Analyse - Bauernwut mit extremer Nebenwirkung
Die Bauernproteste sind legitim und haben politisch Erfolg. Sie sind auch Wutausdruck der Landbevölkerung gegen die Ampel. Die AfD und ihre rechtsextremen Bündnisgenossen nutzen das für ihren Vormarsch in der ostdeutschen Provinz. Eine Analyse von Olaf Sundermeyer
Bereits am Tag vor Beginn der Bauernproteste, wie sie das Land noch nie erlebt haben sollte, kündigte der AfD-Bundesvorstand seine Unterstützung dafür via Pressemitteilung an. Offenbar unerheblich für die AfD: Das eigene Grundsatzprogramm, in dem sie sich für "mehr Wettbewerb" und "weniger Subventionen" in der Landwirtschaft ausspricht, also gegen das erklärte Ziel der Bauern.
Ungefragt und ganz direkt streckte die AfD damit ihren politischen Arm nach den Straßenprotesten aus. Angesichts der geplanten Proteste legte die AfD kurzerhand ein "Sofortprogramm für unsere Landwirtschaft" auf. Hatte sie sich im Zeitalter der Polykrise doch schon zu anderen Themen zum politischen Arm der Proteste ihrer rechtsextremen Bündnisgenossen auf der Straße gemacht. Und von dieser Strategie erheblich profitiert, am meisten in der ostdeutschen Fläche. Über die Krisen zu Zuwanderung und Corona, zu Krieg, Inflation und Energiepreisen.
Offenbar unwesentlich für die AfD: Dass der Deutsche Bauernverband als Organisator der "Aktionswoche zu Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung" sich schon Ende Dezember vorsorglich von rechtsextremen Vereinnahmungsversuchen öffentlich "aufs Schärfste distanziert" hatte, "von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen".
Dessen Präsident Joachim Rukwied hatte bereits auf einer ersten Großdemonstration gegen die Streichung des Agrardiesels und der Kfz-Steuerbefreiung am 18. Dezember angekündigt: "Wenn diese beiden Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden, dann kommen wir wieder, nicht nur nach Berlin, dann werden wir am 8. Januar überall präsent sein, in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat." So kam es dann auch.
Inzwischen hat der Bauernverband auch einige Ministerpräsidenten aus der Kanzlerpartei SPD auf seiner Seite. Auch der Brandenburger Regierungschef Dietmar Woidke fordert nun die Rücknahme der Kürzungen für Landwirte. Die Bauernwut wirkt, der Protest hat bereits Erfolg.
Die Habeck-Blockade war ein Fanal
Unterdessen ist die AfD längst im Fahrtwind der Traktoren unterwegs: Für die Partei im Umfragehoch war der 8. Januar ein willkommener Termin zu Beginn des wichtigen Wahljahres 2024 (Europawahl, Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und in Brandenburg), auf den sie sich wochenlang vorbereiten konnte. Ebenso für zahlreiche rechtsextreme Initiativen und Medienaktivisten vom rechten Rand mit eigener Dynamik.
Seit Wochen hatten sie in zahlreichen Social-Media-Kanälen für den Bauernprotest mobilisiert, auf Kommunikationswegen, die sich von Krise zu Krise bewährt haben. So wurde die Stimmung bereits über Wochen aufgeheizt, ein angeblicher "Generalstreik" wurde für den Beginn der Bauernproteste angekündigt. Das Land sollte lahmgelegt werden.
Aus diesem Netzwerk kam es, einer Recherche von "Zeit online" zufolge, zu der Blockade gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Woche vor den angekündigten Bauernprotesten am Fähranleger im nordfriesischen Schüttsiel [zeit.de]. Ein Fanal für die rechtsextreme Szene, die seit Jahren im Umfeld von Straßenprotesten verantwortliche Politiker bedroht, bedrängt und besucht. Für die eigene Mobilisierung war die Habeck-Blockade ein starker Impuls. Denn seit den Energieprotesten des vergangen Winters und dem so genannten "Heizungsgesetz" aus seinem Ministerium ist Robert Habeck die zentrale Hassfigur im rechten Kulturkampf, dem sich auch viele Handwerker und Selbständige seit Jahren verschrieben haben.
Sie sehen in der Ampel eine Bedrohung für ihre bisherige Art zu leben, durch einen urbanen, westdeutsch geprägten Politikentwurf ohne Wertschätzung für die Bevölkerung auf dem Land, zumal im Osten. Das Motto "Die Ampel muss weg" war schon lange vor den Bauernprotesten geboren, auch in Unionskreisen ist es verbreitet. Seit April des vergangenen Jahres ist die Online-Petition "Ampel abschalten" aktiv, mit deren Slogan die Fähre von Robert Habeck in Schüttsiel empfangen wurde. Längst ist das Motto "Die Ampel muss weg" das neue "Merkel muss weg" aus der Zeit, als sich die AfD zur Bewegungspartei der außerparlamentarischen Proteste von rechts etabliert hat. Darunter lassen sich viele Menschen versammeln.
"Die Ampel muss weg" ist das neue "Merkel muss weg"
Die Bauernproteste haben "Die Ampel muss weg" als zentrales Motto adaptiert. Seit dieser Woche ist es bei ihren Aktionen überall zu lesen, wo Traktoren rollen oder Straßen blockieren. Staatsfeindlich ist das nicht, sondern ein grundsätzlicher, legitimer Protest gegen die Regierung auf rustikale Bauernart, der sich in den allermeisten Fällen an die Versammlungsauflagen und Anweisungen der Polizei hält. Wer diese Aktionen extremistisch nennt, der irrt. Gepaart mit der Massivität der durch die Republik rollenden Traktoren mag das gewaltig wirken, aber gewaltsam sind die Bauernproteste mitnichten.
Zugleich wurden von der AfD und verschiedenen Gruppen aus dem rechtsextremen Spektrum eigene Proteste organisiert: In den ostdeutschen Kraftzentren der Bewegung, in Dresden (dort waren es die "Freien Sachsen"), wo der Protest schließlich eskalierte, in der AfD-Hochburg Gera und in Magdeburg. Eine Entwicklung zunächst unabhängig von den Protesten des Deutschen Bauernverbandes. Auch die Großdemonstration der "Freien Bauern" vor dem Brandenburger Tor am Montag nutzten einige rechtsextreme Aktivisten für sich, etwa von der Partei III. Weg, vereinzelte Bauern bekannten sich hier zur antisemitischen, völkischen "Landvolk"-Bewegung. Die "Freien Bauern" zeigten sich stellenweise rechtsoffen.
In Cottbus meldete die AfD gleich selbst eine Demonstration für diesen Abend an, unter dem Motto "Die Ampel muss weg", der mehr als 1.000 Anhänger folgten. Zuvor führte eine lange Sternfahrt einer Mittelstandsinitiative um die Stadt, die mit den Bauernprotesten korrespondierte. Eine Entwicklung, die der Deutsche Bauernverband weder zu verantworten hat, kaum beeinflussen kann. Es sind die extremen Nebenwirkungen der Bauernwut, die durch die Wut zahlreicher Handwerker, Spediteure und Dienstleister angereichert wird.
Proteste in den rechtsextremen Kraftzentren: Cottbus, Gera, Magdeburg, Dresden
Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Potsdamer Landtag, Hans-Christoph Berndt, sprach angesichts der Proteste in Cottbus am Folgetag von "einer Revolte der Bürger gegen die Ampel-Politik, gegen die Politik der Transformation". Mit seinem rechtsextremen Verein "Zukunft Heimat" hatte Berndt die zweitgrößte Stadt Brandenburgs seit einigen Jahren zum Kraftzentrum der AfD und des rechtsextremen Widerstands ausgebaut.
Zu seinem Netzwerk gehört auch die Geschäftsführerin des lokalen Kreisbauernverbands Spree-Neiße im "Deutschen Bauernverband", Viktoria Hänelt. Spätestens seit Sommer 2020 trat sie wiederkehrend als Rednerin bei den Demonstrationen von "Zukunft Heimat" auf, gemeinsam mit Berndt und gleichgesinnten Organisatoren von Pegida Dresden. Mal sprach sie gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, mal wetterte sie gegen Migranten.
Aus Sicherheitskreisen in Brandenburg ist zu hören, dass die aktuellen Proteste von Bauern und Selbständigen in Cottbus längst von Rechtsextremisten unterwandert seien. Am Donnerstag veranstalten Landesverband und Kreisverband des Deutschen Bauernverbandes eine Traktordemonstration mit 500 Fahrzeugen vor einem neuen Werk der Deutschen Bahn. Bundeskanzler Scholz soll zur Eröffnung kommen. Ihm gilt die Bauernwut mit extremer Nebenwirkung.
Sendung: rbb24 spezial, 08.01.2024, 20:30 Uhr