Zuwanderung aus dem Ausland - Neue Berliner: Wer kommt, wer bleibt - wer prägt die Zukunft?
Fast 3,9 Millionen Menschen lebten im vergangenen Jahr in Berlin. Die Zahl der Einwohner ist seit 2014 um knapp zehn Prozent gewachsen. Das liegt besonders an Zuwanderung aus dem Ausland. Eine Auswertung, welche Herkunftsländer die höchsten Zuwächse haben.
Berlin wächst weiter, inzwischen leben in der deutschen Hauptstadt so viele Menschen wie seit 1991 nicht mehr: knapp 3,9 Millionen. Das liegt besonders an Zuwanderung aus dem Ausland, nicht nur durch Geflüchtete, sondern auch durch eine große Bandbreite von Menschen aus ganz anderen Teilen der Welt. Jeder Vierte in Berlin (24,9 Prozent) hat inzwischen einen ausländischen Pass*. rbb|24 hat die Zahlen von 2014 bis 2024 ausgewertet und die Herkunftsländer identifiziert, die prozentual die größten Zuwächse bei den Zuwanderern haben.
Besonders auffällig ist der enorme Anstieg bei Menschen aus Indien, deren Zahl sich mehr als verzehntfacht hat - kein anderes Land hatte ein so starkes Plus. Im vergangenen Jahr lebten den Zahlen des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge 41.500 indische Staatsangehörige in der Hauptstadt, und damit beispielweise mehr als russische (38.000).
Anwerbeabkommen mit Indien
Die meisten von ihnen seien zum Studieren und Arbeiten nach Berlin gekommen, heißt es von der indischen Botschaft auf Nachfrage von rbb|24. Der Großteil der Fachkräfte arbeite im IT-Sektor, im Banken- und Finanzwesen. Das bestätigen auch Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Experte Wido Geis-Thöne. Der Ökonom arbeitet als Spezialist für Familienpolitik und Migrationsfragen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Seit 2012 ist der Trend der Zuwanderung vieler Hochqualifizierter aus Indien zu beobachten, besonders aus der IT-Branche. Ab 2019 hat das nochmal angezogen, weil ein gezieltes Anwerbeabkommen mit der indischen Regierung geschlossen wurde", sagt Geis-Thöne rbb|24.
Auch der "Deutsche Akademische Austauschdienst" (DAAD) wirbt in Indien um Studierende - um zukünftige Fachkräfte zu gewinnen, auf die die deutsche Wirtschaft dringend angewiesen ist. Inderinnen und Inder stellen heute auch die größte Gruppe internationaler Studierender an deutschen Unis. Wer sein Studium erfolgreich abschließt und ein Jobangebot mit einem Gehalt von mindestens 2.900 Euro brutto pro Monat bekommt, darf in Deutschland bleiben. Es gibt in Berlin auch mehrere Privatunis, die sich gezielt an indische Studierende richten.
Als Nebenjob fahren viele der Studierenden Essen für Lieferfirmen aus [arbeitgestaltengmbh.de]. Das Auslandsstudium in Deutschland ist günstiger als beispielsweise in den USA, die Lebenshaltungskosten sind günstiger als in europäischen Metropolen wie London, das traditionell einer der Hauptanziehungspunkte für indische Studierende im Ausland ist.
Mehrere Anstiege vor allem auf Geflüchtete zurückzuführen
Ein Blick auf die weiteren Trends: Die Herkunftsländer mit den Zuwächsen auf den Plätzen 2 bis 5 sind einfach erklärbar. Menschen aus Afghanistan, Syrien, der Ukraine und Iran sind zum allergrößten Teil als Geflüchtete nach Berlin gekommen. 2014 lebten beispielsweise noch 9.800 Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin - im vergangenen Jahr waren es bedingt durch den russischen Angriffskrieg gegen das Land seit 2022 bereits 70.500 Menschen. Das zeigt sich daran, dass die Zahl von 2014 bis zur Halbzeit des Untersuchungszeitraums 2019 kaum anstieg - seitdem aber sehr deutlich.
Bei syrischen Staatsangehörigen ist es umgekehrt: Von 2014 bis 2019 stieg ihre Zahl in Berlin von knapp 6.500 auf knapp 40.000, passend zur großen Flüchtlingsbewegung ab 2015. Von 2019 bis 2024 dagegen stieg die Zahl dann deutlich weniger stark: auf zuletzt 46.600 Menschen.
Auch bei Afghanistan wird der Sprung deutlich: Von 2.400 in Berlin registrierten Staatsangehörigen stieg die Zahl auf 24.400 - ein Anstieg um mehr als 900 Prozent. Das spiegelt sich auch in der Zahl der Asylanträge, wo Menschen aus Syrien und Afghanistan zuletzt weiterhin vorne lagen, Menschen aus Iran folgten bei den Asylanträgen auf Platz 6 [bamf.de]. 13.800 Iranerinnen und Iraner lebten Ende 2024 in Berlin.
Türkei bleibt häufigstes Herkunftsland von Berlinern aus dem Ausland
Die zahlenmäßig größte Gruppe von Staatsangehörigen aus dem Ausland bilden in Berlin immer noch Türkinnen und Türken - mit großem Abstand. Ihre Zahl ist seit 2014 aber nur wenig gestiegen, um gut 11 Prozent auf etwa 110.000 Einwohner. Und dieser Anstieg ist praktisch nur auf den Zeitraum 2019 bis 2024 zurückzuführen. Erfasst wurden hierfür nur Menschen mit ausschließlich türkischer Staatsbürgerschaft, keine Doppelstaatler.
Neben den vielen türkischen Staatsangehörigen, die seit langer Zeit in Berlin leben und die Stadt geprägt haben, gibt es auch eine neuere Entwicklung: Seit einigen Jahren ist die Türkei auf Platz 3 der Herkunftsländer mit den meisten Asylanträgen, vor allem Kurdinnen und Kurden suchen Zuflucht in Deutschland [bamf.de]. Die Anerkennungsquote sinkt allerdings, lag 2019 noch bei fast 50 Prozent - im ersten Halbjahr 2024 waren es noch 13 Prozent. Zuletzt sank auch die Zahl der Asylanträge von Menschen aus der Türkei.
Mehr Möglichkeiten für Menschen aus Rumänien und Bulgarien
Die zweite Hälfte der Top Ten bei den Zuwächsen führt Rumänien an - um mehr als 120 Prozent ist die Zahl der Berliner Einwohner aus diesem Land seit 2014 gewachsen. Das hat laut dem Wirtschaftsforscher Wido Geis-Thöne einen einfachen Grund: "Zum 1. Januar 2014 endeten die Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 galten. Seit diesem Zeitpunkt genießen rumänische Staatsangehörige die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, was bedeutet, dass sie keine Arbeitserlaubnis mehr benötigen, um in Deutschland zu arbeiten oder zu leben", erklärt Geis-Thöne.
Dasselbe gilt für Menschen aus Bulgarien, wenn auch in kleinerem Maßstab: Das Herkunftsland liegt bei den Zuzügen auf Platz 10, knapp 50 Prozent mehr Bulgaren leben heute in Berlin als noch 2014. Eine gesonderte Aufenthaltserlaubnis brauchen Bürger aus EU-Mitgliedsstaaten in Deutschland ohnehin nicht.
Zahl der Chinesinnen und Chinesen zuerst stark gestiegen - dann nur noch schwächer
Auffällig ist in diesem Zeitraum auch der Anstieg der Zahl von chinesischen Staatsangehörigen in Berlin um knapp das Doppelte, auf etwa 16.000. Eine große Rolle spielen dabei - wie auch bei Inderinnen und Indern - die Studierenden. Mehr als 40.000 Chinesen studieren an deutschen Hochschulen, gerade die Qualität der weitgehend kostenlosen Ausbildung in technischen Fächern wie zum Beispiel Ingenieurswissenschaften gilt an Unis wie der TU als hochwertig. Dazu gibt es Kooperationsprogramme zwischen Hochschulen in Berlin und China. Auch hier ist ein Plus: Im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen wie London oder Paris ist das Leben in Berlin noch immer günstiger.
Wohlhabende Chinesen, die zum Arbeiten in die deutsche Hauptstadt kommen, können sich hier eher Wohneigentum leisten und schätzen die Rechtssicherheit. Manche kaufen auch für ihre erwachsenen Kinder - das zeigt ein Beispiel aus dem Markt für Luxusimmobilien. In den letzten Jahren aber ist die Liebe etwas erkaltet: Die Zahl der Studierenden aus China ist leicht gesunken, die der chinesischen Neu-Berliner insgesamt deutlich schwächer angestiegen. Von 2014 bis 2019 hatte sie sich fast verdoppelt - seitdem ist sie noch um knapp 20 Prozent gewachsen.
Vietnamesische Community wächst - auch wegen gezielter Fachkräfteprogramme
Eine Zukunft in Berlin sehen auch immer mehr Menschen aus Vietnam - das liegt laut dem Institut der deutschen Wirtschaft ebenfalls an gezielten Kooperationsabkommen, die die Bundesregierung als Erfolg bezeichnet - verglichen mit insgesamt eher bescheidenen Fortschritten im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Bereits seit 2011 haben Deutschland und Vietnam eine "strategische Partnerschaft" miteinander, die jedoch in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund geraten war. Bei Auszubildenden, besonders in den dringend benötigten Pflegeberufen, zeigt sie allerdings seit Jahren Wirkung. Anfang Januar 2024 schlossen beide Länder dann eine engere Vereinbarung, die den Zuzug von benötigten Arbeitskräften nochmals vereinfachen soll.
"Die Besonderheit ist, dass Menschen aus Vietnam im Grunde als einzige Zuwanderergruppe relativ stark in den Osten Deutschlands gehen. Das hat natürlich mit der DDR-Zeit zu tun, als die damaligen Vertragsarbeiter hier die Grundlage gelegt und Strukturen aufgebaut haben. Dadurch hat Berlin eine bedeutende vietnamesische Community, an die Einwanderer hier andocken können", sagt Wido Geis-Thöne. Es ist die mit Abstand größte aller deutschen Großstädte. Seit 2014 stieg die Zahl der Vietnamesinnen und Vietnamesen in Berlin relativ gleichmäßig - seit 2019 aber nochmal deutlich stärker. Etwa 28.400 Menschen aus dem Land leben heute in der Metropole an der Spree.
* In diese Zahl sind nicht die Menschen enthalten, die neben der ausländischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben.
Sendung: Inforadio, 17.03.2025, 10:01 Uhr