Kommentar | BGH-Urteil zu Rangsdorfer Haus - Sieg ohne Triumph

Fr 14.03.25 | 13:22 Uhr | Von Lisa Steger
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Der Fünfte Zivilsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) mit Andrea Laube (l-r), Alfred Göbel, Bettina Brückner (Vorsitzende), Alexandra Haberkamp und Nadine Grau verkündet am 14.03.2025 das Urteil zu einer Grundstücksräumung in Rangsdorf in Brandenburg. (Quelle: Picture Alliance/Uli Deck)
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Audio: rbb24 Inforadio | 14.03.2025 | Mathias Wetzl | Bild: Picture Alliance/Uli Deck

Der Bundesgerichtshof urteilt, dass der Immobilienstreit in Rangsdorf neu verhandelt werden muss. Die Familie muss das Haus nicht abreißen und kann vorerst bleiben. Ein gutes Signal. Trotzdem: Der Schaden ist nicht nur finanzieller Natur. Von Lisa Steger

Das Urteil des Bundesgerichtshofs in Kürze: Der Eigentümer, dessen Land ohne sein Wissen zwangsversteigert wurde, ist stets Eigentümer geblieben. Also Eigentümer des Grundstücks – und auch des Hauses, das die Familie W. nach der Versteigerung darauf gebaut hat, und in das sie im August 2012 mit zwei kleinen Kindern einzog.

Doch wenn der US-Amerikaner das Land zurückhaben will, muss er der Familie die Baukosten erstatten. Abreißen muss sie das Haus also nicht.

Der Fall ist noch nicht erledigt

Was viele enttäuschen wird: Der Fall ist noch nicht erledigt, das Brandenburgische Oberlandesgericht muss sich damit noch einmal befassen. Das ist bitter. Doch das OLG muss sich an die Vorgaben aus Karlsruhe halten. Und das bedeutet: Für Familie W. aus Rangsdorf ist ein gutes Ende in Sicht.

Ist damit nun alles gut? - Ich denke das nicht. Familie W. musste seit 2012 kämpfen und hat sich dabei vollkommen aufgerieben. Jahrelang saß sie auf gepackten Koffern. Besonders Frau W. berichtet von unzähligen schlaflosen Nächten. "Man will irgendwann auch mal damit abschließen und weiter planen", sagte Frau W. dem rbb. Es sei eine "Odyssee".

Es gibt hier nicht nur einen Geldschaden für die Familie

Der Schaden für die Familie ist immens – und nicht nur in Geld entstanden. Es gab eine Kette von Nachlässigkeiten und Fehleinschätzungen. Alles begann beim Amtsgericht Luckenwalde, das 2010 ein Grundstück zwangsversteigerte, ohne den rechtmäßigen Eigentümer zu informieren – obwohl das Luckenwalder Finanzamt seine Adresse besaß und er die Grundsteuer stets bezahlt hatte. Den Gerichtsunterlagen zufolge, die dem rbb vorliegen, erfuhr der Amerikaner erst durch seinen Winterdienst, dass er sein Eigentum losgeworden war. Dieser Bescheid hatte ihn problemlos erreicht.

Er klagte. Und er bekam 2014 im Landgericht Potsdam Recht. Die Gerichte ließen sich viel zu viel Zeit. Erst 2023, also neun Jahre später, entschied die nächste Instanz. Das Brandenburgische Oberlandesgericht verurteilte die Eheleute nicht nur dazu, das Haus zu räumen. Sie sollten auch die Grundschuld allein abtragen und dem Amerikaner 6.000 Euro als entgangene Miete zahlen. Und wie um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ließ der Senat des Oberlandesgerichts keine Revision zum Bundesgerichtshof zu.

Einschätzung der Kammer nun: Schwere Fehler der Vorinstanzen

Zu Unrecht, meinte der Bundesgerichtshof und beschloss, den Fall zu verhandeln. Das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes bescheinigt den Brandenburger Richtern schwere Fehler. Von einer "unangemessenen Härte" sprach die Vorsitzende Richterin.

Bitteres Fazit: Hätten die Eheleute W. sich mit den Entscheidungen der Brandenburger Gerichte abgefunden, so wären sie ruiniert gewesen für den Rest ihres Lebens. Ihr Schicksal erschüttert das Vertrauen der Bürger in die hiesige Gerichtsbarkeit. Das ist das eine.

Politik blieb lange untätig

Doch auch frühere Brandenburger Regierungen haben falsch, weil zu spät, gehandelt.

Erst 2023, elf Jahre nach Beginn des Leidensweges, nahm sich eine Justizministerin der Rangsdorfer an: Susanne Hoffmann (CDU) entschied, Familie W. per Staatshaftung zu entschädigen. Sie soll nach einem rechtskräftigen Urteil die Anwaltskosten und den aktuellen Wert des Hauses aus der Landeskasse erstattet bekommen – nicht nur die damaligen Kosten. Ein Teil des Geldes ist auch schon geflossen, nämlich Anwalts- und Gerichtskosten. Richtig so.

Doch das hätte schon viel früher geschehen müssen. Schon 2014, nach dem Urteil des Potsdamer Landgerichts, war klar, dass die Familie einen aussichtslosen Kampf führt: Das Eigentum ist weg, sie können nur noch auf Entschädigung hoffen, so die Lage. Der damalige Justizminister, der Linken-Politiker Helmut Markov, hätte den Fall zur Chefsache machen müssen.

Nur Verlierer

Denn es stand fest, dass man den Amerikaner nicht einfach so, quasi aus Versehen, enteignen kann. Anders, als manche denken, darf es für Richter auch keine Rolle spielen, dass er ein wohlhabender Manager ist, dass er nie in Rangsdorf gewohnt und das Land nur geerbt hatte. Der Staat kann die Grundrechte nicht für einen Teil der Bevölkerung außer Kraft setzen, denn wenn diese Rechte für einen suspendiert sind, sind sie es irgendwann für alle.

Was bleibt? Ein quälender Prozessmarathon, in dem es nur Verlierer gibt. Und zuletzt die Hoffnung, dass die Familie W. sehr bald den friedlichen Alltag bekommt, den sich jeder für seine Familie wünscht.

Sendung: rbb24 Inforadio, 14.03.2025, 14:26 Uhr

Beitrag von Lisa Steger

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14 Kommentare

  1. 13.

    Stimme voll zu, zu seinen Fehlern sollte man stehen. Was sind schon ca. 500 tausend € gegen den Verdacht das Behörden nicht zu Ihren Fehlern stehen . Von jedem einfachen Bürger wird das ja auch verlangt! Und liebe Richter: Denkt immer daran es kann auch Euch treffen mit der Gutgläubigkeit an Behörden

  2. 12.

    Einfach nur unwürdig , wie hier mit der gutgläubigen Familie umgegangen wird. Warum werden die eigentlich Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen? Sind es Beamte ? Warum wurde der Grundstücksbesitzer nicht angeschrieben wenn er doch jedes Jahr Grundsteuer bezahlt hat und sogar seinem , von Ihm beauftragten Winterdienst die Adresse bekannt war? Wer hat da geschlampt ? Wieder keiner Schuld oder wie? Was wird hier offensichtlich verheimlicht? Wie bei abgelehnten Asylbewerbern die ausreisen müssten. Keinerlei behördliche Kompetenz erkennbar! Da wundert man sich noch das die Bürger frustriert sind? Amtsinhaber sollen dem Bürger dienen und nicht umgekehrt.Den Verantwortlichen und auch den Richtern sollte man anschaulich vor Augen führen , was sie da angerichtet haben. Man kann nur mit dem Kopf schütteln was hier in Deutschland alles möglich ist

  3. 11.

    Im übertragenen Sinne und in Analogie: Anke redet von der Unbewaffnetheit von Menschen; Sie reden davon, dass Jede/r das Recht auf Waffen haben múss, um sich wehren zu können. Zwei völlig verschiedene Ebenen.

    Zweitrangig, wie es nun spezifisch und juristisch gefasst wird: Im Grundsatz ist die entscheidende Frage, ob Grund und Boden ein Handelsgut, ein Besitz ist wie jeder andere auch und damit - was städtisches Bauen angeht - damit auch Spekulationsmittel ist oder aber, ob Grund und Boden sich vom Grunde her menschlichen Zuordnungen quasi entzieht. (Insofern ist es bspw. auch absurd, vom urdeutschen Vaterland, vom urfranzösischen oder urpolnischen Land zu sprechen.)

  4. 10.

    Das Grundstück gehört ihm doch nicht oder wie ist es zu verstehen, wenn inm Text steht, dass er die Baukosten der Familie ersetzen muss, wenn er es zurückhaben will!
    Fragen über Fragen.
    Warum hat das Langericht Potsdam nach dem Eingang der Klage, wo es offensichtlich um unrechtsmäßige Zwangsversteiegerung ging, die Verfügungsgewalt über dieses Grunstück nicht umgehend vorläufig gestopt.
    Da die Zwangsversteigerung 2010 stattfand, der Kläger klagte, die Gerichte brauchen ewig bis zu Entscheidung, hier bis März 2014.
    Beispielsweise, bei jedem Vogel was nistet, wird bei Klage der Naturschützer sofort ein Baustop angeordnet, und bei einer offensichtlicher unrechtmäßiger Enteignung tut man derweil so, als wenn es kein Bedarf am Handeln gäbe.
    Das Ergebnis muss die Familie ausbaden,.

  5. 9.

    Da täuschen sie sich aber. Es ist gut, dass jeder seinen "Claim" abstecken kann und dass Grund und Boden nicht nur ganz wenigen gehören.

  6. 8.

    Ein im Großen und Ganzen solider Kommentar! Dem Nichtjuristen mag es befremdlich erscheinen, aber Gerichte sind an (Recht und) Gesetz gebunden. Das gilt auch für die Verwaltung, die jetzt entschädigen und Leid vermindern muss. Viele Lösungen, die sich der Bürger vorstellt, lassen sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren. Insbesondere muss die Auseinandersetzung auch (zunächst) zwischen den Ws und dem Erben erfolgen.
    Der BGH hat heute jede Möglichkeit genutzt, ein möglichst gerechtes Ergebnis zu erzielen und die Position der Ws so weit wie möglich gestärkt. Hoffen wir, dass sich damit jetzt eine Tür für eine gütliche Einigung öffnet.
    In einem Punkt bin ich anderer Auffassung als Frau Steger: Die Entscheidung aus Brandenburg war sicher kein Glanzstück. In vielen Punkten lag sie aber auf der Linie des BGH. Dass der BGH seine 60 Jahre alte Rechtsprechung aufgibt, hatten auch viele Fachleute nicht erwartet. Dass der Senat sie hinterfragt und ändert, zeigt die Stärke unserer Justiz.

  7. 7.

    Nun gäbe es kein Privatbesitz an Grund und Boden, Wasserzugang usw. hätten wir die Probleme nicht. Es kann sich niemand einfach einen Claim abstecken und schreien, dass ist Meins. Den Völkern der Welt wurden alle Lebensgrundlagen entzogen von den Reichen und Machtbessenen mit Hilfe igendwelcher Religionen. Wie das im Großen aussieht, sehen wir auf der ganzen Welt. Ich wünsche der Familie viel Glück und Kraft und einen Neuanfang.

  8. 6.

    Ich denke, derEigentümer wäre nicht „aus Versehen“, sondern aufgrund von Schlamperei, vielleicht sogar Faulheit enteignet worden.
    Unvorstellbar, wieviel Leid und Sorgen die Familie hatte; mein tiefster Respekt, dass sie das durchgezogen hat. Und das, obwohl - ohne (Vor)Schuß kein Jus - wahrscheinlich schon enorme Beträge geflossen sind, gerade wenn das bis zum BGH geht

  9. 5.

    Die Lösung, die es vermutlich nicht geben wird: Das Land Brandenburg stellt und baut der Familie ein besseres Haus in besserer Lage, aus der Sicht der Familie, sofort. Das wäre eine Entschädigung, weil Hoffnung und Aufbruchstimmung sich gut auswirken und vergessen lassen. Kleinkram im Vergleich zu den versenkten Großprojekten der letzten 35 Jahre...
    Das jetzige Urteil bedeutet noch einige Jahre Rechtsstreit.
    Aus meiner Sicht ist die Ursache der richterlichen Fehlerkette in den Grundeinstellungen im Kopf zu finden: „Wir machen keine Fehler und haften nicht“. Die Rechtspflegerin hat einen Fehler gemacht... das kann vorkommen.

  10. 4.

    Immerhin hat diese Instanz nicht versagt. Ich wünsche der Familie auch ein gutes Ende und gute Nerven, auch wenn sicherlich die Kräfte geschwunden sind. Und vielleicht wird sich die Justiz durch solche Patzer allgemein bewusster, was sie auch für einen Schaden anrichten kann und schafft hier Bewusstsein unter den Gerichten und dem Personal.

  11. 3.

    Unglaublich, seit 13 Jahren lebt die arme Familie in Ungewissheit und unter großem Stress. Und jetzt geht das weiter. Am Ende haben die 20 Jahre ihres Lebens im Rechtsstreit verbracht! Das tut mir unendlich leid. Es ist unwürdig.

  12. 2.

    Aus meiner Sicht ist dieser Kommentar sehr gut. Vielen Dank dafür! Jedoch ist das Vertrauen der Brandenburger Bürger und potentiellen Interessenten in Zwangsversteigerungen von Immobilien grundsätzlich erschüttert. Daran ändert sich auch durch das Urteil des BGH's nichts.

    Es interessiert mich sehr, ob und wie die Sache endgültig zum Abschluss gebracht und der Streit eventuell dauerhaft beigelegt wird.

    Jedoch ein richtiges Happyend für alle, wird es hier nie geben.

  13. 1.

    "Susanne Hoffmann (CDU) entschied, Familie W. per Staatshaftung zu entschädigen." Gut, das dort ein Prozess verhindert wurde, weil der Staat so oder so verloren hätte.