Frust, Perspektivlosigkeit, Ablehnung - Neue Untersuchung zu jugendlichen Straftätern fordert mehr soziale Arbeit
Silvester naht - und in Berlin werden die Erinnerungen an die Krawalle vom letzten Jahr wach. Eine neue Expertise zum Thema Straffälligkeit bei Jugendlichen analysiert, ob und warum junge Menschen, vor allem mit Migrationshintergrund, straffällig werden.
Meri Uhlig ist sauer, wenn sie an Vorfälle wie die Krawalle in der Berliner Silvesternacht 2022 denkt. Viele Medien und die Politik hätten sich seitdem verstärkt auf die Gefahr durch gewalttätige Jugendliche konzentriert - speziell denen mit Migrationshintergrund, bilanziert die Integrationsexpertin. Dann sei es auch viel um "das toxische Männlichkeitsbild" migrantischer Gruppen gegangen. "Es ist natürlich viel interessanter über Ali zu sprechen, der immer etwas aggressiv ist", fasst Uhlig die Debatten zusammen.
Dabei sei die Antwort auf die Frage, warum gerade migrantische Jugendliche straffällig werden, viel komplizierter, so Uhlig. Dazu gehöre nämlich auch das Gefühl, nicht zur deutschen Gesellschaft dazugehören zu dürfen. "Ich fühle mich hier nicht reingeboren, obwohl ich hier geboren bin" - das sei die bittere Erkenntnis vieler junger Menschen, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die Folge seien oft Frust, Perspektivlosigkeit und eine Ablehnung der Gesellschaft, in der sie keinen Platz finden würden. "Und diese Jugendlichen sehen, dass nicht nur sie nicht anerkannt sind, sondern auch ihre Eltern. Das ist vielleicht sogar schlimmer."
Mangelnde Perspektiven, fehlende Stabilität
Der Kriminologe Christian Walburg von der Universität Münster hat die Ursachen und Entwicklungen bei der sogenannten Jugenddeliquenz - also Jugendkriminalität - untersucht und die Ergebnisse am Dienstag veröffentlicht.
Zwischen 2005 und 2015 sei die Zahl der Fälle stetig gefallen, auch weil sich die soziale Lage vieler Jugendlicher damals insgesamt verbessert habe, erklärt Walburg darin. Dann aber seien die Fallzahlen wieder angestiegen - auch weil mit den Fluchtbewegungen ab 2015 zahlreiche junge Geflüchtete nach Deutschland gekommen seien. Die seien dann mit all den Integrationshürden konfrontiert gewesen, die auch migrantische Jugendliche der zweiten oder dritten Generation kennen: Ausgrenzung, Mangel an Perspektiven, fehlende Stabilität und Armut in der Familie. "Migration spielt da keine zentrale Rolle, aber es ist ein Hintergrundfaktor", sagt Walburg.
Trotzdem werde stets nur ein sehr kleiner Teil der Jugendlichen auch straffällig, betont Walburg. Bei denen allerdings käme alles Negative zusammen, sagt Integrationsexpertin Uhlig. "Damit geht eine bestimmte Wahrnehmung einher: Ich bin der Verlierer, dieser Staat ist nicht für mich, diese Schule ist nicht für mich."
Jugendliche denken kaum über Konsequenzen nach
Beide Experten sind sich einig: Wer das Risiko der Straffälligkeit bei diesen Jugendlichen verhindern will, müsse vor allem deren soziale Situation verbessern. Dass das funktioniert, würden die Kinder ab der dritten Einwanderer-Generation zeigen: Sie hätten in der Gesellschaft endlich Fuß gefasst, das Bildungsniveau sei höher und die Gefahr der Straffälligkeit nehme stark ab, so Walburg.
Auf Abschreckung durch Härte oder immer neue Gesetzesverschärfungen zu setzen, bringe derweil wenig, ist sich der Kriminologe sicher. Über mögliche Konsequenzen würden gerade jugendliche Täter kaum nachdenken, gerade wenn sie aus Gruppen heraus Straftaten begehen. Doch wenn es dazu komme, müsse der Staat konsequent durchgreifen, sagt Ralf Gilb vom Jugendintegrationsprojekt Outreach in Berlin. Oft dauere es in Berlin bis zu einem Jahr, bevor jugendliche Kriminelle vor Gericht stehen. "Da würden wir uns wünschen, dass die Strafverfolgung schneller passiert."
In Berlin soll das mit sieben zusätzlichen Staatsanwälten umgesetzt werden: Es ein Projekt von vielen, auf die sich der Senat nach inzwischen drei Jugendgewalt-Gipfeln geeinigt hat. Mehr als 18 Millionen Euro wurden dafür allein in diesem Jahr investiert.
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.12.2023, 19:30 Uhr