Zukunft der Musik - Künstliche Intelligenz als Komponistin - ein KI-Song im Qualitätscheck

So 23.06.24 | 07:58 Uhr | Von Marvin Wenzel
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Video: rbb24 Abendschau | 21.06.2024 | Marvin Wenzel und Sascha Hingst | Bild: rbb

KI-Programme können längst binnen Sekunden ganze Musiktitel erzeugen. Doch wie gut sind solche Songs? Und was bedeuten sie für die Musikbranche? Marvin Wenzel hat mit Musikern in einem Berliner Tonstudio einen künstlich erzeugten Titel getestet.

In ihrem Studio hängt der süßliche Geruch von Cannabis-Rauch. Timothy Wagner spielt an seiner schwarzen E-Gitarre eine verträumt klingende Melodie ein. Neben ihm sitzt Jonas Neusser, der mit dem Kopf nickt und auf einer Drum Machine einen dazu passenden Schlagzeug-Rhythmus aufnimmt. In der Berliner Hip-Hop-Szene gehört das Duo "jaynbeats" zu den wichtigsten Beat-Lieferanten.

Wenn die Musikproduzenten in ihrem Studio in Lichtenberg mit Berliner Rappern wie Savvy und Sosa La M Musik kreieren, nehmen sie sich dafür mehrere Tage Zeit. "Dabei entsteht ein Vibe, ein Gefühl für den Klang", sagt Neusser, Camouflage-Basecap und Fahrrad-Sonnenbrille. Sie versuchten, die Ideen der Künstler möglichst passend und kreativ zu verwirklichen.

Mittlerweile gibt es Computerprogramme und Apps, die ein ähnliches Versprechen haben. Sie setzen Künstliche Intelligenz ein, um ganze Musiktitel zu generieren - und das angeblich in Radioqualität. Die meisten dieser Anwendungen brauchen dafür nur wenige Sekunden und sind kostenfrei.

Jonas Neusser (links) und Timothy Wagner.

Innovation könnte Musikbranche auf den Kopf stellen

Bei KI-Anwendungen wie Suno AI muss der Nutzer nur kurz beschreiben, welchen Songtext er sich wünscht und wie die Musik klingen soll. Ein Beispiel für einen Befehl: "Komponiere einen Hip-Hop-Song über Sommer in Berlin." Circa 15 Sekunden später ist der Song fertig und es ertönt ein Beat mit einer fröhlichen Synthesizer-Melodie, wummernden Kickdrums und schnellen Hi-Hats. Darauf ist der Gesang einer männlich klingenden Stimme zu hören: "Die Clubs, die Bars, die Straßen voll Musik / Jeder tanzt, jeder lacht, Berlin hat den besten Beat / Berliner Luft riecht immer so frisch / Kreuzberg, Graffiti, ein Drink und ich zisch."

Der Text, die Instrumente, die Melodie: Beim ersten Hören klingt der Song so, als könnte er auch aus der Feder stammen von einem "echten", sozusagen: menschlichen Musiker. Dabei hat das Lied ein kostenfreies Programm komponiert, mit dem schon über zehn Millionen Nutzer Songs generiert haben, seitdem es im vergangenen Herbst eingeführt wurde. Eine Neuerung, die die gesamte Musikbranche auf den Kopf stellen könnte.

Drei von vier Musiker:innen sehen Lebensunterhalt gefährdet

Denn schon jetzt befürchten fast drei von vier Musikschaffenden in Deutschland und Frankreich, dass sie wegen ihrer KI-Konkurrenz schon bald nicht mehr von der Musik leben könnten. Das ist das Ergebnis der Studie "KI und Musik", die die GEMA und ihr französisches Pendant SACEM Anfang des Jahres veröffentlicht haben.

Dabei befragten sie 15.000 deutsche und französische Musiker:innen. Zudem führten sie Hintergrundinterviews mit 16 Expert:innen aus der Musikindustrie. Die gehen davon aus, dass bis 2028 durch KI-generierte Inhalte 27 Prozent der Einnahmen von Musikern wegfallen könnten.

"Viel Luft nach oben" - Rapper Jonas Neusser im Tonstudio.

"Der KI fehlt es an Kreativität"

Zeigt man den KI-Song "Sommer in Berlin" den Musikproduzenten "jaynbeats", nicken sie mit dem Kopf und lachen. Wagner sagt: "Da ist auf jeden Fall viel Luft nach oben." Die einzelnen Elemente des Songs würden nicht gut zueinander passen. So würde der fröhlich klingende Gesang eher auf einen Schlager-Song passen und nicht auf einen Hip-Hop-Beat. Zudem sei der Songtext voller Klischees. An einigen etwas sinnbefreiten Textzeilen mit falscher Grammatik habe er sofort gemerkt, dass es sich um einen KI-Song handle. Wie zum Beispiel bei dem Reim: "Berghain wartet, nachts noch Energie / Im U8, Partys in Symphonie."

Auch für Neusser ist das Lied nur eine "schlechte Nachmache von Hip-Hop-Elementen, die es bereits gibt und häufig eingesetzt wurden". Dem Programm fehle die Kreativität und ein "Gefühl für die Musik". Daher sehen sie ihren Job bisher nicht als gefährdet. "Das kann sich aber in der Zukunft ändern", sagt Wagner. "Vor drei bis vier Jahren klangen die KI-Songs so schlecht, dass man sie sich gar nicht anhören konnte. Mittlerweile könnten sie auch von einem Menschen stammen." Vor allem kleinere Musikproduzent:innen, die ihre Beats für wenig Geld im Internet verkaufen, seien deshalb schon jetzt bedroht.

Am Nachmittag kommt Unternehmer Johan Prinz in das Studio und kontrolliert, ob mit den Mikrofonen alles in Ordnung ist. Mit seinen 18 Prinz Studios, darunter auch das Studio in Lichtenberg, hat er eine der größten Tonstudio-Ketten im deutschsprachigen Raum aufgebaut. "Mein Geschäftsmodell sehe ich nicht bedroht", sagt er, weißer Rollkragen Pullover und Brille mit breitem Metallgestell. Er nehme KI-Programme aber ernst und verfolge alle Neuerungen. Denn er geht davon aus, dass KI-Anwendungen einige Berufe in der Musikbranche wie Toningenieur langfristig ablösen könnten.

Sieht seine Branche vorerst auf sicherem Boden: Unternehmer Johan Prinz.

Musikschaffende wünschen sich mehr Transparenz und Regeln

Räume, in denen Musiker:innen aufeinandertreffen und gemeinsam kreativ sein können, seien aber unersetzbar. "Das Tonstudio hat einen sozialen und kulturellen Charakter", sagt er. "Orte, an denen wir zusammenkommen, Nächte lang musizieren, und vielleicht auch mal ein Bier trinken, werden nicht aussterben." Echte Kreativität käme nur von Menschen. Künstliche Intelligenz könne nur bereits Vorhandenes kopieren und vervielfältigen.

Für KI-Programme wünscht er sich, so wie viele Musikschaffende, mehr Transparenz. Mit welchen Songs die KI von dem Musikprogramm Suno AI trainiert ist, gibt das Unternehmen nicht bekannt. Vermutlich sind es Millionen von Songs. "Da muss die Frage geklärt werden, wer der Urheber dieser Inhalte ist", sagt Prinz. Und die Künstler:innen sollten seiner Meinung nach dann auch fair für ihr geistiges Eigentum bezahlt werden. Zudem sei es sinnvoll, wenn KI-Inhalte gekennzeichnet werden müssen und eine Zustimmung der Musiker:innen erforderlich ist, sobald eine KI beziehungsweise das Unternehmen dahinter mit ihren Werken lernen möchte.

Wünscht sich klare Regeln: Timothy Wagner.

KI wird die Musikwelt stark verändern

Auch im Prinz Studio in Lichtenberg kommt Künstliche Intelligenz bereits zum Einsatz. Wenn "jaynbeats" alle Instrumente und Melodien aufgenommen haben, nutzen sie KI-basierte Programme, die beim Mixen und Mastern der fast fertigen Songs unterstützen. Sie vermuten auch, dass sich viele ihrer Kolleg:innen in Zukunft von Programmen wie Suno AI inspirieren lassen könnten. Neusser sagt: "Viele werden sich zum Beispiel 20 Songs kreieren lassen, davon die besten Elemente rauspicken und daran nochmal feilen."

Insgesamt ist der KI-Song "Sommer in Berlin" im Test mit den Musikproduzenten und dem Studiobetreiber durchgefallen: Musikalisch und textlich fanden sie den Song zu beliebig und zu wenig kreativ. Und auch generell nehmen sie KI-Programme bisher nicht als Konkurrenz wahr, sondern als nützliches Hilfsmittel und als Inspiration. Die Programme entwickeln sich jedoch rasant weiter und werden vermutlich immer besser werden. Dann ist davon auszugehen, dass sie weiterhin den Prozess der Musikproduktion verändern und einige musikalische Existenzen bedrohen werden.

So wird es immer schwieriger herauszuhören sein, was von einem Menschen musiziert wurde - und was von einer Künstlichen Intelligenz.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2024, 19:50 Uhr

Beitrag von Marvin Wenzel

8 Kommentare

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  1. 8.

    Doch, doch: KI gibt es - als ziemlich erfolgreicher Werbeslogan.

  2. 7.

    Bekifft bei der Arbeit? Klar das man dann andere für sich arbeiten läßt. Hier eine KI. Der Song wird sicherlichcsehr viel billiger sein ohne Tantiemen für den Musiker Autor.

  3. 6.

    Es gibt bei dem Thema so viel Unwissenheit, die immer und immer wieder weiter geteilt wird. Wenn Journalisten von KI sprechen, dann haben sie als Journalisten versagt!
    Kurz um: „Es gibt keine KI!“ Es sind nur angelernte Sprachmodelle.

  4. 5.

    Ich höre nur KD-freie Musik. KD steht für künstliche Dummheit. Diese wurde geschaffen, weil einige wenige damit mal ne riesige Menge Kohle machen werden. Die ersten fallen drauf rein und finden ,,cool'',siehe unten. KD wirkt.

  5. 4.

    Coole Sache. Aber ausgerechnet HipHop klingt immer beliebig. Geht auch nicht anders, da ohne Melodie, zu oft aggressiv machend und nervtötend. Es gibt bessere Sounderlebnisse, die wenigstens Musik erinnern und auch Freude bereiten. AI wird extrem spannend.

  6. 3.

    >“ Und wie sieht das ganze dann urheberrechtlich einmal aus?“
    Das ist grundsätzlich das Problem von KI im kreativen Bereich. KI lebt von dem, was andere mit ihrer eigenen Arbeit schon mal geschaffen haben. KI schmarotzt sozusagen. Und: Wenn alle nur auf die Hilfe von KI warten, schafft keiner mehr was neues Kreatives. KI rührt dann quasi nur in der eigenen Buchstabensuppe und würfelt diese Buchstaben nur immer neu zusammen. Ein anderer neuer Suppengeschmack kommt dabei auch nicht raus.

  7. 2.

    Und wie sieht das ganze dann urheberrechtlich einmal aus?

  8. 1.

    Was heute populär ist, ist aber auch beliebig, unkreativ und steckt voller Klischees. Übrigens in allen Genres.

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