Frust, Perspektivlosigkeit, Ablehnung - Neue Untersuchung zu jugendlichen Straftätern fordert mehr soziale Arbeit

Mi 06.12.23 | 12:13 Uhr
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Böller und Raketen steigen auf der Straße an der Oberbaumbrücke in die Luft, während Passanten vorbeigehen. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
Video: rbb24 Abendschau | 05.12.2023 | Leonie Schwarzer | Bild: dpa/Paul Zinken

Silvester naht - und in Berlin werden die Erinnerungen an die Krawalle vom letzten Jahr wach. Eine neue Expertise zum Thema Straffälligkeit bei Jugendlichen analysiert, ob und warum junge Menschen, vor allem mit Migrationshintergrund, straffällig werden.

Meri Uhlig ist sauer, wenn sie an Vorfälle wie die Krawalle in der Berliner Silvesternacht 2022 denkt. Viele Medien und die Politik hätten sich seitdem verstärkt auf die Gefahr durch gewalttätige Jugendliche konzentriert - speziell denen mit Migrationshintergrund, bilanziert die Integrationsexpertin. Dann sei es auch viel um "das toxische Männlichkeitsbild" migrantischer Gruppen gegangen. "Es ist natürlich viel interessanter über Ali zu sprechen, der immer etwas aggressiv ist", fasst Uhlig die Debatten zusammen.

Dabei sei die Antwort auf die Frage, warum gerade migrantische Jugendliche straffällig werden, viel komplizierter, so Uhlig. Dazu gehöre nämlich auch das Gefühl, nicht zur deutschen Gesellschaft dazugehören zu dürfen. "Ich fühle mich hier nicht reingeboren, obwohl ich hier geboren bin" - das sei die bittere Erkenntnis vieler junger Menschen, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die Folge seien oft Frust, Perspektivlosigkeit und eine Ablehnung der Gesellschaft, in der sie keinen Platz finden würden. "Und diese Jugendlichen sehen, dass nicht nur sie nicht anerkannt sind, sondern auch ihre Eltern. Das ist vielleicht sogar schlimmer."

Mangelnde Perspektiven, fehlende Stabilität

Der Kriminologe Christian Walburg von der Universität Münster hat die Ursachen und Entwicklungen bei der sogenannten Jugenddeliquenz - also Jugendkriminalität - untersucht und die Ergebnisse am Dienstag veröffentlicht.

Zwischen 2005 und 2015 sei die Zahl der Fälle stetig gefallen, auch weil sich die soziale Lage vieler Jugendlicher damals insgesamt verbessert habe, erklärt Walburg darin. Dann aber seien die Fallzahlen wieder angestiegen - auch weil mit den Fluchtbewegungen ab 2015 zahlreiche junge Geflüchtete nach Deutschland gekommen seien. Die seien dann mit all den Integrationshürden konfrontiert gewesen, die auch migrantische Jugendliche der zweiten oder dritten Generation kennen: Ausgrenzung, Mangel an Perspektiven, fehlende Stabilität und Armut in der Familie. "Migration spielt da keine zentrale Rolle, aber es ist ein Hintergrundfaktor", sagt Walburg.

Trotzdem werde stets nur ein sehr kleiner Teil der Jugendlichen auch straffällig, betont Walburg. Bei denen allerdings käme alles Negative zusammen, sagt Integrationsexpertin Uhlig. "Damit geht eine bestimmte Wahrnehmung einher: Ich bin der Verlierer, dieser Staat ist nicht für mich, diese Schule ist nicht für mich."

Jugendliche denken kaum über Konsequenzen nach

Beide Experten sind sich einig: Wer das Risiko der Straffälligkeit bei diesen Jugendlichen verhindern will, müsse vor allem deren soziale Situation verbessern. Dass das funktioniert, würden die Kinder ab der dritten Einwanderer-Generation zeigen: Sie hätten in der Gesellschaft endlich Fuß gefasst, das Bildungsniveau sei höher und die Gefahr der Straffälligkeit nehme stark ab, so Walburg.

Auf Abschreckung durch Härte oder immer neue Gesetzesverschärfungen zu setzen, bringe derweil wenig, ist sich der Kriminologe sicher. Über mögliche Konsequenzen würden gerade jugendliche Täter kaum nachdenken, gerade wenn sie aus Gruppen heraus Straftaten begehen. Doch wenn es dazu komme, müsse der Staat konsequent durchgreifen, sagt Ralf Gilb vom Jugendintegrationsprojekt Outreach in Berlin. Oft dauere es in Berlin bis zu einem Jahr, bevor jugendliche Kriminelle vor Gericht stehen. "Da würden wir uns wünschen, dass die Strafverfolgung schneller passiert."

In Berlin soll das mit sieben zusätzlichen Staatsanwälten umgesetzt werden: Es ein Projekt von vielen, auf die sich der Senat nach inzwischen drei Jugendgewalt-Gipfeln geeinigt hat. Mehr als 18 Millionen Euro wurden dafür allein in diesem Jahr investiert.

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.12.2023, 19:30 Uhr

32 Kommentare

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  1. 32.

    Tja, und das Vorbeugen obliegt insbesondere dem Elterhaus.
    Übrigens, schon immer so gewesen.

  2. 31.

    In einem Punkt haben Sie Recht. Wir brauchen genügend konsequente Richter und Staatsanwälte, aber auch genug Sozialarbeiter. Denn sonst werden die Verbrecher nur weggesperrt ohne sie zu erziehen und kommen dann nach absitzen ihrer Strafe viel schlimmer aus dem Gefängnis heraus, als sie hinein gegangen sind, weil drin die Gefangenen das Falsche voneinander lernen und das Gefängnismileu dazu beiträgt. Richtig ist auch, daß man nicht warten kann, bis Straftaten begangen werden, bevor man eingreift. Dazu sind auch Sozialarbeiter nötig. Wir müssen erforschen, warum Straftaten begangen werden und die Ursachen vermeiden. Weiterhin müssen die Staatsanwälte das Strafgesetzbuch kennen und dürfen bei versuchtem Mord, Nötigung zu Straftaten, versuchten Betrug und Beihilfe dazu nicht so tun, als wäre gar keine Straftat passiert, wie ich es bei der Staatsanwaltschaft Bautzen mehrmals erlebte.

  3. 30.

    So wie es gegenwärtig aussieht wird das Ziel werden, ob gewollt sei dahingestellt. Ziele kann man sich nicht immer aussuchen. Manchmal ergeben sie sich.

  4. 29.

    Der Vergleich, wenn auch immer wieder gern herangezogen, hinkt gewaltig. Das Sozialsystem der USA steht in keinem Vergleich zu unserem System. Nicht umsonst werden Diskussionen geführt, ob sich Arbeit im unteren Lohnsegment lohnt, gegenüber dem Bürgergeld.

  5. 28.

    Machen wir - und sehen eine Nation. Stimmt das? Sehen wir ein Volk? Hmm!?
    Die USA haben eine Bevölkerung, ein zusammengewürfelter Haufen von Menschen aus aller Welt, die freiwillig oder versklavt dort ankamen und obwohl es seit langer Zeit keine Slaven mehr gibt , hat die weiße Bevölkerung auch heute noch ein Problem, auch mit den Indigenen, die vor der weißen, aus Europa stammenden Bevölkerung da waren.
    Die greencard öffnet das Tor, wenn man die Bedingungen erfüllen kann und erwünscht ist, sonst bleibt die Tür zu. Dennoch ist das Sozialsystem schlecht und die Kriminalität hoch. Und was soll uns der Blick in die USA jetzt sagen? Soll das das Ziel sein oder abschrecken?

  6. 27.

    Nicht nur Fordern und Schwafeln sondern ZÜGIG in die Tat umsetzen.

  7. 26.

    "Neue Untersuchung zu jugendlichen Straftätern fordert mehr soziale Arbeit"
    Exakt meine Meinung ... Gartenarbeit, Pflegearbeit, Reinigungsarbeit, ....

    aber zur Vorbeugung auch soziale Angebote wie Jugendfreizeitheime, Sportclubs, niederschwellige Sprachangebote, Vorbereitungen auf das Berufsleben etc. Gern mit klar definierten Regeln und vll. eine Art "Bonussystem". Evtl. auch Unterstützungen für Betriebe, die "Problembären oder - bärinnen" aufnehmen, ausbilden. Letzters ist nicht wirklich einfach und oft mit hohem Zeitaufwand verbunden.

  8. 25.

    Werfen wir einen Blick in das westliche Land mit den härtesten Strafen, das zugleich das Land mit der höchsten Kriminalitätsrate und der schlechtesten Sozialfürsorge ist, die USA, und dann denken wir nochmal nach...

  9. 24.

    So ist es ! Aber wahrscheinlich verstehen wir das alles auch gar nicht. Denn, wie steht es im Beitrag: " Dabei sei die Antwort auf die Frage, warum gerade migrantische Jugendliche straffällig werden, viel komplizierter ".

  10. 23.

    Mehr als 18 Millionen Euro wurden dafür allein in diesem Jahr investiert. Und die Extra-Bildung. Und die Extra-Programme. Und und und … war es wirklich "billiger" und "effektiver", den Niedriglohnsektor und H4 einzuführen, statt für durchweg gute Bildung und Chancen für alle Deutschen zu sorgen? Für Frauen und Männer, in Harmonie mit Familie. Wär ja möglich gewesen.
    Stattdessen gesellschaftl. Kluft, oben gegen unten. Drinnen gegen draußen. Bravo.

  11. 21.

    Aber es ist doch schön, dass Polizei und Feuerwehr jetzt endlich wissen, warum sie Sylvester mit Polenbölern belegt werden. Keine kriminelle Energie oder fehlende Erziehung und Sozialisation durch das Elternhaus, nein, die fehlenden Sozialarbeiter sind schuld.

  12. 20.

    Wenn man das wollte, würde das schon gehen. Gesetze und Vorschriften kann man ändern. Übrigens, eine alte Forderung der Grünen vom Mastermind Ströbele.

  13. 19.

    Wer pflegt, muss tatsächlich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen können, nicht älter als 3 Monate. Wenn es hier aber um Straftäter geht, möchte ich tatsächlich nicht als Schutzbefohlener dem ausgeliefert sein. Das macht keinen Sinn und ist rechtlich auch nicht möglich, jedenfalls nicht in Deutschland.

  14. 18.

    Wer pflegt, muss tatsächlich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen können, nicht älter als 3 Monate. Wenn es hier aber um Straftäter geht, möchte ich tatsächlich nicht als Schutzbefohlener dem ausgeliefert sein. Das macht keinen Sinn und ist rechtlich auch nicht möglich, jedenfalls nicht in Deutschland.

  15. 17.

    Vollkommen richtig, in diesen Bereichen sind Sozialarbeiter überflüssig wie ein Kropf. Es handelt sich um Menschen, die unser Rechtssystem ablehnen....was soll da ein weichgespülter Sozialarbeiter erreichen.

  16. 16.

    "Wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht etwa Kalkutta, sondern wird selbst zu Kalkutta."
    Peter Scholl-Latour

  17. 15.

    Ja, mehr fällt der "Rübe ab!" Fraktion nicht zu ein. Statt vorzubeugen will man mit aller Härte vorgehen wenn es eh schon zu spät ist.

    Man, man, man...

  18. 14.

    Was meinen Sie? - Härtere Strafen gegen jene, die Menschen nicht respektieren, reflexartig für Gäste und für ausreisepflichtig halten, nur weil man glaubt, sie seien nicht im gleichen Dorf wie man selbst geboren? Was ja noch nicht einmal stimmt. In einem Land das aus und von Einwandernden gemacht ist. Mit dem Auto rumfahren wollen, es in alle Welt verkaufen und dabei nicht wissen wollen, wers gebaut hat und aus welchem Stahl, der von wem aus der Mine geholt und gekocht wurde. Mindestens 60 Jahre schon. Genau genommen länger. Dem Berliner bauten Arbeiter aus Italien S-und U-Bahn vor 100 Jahren.
    Das deutsche Bildungsbürgertum halt. Völlig Ahnungslos. Absichtsvoll. Es möchte denken: Alles meins.
    Was glauben Sie hat solche niederträchtige Grundhaltung für Wirkung? Da erregt sich der Bildungsbürger. Explodiert der Frust. Obwohl die Mehrheistgesellschaft doch die Bedingungen und Stimmung bestimmt. Was schlagen Sie vor, wie man mit "härteren Strafen" dagegen vorgeht? Verstehe ich nicht.

  19. 13.

    Ich bin zwar kein "Experte",sehe das Problem aber völlig anders.
    Wir brauchen weniger Sozialarbeit und viel mehr Staatsanwälte, vor allem konsequente Richter, die vernünftige und nachvollziehbare Urteile sprechen.

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