Einsatz von KI-Tools - Mit "Parla" und "Bobbi" gegen das Datenchaos in der Berliner Verwaltung
Die Berliner Verwaltung ist und bleibt ein Sorgenkind der Stadt. Auf Bürgeramtstermine muss ewig gewartet werden und online geht noch fast gar nichts. In Zukunft gehen auch noch viele Beamte in Rente. Manche hoffen auf die KI als Retter in der Not. Von Simon Wenzel
Schon im vergangenen Jahr blieben tausende Stellen in der Berliner Verwaltung unbesetzt, zusätzlich gehen in den nächsten zehn Jahren etwa 40.000 der derzeit Beschäftigten in Rente. Die Probleme für die Bürger, lange Wartezeiten auf Termine und bei Anträgen, sind so nur schwer zu beheben.
Eine Chance könnte Künstliche Intelligenz bieten. Das ist nicht nur logisch, sondern auch schon von Berlins Finanzsenator vor über einem Jahr in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" [Bezahlschranke] ins Gespräch gebracht worden. Konkret wurde Stefan Evers (CDU) damals nicht. Erste Projekte gibt es inzwischen, aber auch noch viele Bedenken. rbb|24 hat sich im Rahmen der Digitalkonferenz "Republica" in Berlin bei Expertinnen und Experten umgehört - nicht alle glauben an das Allheilmittel KI.
"Parla" zeigt, wie es gehen kann
Im "City Lab Berlin", einem Innovationslabor der Technologiestiftung Berlin, mitfinanziert vom Land, beschäftigen sie sich fast täglich mit dem möglichen Einsatz von KI in der Verwaltung: "Das ist für uns ein Riesenthema", sagt Benjamin Seibel, der Leiter des City Labs. Im letzten Jahr sei schon viel mit KI gearbeitet worden, "wir haben Anwendungsfelder durchgespielt", sagt Seibel, im Innovationslabor gehe das ganz gut - geschützter Rahmen, weniger Datenschutzvorschriften, er beschreibt es als eine "Spielwiese".
Herausgekommen ist als ein erster, tatsächlich nutzbarer Service: "Parla" (externer Link: parla.berlin). Eine KI, die hilft, Dokumente aus dem Berliner Abgeordnetenhaus durchsuchbar zu machen, schriftliche Anfragen zum Beispiel. Das hilft Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern bei der Beantwortung von Fragen, zu denen bereits Antworten vorliegen. Es kann aber auch zur Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern beitragen oder Journalistinnen und Journalisten die Arbeit erleichtern.
"Wissensmanagement" nennt Benjamin Seibel das, was Parla macht und er findet: Das sei eine der offensichtlichsten Einsatzmöglichkeiten von KI in der Verwaltung. "Der Dokumentenbestand in der Verwaltung ist sehr groß und sehr unübersichtlich. Darin nach Informationen zu suchen, das können die gängigen KI-Modelle schon ganz gut - aus 10.000 Dokumenten zum Beispiel schnell die richtige Quelle finden - dann kann der Einsatz von KI extrem viel Zeit sparen", sagt er. Auch die Vorsortierung von Anträgen würde Seibel einem Programm zutrauen. "Es gibt Sachbearbeiter, bei denen liegen 50.000 Anträge und die müssen jeden erstmal einzeln prüfen, ob er vollständig ist. Diese Vorsortierung ist etwas, was KI gut machen könnte", sagt er.
Stelleneinsparung schlägt Mitarbeiterentlastung?
Die Vorstellung: Wenn KI die formelle Prüfung übernimmt, könnten die Menschen in der Verwaltung mehr Zeit haben, die Fälle inhaltlich zu prüfen. Nicht alle Experten sind da aber so optimistisch wie Benjamin Seibel.
Nikolai Horn, vom digitalen Think-Tank "iRights Lab" findet zwar auch, dass das theoretisch eine gute Idee ist. Er sieht neben den genannten sogar noch weitere Anwendungsfelder: KI könnte beispielsweise bei Infrastrukturprojekten Prognosen errechnen und so deren Bewertung verbessern. Horn glaubt nur noch nicht daran, dass die Aufteilung in der Realität so ablaufen wird. KI übernimmt sinnvolle Hintergrundaufgaben und die vorhandenen Mitarbeiter haben mehr Zeit für die Bürger - klingt gut, aber nicht realistisch, findet Horn: "Werden die Stellen nicht vielleicht einfach nur eingespart? Dann bleiben die Verwaltungsmitarbeiter, die noch da sind trotzdem überlastet. Nur die, die mit Routineaufgaben beschäftigt waren, die sind nicht mehr da. Häufig ist doch Stelleneinsparung das oberste Gebot und nicht die Mitarbeiterentlastung", sagt er. Der Einsatz von KI sei in Zukunft dennoch wohl notwendig, wenn zahlreiche Mitarbeiter in Rente gehen.
Dénes Jäger vom gemeinnützigen Verein "Open Knowledge Foundation" sieht noch ein anderes Problem: Setzen die deutschen Verwaltungen jetzt auf teure KI-Projekte, könnte das Gelder verschlingen, die zunächst zur Verbesserung der Grundlagen benötigt würden. "Wenn Geld in KI-Projekte fließt, fließt es nicht in Personal, Infrastruktur oder nachhaltiges Datenmanagement", sagt Jäger. Sein Hauptthema als Journalist und "Data Researcher" ist das Datenmanagement. Einheitliche Datenerfassung, strukturierte Ablage, all das müsste zuerst verbessert werden, findet er. Sonst kann auch KI nicht anständig arbeiten.
Um das zu verdeutlichen, hat Jäger in seinen Vortrag auf der "Republica" ein Meme eingebaut: Auf dem Bild ist zu sehen, wie jemand am Fuß einer Treppe steht und mit einem viel zu großen Schritt direkt zur dritthöchsten Stufe gehen will. Auf der hohen Stufe steht "KI Leuchtturmprojekte bauen". Die Treppenstufen, die ausgelassen werden, sind mit "schnelles Internet", "Basic Datenkompetenzen und ethische Gedanken machen" und "Datenbanken aufsetzen" beschriftet. Der Schritt zur hohen Stufe ist so groß, dass er nicht zu schaffen ist.
Die Verwaltung in Deutschland hat also noch viele Digitalisierungsschritte zu nehmen, bevor KI-Projekte gestartet werden, findet Jäger. "Ein beliebter Fehler ist: KI braucht nicht weniger, sondern mehr Kompetenzen und ein Verständnis dafür, was sie eigentlich macht", sagt er. Vor allem die Datenlage in der Verwaltung sei derzeit aber häufig so schlecht, dass auch künstliche Intelligenz damit nicht arbeiten könne: "Bei KI ist es so: Garbage in, garbage out", sagt Jäger. Gibt man also schlecht gepflegte Daten rein, kommen auch wenig aussagekräftige wieder heraus.
Die Bertelsmann-Stiftung hat zum Einsatz von KI in Verwaltungen ein Cluster erarbeitet, in dem sieben Kompetenzarten mit insgesamt 21 Kompetenzen vorgegeben sind, die notwendig sind. Neben technischen, auch kommunikative, gesellschaftliche, rechtliche oder organisatorische. Jäger findet, das zeige, der Einsatz von KI sollte nicht unüberlegt und überstürzt aufgrund einer Modeerscheinung geschehen, sondern nur gut vorbereitet.
Sein etwas provokanter Ansatz zum Thema: Wenn in Deutschland gerade alle heiß auf KI-Projekte sind, die Verwaltung aber erstmal gute Daten braucht, könnte man dann nicht vermeintliche KI-Ideen vorschieben, um tatsächlich durch die Hintertür Geld für besseres Datenmanagement zu bekommen? Beispielsweise einen Chatbot kreieren, mit dem Projektgeld aber vor allem eine gute Datengrundlage schaffen für dessen Benutzung. Auf der "Republica" fragte er anwesende Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter aus ganz Deutschland, ob sie so etwas schon mal gemacht hätten. Ergebnis seiner nicht repräsentativen Umfrage: 19 von 30 sagten ja.
Ein intelligenter Chatbot für Berlinerinnen und Berliner
City Lab-Leiter Benjamin Seibel bewertet die Chancen der KI dennoch wesentlich enthusiastischer. Er meint: Parla war erst der Anfang für Berlin. "Das Interesse in der Verwaltung, das muss man sagen, ist auch jetzt schon sehr groß. Der Bedarf ist längst erkannt, es geht jetzt vor allem um die Frage: Wie können wir das rechtssicher einsetzen." In den IT-Stellen der Ämter gebe es beispielsweise noch Datenschutzbedenken, zumindest bei ausländischen Services wie dem US-amerikanischen "ChatGPT". Seibel findet: "Manchmal muss man sich auch einfach trauen. Beim Einsatz von neuen Technologien gibt es oft anfangs Grauzonen, wir müssen ja am Anfang keine gefährlichen Anwendungsfälle machen."
Eine Vision: Ein neuer, intelligenter Chatbot für die Berliner Verwaltung. Es gibt schon einen, der hört auf den Namen "Bobbi", ist aber in etwa so zeitgemäß wie eine Diskette. Bobbi erkennt höchstens ein paar Stichworte und spuckt dann Links als Antworten aus, konkrete Fragen beantworten kann er nicht. Wenn ChatGPT künstliche Intelligenz ist, ist Bobbi künstlich unintelligent.
Eine modernere Version, die alle Informationen der Berliner Verwaltungen durchsucht und Bürgerfragen im Chat beantwortet, wäre da ein immenser Fortschritt: "Wenn wir mal nur auf die Inhalte von "berlin.de" schauen, da gibt es wahnsinnig viele Themen mit tausenden von Unterseiten", sagt Seibel, "ein intelligenter Bot, der mit diesen Informationen gefüttert wäre, sodass er beispielsweise beantworten kann, wann ein bestimmtes Schwimmbad geöffnet ist oder was ich tun muss, wenn ich meinen Personalausweis verloren habe, der wäre schon ein großer Gewinn." In zwei oder drei Jahren schon könnten solche oder ähnliche Technologien in Betrieb sein, glaubt Seibel. Die Strukturen zum Einsatz von KI müssten also schnell wachsen, denn die Künstliche Intelligenz ist kein normaler Mitarbeiter, sondern funktioniert nur mit gut geschultem Personal.
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