Auf der Suche nach dem Schuldigen - Warum Geldstrafen für Fußball-Klubs umstritten sind
Wird in einem Fußball-Stadion Pyrotechnik abgebrannt oder ist ein beleidigendes Banner zu sehen, werden die Vereine anschließend zur Kasse gebeten. Wie die Strafen berechnet werden, was mit dem Geld passiert und wieso das Verfahren umstritten ist. Von Ilja Behnisch
Zumindest aus finanzieller Sicht müssten sie sich beim 1. FC Union Berlin eigentlich freuen über den Bundesliga-Abstieg des Stadt-Rivalen Hertha BSC. Denn auch wenn die Köpenicker die letzten fünf Begegnungen gegen die Charlottenburger für sich entscheiden konnten, wurden sie danach regelmäßig zur Kasse gebeten. Verurteilt vom DFB-Sportgericht, zumeist wegen des Abbrennens von Pyrotechnik. Zuletzt geschehen am 30. März diesen Jahres. Im Verbandsdeutsch liest sich das dann wie folgt: "Das DFB-Sportgericht hat den 1. FC Union Berlin wegen des unsportlichen Verhaltens seiner Fans mit einer Geldstrafe in Höhe von 73.000 Euro belegt. Beim Stadtderby im Berliner Olympiastadion brannten die mitgereisten Union-Fans mindestens 73 pyrotechnische Gegenstände ab."
Eintracht Frankfurt ist "Randale-Meister"
Urteile wie dieses gehören zum deutschen Fußball-Alltag. Sie tauchen in den Nachrichtenspalten auf wie sie verschwinden, zumeist ohne das groß von ihnen Notiz genommen wird. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick, denn die sogenannten Geldstrafen sind inhaltlich äußerst umstritten und bürgen in ihrem Zustandekommen durchaus komisches Potential. Und wohin, mag man sich fragen, fließt eigentlich das ganze Geld, welches die Verbände auf diesem Weg einnehmen?
Knapp über vier Millionen Euro hat allein der DFB in der Saison 2022/23 bereits eingenommen [fussballmafia.de]. Urteile und entsprechende Strafzahlungen für den Saisonabschluss stehen dabei noch aus. Der größte Sportverband der Welt (7,2 Millionen Mitglieder; Stand 31.12.2021) ist dabei für die Strafen in der 1. und 2. Bundesliga sowie der 3. Liga zuständig. Regional- und Oberligen werden von den Landesverbänden betreut, darunter sind die Regionalverbände zuständig. In der deutschen Hauptstadt etwa ab der sogenannten Berlin-Liga (6. Liga) der Berliner Fußball-Verband. Aktueller Spitzenreiter im Ranking der DFB-Strafen und für die jüngst beendete Saison ist Pokalfinalist Eintracht Frankfurt.
433.100 Euro mussten die Hessen für sechs Einzel-Strafen insgesamt löhnen. Der 1. FC Union Berlin liegt hier mit seinen 133.000 Euro auf Rang acht und somit weit hinter dem sportlichen Abschneiden in der Bundesliga. 113.000 Euro entfallen dabei auf den Einsatz von Pyrotechnik in Spielen gegen die Hertha. Die wiederum kommt im DFB-Strafen-Ranking mit 86.000 Euro auf den 20. Platz, wobei lediglich 14.000 Euro auf Pyro-Einsatz im Stadtderby entfallen.
Carl Zeiss Jena gegen Alle
Nicht mit eingerechnet sind die jeweiligen Verfahrenskosten von 60 Euro im "schriftlichen Verfahren", wie der DFB im Zuge einer rbb|24-Anfrage erklärt. In der Regel werden die Urteile ohne Präsenz und ohne Vertretung der Vereine durch eine dritte Person, sprich einen Anwalt, gefällt. Gezahlt wird nach Rechnungsstellung, der "Betrag ist grundsätzlich sofort fällig", so der DFB.
Die Vereine selbst machen das Spiel zumeist stillschweigend mit, akzeptieren die Sportgerichts-Sprüche und zahlen. Auf schriftlich gestellte Anfragen von rbb|24 haben weder Union noch Energie Cottbus oder der BFC Dynamo reagiert. Hertha BSC lehnte die Gesprächsanfrage mit Hinweis auf die prekäre sportliche Lage ab, die die volle Aufmerksamkeit benötige. Den meisten Klubs scheinen die Sanktionen für unsportliches Verhalten ihrer Fans keine Rede wert. Immerhin Carl Zeiss Jena hält das anders. Und zeigt die grundsätzliche Problematik der DFB-Statuten auf.
Geldstrafen, die keine sein wollen
25.000 Euro sollte der damalige Drittligist aus Jena im Jahr 2018 für drei verschiedene Vergehen seiner Fans insgesamt an den DFB zahlen. Doch statt das Geld Richtung Frankfurt/Main zu schicken, klagte der Klub. Ganz nach dem Geschmack von Anwalt René Lau, der auch als "Fan-Anwalt" bekannt ist und viele Vereine und Anhänger juristisch berät und vertritt. Lau wünschte sich schon seit Jahren, "dass die Sache mal vor ein ordentliches Gericht kommt, dass es mal jemand durchzieht und dann ein Richter an einem ordentlichen Gericht zum DFB sagt: So geht's nicht."
Jena zog vor sämtliche Sportgerichtsbarkeiten sowie ein ordentliches Gericht in Frankfurt/Main, danach sogar bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Warum, so fragte Carl Zeiss, sollte der Verein für etwas zahlen, woran er gar keine Schuld trägt? Schließlich zünde nicht der Verein die Pyro-Fackeln, sondern einzelne Zuschauer. Und das trotz Einlass- und Stadion-Kontrollen. Der DFB begründet das mit dem Grundsatz der sogenannten "verschuldungsunabhängigen Haftung" und vor allem mit dem Hinweis, bei den Geldstrafen handele es sich nicht um Geldstrafen, sondern um Präventivmaßnahmen.
Wer nun denkt, in diesem Satz habe sich ein Fehler eingeschlichen, irrt. Tatsächlich argumentiert der DFB, der in seinen Urteilen ja selbst von Geldstrafen spricht, damit, keine Geldstrafen auszusprechen. Wäre das der Fall, müsste er allerdings auch Vereine zu Kasse bitten, ohne dass ihre Fans durch unsportliches Verhalten wie zum Beispiel Pyrotechnik auffällig geworden wären. Rein präventiv. Doch ein solches Urteil hat der DFB noch nie gefällt.
Auch bei Spielen des DFB brennt es "lichterloh"
In den Worten von Thomas Koch, Richter am Bundesgerichtshof, hieß es dazu nach der Klage von Carl Zeiss Jena: "Wir sind nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dieser Geldstrafe nicht um eine Strafe oder strafähnliche Sanktion handelt, sondern um eine reine Präventivmaßnahme. Die auch ohne ein Verschulden des Vereins zulässig ist." Für den Fan-Forscher Jonas Gabler hat das Bewahren des Status quo vor allem auch eine politische Komponente. Im Gespräch mit rbb|24 sagt er: "Solange der Fußball glaubhaft vermitteln kann, dass er sich um diese Belange kümmert, greift die Politik nicht ein. Wenn der DFB aber irgendwann sagt: Alles nicht so wichtig, wir kassieren keine Strafen mehr — dann besteht die Gefahr, dass der politische Druck sich erhöht."
Ein Glaubwürdigkeitsproblem hat das Vorgehen der Verbände in den Augen seiner Kritiker zumindest dann, wenn er selbst Veranstalter ist. So wie beim DFB-Pokalfinale etwa. Da brenne es "ebenso lichterloh", sagt etwa Fan-Anwalt René Lau. Und weiter: "Sie kriegen es ja selbst nicht in den Griff. Und dann darf doch mal fragen: Wenn ihr das bei euren eigenen Veranstaltungen nicht hinkriegt, was mutet ihr denn dann den Vereinen zu? Das ist die große Frage. Und die wird beim DFB, bei den großen Verbänden, niemand beantworten."
Vereine sind keine Ermittlungsbehörden
Sich selbst bestraft der DFB im übrigen nicht. Streng genommen können die Anhänger der diesjährigen Pokalfinal-Gegner aus Leipzig und Frankfurt zünden, was die Feuerzeuge hergeben. Finanzielle Sanktionen hat in der Folge vermutlich niemand zu befürchten. Es sei denn, die Täter würden durch die Ermittlungsbehörden ausfindig gemacht und zivilrechtlich belangt. Es wäre ein Traum-Szenario für den DFB, dessen Rechtsorgane ihre Arbeit "vorrangig täterorientiert" ausüben. Weshalb den Vereinen auch Straf-Minderungen zu Gute kommen, wenn sie die Täter identifizieren.
Doch weder, so die Kritiker, seien die Vereine Ermittlungsbehörden noch strukturell oder organisatorisch überhaupt in der Lage, Täter wirklich ausfindig zu machen. Fan-Forscher Gabler sagt dazu: "Wenn heute eine Pyro-Show gemacht wird, stehen die Leute ja nicht mit einem grinsenden Lächeln da und zünden eine Fackel an." Ein "gerichtsfester Nachweis, in dem es darum geht, die eine Person zu identifizieren", sei praktisch unmöglich.
Gezahlt wird nach Quadratmetern
Und so werden auch weiterhin die Vereine und nicht die tatsächlichen Verursacher zur Kasse und Rechenschaft gebeten. Wie es sich für deutsches Vereinswesen gehört, nach den festen Kriterien eines Strafenkatalogs. So kostet das "Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen (je Gegenstand)" 1.000 Euro in der Bundesliga, 600 Euro in der zweiten Liga und 350 Euro in der dritten Liga. Ein "Eindringen auf das Spielfeld (je Person)" kostet 3.000 Euro (Bundesliga) bis 1.000 Euro (3. Liga). "Unsportliche Botschaften (je Banner, Transparent o.Ä.)" liegen bei 2.000 Euro (500 Euro in der 3. Liga). Allerdings nur, wenn das Banner kleiner als drei Quadratmeter ist. Ansonsten werden 8.000 Euro (2.000 Euro in der 3. Liga) fällig.
Während man die Größe von Schmäh-Plakaten in den drei Profi-Ligen des deutschen Fußballs angesichts der zahlreichen TV-Kameras noch recht leicht ermessen kann, wird die Sache in den unteren Ligen sportlich. Da, wo die Zählung von Pyro-Fackeln und Banner-Quadratmetern zumeist einzig und allein in den Aufgabenbereich des Schiedsrichter-Beobachters fällt.
Immerhin leitet der DFB die Geldstrafen, die keine sein sollen, direkt an den guten Zweck weiter. So spendete der Verband im Jahr 2022 1,95 Millionen Euro an fußballnahe, gemeinnützige Stiftungen. Im Jahr 2023 dürfte diese Summe eher doppelt so hoch ausfallen. Zumindest bei den Berliner Klubs werden durch den Hertha-Abstieg und die dadurch ausbleibenden Hauptstadtderbys für den Rest des Kalenderjahres wohl weniger Strafen anfallen. An diese Form der Präventivmaßnahmen dürfte aber selbst der DFB nicht gedacht haben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.05.2023, 19:15 Uhr