Bilanz - Brandenburger Integrationsbeauftragte warnt vor Populismus
Doris Lemmermeier war elf Jahre lang Integrationsbeauftragte Brandenburgs. In ihrem Abschlussbericht zieht sie eine positive Bilanz, hadert aber mit der schleppenden Integration und der Mentalität in Brandenburger Behörden. Von Hanno Christ
- Ausländeranteil hat sich in elf Jahren verdreifacht
- Großes Engagement der Zivilbevölkerung für Zugewanderte, aber auch Widerstand
- Lemmermeier warnt vor Rückschlägen bei Integrationsprojekten
So viel Arbeit wie in ihrer Amtszeit dürfte sich auf keinem anderen Tisch einer der bislang insgesamt drei Integrationsbeauftragten in Brandenburg gestapelt haben. Wenn Doris Lemmermeier mit 66 Jahren Ende des Monats geht, blickt sie zurück auf elf Dienstjahre, vier unterschiedliche Minister oder Ministerinnen als Vorgesetzte.
In ihrer Zeit hat sich der Ausländeranteil in Brandenburg von 2,4 Prozent auf 7,6 Prozent (2022) verdreifacht, es gab mehrere große Zuwanderungswellen. In Lemmermeiers Amtszeit brannte eine Turnhalle in Nauen, die für Geflüchtete vorgesehen war, doch es schossen auch Unterstützerinitiativen für Geflüchtete wie Pilze aus dem Boden. Entsprechend zwiegespalten fällt ihr eigenes Fazit aus. Man habe viel erreicht, bilanziert sie. So hätten sich migrantische Organisationen entwickelt, viele Ehrenamtler kümmerten sich.
In der Migrations- und Sozialarbeit habe sich viel bewegt, so Lemmermeier. Allerdings, so kritisiert sie, eine wirklich offene Zuwanderungsgesellschaft sei man in Brandenburg noch lange nicht. "Ich hätte mir das gewünscht, leider liegt es nicht nur an mir. Im Moment haben wir eine populistische Debatte, der ich mich entgegenstelle", mahnt sie im Gespräch bei rbb24 Brandenburg aktuell. "Wir müssen dringend zur Sachlichkeit zurückkehren", so Lemmermeier. Viele Debatten würden mit falschen Argumenten geführt.
Lemmermeier wirbt für Geduld mit Zugewanderten
Als die ehemalige Geschäftsführerin des deutsch-polnischen Jugendwerkes 2013 ihren Job als Integrationsbeauftragte antrat, gab sie als wichtigstes Ziel aus, möglichst viele Zuwanderer in Lohn und Brot zu bringen. Das ist bis heute schwierig. Lemmermeier sieht weiterhin viele Hürden, die Zugewanderte daran hindern, in Jobs zu gelangen – von Behördenbürokratie, fehlenden Sprachkursen bis hin zu mangelnder Motivation.
Sie verteidigt, dass etliche Geflüchtete noch nicht in Arbeit sind, und zeigt Verständnis für die Ausgangslage, etwa bei den Ukrainern, von denen viele noch keinen Job haben. "Wir sollten vorsichtig sein viele Ukrainer sind schon in Arbeit. Die Menschen müssen gut Deutsch lernen. Das dauert." Man solle jetzt investieren und nicht ungeduldig werden.
Auch beim Anteil ausländischer Auszubildender ist die Bilanz eher ernüchternd. 2022 waren nur 5,3 Prozent aller Auszubildenden Ausländerinnen und Ausländer.
Brandenburg teils wenig fortschrittlich
Unzufrieden zeigt sich Lemmermeier bis heute mit der Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen. Diese Quote habe sich nur leicht von 40 auf 43 Prozent erhöht. Bis heute liegt Brandenburg im Bundesvergleich im hinteren Drittel, viele Menschen sind noch in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht.
Auch die Standards für die Unterbringung wurden 2022 gesenkt. Statt sechs Quadratmetern pro Person reichten fortan in Brandenburg nur noch fünf Quadratmeter aus.
Auch bei Einbürgerungen sei Brandenburg hintendran statt vorneweg, sagt Lemmermeier. Einen Einbürgerungs-Stau bei der Bearbeitung von Anträgen gibt es zwar auch in anderen Bundesländern und die Zahl der Einbürgerungen hat sich seit 2013 von 613 auf 2.491 vervielfacht. Aber die Behörden, so Lemmermeier, hätten sich nicht ausreichend auf die erwartbar höhere Zahl an Anträgen eingestellt. Teils warteten Menschen dadurch Jahre auf den deutschen Pass.
Lemmermeier: Behörden nutzen Ermessensspielräume zu wenig
Auf der Haben-Seite ihrer Dienstzeit sieht Lemmermeier die Novellierung des in die Jahre gekommenen Landesaufnahmegesetzes, dazu eine bessere Beratung etwa durch den Fachberatungsdienst in der Migrationssozialarbeit sowie eine bessere Unterstützung von geflüchteten Jugendlichen. Durch die Finanzierung von Video-Dolmetschersystemen wurde außerdem die Behördenkommunikation vereinfacht. Lemmermeier hadert in ihrem Bericht allerdings mit der Haltung von Mitarbeitenden in den Behörden.
Dort fehle es an interkultureller Kompetenz, Zugewanderten die teils komplizierten deutschen Regelwerke zu erklären, kritisiert Lemmermeier. Trotz mehrerer Anläufe sei es bei gutem Willen und einem Versuch geblieben. Die Ausländerbehörden nutzten oftmals Ermessenspielräume nicht, etwa, bei der Erteilung von Arbeiterlaubnissen für Geflüchtete. Viele Menschen wollten arbeiten, dürften aber nicht.
Integrationsprojekte droht Aus
Die Arbeit der Länderintegrationsbeauftragten sei gerade im Osten deutlich schwieriger als im Westen der Republik, sagt Lemmermeier. Man spüre hier noch immer besonders die fehlende Erfahrung im Umgang mit Migranten. Umso wichtiger sei die Arbeit hier.
Lemmermeier fürchtet allerdings um die Früchte ihrer Arbeit und dass sie im Strudel des Wahlkampfes untergehen könnten, wie sie sagt. "Wir haben gute Integrationsmaßnahmen auf den Weg gebracht, vor allem in der Migrations- und Sozialarbeit", zeigt sie sich überzeugt. "Mir macht Sorge, dass sie nur bis Ende 2024 befristet sind. Wir müssen dringend vor den Wahlen etwas tun."
Bekämen die Mitarbeiter in diesen Bereichen keine Beschäftigungssicherheit, würde es zunehmend schwieriger, sie zu halten, sagt Lemmermeier. Das Ende dieser Projekte wäre ein Schlag, von dem sich Integration in Brandenburg nur schwer erholen würde. Grundsätzlich, so Lemmermeier weiter, wünsche sie sich für Integrationsbeauftragte mehr Gestaltungsmöglichkeiten, etwa durch eine bessere Ausstattung oder auch ein eigenes Gesetz, das Integration mehr Verbindlichkeit und einen höheren Stellenwert geben würde.
Einige andere Bundesländer sind diesen Schritt bereits gegangen. Es sei, so Lemmermeier in ihrem Bericht, Sache der Politik zu entscheiden, ob Brandenburg dafür reif ist.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.04.2024, 08:10 Uhr