Rechtsextremismus - "Dritter Weg" immer aktiver vor Berliner Jugendeinrichtungen
In Berlin nimmt die Propaganda der rechtsextremen Partei "Dritter Weg" zu. Ein Mitarbeiter eines Jugendclubs beschreibt Vorfälle, auch vor Schulen kam es zu Werbe-Aktionen. Experten sehen eine bedrohliche Gemengelage. Von S. Wenzel, V. Materla und V. Bauer
Am internationalen Frauentag wurde im Jugendzentrum "Bunte Kuh" gefeiert. Eine Solidaritätsveranstaltung für Frauen*Einrichtungen. Das Publikum: eher links, eher weltoffen. Ein Mitarbeiter geht nachts vor die Tür. Da sieht er eine Person, die Sticker klebt vor dem Tor an der Straße. Jemanden, der offenbar zum "Dritten Weg" gehört.
Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem bezeichnete Gruppe hat schon öfter an dem Jugendklub gestickert. Aufkleber mit durchgestrichenen Regenbogenflaggen, Aufkleber mit der Aufschrift "Für Verein und Vaterland" oder einem Mann, der einen anderen schlägt, darüber der Schriftzug "Good night left side" - das alles hing am Tor oder am Schaukasten des Hauses.
Der Bezug zum Dritten Weges und seinen Unterorganisationen liegt nahe, weil auch Aufkleber dabei sind, die ganz eindeutig auf deren Webseite verweisen. "Es tauchten viele und häufig Sticker vom Dritten Weg und auch andere Nazi-Symboliken an unseren Toren und am Schaukasten auf", sagt der Mitarbeiter der rbb24 Abendschau und zeigt Fotos. Von Zufall gehen sie bei der "Bunten Kuh" nicht aus. "Es geht darum, unsere Arbeit zu delegitimieren", sagt er. Schließlich stehe der Jugendclub für eine weltoffene Lebensweise.
An jenem beschriebenen Abend habe seien schnell Kolleginnen und Kollegen von drinnen gekommen, beschreibt der Mitarbeiter, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. Nachdem der mutmaßlich zum "Dritten Weg" gehörende Störer die Überzahl bemerkte, sei er gegangen. Was geblieben ist, ist ein Gefühl bei den Mitarbeitern des Jugendclubs: Sorge.
Ob sich aus den Stickereien und der Präsenz vor dem Eingang eine konkrete Bedrohungslage im polizeilichen Sinn ableiten lässt, könne er nicht sagen. Wahrscheinlich eher nicht. Auf einer emotionalen Ebene aber, sagt er, gebe es die. Er und seine Kollegen hätten "Angst, dass mehr passieren könnte". Sie fühlten sich im Fokus der Organisation. Vielleicht sollen die Sticker auch genau das bewirken.
Verfassungsschutz: 1.450 Rechtsextreme in Berlin, "Dritter Weg" wächst am stärksten
Der Berliner Verfassungsschutz schätzt den "Dritten Weg" in seinem aktuellsten Bericht (2022) als mittlerweile "dominierenden Akteur" des traditionellen rechtsextremen Spektrums in der Stadt ein. In den letzten Jahren sei die Organisation weiter gewachsen, unter anderem durch Zulauf aus der NPD, heißt es. Rund 80 Personen rechnet der Verfassungsschutz dem Berliner Ableger der rechtsextremen Partei und ihren Unterorganisationen zu - 2021 waren es noch 60. Insgesamt werden in Berlin 1.450 Personen als rechtsextrem eingestuft, 770 davon gelten als gewaltorientiert.
Aus der Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten June Tomiak Anfang des Jahres geht hervor, dass die Partei "Dritter Weg" in Berlin besonders in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf und Pankow, sowie Neukölln, Teptow-Köpenick und Spandau aktiv sein soll. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hat auch den Bezirk Lichtenberg als weiteren Schwerpunkt ausgemacht, sagt einer ihrer Mitarbeiter gegenüber der rbb24 Abendschau.
In Marzahn-Hellersdorf besonders aktiv
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf veröffentlicht jährlich einen "Demokratiebericht" (externer Link). Im Jahr 2022 stieg die Zahl der rechtsextremen und diskriminierenden Vorfälle im Bezirk deutlich an - von 241 im Jahr 2021 auf 365 im Jahr 2022. Vor allem die rechte Propaganda soll demnach erheblich zugenommen haben: 290 Vorfälle wurden gemeldet, darunter fallen Plakatierungen oder Sticker. Beleidigungen und Angriffe sind deutlich seltener, auch hier kam es aber insgesamt zu 38 Fällen (darunter neun tätliche Angriffe).
Im Bericht heißt es, es sei zu beobachten, dass die Partei die Mitglieder ihrer Jugendgruppierungen, wie der "Nationalrevolutionären Jugend" (NRJ), mit solchen Aktionen an Aktivitäten des "Dritten Wegs" heranführe. Um Wählerstimmen gehe es den Rechtsextremen dabei weniger, so die Beobachtung, sondern vielmehr darum, "Orte zu vereinnahmen". Der Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht, dass es berlinweit beim "Dritten Weg" zudem einen Fokus auf die Durchführung von Infoständen gebe. Wie aus einer älteren Anfrage an den Berliner Senat hervorgeht, werden diese teilweise sogar angemeldet und wurden dann in der Regel von den zuständigen Bezirken auch genehmigt.
Der Bericht liefert auch eine mögliche Erklärung für den Fokus des "Dritten Wegs" auf Marzahn-Hellersdorf. Demnach leben dort besonders viele Mitglieder der rechtsextremen Partei. Da die Aufkleber immer wieder an den gleichen Orten im Bezirk erscheinen, wird davon ausgegangen, dass Mitglieder "alltäglich" in der Nähe ihres Wohnorts Propaganda verteilen. Christian Hochgrebe, der Staatssekretär für Inneres des Landes Berlin, sagte der rbb24 Abendschau, der "Dritte Weg" verfolge eine "Strategie der Dominanz in den Kiezen". "Das ist deshalb besorgniserregend, weil oftmals das kombiniert wird mit einer gewaltaffinen und kampfsporttrainierten Szene", sagt Hochgrebe.
Auch Schulen im Fokus der Rechtsextremen
An Schulen in der Region ist das Problem der rechtsextremen Propaganda ebenfalls bekannt. Erst kürzlich veröffentlichten ostdeutsche Schülervertretungen eine Erklärung, in der sie vor Rechtsextremismus und rechtsextremen Symbolen an Schulen warnten. In Burg (Spree-Neiße) gab es im vergangenen Jahr zeitweise ein explizites Verbot von Propaganda an Schulen und Kindergärten, nachdem Anhänger des "Dritten Weges" dort Aktionen gestartet hatten.
Die rechtsradikale Gruppe selbst behauptet, auch in Berlin bereits mehrere Propaganda- Aktionen an Schulen durchgeführt zu haben. Eine der betroffenen Schulen im Berliner Nordosten bestätigte rbb|24 auf Anfrage, dass es im Oktober vergangenen Jahres einen solchen Vorfall gegeben habe. Aktivisten der Gruppe hätten versucht, Sticker oder Flyer mit QR-Codes vor dem Eingang zum Schulgelände zu verteilen. Daraufhin habe man die Polizei alarmiert, sagte ein Mitarbeiter der Schule. Für die Zukunft habe man sich eine Strategie überlegt, die verhindere, dass Schülerinnen und Schüler dieser Propaganda ausgesetzt würden.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin berichtet, sie habe seit dem vergangenen Herbst Kenntnis von mindestens sechs Flugblattverteilaktionen an Berliner Schulen. "Es geht darum, junge Menschen anzusprechen und zu rekrutieren, insbesondere mit Freizeit- und Erlebnisangeboten, dem Kampfsport, eine junge männliche Zielgruppe anzusprechen", sagt Mathias Wörsching von der MBR. Die MBR empfiehlt Schulen auf ihrer Homepage, bereits präventiv tätig zu werden. Die Lehrkräfte sollten sich über rechtsextreme Codes informieren, und vorab einen Handlungsleitfaden erarbeiten. Komme es zu einem Vorfall, sei aber auch eine Aufarbeitung mit den Schülerinnen und Schülern wichtig.
"Auf keinen Fall angreifen oder konfrontieren"
Von einer direkten Konfrontation mit den rechten Aktivisten hingegen wird abgeraten. Das sagt auch der Mitarbeiter der "Bunten Kuh". Er rät aus seinen Erfahrungen vor allem eines: "Auf keinen Fall Leute vom Dritten Weg und NRJ angreifen oder konfrontieren beim Stickern." Stattdessen würde er zunächst abwarten, um die geklebten Sticker oder Flyer anschließend zu dokumentieren und zu melden.
Mathias Wörsching sagt, dass die Stickereien des Dritten Weges vor Jugendzentren durchaus als Einschüchterung zu deuten seien. "Solche, die vom Dritten Weg als politische Gegner markiert wurden, sollen aufs Korn genommen werden, da zeigt sich der Dritte Weg auch mal in bedrohlicher Form gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, begeht kleinere Sachbeschädigungen oder bringt seine Propagandamittel an", sagt Wörsching. Die steigende Tendenz der Aktivitäten des "Dritten Weges" beunruhigt ihn. "Das sind Anhänger eines extremen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Alle Menschen und Institutionen, die nach dieser Ideologie feindlich markiert sind, für die geht eine wachsende Gefahr vom Dritten Weg aus", sagt er.
Opposition fordert bessere Zusammenarbeit der Senatsbehörden und mehr Geld
"Beunruhigt" ist auch die Berliner Grünen-Abgeordnete Tomiak, die die Anfrage zum Thema gestellt hatte, wie sie gegenüber dem rbb sagt. Vom Senat fordert die Oppositionspolitikerin: "Was es braucht ist, mehr Personal für die Jugendeinrichtungen, damit klar ist, dass es genug Personal vor Ort gibt, wenn Bedrohungslagen auftreten und gegebenenfalls Mittel für technische Sicherung." Ihrer Meinung nach gebe es zu wenig Zusammenarbeit zwischen der Senatsverwaltung für Bildung und der für Inneres. Sie habe das Thema auch schon im Verfassungsschutzausschuss angesprochen.
Staatssekretär Christian Hochgrebe sagte dem rbb, der "Dritte Weg" sei schon jetzt besonders auf dem Radar der Sicherheitsbehörden. Auch der Senat stelle fest, dass verstärkt vor Jugendclubs und Schulen Flyeraktionen der rechtsextremen Organisation stattfänden. Dem müsse man entgegen wirken, so Hochgrebe. Aber: "Das ist in der Tat nicht einfach. Wir müssen weiter sensibilisieren. Für uns als Sicherheitsbehörden ist wichtig, dass diese Vorfälle auch bekannt werden und zur Anzeige gebracht werden", sagt er, nur wenn die Vorfälle bekannt würden, könnten auch entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
In der "Bunten Kuh" haben die Mitarbeiter vorerst ihre eigenen Konsequenzen aus den Stickern gezogen: Hier wird derzeit nur noch im Team gearbeitet. Keiner soll alleine Dienst haben - vor allem abends nicht. Das führt dazu, dass manchmal die Türen geschlossen bleiben und die Jugendbetreuung entfällt, wenn Kollegen beispielsweise krank werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.05.2024, 19:30 Uhr