Berlin-Lichtenberg - Bauamt zwingt Wohnheim für Ex-Obdachlose zur Auflösung
Seit 30 Jahren bietet ein Wohnheim in Berlin-Lichtenberg obdachlosen Menschen ein Zuhause, die zudem unter einer Sucht leiden. Nun wurde die Schließung angeordnet. Der Träger wehrt sich, doch droht zu scheitern. Von Laura Kingston und Oliver Noffke
- sozialer Träger soll nach 30 Jahren Wohnheim für Ex-Obdachlose schließen
- Bezirksamt Lichtenberg moniert fehlende Baugenehmigung
- kaum ein Altbau in Lichtenberg hat dieses Dokument, da 1945 das Bauamt niedergebrannt ist
- Haus ist laut Senat seit mehr als 50 Jahren nachweislich bewohnt
Im Berliner Bezirk Lichtenberg droht einem Wohnheim für ehemalige Obdachlose mit Suchtgeschichte die Schließung. Im April teilte das zuständige Amt für Stadtentwicklung dem Träger mit, dass die Nutzung des Gebäudes als Wohnheim oder zum Wohnen nach Ablauf von sechs Monaten "dauerhaft untersagt" wird.
Rund 30 Jahre nach seiner Gründung soll das Wohnheim damit Ende Oktober schließen. Die entsprechende Anordnung hat der zuständige Bezirksstadtrats Kevin Hönicke (SPD) rbb|24 zur Verfügung gestellt.
Dem Betreiber - einem eingetragenen Verein - wird darin vorgeworfen, dem Bezirksamt keine zulässige Baugenehmigung vorgelegt zu haben. Kein Einzelfall in Lichtenberg: Im Frühjahr 1945 brannte hier das Bauamt nieder. Für viele Lichtenberger Häuser, die vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, existiert dieses Dokument nicht mehr.
Baustadtrat verweist auf mögliche Spannungen in der Nachbarschaft
Auf Nachfrage teilt Hönicke mit, dass zudem "gesunde Wohnverhältnisse" in der Gegend nicht gewahrt werden könnten. Spannungen in dieser Nachbarschaft unweit vom Ostkreuz seien vorprogrammiert, wenn das Haus weiter als Wohnheim genutzt werde. "Eventuell auftretende Nutzungskonflikte können nicht bewältigt werden", so Hönicke.
Kann die Schließung nicht abgewendet werden, muss der Träger sein Hilfsangebot massiv einkürzen. Zudem würden knapp zwei Dutzend besonders vulnerable Menschen ihr Zuhause verlieren.
Vergangenen Samstag ließ der Verein an einer Brandmauer des Hauses ein Plakat aufhängen. "Lichtenberg zerstört soziales Wohnprojekt", ist darauf zu lesen. Seit einigen Monaten befindet sich auf der Website der Einrichtung bereits ein Hinweis zu der Nutzungsuntersagung.
Die drohende Auflösung des Wohnheims belastet die Mitarbeitenden des Trägers augenscheinlich sehr. Bewohner:innen wirken verunsichert und hoffen, dass die Schließung noch abgewendet werden kann. Aufgrund dieser Stresssituation hat sich die Redaktion dazu entschieden, auf persönliche Details der Betroffenen zu verzichten.
Weniger als 250 Wohnplätze
Für die Suchthilfe in Berlin wäre die Schließung ein starker Einschnitt. In der Stadt existiert nur eine Handvoll vergleichbarer Einrichtungen, so David Hill, Co-Geschäftsführer beim Verein Phoenix in Pankow. Mit dem Betreiber des Lichtenberger Wohnheims stehe Phoenix in partnerschaftlichem Kontakt, sagt er. "Wenn Leute bei uns reinkommen und wir keinen Platz anbieten können, dann ist das die erste Adresse, auf die wir verweisen."
Laut der Senatsverwaltung für Gesundheit stehen in Berlin für wohnungslose Suchtkranke nach einer Reha 245 ambulant betreute Wohnplätze zur Verfügung. Hill sagt, schon jetzt gebe es bei Phoenix eine Warteliste. Regelmäßig müssten Bedürftige abgelehnt werden.
Kein Bebauungsplan
Die zuständige Stelle im Bauamt handelt im rechtlichen Rahmen, teilt Stadtrat Kevin Hönicke mit: "Bedenken Sie bitte, dass es zwischen rechtlichen und moralischen Abwägungen einen Unterschied gibt und die Verwaltung im Sinne unserer Grundordnung, die rechtliche Dimension immer zu beachten hat."
Neben der fehlenden Baugenehmigung betont seine Behörde in der Anordnung, ein Wohnheim an dieser Stelle sei "auch planungsrechtlich unzulässig". Die Nachbarschaft sei gewerblich geprägt; Kfz-Garagen und andere Kleinunternehmen sowie einige Technoclubs würden zu sehr stören, um Wohnungen zu genehmigen. Die angesprochenen Clubs waren vor etwa zehn Jahren genehmigt worden. Allerdings existiert für die Gegend gar kein Bebauungsplan. Das hier niemand wohnen darf, ist nirgendwo verankert.
Die Geschäftsführung der sozialen Einrichtung bezeichnet es heute als Fehler, keinen Ersatz für die zerstörte Baugenehmigung besorgt zu haben. "Man hätte 1994 eine Nutzungsänderung beantragen müssen. Hat man aber nicht gemacht", heißt es auf Nachfrage. Der Verein habe lange Zeit mit Behörden von Senats- wie Bezirksverwaltung zusammengearbeitet. Dass die fehlende Baugenehmigung einmal zum existenziellen Problem werden könnte, habe man sich deshalb nicht vorstellen können.
Senat kann Wohnnutzung belegen
Die Entscheidung des Bauamts und das Verhalten des Stadtrats stößt nicht nur bei den Betroffenen auf Kritik. "Politische Beamte haben oft einen Spielraum in ihrem Handeln", sagt Sebastian Schlüsselburg. Er sitzt als Lichtenberger Direktkandidat für die Linke im Abgeordnetenhaus. Hönicke nutze seinen Spielraum nicht aus, sondern verstecke sich hinter seinem Amt, so Schlüsselburg. "Nur weil die Baugenehmigungen verbrannt sind, heißt es nicht, dass es sie nie gegeben hat und in dem Gebiet haben immer schon Menschen gewohnt. Das Haus ist ja kein Schwarzbau."
In dem Gebäude wohnen nachweislich seit 1968 Menschen. Das teilte die Senatsverwaltung für Inneres vor einigen Jahren mit, nachdem Schlüsselburg eine entsprechende Anfrage im Abgeordnetenhaus gestellt hatte [pardok.parlament-berlin.de]. Seither war es durchgehend bewohnt. Lediglich im Jahr 1993 war es vorübergehend unbewohnt. Damals hatte die Howoge das Haus gerade verkauft.
Mit den Eigentümer:innen eines benachbarten Grundstücks befindet sich das Bezirksamt aktuell ebenfalls in einem Rechtsstreit. Auch hier wurde wegen einer Baugenehmigung, die ebenfalls im Krieg verbrannte, die Wohnnutzung untersagt. Ein weiterer Anwohner in diesem – wie Hönicke sagt: "gewerblich geprägtem Gebiet" – hat vor Gericht erstritten, in seinem Haus wohnen zu dürfen, wie er rbb|24 mitteilte.
Clubbetrieb im Freien, täglich bis 22 Uhr möglich
Der Träger des Wohnheims hatte versucht, das Bezirksamt per Gericht dazu zu bringen, den benachbarten Clubbetrieb einzuschränken. Diese Klage wurde abgewiesen. Unter anderem, weil die Baugenehmigung fehlt. Im September 2020 wurde dieses Urteil gefällt. Zweieinhalb Jahre später bezieht sich das Bauamt in seiner Nutzungsuntersagung auch auf dieses Urteil.
Mehrere Beteiligte sagen, 20 Jahre lang habe das Wohnheim existiert, ohne dass es nennenswerten Streit mit der Bezirksverwaltung oder anderen Anwohnern gegeben habe. Spannungen seien erst aufgetreten, nachdem der Bezirk in der Straße Clubs genehmigt hatte. Bereits vor einigen Jahren hat eine Anwohnerinitiative ihrem Ärger über die Clubmusik Luft verschafft.
Damals sei die Nutzung der äußeren Tanzflächen noch streng limitiert gewesen, sagt eine Anwohnerin. Mittlerweile darf einer der Clubs täglich im Freien Partys veranstalten. Eine entsprechende Duldung hat Baustadtrat Hönicke im Dezember unterschrieben. Zur Begründung sagt er, dies sei "der Wunsch der Bezirksverordnetenversammlung und der Politik" gewesen.
Bezirksstadtrat für Bauen und Soziales
Sebastian Schlüsselburg verweist darauf, dass Hönicke in Lichtenberg nicht nur für Stadtentwicklung zuständig ist, sondern auch für Soziales. Der Bezirksstadtrat habe sich in eine "schizophrene" Situation gebracht. "Eigentlich müsste der Sozialstadtrat Kevin Hönicke mit dem Baustadtrat Kevin Hönicke mal ein ernstes Wörtchen reden", sagt Schlüsselburg.
Die Senatsgesundheitsverwaltung bezeichnet den Wegfall von Wohnplätzen für Suchtkranke auf Anfrage als "sehr problematisch". Über den konkreten Fall sei man allerdings nicht im Bilde. "Die in der Regel sehr instabile Zielgruppe der suchtkranken Menschen ist auf dem Berliner Wohnungsmarkt weitgehend chancenlos", so ein Sprecher der Senatsverwaltung, "und somit in besonders hohem Maß von Obdachlosigkeit betroffen".
Der soziale Träger hat laut Bezirksstadtrat Hönicke gegen die Entscheidung des Bauamts Widerspruch eingelegt. Sollte dies abgelehnt werden, verliert Berlin in wenigen Wochen Wohnplätze, auf die viele Menschen dringend angewiesen sind. Und oftmals lange warten müssen.