Interview | Wildtierreferent Derk Ehlert - "Ob der Halsbandsittich tatsächlich in Berlin brüten kann, müssen wir beobachten"

Zwei Halsbandsittiche haben im Görlitzer Park überwintert. Was in Köln oder Wiesbaden normal ist, wurde in Berlin noch nie dokumentiert. Frei fliegende Exoten haben es in der Hauptstadt schwer, sagt Derk Ehlert. Vor allem wegen der vielen Greifvögel.
rbb|24: Ein Paar Halsbandsittiche hat im Görlitzer Park den Winter überstanden und sich nun in der Gegend eingerichtet. Diese Tiere sind eigentlich in Halbwüsten südlich der Sahara sowie in Indien und Pakistan heimisch. Herr Ehlert, wie kann es sein, dass Halsbandsittiche hier in Freiheit überwintern können?
Derk Ehlert: Halsbandsittiche sind aus mehreren deutschen und europäischen Städten nicht mehr wegzudenken. In Wiesbaden, Köln, Madrid, Paris und selbst in London haben sie sich bereits etabliert. Sie sagen ganz richtig, dass diese Vögel eigentlich nicht bei uns vorkamen. Es handelt sich um "Gefangenschaftsflüchtlinge". Also Tiere, die privat gehalten wurden, irgendwann entflohen sind oder ausgesetzt wurden und sich dann ausbreiten konnten.
Auch die Sittiche im Görlitzer Park sind nach meiner Kenntnis aus einem Käfig entkommen. Aus einer anderen Stadt sind sie garantiert nicht hier hergeflogen. Sie sollen sich seit April, Mai vergangenen Jahres in Neukölln aufhalten.
Überrascht es Sie, dass die beiden Vögel noch am Leben sind?
Mich überrascht fast gar nichts mehr. In den vergangenen Jahrzehnten sind immer mal wieder Halsbandsittiche in Berlin aufgetaucht. Sie hatten bisher nur geringe Chancen bei uns zu überleben, geschweige denn sich zu etablieren.
Woran liegt das?
Zum einen wären da die langen, kalten und trockenen Winter, die früher in Berlin normal waren. Damit kommen Halsbandsittiche zwar grundsätzlich klar. In ihren Ursprungsgebieten sind große Kälte und Dunkelheit auch nicht ungewöhnlich. Aber sie brauchen ausreichend Nahrung. Orte mit feuchten und milderen Wintern bieten mehr Futterquellen. Halsbandsittiche fressen zum Beispiel gern die Samen von Platanen, die in Wiesbaden oder am Rhein häufiger vorkommen als hier. Dort sind aufgrund des milderen Klimas auch die Früchte größer. Zudem werden die Tiere regelmäßig gefüttert.
Nun sind die Winter in Berlin nicht mehr das, was sie noch vor einigen Jahrzehnten waren.
Richtig. Sie sind heute milder, als es früher der Fall war. Außerdem haben sich neue Futterstellen aufgetan.
Ein zweiter Grund, der wilden Sittichen oder Papageien in Berlin das Leben schwer macht, ist der sehr hohe Anteil an natürlichen Feinden. Insbesondere Habichte. Aktuell haben wir mehr als 120 Brutpaare des Habichts in der Stadt. Sie nehmen exotische Vögel sofort zur Kenntnis und machen Jagd auf sie. Kanarienvögel oder Halsbandsittiche haben dann kaum eine Chance. Insbesondere wenn sie gerade aus einem Käfig entflohen sind.
In anderen Großstädten gab es bis in die 80er Jahre hingegen kaum große Greifvögel. Deswegen konnten Halsbandsittiche anderswo stabile Populationen entwickeln. Haben solche Schwärme eine gewisse Mindestgröße überschritten, halten sich Greifvögel von ihnen fern. In Berlin konnten Halsbandsittiche hingegen nie derart ungestört leben. Vielleicht hat das Vogelpaar vom Görlitzer Park eine Nische gefunden zwischen zwei Habichtrevieren. Vielleicht hat es auch einfach nur Glück gehabt.
Wie verläuft ein Tag im Leben eines Halsbandsittichs?
Halsbandsittiche sind, wie andere Sittich-Arten auch, sehr gesellige Tiere. Früh morgens fliegen sie in Gemeinschaften zu ihren Futterstellen. Anschließend geht es zu ihren Ruheplätzen, danach zu den Badestellen. Um sich zu putzen, benötigen sie sandige Stellen, genau wie Plätze am Wasser. Dann geht es wieder zurück zum Futterort und irgendwann zu einem Zwischenschlafplatz. So geht das den ganzen Tag.
Am Abend fliegen Halsbandsittiche unter lautem Geschrei zu ihren Schlafbäumen. Sie brüten in Höhlen. Ihre Schnäbel sind jedoch nicht gut geeignet, um diese selbst zu zimmern. Deshalb besetzen diese Sittiche oft Höhlen, die Spechte hinterlassen haben. Haben sie geeignete Bäume zum Schlafen und Brüten gefunden, bilden sie auch dort Kolonien aus.

Der Halsbandsittich ist in Europa ein Neozoon. Was bedeutet das?
Ein Neozoon ist eine Art, die hier nicht heimisch ist. Solche Tiere und auch Pflanzen können bei uns invasiv auftreten. Das heißt, sie werden für bestehende Arten zur Konkurrenz, können diese sogar verdrängen. Deshalb beobachten wir natürlich alle Arten, die neu auftreten.
Es gibt eine EU-Liste "invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung". Bei diesen Tieren und Pflanzen wurde ein Verdrängungspotential wissenschaftlich belegt. Der Halsbandsittich wird auf dieser Liste nicht geführt, trotz dieser riesigen Schwärme in einigen Städten. Das Bundesamt für Naturschutz spricht von einer "potenziell invasiven Art". Allerdings wurde diese Einschätzung vor zehn Jahren abgegeben. Müssten solche Listen aktualisiert werden?
Ich teile die Sicht, dass eine potenzielle Gefährdung besteht. Wir müssen die Halsbandsittiche beobachten und schauen, ob - und falls ja welche - langfristigen Auswirkungen sie auf andere Arten haben. So wie es aktuell zum Beispiel beim Waschbären oder beim Amerikanischen Sumpfkrebs der Fall ist. Beide Arten gelten hier als invasiv.
Amerikanische Sumpfkrebse haben einen geradezu unbändigen Appetit. Wo sie auftreten, breitet sich oft die Krebspest aus. Eine Tierseuche, an der sie selbst nicht erkranken. Europäische Sumpfkrebse hingegen schon. Invasive Arten können also auf mehreren Wegen zum Problem für andere Tiere werden.
Wie sieht das konkret beim Halsbandsittich aus?
Ob der Halsbandsittich Berliner Tier- und Pflanzenarten gefährlich werden kann, wissen wir aktuell nicht. Sie sind bei Beobachtern beliebt, viele Menschen finden sie aufgrund ihrer leuchtenden Gefieder schön. Wer in der Nähe der Schlafplätze dieser Vögel wohnt, wird das wahrscheinlich etwas anders sehen. Wenn Halsbandsittiche abends in ihre Höhlen einfallen, geschieht das unter einem ohrenbetäubendem Geräusch. So ein Schwarm ist extrem laut.
Bereits 1962 wurden Halsbandsittiche im Kölner Stadtbild gesichtet. Wenige Jahre später gab es den ersten Brut-Erfolg. Seitdem hat diese Population Dutzende Generationen hervorgebracht. Kann man da überhaupt noch von einer invasiven Art sprechen? Sie sagen ja auch, Halsbandsittiche sind dort etabliert.
Beides schließt sich nicht aus. Dass sie in Freiheit geboren sind, ändert nichts an ihrem Verhältnis zu autochthonen – also gebietstypischen – Tieren und Pflanzen. Es lässt sich nur sehr schwer absehen, welche langfristigen Folgen es hat, wenn Arten irgendwo neu auftauchen.
Nehmen wir zum Beispiel den Götterbaum. Er ist eigentlich in Ostasien verbreitet. Vor knapp 300 Jahren kamen die ersten Exemplare nach Europa. Landschaftsarchitekten wie Peter Joseph Lenné haben ihn aufgrund seiner hübschen Blätter und vollen Blüten in Gärten und Parkanlagen gepflanzt. Die ersten 200 Jahre mussten Götterbäume in Europa mehr oder weniger gehätschelt werden, damit sie hier über den Winter kamen. Vor rund 80 Jahren hat sich das geändert und nun schießen sie jedes Jahr wie Pilze an jeder Ecke aus dem Boden. Dass der Götterbaum hier einmal invasiv auftreten könnte, hat vor 300 Jahren niemand geahnt.
Ob der Halsbandsittich dauerhaft die genannten Herausforderungen überwinden und tatsächlich in Berlin brüten kann, müssen wir beobachten. Ich bin allerdings noch skeptisch.

Wieso das?
Das ist nicht die erste Ansiedlung von Halsbandsittichen in Berlin. Anfang der 90er Jahre gab es schon einmal vier, fünf Tiere, die in Steglitz-Zehlendorf unterwegs waren. Die konnten sich aber nicht vermehren. Habichte hatten damals maßgeblich diese Kleingruppe reduziert. Bei den beiden aktuellen Halsbandsittichen ist nicht nur auffällig, dass sie hier den Winter überlebt haben. Sondern auch, dass sie sich sehr wehrhaft und territorial verhalten.
Wie sollen sich Menschen verhalten, die mit freifliegenden Halsbandsittichen in Kontakt kommen?
Vorsicht und Zurückhaltung üben, die Tiere nicht anlocken, nicht in die Hand nehmen und auch nicht füttern. Das sind Wildtiere. Sie kommen hervorragend ohne unser Zutun zurecht. Halsbandsittiche wollen, sollen und müssen ihre Nahrung alleine finden.
Herr Ehlert, vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview führte Oliver Noffke für rbb|24.