Berliner Erzieher über ihren Arbeitsalltag - "Die pädagogische Arbeit kommt häufig zu kurz"
Am Montag tritt das Personal der landeseigenen Kitas in einen fünftägigen Streik. Es geht ihnen um bessere Arbeitsbedingungen. Drei Erzieherinnen und ein Erzieher erzählen aus ihrem Arbeitsalltag.
An den Berliner Kitas soll ab Montag fünf Tage lang gestreikt werden, dazu hat die Gewerkschaft Verdi aufgerufen. In den vergangenen Monaten haben die Erzieherinnen und Erzieher bereits mehrfach gestreikt. Hintergrund ist die Personalsituation in den 280 landeseigenen Kitabetrieben: Die Beschäftigten klagen seit Jahren über die enorme Belastung und Einschränkungen bei der pädagogischen Arbeit. Vier von ihnen berichten rbb24, was sie belastet.
Simone
Ich arbeite seit 36 Jahren als Erzieherin in verschiedenen Eigenbetrieben. Zusätzlich habe ich seit elf Jahren die Qualifikation als Integrationserzieherin.
In meinem Alltag erlebe ich, dass insbesondere Kinder unter der aktuellen Situation leiden. So werfen die ständigen "Zwangspausen" (verkürzte Öffnungszeiten, Gruppenschließungen) auf Grund von Personalmangel diese Kinder zurück. Sie müssen sich jedes Mal neu eingewöhnen.
Zudem kann ich meine Arbeit kaum durchführen, da ich häufig für die ganze Gruppe allein zuständig bin und sich mein Fokus verändert. Eine kontinuierliche Arbeit an und mit den Kindern, denen ich zur Seite gestellt bin, ist nicht möglich, da ich andere Aufgaben mitübernehmen muss, damit die Gruppe offenbleiben kann. Oft sind zusätzlich noch Kinder aus anderen Gruppen zu betreuen.
Viele Kinder mit Integrationsstatus bleiben zu Hause, da in Notbetreuungssituationen keine sichere und richtige Betreuung, geschweige eine Förderung durch mich möglich ist.
So stelle ich mir meinen Beruf nicht vor, da ich mit Leib und Seele Facherzieherin bin und den Kindern helfen möchte. Ich bin frustriert und enttäuscht, dass ich die Entwicklung der Kinder nicht so unterstützen kann, wie sie es dringend benötigen.
Anne
Ich arbeite seit fast zwölf Jahren beim Kitaeigenbetrieb Nord-Ost. Laut Statistik, also das, was auf dem Papier steht, ist meine Kita personell gut aufgestellt, sehr gut sogar. Trotzdem müssen wir gerade die fünfte Woche in Folge aufgrund von Personalmangel eine unserer Gruppen aufteilen - und das in der sensiblen Phase der Umgewöhnung der Nestkinder in den Elementarbereich.
Aber wie sollen sich die Kinder an ihre neue Gruppe gewöhnen, wenn diese im ganzen Haus verteilt ist? Ganz zu schweigen von der Mehrbelastung für Kinder und Pädagogen in den noch volleren Gruppenräumen. Das zeigt, dass das Papier einfach nicht die Realität abbildet.
Gabi
Ich arbeite beim Kitaeigenbetrieb Süd-West von Berlin als Fachkraft für Inklusion und Teilhabe. Mein Arbeitstag in der Kita beginnt mit der Frage: Sind heute genug Kolleg:innen im Haus, damit ich meinem pädagogischen Bildungsauftrag nachkommen kann, oder ist es wieder aufbewahren?
Muss ich die Kinder mit ihren Wünschen und Erwartungen wieder vertrösten? Schaffe ich es heute, mich um die Kinder mit A- und B-Status [erhöhter und wesentlich erhöhter Förderbedarf] in meiner Gruppe zu kümmern und die Dokumentation zu schreiben?
Eltern, denen ich ihre Kinder übergebe und ihnen sagen muss: Wir konnten unsere Tagesplanung leider nicht durchführen, da nicht genug Kolleg:innen im Haus waren. Traurig, aber leider die Realität.
Max
Ich arbeite seit fünf Jahren in einem Berliner Eigenbetrieb, wo ich auch meine Ausbildung gemacht habe. Vor einigen Wochen habe ich die Qualifikation als Integrationserzieher erfolgreich abgeschlossen. In unserer Gruppe betreuen wir 26 Kinder, einige ohne und einige mit erhöhtem Förderbedarf.
Im Alltag erlebe ich häufig frustrierende Momente. Ausflüge oder Feste fallen aufgrund von Personalabwesenheiten aus oder müssen stark verkürzt werden. Auch die pädagogische Arbeit, die elementar für die frühkindliche Entwicklung ist, kommt häufig zu kurz. Wenn anstelle von vier Mitarbeitern nur zwei dauerhaft da sind, verwundert das kaum.
In meiner Gruppe ist ein Kind mit frühkindlichem Autismus, das stets besonders betreut werden muss. Da das aufgrund der dauerhaft angespannten Personalsituation nicht immer möglich ist, entsteht ein enormes Gefahrenpotenzial. So ist es auch dazu gekommen, dass das Kind Dinge wie Kleber, Knete oder Farbe in den Mund nehmen wollte.
Wenn das Kind mit Autismus eine Eins-zu-eins-Betreuung benötigt, steht meine Kollegin mit 25 Kindern allein da. Das ist ein absolut fürchterliches Gefühl, denn ich kann mich leider nicht zweiteilen. Auf der einen Seite steht das besondere Kind und auf der anderen Seite 25 teilweise sehr herausfordernde Kinder, die ebenfalls ein Recht auf Bildung und Gesundheit haben.
So stelle ich mir meinen Beruf nicht vor. Ich bin mehr als enttäuscht und frustriert darüber, dass ich die Entwicklung der Kinder nicht dort unterstützen kann, wo sie es benötigen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.07.2024, 19:30 Uhr