Interview | Bauhaus Music Weekend in Berlin - "Die Musik war fest im Alltag am Bauhaus eingebunden"

Fr 22.09.23 | 06:14 Uhr
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Bauhauskapelle 1930 (Quelle: Bauhaus-Archiv Berlin)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.09.2023 | Hans Ackermann | Bild: Bauhaus-Archiv Berlin

Mit einem großen Fest hat sich vor genau 100 Jahren das Bauhaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Eigentlich eine Kunstakademie, doch Musik spielte eine große Rolle. Das Bauhaus Music Weekend will daran anknüpfen, sagt Festivalleiter Kai Hinrich Müller.

Die Bauhaus-Woche von 1923 - ein großes Fest im Weimarer Ilmpark - bildet den Hintergrund für das Festival Bauhaus Music Weekend, das am Freitag in Berlin beginnt. In Konzerten und Gesprächsrunden wird gezeigt, dass in dieser avantgardistischen Kunstschule von Anfang an auch die Musik eine wichtige Rolle gespielt hat. Obwohl Walter Gropius das Bauhaus für "Architekten, Bildhauer und Maler" gegründet hatte, wie er im Gründungsmanifest schrieb, verbunden mit der Forderung: "Wir alle müssen zum Handwerk zurück!"

rbb|24: Kai Hinrich Müller, Sie sagen, das Bauhaus war keine Musikhochschule - welche Rolle hat denn die Musik am Bauhaus gespielt ?

Müller: Die Musik war ganz fest in die Alltagspraxis am Bauhaus eingebunden, es gab dort Konzerte und musikalische Veranstaltungen. Diese Institution hat einen unglaublich großen Reiz auf die Avantgarden der Zeit ausgeübt. Und das ist der Grund, warum sich damals die zeitgenössische Musikszene auf unterschiedliche Weise mit dem Bauhaus verbunden hat. Es gab mannigfaltige Beziehungen - ohne dass das Bauhaus eine Musikinstitution war.

Wenn vom Bauhaus-Stil die Rede ist, hat man bei Häusern oder Möbeln sofort eine Vorstellung im Kopf: funktionales Design, klare Konturen, kühl-schöne Gebäude und Gegenstände. Wie aber klingt Bauhaus-Musik?

Es gibt keine genuine Bauhaus-Musik, man kann nicht sagen, das hier ist eine typische Bauhaus-Musik und das nicht. Was man aber hört, sind Parallelen zur Welt der Neuen Sachlichkeit, zum Ent-Romantisierten und Konstruktivistischen - wie zum Beispiel auch in den Fugen von Johann Sebastian Bach. Das war ein Grund, warum auch die Fugen von Johann Sebastian Bach am Bauhaus sehr stark präsent waren.

Zur Person

Wissenschaftlicher Leiter Kai Hinrich Müller (Quelle: Michael Rathmann)
Michael Rathmann

Kai Hinrich Müller ist Leiter des Festivals Bauhaus Music Weekend. Der promovierte Musikwissenschaftler lehrt an der Kölner Musikhochschule und leitet neben dem Forschungsprojekt "Bauhaus Music" auch das Projekt "Musica non grata". Darin forscht Müller über Komponistinnen und Komponisten, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden. Im nächsten Jahr wird der 1985 geborene Musikwissenschaftler als Fellow am Thomas-Mann-Haus in Los Angeles zu Gast sein.

Johann Sebastian Bach war aber noch kein Bauhäusler…?

(lacht) Nein, Bach war natürlich schon lange Zeit tot, als das Bauhaus 1919 gegründet wurde. Trotzdem war Bach am Bauhaus in Weimar sehr präsent. Und zwar mit der Fuge, dieser strukturgebundenen, "zusammengebauten" Musik. Die "Kunst des Fugens" - das kann man direkt auf einen Bau übertragen, wo ja auch einzelne Teile zusammengefügt werden.

Johann Sebastian Bach steht am Freitag auf dem Programm, es gibt aber auch ein Konzert mit Arnold Schönbergs Melodram "Pierrot Lunaire". Welche Bedeutung hatte Schönberg für das Bauhaus?

Schönberg war eine Lichtgestalt, ganz eng verbunden mit Bauhäuslern wie Kandinsky. Einige von Schönbergs Wiener Schülern haben am Weimarer Bauhaus studiert- Später war er dann auch Mitglied des "Freundeskreises", war also auch in einer unterstützenden, kuratorischen Weise an das Bauhaus gebunden.

Und Schönbergs Musik? Wie wurde sein "Pierrot Lunaire" aus dem Jahr 1912 am Bauhaus aufgenommen?

Kurz vor der Bauhaus-Woche von 1923 wurde der Pierrot auch in Weimar aufgeführt, vorangetrieben von Walter Gropius als Co-Produzenten. Es gibt Dokumente, wonach über 40 Bauhaus-Studierende diese Aufführung besucht haben. Der Pierrot war ein Aufbruch in eine neue avantgardistische Musikwelt, in die Entromantisierung von Oper und Musiktheater. Darin bestand eine starke Verbindung zum Bauhaus, wo es ja eine Bühnenbild-Klasse gab.

Welche Impulse für das zeitgenössische Musiktheater gingen damals vom Bauhaus aus?

Sehr viele Bauhäuslerinnen und Bauhäusler waren später professionell in der Oper tätig und haben die Opernpraxis im 20. Jahrhundert auf der visuellen Ebene wahrscheinlich viel mehr geprägt, als wir es heute wissen.

Am Samstagabend wird beim Festival Igor Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" aufgeführt. Wie stand man am Bauhaus zu Igor Strawinsky?

Auch hier gibt es eine direkte historische Referenz: Die "Geschichte vom Soldaten" wurde 1923 bei der Weimarer Bauhaus-Woche im Beisein von Igor Strawinsky aufgeführt. Erst kurz zuvor war das französische Original von "L'Historie du Soldat" übersetzt worden. Mit dieser deutschen Fassung war der Dirigent Hermann Scherchen damals zu Gast in Weimar. Strawinskys Musik wurde am Bauhaus intensiv rezipiert und der Bauhaus-Architekt Max Bill hat deshalb auch den Satz geprägt, dass Strawinsky zusammen mit "Piccasso und Chaplin, Eiffel, Freud und Edison" eigentlich auch zum Bauhaus gehört.

Neben bekannten Modernisten wie Strawinsky oder Schönberg steht beim Festival auch der 1902 geborene Berliner Komponist Stefan Wolpe auf dem Programm. Mit einer Bühnenmusik, Liedern und Klavierstücken ist er gleich bei zwei von insgesamt fünf Konzerten vertreten. Was zeichnet diesen Komponisten aus?

Stefan Wolpe war ein Ultra-Modernist. Ein Avantgardist, der in den Zwanzigerjahren eine radikal moderne Musik geschrieben hat. Und Stefan Wolpe war eine Zeit lang direkt am Bauhaus tätig, stand in engem Kontakt mit der Bühnenbildnerin Friedel Dicker. Wolpe hat ihr verschiedene Werke gewidmet, sie hat im Gegenzug für seine "Kammeroper" Bühnenbild-Skizzen gemalt.

Wir nutzen jetzt unsere Bauhaus-Festivitäten, um diesen Komponisten zu würdigen. Denn ein weiterer, trauriger Aspekt kommt ja noch mit hinein: Stefan Wolpe wurde - wie viele weitere Künstlerinnen und Künstler rund um das Bauhaus - von den Nazis verfolgt und musste ins Exil gehen. Die Bauhaus-Geschichte ist ja zu einem großen Teil auch eine Exil-Geschichte.

1933 haben die Nationalsozialisten das Bauhaus zur Schließung gezwungen, Gropius und viele andere haben damals ihr Land verlassen. Auch Stefan Wolpe ist den Weg in das Exil gegangen, als einer von 165 Musikerinnen und Musiker am Bauhaus, über die Sie am Samstag in einem Vortrag sprechen werden. Um wen geht es dabei konkret?

Das Forschungsprojekt hat uns gezeigt, das hinter den 165 Namen auch 165 Geschichten, Biographien und Kontexte stehen. Ich bin Musikwissenschaftler, kannte aber vielleicht 30, höchstens 40 dieser Namen. Bei vielen mussten wir erstmal gucken, wer ist das überhaupt?

Besonders was die Frauen rund um das Bauhaus angeht, merkt man, dass diese Frauen heute im Musikleben weitgehend unbekannt sind. Das wäre doch eine große Aufgabe für Heerscharen von Master-Studierenden, dass sie ihre Masterarbeiten diesen Komponistinnen und Musikerinnen widmen. Der Frage nachgehen, was waren das für Personen? Wie waren sie mit dem Bauhaus assoziiert? Wann waren sie dort zu Gast? Welche Konzerte habe sie gespielt?

Das Bauhaus Music Weekend findet in Berlin-Charlottenburg im Temporary Bauhaus Archiv und im Meistersaal statt. Was erwartet das Publikum?

Meine Projekte sind immer an der Nahtstelle von Wissenschaft und Praxis angesiedelt. Schön finde ich, wenn man die Forschung "in den Klang" bringt. Musikwissenschaft soll nicht trocken sein, sondern wieder zum Klang werden. Das alles jetzt in konzentrierter Form, an einem intensiven Wochenende: fünf Konzerte, plus Panel-Diskussionen, plus Stadtführungen am Morgen. Und das alles am Wochenende des Berlin-Marathons. Also, es wird intensiv.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview führte Hans Ackermann, rbb|24 Inforadio

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.09.2023, 13:55 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ein spannendes und ggf. aufschlussreiches Unterfangen, v. a. gegenüber den in Vergessenheit Geratenen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Baumarktkette "Bauhaus" nicht den gleichen Fehler begeht wie die Handelskette "Metro" seinerzeit bei Einführung des Hamburger Metrobusses und Namensrechte für sich reklamiert. ;-

    Das Foto dürfte aber auch selbst für recht staubtrockene Juristen eindeutig genug sein, wer hier die älteren Namensrechte besitzt, wo doch die Baumarktkette sich ihren Namen zu einer Zeit zulegte, in der Geschichtliches nicht gerade hoch im Kurs stand.

    Jetzt ist die Gesellschaft insgesamt wieder neugieriger geworden auf vorhergehende Zeiten mit all ihren Facetten, besonders, was Aufbrüche angeht. Danke!





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