Reportage - So verlaufen Abschiebungen in Brandenburg
Asylantrag abgelehnt, keine Duldung ausgesprochen: In solchen Fällen können Menschen abgeschoben werden. Reibungslos funktioniert das selten. Das Verfahren ist kompliziert und belastend für Betroffene und Beamte. Von M. Lietz und J. F. Álvarez Moreno
Auf einem Parkplatz in Königs Wusterhausen warten Polizisten und Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) auf einen Anruf, von dem das Schicksal eines jungen Mannes abhängt. Denn der Iraker Ahmad S. hat an diesem Morgen einen Termin bei der Ausländerbehörde, um etwas über seine Arbeit zu klären. S. weiß aber noch nicht, dass er an diesem Tag in den Irak abgeschoben werden soll.
S. kommt tatsächlich zu dem Termin und wird aufgegriffen. Polizisten und Mitarbeiter der ZABH in Eisenhüttenstadt bringen ihn in den Polizeiwagen und fahren los nach Schönefeld. Von dort aus soll der 25-jährige Iraker nach Doha und dann nach Bagdad fliegen. "Wir müssen drei Stunden vor Abflug bei der Bundespolizei sein", sagt Doreen R., die als "Rückführerin" bei der ZABH arbeitet. Von ihnen gibt es mehr als ein Dutzend in Eisenhüttenstadt.
Arbeit schützt nicht vor Abschiebung
Sollte die Abschiebung scheitern, zum Beispiel wenn S. im Flugzeug nicht ruhig bleibt und der Pilot sich weigert, ihn mitzunehmen, dann werde beim Amtsgericht die Abschiebehaft beantragt, so die Mitarbeiterin. In Brandenburg gibt es keine Abschiebehaft, S. müsste deswegen in ein anderes Bundesland gebracht werden, bis er dann – diesmal von Sicherheitskräften begleitet – in den Irak geflogen wird.
Der junge Iraker ist "ausreisepflichtig": Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seit 2022 wird er auch nicht mehr "geduldet" und kann jederzeit in den Irak abgeschoben werden. "Ich kann nicht zurück in den Irak", sagt S. dem rbb. Der Vater seiner Freundin habe ihn dort mit dem Tod bedroht. "Ich will hier bleiben."
S. hat einen unbefristeten Vertrag bei einem Rewe-Supermarkt, dort räumt er Regale ein. Doch Arbeit schützt nicht vor Abschiebung, heißt es aus der ZABH. Vorbestraft ist S. auch nicht, was aber inzwischen keine Rolle mehr spielt: Seit vergangenem Jahr dürfen auch Menschen ohne Vorstrafen wie S. in den Irak abgeschoben werden.
Überwiegender Teil ist geduldet
In Brandenburg sind laut Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aktuell etwa 9.200 Menschen vollziehbar ausreisepflichtig. Dazu gehören abgelehnte Asylbewerber, aber auch Menschen, die ihr Visum nicht verlängert haben. Mehr als 7.100 von ihnen verfügen über eine Duldung: Das bedeutet, dass sie nicht sofort abgeschoben werden, zum Beispiel weil sie krank sind.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich in einem Interview mit dem "Spiegel" [Bezahlschranke] für Abschiebungen "im großen Stil" aus. Laut dem ARD-Deutschlandtrend finden 80 Prozent der Deutschen, dass die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern eher schlecht oder sehr schlecht gelingt. Ungefähr so viele sind zudem für eine Verstärkung der Grenzkontrollen, 71 Prozent wollen eine Obergrenze zur Aufnahme von Geflüchteten.
Abschiebegewahrsam soll künftig bis 28 Tage möglich sein
Abschiebungen wie die von Ahmad S. werden in der ZABH in Eisenhüttenstadt von Jens Dörschmann koordiniert. Die größten Herausforderungen bei einer Abschiebung seien die Identitätsprüfung – denn oft hätten die Personen keine Reisepapiere – und die fehlende Kooperation von einigen Herkunftsländern, so Dörschmann.
Ein anderes Problem sei die maximale Dauer des sogenannten Ausreisegewahrsams: Aktuell dürfen Menschen maximal zehn Tage vor ihrer Abschiebung in Gewahrsam genommen werden. Laut einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll ein Ausreisegewahrsam bis 28 Tage möglich sein. Dörschmann begrüßt die Pläne, da "Folgemaßnahmen" wie eine begleitete Rückführung in so kurzer Zeit schwer zu planen seien. "Zehn Tage sind zu wenig."
Aktuell besteht auch die Möglichkeit der Abschiebehaft, die bis zu 18 Monate dauern kann. Doch die Hürden dafür sind deutlich höher als beim Ausreisegewahrsam. Beides muss von einem Richter entschieden werden.
"Beim Zugriff war alles ruhig"
Ein Tag nach dem Aufgreifen des Irakers fährt Sven B., ein Kollege von Doreen R., kurz vor sechs Uhr morgens zu einer Unterkunft in Wünsdorf (Teltow-Fläming). Geplant ist die Abschiebung von zwei Paaren aus Georgien und – besonders heikel – auch die zweijährige Tochter eines der Paare. In wenigen Tagen ist ein Charterflug nach Georgien organisiert. Die Menschen sollen bis dahin in Ausreisegewahrsam bleiben.
Es habe schon mehrere Abschiebeversuche gegeben, doch die zwei Paare seien jedes Mal kurz vor dem Abschiebetermin untergetaucht. Der Grund dafür sei, dass die Termine für die Charterflüge in die Herkunftsländer im Netz veröffentlicht werden, so B. "Sie hoffen, damit ihren Aufenthalt illegal zu verlängern." Das habe auch Konsequenzen für seine Arbeit: "Wir planen die Maßnahme und das Personal, melden es bei der Landes- und Bundespolizei. Es wird ein Riesenapparat in Gang gesetzt, dann fahren wir los und treffen keinen an."
Bundespolizisten und Mitarbeiter der ZABH gehen durch die Wohnräume der Aufnahmeeinrichtung. Das kinderlose Paar ist dort nicht zu finden. "Das Zimmer ist leer", sagt Sven B. Anders bei dem Paar mit der Zweijährigen: Es ist noch dunkel, als der Vater die Unterkunft mit mehreren großen Taschen verlässt und zum Polizeiwagen geführt wird. Kurz danach kommt die Mutter mit dem Kleinkind an der Hand und trägt dabei Spielzeug für ihre Tochter. "Beim Zugriff war alles ruhig", sagt der ZABH-Mitarbeiter.
Die Mutter geht mit ihrem Kind freiwillig in Gewahrsam
Doch das Geschehen lasse B. nicht kalt: "Wenn das kleine Mädchen dasitzt und spielt - als Familienvater geht das nicht an einem vorbei. Aber es ist die Arbeit. Die Gerichte und die Ausländerbehörden haben es entschieden, wir sind nur noch die, die es umsetzen."
Dass am Ende nur eines der beiden Paare aufgegriffen wurde, entspreche ungefähr dem Durschnitt: Etwa 50 Prozent der Menschen würden bei einem Abschiebeversuch angetroffen, so B.
Der geplante Ausreisegewahrsam für Mutter und Vater nach dem Aufgriff klappt nicht ganz: Der zuständige Richter entscheidet am Ende, dass nur der Vater in Gewahrsam genommen wird, heißt es aus der ZABH am Tag danach. Doch die Mutter sei zusammen mit Kind freiwillig bei ihrem Mann geblieben. Fünf Tage sollen sie dort bleiben, bis sie mit dem Charterflug zurück nach Georgien geflogen werden. Hätte die Polizei nur einen Elternteil aufgegriffen, sei auch die Familientrennung genehmigt worden, sagt Sven B.
208 Abschiebungen
In Deutschland bleiben darf dagegen erstmal der Iraker Ahmad S. Bereits im Flieger habe er sich unruhig verhalten, so Jens Dörschmann. Der zuständige Richter habe sich danach gegen die Abschiebehaft für den Iraker entschieden, der nun bis zum nächsten Abschiebeversuch auf freiem Fuß sei.
Laut dem Brandenburger Innenministerium haben 577 Ausreisepflichtige in diesem Jahr Brandenburg verlassen, davon 369 freiwillig. 208 Menschen wurden abgeschoben. Dazu gehört Ahmad S. erstmal nicht. Was mit der jungen Familie aus Georgien passiert, entscheidet sich in den kommenden Tagen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 04.11.2023, 19:30 Uhr