen in Potsdam mit Identitären über Ausweisungen beraten haben
Laut einer "Correctiv"-Recherche sollen AfD-Vertreter an einem Treffen mit dem Kopf der Identitären Bewegung teilgenommen haben. Besprochen wurden den Angaben zufolge ein Plan, in großem Stil Migranten auszuweisen, mit oder ohne deutschem Pass.
AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer sollen sich im November 2023 getroffen haben, um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu besprechen. Dies zeigt ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht des Recherchenetzwerks "Correctiv".
Demnach stellte Martin Sellner, langjähriger Sprecher der rechtsextremen "Identitären Bewegung" Österreichs, bei dem Geheimtreffen einen entsprechenden Plan vor - auch zur Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Den Recherchen zufolge nahmen an dem Treffen auch hochrangige AfD-Vertreter teil.
Das Treffen soll Ende November in einem Hotel in der Nähe von Potsdam stattgefunden haben. Von Seiten der AfD nahmen den "Correctiv"-Recherchen zufolge mehrere Politiker teil, unter anderem der persönliche Referent von Parteichefin Alice Weidel, Roland Hartwig, und der Sprecher der Potsdamer AfD-Fraktion, Tim Krause.
Krause: "Migrationsrecht wieder zu Recht und Geltung verhelfen"
Die AfD bestätigte die Teilnahme des persönlichen Referenten Weidels. Hartwig habe bei dem Treffen aber "lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt", teilte die Partei am Mittwoch mit. Er habe dort weder politischen Strategien erarbeitet noch die Ideen Sellners zur Migrationspolitik "in die Partei getragen". Von diesen Ideen habe er zudem im Vorfeld "keine Kenntnis" gehabt.
Der stellvertretende Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause, sagte der Nachrichtenagentur DPA in Reaktion auf die Berichte, es sei darum gegangen, "dem Migrationsrecht wieder zu Recht und Geltung zu verhelfen". Krause, der auch Sprecher der AfD-Landtagsfraktion ist, sagte: "Es war eine rein private Veranstaltung." Den Vortrag von Sellner habe er nicht gehört, weil er erst ab dem frühen Abend teilgenommen habe. "Die Identitäre Bewegung steht aus gutem Grund auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD", sagte Krause. Er habe aber an dem Abend Kontakt zu Sellner gehabt, weil er lieber mit Menschen als über sie spreche.
Vorschlag, Menschen in afrikanisches Gebiet abzuschieben
Sellner soll bei dem Treffen einen Masterplan zur "Remigration" vorgestellt haben. Der Recherche zufolge zählte er auf, wer Deutschland verlassen solle: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte Staatsbürger". Sellner, der als eine der führenden Figuren in der europäischen rechtsextremen Szene gilt, soll "maßgeschneiderte Gesetze" zur Umsetzung des Plans vorgeschlagen haben. Laut "Correctiv" soll er zudem von einem Gebiet in Nordafrika mit Platz für bis zu zwei Millionen Menschen gesprochen haben, wo die Abgeschobenen leben könnten. Alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten dort ebenfalls hin.
Die anwesenden Gäste, auch jene von der AfD, brachten den Recherchen zufolge bei dem Treffen keine Einwände gegen die Pläne vor.
Ein Sprecher der Partei teilte der Deutschen Presse-Agentur in Reaktion auf die Recherche mit: "Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern." Der Brandendburger AfD-Bundesabgeordnete, René Springer, kommentierte am Mittwoch auf "X": Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach." Das sei "kein Geheimplan".
Pläne umfassten auch deutsche Staatsbürger
Der Chefredakteur von "Correktiv", Justus von Daniels, betonte am Mittwoch im rbb24 Inforadio, die Pläne umfassten nicht nur Ausländer, sondern auch deutsche Staatsbürger, die nicht in ein völkisches Weltbild passen. Die Vernetzung von AfD-Politikern und Rechtsradikalen sei höchst problematisch, so von Daniels. Sollte diese systematisch sein, stelle sich die Frage, ob die Partei auf dem Boden des Grundgesetzes stehe.
Verfassungsschutz verfolgt Berichte
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die Partei hat dagegen geklagt. Mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster dazu wird Ende Februar gerechnet. "Im Rahmen der Verdachtsfall-Bearbeitung beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz die weitere Entwicklung der AfD sehr genau", sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. "Dabei werden auch mögliche Treffen mit Akteuren aus dem rechtsextremistischen Spektrum einbezogen."
Auch der Brandenburger Verfassungsschutz verfolgt nach eigenen Angaben die Berichte über das Treffen. Die eigenen Erkenntnisse würden mit den veröffentlichen Recherchen abgeglichen, sagte der Sprecher des Innenministeriums Brandenburg, Martin Burmeister, der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. Der Brandenburger Verfassungsschutz stuft den AfD-Landesverband als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, die Junge Alternative als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung.
Linke fordert AfD-Verbotsverfahren
Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert forderte am Mittwoch "dringend Klarheit über die erhobenen Vorwürfe" gegen das Potsdamer Gästehaus, in dem das Treffen stattgefunden haben soll. Er habe daher den Verfassungsschutz in die kommende Hauptausschuss-Sitzung eingeladen, um im nicht öffentlichen Teil die Situation einzuordnen.
"Treffen, Gespräche, Konferenzen mit dem Ziel 'ethnischer Säuberungen' gab es schon einmal – nicht weit entfernt. Solche Pläne müssen aufgedeckt, geächtet und wenn sie sich bestätigen, strafrechtlich verfolgt werden", teilte Schubert mit. "In Potsdam ist kein Raum für konspirative Netzwerktreffen, in denen antidemokratische, rassistische Ideen ausgebrütet werden."
Die Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne), die auch Vize-Ministerpräsidentin ist, schrieb auf dem Portal X: "Für alle, die glauben, man könne die AfD doch mal in Verantwortung bringen: Die bundesweite Rechtsfront trifft sich in Potsdam."
Linksfraktionschef Sebastian Walter bekräftigte die Forderung eines AfD-Verbotsverfahren. "Ein Verbot der AfD ist nicht nur gerechtfertigt, sondern ein Gebot zum Schutz unserer Demokratie." Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte kürzlich ein AfD-Verbotsverfahren abgelehnt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.01.2024, 13:30 Uhr