Erst 40 Jahre nach Erfindung der Elektro-Lok begann die Bahn, sich in Berlin von der Dampflok zu verabschieden. Aus Anlass des 100. S-Bahn-Jubiläums zeigt das Deutsche Technikmuseum jetzt eine Original-S-Bahn von 1924. Von Frank Drescher
Kaum eine Minute ohne Zugverkehr am Bahnhof Alexanderplatz: S-Bahnen, Regionalzüge und ICEs rollen von früh bis spät auf vier Gleisen. Vor 100 Jahren war dort schon ähnlich viel Verkehr, allerdings langsamer, lauter - und wolkiger: Jeder Zug zog eine riesige Fahne aus Wasserdampf und Rauch hinter sich her und vernebelte die Umgebung. Unmengen Ruß wirbelten durch die Luft und schwärzten die Fassaden.
"Es war ein großes Argument, dass die Luftverschmutzung deutlich abnehmen würde durch die Elektrifizierung", sagt Peter Schwirkmann, Abteilungsleiter Sammlungen und Ausstellungen im Deutschen Technikmuseum, das anlässlich des 100-jährigen S-Bahn-Jubiläums drei Bahnwagen aus dieser Zeit in der Sonderschau "Besser, schneller, elektrisch. Die Anfänge der Berliner S-Bahn" präsentiert.
100 Jahre Berliner S-Bahn in Bildern
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Die offizielle Geburtsstunde der S-Bahn beginnt am 8. August 1924 mit sechs Versuchstriebwagen derAllgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Die Wagen sollten anstelle der Dampfzüge (hier ein Zug der Berliner Stadtbahn aus dem Jahr 1919) verkehren. Die Triebwagen rolltenüber die elektrifizierte Eisenbahnstrecke des Stettiner Vorortbahnhofs (heute Nordbahnhof) nach Bernau.
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Die "Stadtbahn" wird ab 1928 eingesetzt. Für fast 70 Jahre prägen diese ersten Züge die Fahrten mit der Berliner S-Bahn. Sie werden in rot-beiger Farbgebung lackiert. Im Bild Arbeiter in einem Reparaturwerk der S-Bahn. Seit 1925 gilt: Bis zu acht gleichlange Wagen bilden einen Voll-Zug.
1930, also nach rund sechs Jahren, ist die Elektrisierung der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen abgeschlossen. Die nicht-dampfenden S-Bahn-Züge prägen nun das Bild. Parallel fahren aber noch für Jahrzehnte Dampflokomotiven, wie hier auf dem Stadtbahn-Viadukt nahe der Friedrichstraße.
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Im selben Jahr, 1930, bekommt die Stadt-Schnell-Bahn dann ihr eigenes Logo, das weiße S auf grünem Grund. Es soll auch für eine rasante Entwicklung stehen: Die Wannseebahn wird 1930 elektrifiziert, der Nord-Süd-Tunnel wird gebaut und 1936 eröffnet der Abschnitt Humboldthain bis Unter den Linden. Das S steht dabei kurz für "Stadtbahn", nachdem man den Begriff "SS-Bahn" für Stadt-Schnell-Bahn nach wenigen Monaten Gebrauch wieder abgeschafft hat. "Schnellbahn" wird verworfen, weil diese Bezeichnung bereits andere Bahnen nutzen.
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Rund 262 Kilometer Streckennetz sind 1939 elektrifiziert, 1943 nutzen 737 Millionen Fahrgäste die S-Bahn. Die NS-Diktatur reklamiert solche Erfolge für sich und instrumentalisiert zu Propagandazwecken beispielsweise den Bau des unter dem Landwehrkanal verlaufenden Nord-Süd-Tunnels. Die Nazis werden ihn später selbst wieder zerstören. Im Bild zu sehen ist Propaganda an der S-Bahntrasse an der Georgenstraße nahe dem Bahnhof Friedrichstraße.
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Am 25. April 1945 kommt der S-Bahn-Betrieb durch die in der Berliner Innenstadt stattfindenden Kampfhandlungen vollständig zum Erliegen. Im Bild ist der zerstörte Anhalter Bahnhof zu sehen.
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Am 2. Mai 1945 sprengen die Nationalsozialisten die Stahlbeton-Decke des Nord-Süd-Tunnels. Das Wasser bricht darauf vom Anhalter Bahnhof über Potsdamer Platz bis hin zu den Bahnhöfen Unter den Linden, Oranienburger Straße und Stettiner Bahnhof (heute: Nordbahnhof) ein. Hunderte Menschen, die versucht haben, sich im Tunnel vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen, ertrinken. Das Bild zeigt 1945 Zivilisten in einem gefluteten Bahnhof. Um welchen Bahnhof oder Tunnelabschnitt es sich handelt, ist nicht klar.
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Nach Kriegsende 1945 sind rund 90 Prozent der Züge zerstört oder nicht betriebsfähig. Gleise werden abmontiert und in die Sowjetunion abtransportiert.
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Die sowjetische Militäradministration überträgt im August 1945 der Deutschen Reichsbahn (DR) den Eisenbahnverkehr in ganz Berlin. Dass die Reichsbahn nun sowohl in der Sowjetischen Besatzungszone als auch in den West-Sektoren Berlins für die S-Bahn zuständig ist, wird von den Alliierten gebilligt. Schon bald befördern die rot-beigen Züge in Berlin wieder jährlich rund 420 Millionen Fahrgäste.
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Nach 1948 fahren trotz der Teilung in Ost- und West-Berlin die S-Bahn-Züge weiterhin über die Sektorengrenzen. Fahrgäste sollten aber besser nicht einschlafen, wie dieses Schild im Jahr 1953 informiert.
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1949 gibt es Ärger mit den 13.000 West-Berliner Reichsbahnern. Nach Entlassungen streiken sie, wie hier am Bahnhof Gesundbrunnen, vom 21. Mai bis zum 28. Juni 1949. Da Ost-Berliner Reichsbahner die Dienste übernehmen wollen, kippt die Stimmung. Französische und sowjetische Militärpolizisten stehen am Bahnhof Gesundbrunnen bereit. Die Streikenden fordern unter anderem die Auszahlung ihres Lohns in West-Mark. Mit ihren in Ost-Mark ausgezahlten Gehältern können sie die West-Mieten nicht bezahlen.
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In den späten 1940er und 1950er Jahren kommen verlängerte S-Bahn-Strecken hinzu - etwa über Mahlsdorf nach Hoppegarten und über Strausberg nach Strausberg-Nord. Gleichzeitig aber müssen die Fahrgäste auch viele Defekte und Probleme hinnehmen, wie etwa hier 1955 am Bahnhof Westkreuz, wo die Rolltreppe völlig verwahrlost ist.
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Der Mauerbau am 13. August 1961 ist ein Schock und reißt auch schlagartig den ÖPNV entzwei. Zahlreiche Verbindungen werden gekappt, Bahnhöfe zugemauert. Die Ringbahn beispielsweise wird an zwei Stellen unterbrochen: Die Bahnhöfe Gesundbrunnen und Schönhauser Allee sowie Sonnenallee und Treptower Park sind nun nicht mehr verbunden. Im Bild errichten Volkspolizisten im November 1961 Stacheldraht am Bahndamm am Bahnhof Gesundbrunnen.
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In der Zeit der Teilung wird der – 1949 reparierte – Nord-Süd-Tunnel weiterbetrieben. Einziger Halt ist der Bahnhof Friedrichstraße. An den anderen Bahnhöfen, etwa Nordbahnhof oder Potsdamer Platz, fahren die Züge durch. Der Begriff "Geisterbahnhof" für Bahnhöfe, die nicht angefahren werden, macht die Runde. Im Bild ist der nach fast 30 Jahren immer noch geschlossene Bahnhof Potsdamer Platz im Jahr 1990 zu sehen.
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Vier Tage nach Mauerbau rufen Willy Brandt und der DGB am 17. August 1961 zum S-Bahn-Boykott auf. Die Nutzung der S-Bahn ist nun politisch. Man will der DDR durch den Kauf von Fahrscheinen keine Devisen mehr zukommen lassen. Die BVG bricht aufgrund Zehntausender zusätzlicher Fahrgäste im U-Bahn- und Busbverkehr fast zusammen.
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Die S-Bahn-Fahrgastzahlen in West-Berlin sinken dramatisch. Leere Züge, heruntergekommene Bahnsteige und ein maroder Fuhrpark sind die Folge. Die West-Berliner S-Bahn wird für die Deutsche Reichsbahn zum millionenschweren Verlustgeschäft.
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Eine Bahn, zwei getrennte Teile der Stadt: Die Karte zeigt einen S-Bahnplan aus dem Jahre 1974. Züge fahren hier nicht mehr durch. An den Sektorengrenzen ist Schluss
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Während im Westen Berlins die S-Bahn an Bedeutung verliert, bleibt die S-Bahn im Ostteil der Stadt ein wichtiges Verkehrsmittel. Auf der Fotografie warten Fahrgäste 1986 am Bahnhof Alexanderplatz auf eine S-Bahn.
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Im Westen hat die Reichsbahn über die Jahre das Streckennetz verkommen lassen und stellt 1980 einen Fahrplan vor, der zum folgenreichen zweiten Streik der Reichsbahner führt. Sie besetzen am 17. September 1980 Stellwerke unter anderem am Bahnhof Zoo und fordern eine Übernahme der West-Berliner S-Bahn in westliche Hände. Der gesamte S-Bahnverkehr und der Transitverkehr stehen still.
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Die Reichsbahn reagiert drastisch: Sie kündigt Hunderten Streikenden und legt im September 1980 etwa die Hälfte aller West-Berliner Strecken still. Es bleiben rund 71 Kilometer Strecke. Manche Strecken wie die Friedhofsbahn, die Stammbahn und die Siemensbahn sind bis heute nicht wieder in Betrieb - allerdings auch, weil in der Folge der Schließung parallele Verkehrswege mit Bussen oder neuen U-Bahn-Strecken etabliert werden in den West-Bezirken.
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1981 wird bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus die S-Bahn Wahlkampfthema. Unter Richard von Weizsäcker, CDU, wird die Übernahme der S-Bahn durch die BVG vereinbart. Die Besatzungsmächte stimmen zu. Die Deutsche Reichsbahn gibt die Betriebsrechte für die S-Bahn-Strecken in West-Berlin am 9. Januar 1984 an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ab.
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Es gehen zunächst nur zwei Linien auf 21 Kilometern in Betrieb: die Strecke Lichtenrade – Anhalter Bahnhof als Linie S2 und Charlottenburg - Friedrichstraße als Linie S3. Auf dieser Linie ist seit 1961 der Lehrter Stadtbahnhof (heute Berliner Hauptbahnhof) Endpunkt aus West-Berlin und Grenzbahnhof in Richtung Friedrichstraße.
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Ab Mai 1984 kann die Strecke Wannsee – Charlottenburg (S3) wieder befahren werden, sowie die Strecke Anhalter Bahnhof – Gesundbrunnen (S2). Ab Oktober wird sie wieder bis Frohnau bedient. Und am 1. Februar 1985 wird die Wannseebahn feierlich wiedereröffnet. Hier fährt eine S-Bahn im Stadtteil Wedding von West-Berlin entlang der Gartenstraße durch Ost-Berliner Gebiet und kurz darauf wieder nach West-Berlin.
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71 Kilometer Strecke sind in West-Berlin kurz vor dem Mauerfall wieder in Betrieb. Die S-Bahn erfreut sich auch dort wieder zunehmender Beliebtheit. Zu sehen ist hier die Holzklasse, die mit Holzbänken und Holzvertäfelung ausgestattete Bauart "Stadtbahn".
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Die Maueröffnung vom 9. November 1989 und die Tage danach werden zum Fest. Der öffentliche Nahverkehr wird regelrecht überrannt. Lokführer melden sich freiwillig, um die Fahrgäste von Ost nach West und von West nach Ost zu fahren.
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Bereits ab 2. Juli 1990 fährt die Stadtbahn wieder durchgängig von Charlottenburg bis Ostbahnhof. Und ab dem 1. September halten die Züge auch auf den unterirdischen "Geisterbahnhöfen" der Nord-Süd-Bahn, mit Ausnahme Potsdamer Platz. Bei der Ringbahn wird es bis zum 15. Juni 2002 dauern, ehe der S-Bahn-Ring mit der Inbetriebnahme der Verbindung von Wedding nach Westhafen wieder geschlossen ist.
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Gemäß Einigungsvertrag ist nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 03. Oktober 1990 der Beschluss gefasst worden, das Schienennetz der Berliner S-Bahn wie es 1961 bestand, wieder herzustellen. Am 1. Januar 1994 wird die S-Bahn Teil der neu gegründeten Deutschen Bahn AG.
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Die DDR-Baureihe (BR) 485 aus den 1980er Jahren, über viele Jahre mit roter Lackierung unterwegs, wird von manchen "Coladose" genannt. Hier steht eine davon neben S-Bahnen anderer Bauart im Ostbahnhof (1994).
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Im Betriebswerk der S-Bahn am Berliner Adlergestell werden die Wagen aufgearbeitet, wie auch die ab 1996 eingesetzte genannte Baureihe 481. Die entkernten und abgeschliffenen Waggons werden im nächsten Schritt lackiert und bekommen einen neuen Innenausbau.
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2016 wird die Baureihe 483/484 vorgestellt. Sie ist seit 2022 auf den Linien S46, S8 und den beiden Ringbahnlinien S41 und S42 unterwegs.
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473 Millionen Fahrgäste nutzen 2023 die Berliner-S-Bahn auf 340 km Strecke, davon 257 km in Berlin. 1.278 Triebfahrzeugführer fahren die S-Bahnen früh bis spät und am Wochenende durch die Nacht.
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Zum 100. Geburtstag der Berliner S-Bahn zeigt das Deutsche Technikmuseum [technikmuseum.berlin] in Berlin die kleine Sonderschau "Besser, schneller, elektrisch!". Ab 4. August 2024 kann man einen der originalen S-Bahn-Triebwagen aus der ersten Fahrzeugserie von 1924, der Bauart "Bernau" sehen.
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Die S-Bahn Züge zeigen sich schon jetzt mit Jubiläumssignet und wie seit 100 Jahren in Rot-Beige. Zum Artikel | Weitere Bildergalerien
Berlin im 19. Jahrhundert – Boomtown dank Eisenbahn
Im frühen Industriezeitalter vervierfachte sich Berlins Bevölkerung, von rund 250.000 Einwohnern im Jahr 1830 auf mehr als eine Million 1877. Die Eisenbahn machte diese Entwicklung erst möglich: Zwischen 1838 und 1875 entstanden die wichtigsten Fernstrecken ab Berlin. Über sie konnte die Industrie ihre Waren schnell abtransportieren. Deren Arbeitskräftebedarf lockte massenhaft Landbewohner.
Doch das damalige Berlin umfasste nur wenig mehr als die heutigen Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Die berüchtigten Mietskasernen entstanden, die Wohnungsnot grassierte. Im damaligen Umland, also Orten wie Schöneberg, Lichtenberg oder Reinickendorf, war dagegen noch Platz. Um Arbeiter, die sich dort ansiedelten, zügig zu ihren Betrieben zu befördern, lag es nahe, das Bahnnetz weiterzuentwickeln. An den Fernstrecken entstanden zusätzliche Bahnhöfe in der näheren Umgebung Berlins. Viele erhielten zusätzliche Gleise für den Vorortverkehr, um die Fernzüge nicht auszubremsen.
Info
Anlässlich des 100. Jubiläums der Berliner S-Bahn veranstaltet die Senatskanzlei vom 8. bis 11. August ein viertägiges Festival. Auf dem Programm stehen Sonderfahrten mit historischen Zügen, Ausstellungen, Lesungen und Besichtigungen. Im Deutschen Technikmuseum können beispielsweise historische Fahrzeuge besichtigt werden.
Zur Anbindung von Nachbarstädten wie Charlottenburg und Vororten wie Rixdorf entstanden neu die Ringbahn 1877 und die Stadtbahn 1882. Die erfreuten sich großer Beliebtheit: Schon 1906 fuhren 170 Millionen Passagiere mit den Stadt-, Ring- und Vorortbahnen - ein Drittel des Beförderungsvolumens der Berliner S-Bahn von 2023.
Schon vor 100 Jahren: Modernisierungsstau bei der Bahn
Im Jahr 1924 sah die Bahn schon einmal ziemlich alt aus: Die Technologie der Dampfzüge war mehr als 100 Jahre alt. Dabei gab es seit der Erfindung der Elektro-Lok 45 Jahre zuvor schon längst etwas Neues, das sich außerdem seit über 30 Jahren bei der Straßenbahn und seit über 20 Jahren bei der U-Bahn bewährt hatte.
Die preußische Staatsbahn hingegen experimentierte ab 1900 mit Stromschienen und Oberleitungen. Erkenntnisse daraus bescherten zwar Hamburg eine elektrische Vorortbahn, aber in Berlin blieb es bis 1924 bei den Versuchen. Das lag nicht nur am Ersten Weltkrieg und der Zeit der Hyperinflation danach. "Das Eisenbahnnetz ist ja ungleich größer als ein kommunales Straßenbahnnetz", erklärt Peter Schwirkmann vom Deutschen Technikmuseum.
Hinzu kam: Die preußische Staatsbahn beschäftigte sich jahrelang mit technischen Grundsatzfragen: Gleichstrom oder Wechselstrom? Vorhandenes Wagenmaterial weiterverwenden oder komplett neue Züge bauen? Mit jeder Entscheidung waren Vorteile, Nachteile und Folgekosten verbunden. "Und dann musste man schließlich auch noch die Frage klären, auf welche Weise eigentlich angetrieben werden sollte: Mit einer elektrischen Lokomotive, mit einem Triebgestell, das man einfach nur unter vorhandene Wagen stellt und oder eben dann mit dem modernen Triebwagen-Steuerwagen-Beiwagen-Konzept", so Schwirkmann.
Der moderne Ansatz setzt sich durch
Die 1920 gegründete Reichsbahn entschied sich für das Konzept, das auf ihrem langlebigsten, von der preußischen Staatsbahn geerbten Versuchsbetrieb seit 1903 in der Erprobung war: Zwischen Groß-Lichterfelde-Ost und dem heute nicht mehr existierenden Potsdamer Bahnhof am Potsdamer Platz pendelten Züge mit Triebwagen, zwischen denen motorlose sogenannte "Beiwagen" gekuppelt waren. Gleichstrom aus einer Stromschiene setzte die Triebwagen in Bewegung. Dieses System ging weiterentwickelt am 8. August 1924 auf der Strecke Berlin - Stettiner Vorortbahnhof (später: Nordbahnhof) - Bernau in den regulären Betrieb.
Peter Schwirkmann vergleicht die Zeit bis zu dieser Entscheidung mit dem Mobiltelefon: "Wenn Sie schauen, wie lange es dauert, um den Stecker für das Handy-Ladegerät zu normieren, sind 25 Jahre auch eine stolze Zeit für eine relativ simple technische Aufgabe", sagt er.
Der Bedarf für ein schnelles Massenverkehrsmittel war gewaltig: Durch Eingemeindungen war Berlin seit 1920 mit 3,8 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt der Welt. Eine "Elektrisierung", wie es damals hieß, versprach die schnellste Erschließung des großen Stadtgebietes: Denn die U-Bahn gab es fast nur in der Innenstadt, Straßenbahn und Bus waren für größere Distanzen zu langsam und die wenigen Autos waren für die meisten unerschwinglich. Die Bahn hingegen verlief bereits sternförmig von der Innenstadt aus in alle Richtungen. Und nachdem sich Elektro auch auf der Strecke nach Bernau bewährte, machte die Bahn richtig Tempo: In nur fünf Jahren setzte sie 230 Kilometer des Berliner Netzes bis ins Umland unter Strom. Seit 1930 vermarktet sie es als "S-Bahn" mit dem bis heute üblichen grünen Logo.
Eigentlich sollte es schon vor 20 Jahren für sie vorbei sein, doch viele von den S-Bahnzügen der Baureihe 485 fahren bis heute über Berliner Schienen. Nun steht die Ausmusterung kurz bevor. Fans können am Sonntag Abschied nehmen.
Nur anderthalb Wagen der Ur-S-Bahn existieren noch
Die erste Fahrzeugserie der Berliner S-Bahn, die sogenannte "Bauart Bernau", erwies sich schnell als überholt. Schon ab 1925 ließ die Bahn Nachfolgemodelle entwickeln. Eines davon, die Bauart "Stadtbahn", war gewissermaßen der VW Käfer unter den Schienenfahrzeugen. In großer Stückzahl gebaut und mit rund 70 Jahren Einsatzdauer besonders langlebig, prägten diese Züge für Jahrzehnte das Stadtbild und auch die Klangkulisse Berlins.
Neben einem Exemplar aus dieser Serie zeigt das Technikmuseum auch das, was von einem Bernauer Triebwagen noch übrig ist. "Das Fahrzeug wurde 1942 stillgelegt und stand in Schöneweide, wurde mutmaßlich dort in den 1950er Jahren als Schulungsraum, später als Werkstatt genutzt", erzählt Peter Schwirkmann. Weil er dort im Weg stand und für den Straßentransport auf ein anderes Bahngelände zu sperrig war, wurde er 1992 einfach halbiert. Einen sogenannten "Beiwagen" der Bauart Bernau, also ein Waggon ohne Motor und Steuerstand, restauriert das Technikmuseum derzeit noch.
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6.
Paris lebt und leidet darunter, dass die Banlieue, d. h. die Vororte, die zusammen mehr Einwohner aufbieten als die Stadt selbst, sie also nicht eingemeindet wurde. Das ist bis heute der Fall. Die Agglomeration Paris hat mehr als 7 MIll. Einwohner, Paris selber, was ja kaum größer ist als der Berliner S-Bahn-Ring, hat knapp die Hälfte davon.
Jahrzehntelang wurde die Banlieue - auf Berlin übertragen: Spandau, Köpenick, Hohenschönhausen und Marzahn - links liegengelassen. Jetzt scheint es der französische Nationalstaat zu sein, der hier Umstände forciert. Allerdings sind die Verhältnisse in Berlin leicht anders: Mehr als zwei Millionen bekommen die Gebiete außerhalb des S-Bahn-Rings eben NICHT zusammen. Deshalb wäre auch eine Verlängerung von U-Bahnen nur beschränkt sinnvoll, eine Verlängerung und Wiedereinführung von Straßenbahnen dagegen sehr sinnvoll, um dieses brachliegende Potenzial aufzugreifen.
5.
Die Verkehrswende in Berlin lebt auch heute noch davon, dass damals die Menschen über den eigenen Kiez hinaus gedacht haben und in Groß-Berliner Dimensionen geplant haben. Paris folgt mit 100 Jahren Verspätung.
4.
... und "Modernisierungsstau" trifft es ganz und gar nicht, denn die 1920er sind gerade die Zeit der großen Neuentwicklungen bei der Eisenbahn, ermöglicht übrigens gerade nicht durch eine Zersplitterung, wie sie heute wieder zu beobachten ist, weil jedes Land seine Züge 'bestellt' und ein Sammelsurium von Unternehmen anbietet, sondern weil es eine große deutschlandweit agierende Bahngesellschaft gab, eben die DRG.
3.
Die Schande ist eigentlich,dass einige ehemalige Außenstellen der S Bahn ( z.B. Velten,Siemensbahn) trotz vollmundigen Ankündigung der Politik 1990 bis heute noch nicht wieder in Betrieb sind,von Erweiterungen,z.B. statt der EVO auf Bahngelände einmal ganz abgesehen. S Bahn feiert man mit großen Reden, natürlich mit Bild der anwesenden Politiker, über deren Bedeutung und Autobahnen baut der noch immer westlastig-autobahnaffine Senat,notfalls sogar zu Lasten der S-Bahn,siehe TVO.
2.
Vielen Dank erstmal für die umfangreiche Darstellung. Wie so alles, so bietet natürlich auch die S-Bahn in Berlin Raum für Kuriositäten aller Art und so "glatt", wie es hinterher immer erscheint, war es für die seinerzeitigen Zeitgenossen bei weitem nicht. Schon zur Frühzeit der Eisenbahn wurde diese meistens nur bis an den äußersten Rand der Bebauung geführt, woraus dann die BahnhofsVORstädte erwuchsen; die erste U-Bahn in Berlin war die vor den südlichen Toren Berlins verlaufende Hochbahn, bis es dann mit etlichem zeitlichen Abstand in die wirklichen Zentren ging.
Das Motto "Versuch und Irrtum" waltete schon damals und auch heute wird häufig genug alles Mögliche ins Feld geführt, um Veränderungen auf und mit Gleisen zu verhindern. Erlangen hat sich mehrheitlich für eine Einführung der Straßenbahn entschieden, Regensburg mehrheitlich leider nicht. Mit blanker Not ist nichts zu bewirken, mehr aber mit Schönheit und ansprechenden Anlagen. Dieses "Pfund" wird oft genug verspielt.
1.
Etwas mehr von dem Zeitgeist der 1920siger würde man sich auch heute gerne wünschen und das nicht nur bei der S Bahn . Was wäre Berlin heute ohne die damaligen Bahnbrechenden Veränderungen wobei diese Entwicklungen bei der Berliner S Bahn ja nur eine Fortsetzung waren was bei Straßenbahn , U Bahn und in anderen Bereichen ja schon seit den 1890siger Jahren begonnen hat . Alles Gute zum 100. Geburtstag liebe Berliner S Bahn !!!!