Nach guten Leistungen für Deutschlands U21 nominiert - Tjark Ernst hat seine Chance bei Hertha genutzt

Mi 06.09.23 | 19:51 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Torhüter Tjark Ernst hebt die Fäuste nach dem 5:0-Sieg über Fürth. (Foto: IMAGO / Zink)
Bild: IMAGO / Zink

Nach der Suspendierung von Marius Gersbeck und dem Abgang von Oliver Christensen stand Hertha plötzlich ohne einen bewährten Torhüter da. Torwarttalent Tjark Ernst nutzte jedoch die Gunst der Stunde und spielte sich auffällig souverän fest. Von Marc Schwitzky

Der Karriereverlauf eines Fußballtorhüters ist mit keiner der anderen Positionen dieses Sports zu vergleichen. Als Feldspieler, der gerade von den Jugendabteilungen zum Profi-Kader stößt, ist es üblich, sich über Kurzeinsätze immer weiter in die Mannschaft zu spielen. Aus fünf Minuten werden zehn, aus zehn werden 20 bis 30, es folgt der erste Startelfeinsatz, womöglich nimmt man dann auch wieder auf der Bank Platz, um in ein paar Spielen erneut in die Rotation des Kaders zu kommen. Vom Joker zum Rotationsspieler, vom Rotationsspieler zur Stammkraft.

Der Weg des Torhüters verläuft gänzlich anders. Da auf jener Position abseits von Verletzungen eigentlich nie rotiert oder innerhalb einer Partie gewechselt wird, ergeben sich nur ganz selten die Zeitfenster, die darüber entscheiden, ob ein junger Keeper bereit für mehr ist. Der Wurf ins kalte Wasser als Regelfall. Die Kurzeinsätze gibt es für Nachwuchskeeper nicht, sie müssen in der Regel sofort über die vollen 90 Minuten überzeugen – denn wann ergibt sich schonmal die nächste Chance? Der Sprung vom Ersatztorhüter zur "Nummer eins" ist womöglich der schwerste im gesamten Profi-Fußball.

Tjark Ernst, 20 Jahre alt, hat jenen Sprung womöglich in den vergangenen Wochen bewältigt und damit seinem Verein, Hertha BSC, große Sorgen erspart.

Aus Sechs werden Drei

Vor noch zwei Monaten ist Tjark Ernst einer von vielen, von sechs, um genau zu sein. Anfang September entsteht das erste Mannschaftsbild der neuen Saison von Hertha BSC – es ist Kuriositätenkabinett, da sich der Kader der Berliner in einem völlig unfertigen Zustand befindet und dadurch fast schon grotesk unausgeglichen daherkommt. So sitzen gleich sechs Profi-Torhüter in erster Reihe nebeneinander: Tim Goller und Robert Kwasigroch, Alexander Schwolow, Oliver Christensen, Marius Gersbeck – und Tjark Ernst.

Dass es nicht bei jenem Torhüter-Überangebot bleiben würde, ist schon damals klar. Die Reihen lichten sich in kommenden Wochen. Der perspektivlose Schwolow, der von einer Leihe an den FC Schalke 04 zurückgekehrt war, verlässt den Verein in Richtung Lokalrivale Union Berlin. Rückkehrer Gersbeck wird Mitte Juli aufgrund eines Vorfalls im Sommertrainingslager in Österreich vom Verein suspendiert – der 28-Jährige ist Ende August wegen schwerer Körperverletzung angeklagt worden, die Hauptverhandlung wird Ende September geführt.

Vor einem Monat, nach bereits zwei absolvierten Ligaspielen in der neuen Saison, steht auch Christensen nicht mehr zur Verfügung. Der Däne wechselt in die Serie A zur AC Fiorentina. So wird aus einer einstigen Luxussituation zwischen den Pfosten ein handfestes Kaderproblem: mit Ernst, Kwasigroch und Goller stehen auf einmal nur noch drei Keeper bereit, die allesamt über keine Profi-Erfahrung verfügen.

Ernst erhält die Chance

Bevor Hertha womöglich noch einmal auf dem Transfermarkt reagiert und einen neuen Torhüter verpflichtet, ist erst einmal klar, dass Ernst ins Tor rücken wird. Da ist es, das kalte Wasser – wird der 20-Jährige schwimmen? Sein attestiertes Potenzial legt es zumindest nahe.

Ernst kommt im Sommer 2022 für 300.000 Euro aus der Jugend des VfL Bochum nach Berlin. "Tjark Ernst gehört zu den größten deutschen Torwarttalenten, deshalb freuen wir uns, dass wir ihn von der Perspektive bei Hertha BSC überzeugt haben", sagt Herthas damaliger Manager Fredi Bobic über den Junioren-Nationalspieler. Eigentlich als Nummer drei und damit vor allem für die U23 vorgesehen, wird Ernst aufgrund der Suspendierung von Rune Jarstein überraschend schnell zum direkten Ersatz für Christensen.

Einen ersten Schwimmversuch darf Ernst am 34. Spieltag der abgelaufenen Saison unternehmen, Trainer Pal Dardai gibt ihm die Chance von Anfang an. Das Wasser ist nur lauwarm, Hertha ist zu dem Zeitpunkt bereits offiziell abgestiegen und kann gegen den VfL Wolfsburg ohne Druck um einen versöhnenden Abschied spielen. Ernst überzeugt bei seinem Profi-Debüt auf ganzer Torlinie, mit seinen zahlreichen Paraden trägt er maßgeblich zum 2:1-Sieg bei. Trotz seiner jungen Jahre strahlt er große Sicherheit aus – wird er gebraucht, ist er zur Stelle. Ein erster Hinweis für Trainer Dardai, Ernst das Vertrauen schenken zu können.

Wenn er einen Fehler macht, muss man das in dem Alter akzeptieren. Davon lernt er. Wenn er jedes Spiel gut hält, wird er nicht lernen. Egal ob er Fehler macht, er bleibt die Nummer 1.

Er schwimmt

Und so steht Ernst auch seit dem Abgang von Christensen im Tor. Laut Dardai besteht der Plan, den 20-Jährigen zur Nummer eins zu machen, schon länger – selbst wenn sich der Fall Gersbecks vorzeitig aufgelöst hätte, wäre ein offener Konkurrenzkampf ausgerufen worden. Vier Spiele hat Ernst nun in der neuen Saison bestritten, dabei zweimal zu null gespielt, insgesamt aber neun Gegentore kassiert.

Schuld trägt Ernst an der hohen Anzahl von Gegentreffern jedoch nicht, viel eher hat der junge Schlussmann in jedem der Ligaspiele noch Schlimmeres verhindert. Mit hoher Konzentration und hervorragenden Reflexen zeigt Ernst vor allem Stärken auf der Linie und im Herauslaufen. Immer wieder glänzt er mit sehenswerten Paraden, zudem wird seine Strafraumbeherrschung mit jedem Einsatz sichtlich besser. Auf Ernst ist Verlass. Das kalte Wasser ist ihm nicht anzumerken, er schwimmt.

"Tjark genießt mein Vertrauen, er bestätigt die guten Leistungen. Fußballerisch muss er am Ball noch sicherer werden, aber mit seinen Reflexen und seiner inneren Ruhe macht er das gut", lobt ihn Trainer Dardai nach dem 5:0-Sieg über Fürth.

"Wenn er jedes Spiel gut hält, wird er nicht lernen"

Die Helden der letzten Partien bei Hertha BSC heißen Toni Leistner, Fabian Reese oder Haris Tabakovic. Tjark Ernst bleibt hingegen schon beinahe unter dem Radar, über seine Leistungen wird wenig gesprochen. Viele gute Szenen, wenig herausragende und noch weniger unsicherere Momente – Ernst macht seinen Job, ohne Extravaganz. Dass wenig über ihn gesprochen wird, ist angesichts der leichten Panik, die sich noch vor wenigen Wochen in Hinblick auf Herthas Torhüterposition breit machte, vielmehr ein Lob als alles andere.

"Tjark ist ein stabiler Junge. Da kann er sich bei seinem Vater und seiner Mutter, seinem Elternhaus, aus das er kommt, bedanken. Das Bedanken ist nicht für mich oder für uns", erklärt Trainer Dardai vor wenigen Wochen. "Nein, wir trauen ihm die Aufgabe einfach zu. Wenn er einen Fehler macht, muss man das in dem Alter akzeptieren. Davon lernt er. Wenn er jedes Spiel gut hält, wird er nicht lernen. Egal ob er Fehler macht, er bleibt die Nummer 1."

Bislang hält Ernst jedes Spiel gut – und wird dennoch dazulernen. Er selbst gibt sich dabei so ruhig und sachlich wie auf dem Rasen: "Ich spüre das Vertrauen der Verantwortlichen und versuche, das mit harter Arbeit täglich zurückzuzahlen." Dass die Verantwortlichen bei all den anderen Problemzonen und Gefahrenherden der vergangenen Wochen nicht auch noch über die Torhüterposition grübeln müssen, ist wohl der Rückzahlung genug.

Die erste Nominierung für die deutsche U21-Nationalmannschaft ist ein zusätzlicher Lohn - sowohl für Ernst selbst, aber auch Hertha BSC, das seinem Anspruch, wieder zu einem Ausbildungsverein zu werden, gerecht wird.

Sendung: rbb24, 06.09.2023, 21.45 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

4 Kommentare

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  1. 4.

    Sie haben die bisherigen Spiele nicht gesehen, richtig? Es gab kein Schlechtes von Ernst und an den Gegentoren war er auch nicht wirklich Schuld. Und außerdem, der Junge ist 20 Jahre!!!! alt, und in seiner ersten Phase als Nr. 1 im Profifußball.

  2. 3.

    Der Tabellenplatz spricht auch nicht dafür. Die Nummer gegen Fürth war quasi eine Ausnahme.
    "Also für einen Absteiger sind wir echt stark" oder wie ist die Logik? Natürlich liegt es nicht an ihm alleine, sondern am ganzen Verein. Ihm persönlich wünsche ich alles Gute und eine Karriere ohne Chaos (also nicht bei Hertha).

  3. 2.

    Was ist denn mit dem Torverhältnis? Bezogen auf den Tabellenplatz ist das gut. Die derzeitige Platzierung Herthas ist definitiv nicht dem Torwart zuzuschreiben. Und die Nominierung für die U21 Nationalmannschaft ist doch sicher nicht das Werk von Ahnungslosen, oder?

  4. 1.

    Siehe Torverhältnis. lol

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