Interview | Asylrechtsexperte Daniel Thym - Abschiebungen nach Afghanistan: "Bei gut vorbereiteten Einzelfällen gibt es Spielraum"

Fr 21.06.24 | 06:03 Uhr
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Archivbild: Polizeibeamte begleiten am 30.07.2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. Deutschland schiebt vorerst keine Menschen mehr nach Afghanistan ab. (Quelle: dpa-Bildfunk/Michael Kappeler)
Video: rbb24 Abendschau | 19.06.2024 | Sascha Hingst | Bild: dpa-Bildfunk/Michael Kappeler

Seit dem Polizistenmord von Mannheim diskutiert die Politik über die Abschiebung von Schwerstkriminellen auch nach Syrien und Afghanistan. Der Asylrechtsexperte Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz ordnet ein, was rechtlich möglich ist.

rbb|24: Herr Thym, wir hören gerade von Politikern oft das Argument, das Sicherheitsinteresse Deutschlands wiege schwerer als das Schutzinteresse von straffällig gewordenen Geflüchteten. Ist das rechtlich haltbar?

Daniel Thym: Bei der Frage, ob jemand abgeschoben werden darf oder nicht, kommt es gar nicht darauf an, was die Person in Deutschland gemacht hat. Entscheidend ist, wie die Person im Herkunftsland behandelt wird. Das entscheidet darüber, ob eine Abschiebung stattfinden darf oder nicht.

Was ist rechtlich überhaupt möglich und was nicht?

Nicht möglich ist, Leute abzuschieben, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt hat, dass sie verfolgt werden und die einen Asyl- oder Flüchtlingsstatus haben. Da reden wir etwa über Frauen, die von den Taliban drangsaliert werden oder auch kritische Journalisten, die in Afghanistan gefoltert würden. Diese Menschen kann man unter keinen Umständen abschieben, das sagen die Gerichte seit Jahrzehnten. Und die Politik würde sich die Zähne ausbeißen, wenn sie versuchte, das zu ändern.

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Daniel Thym. (Quelle: IMAGO/teutopress GmbH)
IMAGO/teutopress GmbH

Zur Person: Daniel Thym

Daniel Thym, geboren 1973, studierte in Regensburg, Paris, Berlin und London und war Mitarbeiter des Walter-Hallstein-Instituts für Europäisches Verfassungsrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Seit 2010 ist er Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Direktor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA). Thym publiziert regelmäßig in deutschen und englischen Fachzeitschriften und äußert sich auch als Sachverständiger im Innenausschuss des Bundestags zu aktuellen Fragen.

Allerdings hat nur ein Teil der Menschen, die aus Afghanistan oder Syrien nach Deutschland gekommen sind, diesen Flüchtlingsstatus. Heißt das, bei anderen wäre eine Abschiebung möglich?

Da ist es unter Umständen möglich. Bei Afghanen zum Beispiel ist die Verteilung ungefähr 50:50. Die Hälfte gilt als verfolgt, da scheidet eine Abschiebung aus. Für die andere Hälfte gibt es ein Abschiebeverbot, weil die Gerichte bisher davon ausgehen, dass die Lebensbedingungen in ihrem Heimatland so schlecht sind, dass man auch Menschen, die keine Oppositionellen sind oder alleinstehende junge Männer nicht dorthin abschieben darf, weil sie im Heimatland mit Hunger und katastrophalen humanitären Verhältnissen konfrontiert wären. Und bei dieser Gruppe besteht Spielraum.

Wie genau würde dieser Spielraum aussehen?

Die Situation in Afghanistan und Syrien hat sich verbessert, und da kann die Politik versuchen, gut vorbereitete Einzelfälle vor den Gerichten auszufechten. Man müsste die Gerichte davon überzeugen, dass die Lebensbedingungen vor allem für junge, alleinstehende, gesunde Männer so sind, dass sie dort keinen Hunger leiden müssen. Man müsste dann noch gewisse Leistungen hinbekommen, dass die Menschen vor Ort unterstützt werden. Dann hat man die Chance, dass die Gerichte die Abschiebung akzeptieren - immer vorausgesetzt, diese konkrete Person wird von den Taliban nicht verfolgt.

Sie sprechen von Unterstützungsleistungen. Heißt das, Deutschland müsste beispielsweise dem mutmaßlichen Täter von Mannheim noch Geld in die Hand geben, wenn er nach Afghanistan abgeschoben wird?

So verrückt das ist, das müsste man wahrscheinlich machen. Denn die Gerichte - ob es einem gefällt oder nicht - sagen, dass die Lebensbedingungen in Afghanistan so schlecht sind, dass man es Menschen nicht zumuten kann, ohne Weiteres dahin zurückzugehen. Das heißt, man müsste ihm dann ein bisschen Startkapital geben, gegebenenfalls über Internet-Zahldienste.

Aktuell schätzt das Auswärtige Amt die Lage in Afghanistan und Syrien allerdings nicht als sicher ein. Aus der Politik kommt nun der Ruf, dies neu zu bewerten. Darüber hinaus: Welche Gesetze müssten geändert werden, um Straftäter abschieben zu können?


An Gesetze muss man gar nicht ran. Man muss einfach die bestehenden Gesetze in der Auslegung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg und auch durch die Gerichte in eine Richtung drängen, die man gerne hätte. Zum Beispiel müsste man konkret auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einwirken, gut vorbereitete Einzelfälle vor die Gerichte zu bringen. Jetzt kann vor allem die Landespolitik dem Bundesamt keine Anweisungen geben, aber eine öffentliche Debatte führt natürlich dazu, dass dort bei Einzelfällen mit einem neuen Blick hingeschaut wird.

In der Vorlage zum Thema Abschiebungen für die Innenministerkonferenz werden aber doch Gesetzesänderungen gefordert?

Hier geht es um die Frage, welche Aufenthaltserlaubnis die Menschen in Deutschland haben. Daran will die Innenministerkonferenz drehen. Das heißt aber noch nicht, dass man die Menschen dann automatisch abschieben darf. Das ist Symbolgesetzgebung, das macht die Politik immer. Sie wollen Aktivität zeigen und dann ändern sie die Gesetze. Aber es ist nicht der entscheidende Punkt.

Was ist Ihre Prognose: Wird sich an der Abschiebepraxis nach Afghanistan und Syrien schnell etwas ändern?

Es würde mich nicht wundern, wenn die Politik jetzt gezielt Ressourcen einsetzt, um vor Gericht Einzelfälle, bei denen es um die Abschiebung von Straftätern geht, bis zum Ende durchzufechten. Wenn diese Einzelfälle gut vorbereitet sind, besteht die Chance, dass man die Gerichte überzeugen kann.

Ihre Betonung liegt auf "Einzelfälle"?

Ja, denn die rechtlichen Anforderungen sind kompliziert. Wir reden nicht über Massenabschiebungen.

Herr Thym, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Müller, rbb-Landespolitik Berlin.

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 19.06.2024, 19:30 Uhr

47 Kommentare

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  1. 47.

    Ich staune das überhaupt Kommentare zugelassen werden. Bin auch für Abschiebung. Ich gehe sogar so weit. Daß Migranten die, die deutsche Staatsangehörigkeit haben und uns als Feinde ansehen, die Staatsanwaltschaft aberkannt wird. Diesen Kommentar wird wohl vielen nicht gefallen

  2. 44.

    Der Spielraum wird klein wenn es nur noch ein Dach über dem Kopf, saubere Kleidung und drei Mahlzeiten pro Tag gibt...

  3. 43.

    Zur Not werden die Dublin Ankommen in Kraft gesetzt, dann bleiben Griechenland, Spanien und Italien auf den Flüchtlingen sitzen.

    Fakt ist, dass wir die unkontrollierte Migration nicht mehr finanzieren können. Laut GG genießen nur nachweislich politisch Verfolgte Asyl. Nur sind es fast nur Wirtschaftsflüchtlinge.

    Vielleicht sollten bestimmte Bürger mal die Augen öffnen. Wir sind nicht das Sozialamt der Welt.

    Unser Asylrecht muss drastisch verschärft werden und es muss rigoros abgeschoben

  4. 42.

    "Mal droht ihnen was im Heimatland... . Ausreden gibt es genug."
    Dass sie in ihrem Heimatland ein Hungergefühl entwickeln könnten, ist doch aber wohl kejne Ausrede, ich bitte Sie! Laut diesem Interview ein realer Grund...
    Wer will den armen Menschen schon so etwas zumuten...

  5. 41.

    Wir! Wir wollen offenbar Straftäter haben. Also zumindest bestimmte Leute mit bestimmten politischen Einstellungen. Sofern man das Einstellung nennen kann. Hauptsache hierbehalten.

    Mal droht ihnen was im Heimatland, mal werden sie als Mehrtürer empfangen. Ausreden gibt es genug.

  6. 40.

    Wollen Sie mit Ihrer „grünen“ Argumentation so die AfD stärken? Und weiter Geld nach Afghanistan über Hilfsorganisationen schicken? Unser (mein) Geld? Ohne Gegenleistung?

  7. 39.

    Was für ein Aufwand. Wer sich alles um diese Abschiebungen kümmern muss und was das kostet. Und zum Schluss werden diese Leute von den Herkunftsländern nicht zurück genommen. Denn wer will schon Straftäter haben.

  8. 38.

    Allerdings.
    Dass man auch das Tun der Polizei hinterfragen darf, ist prinzipiell zu wünschen. Beschämend finde ich daran aber, dass zumindest in der Berichterstattung gern der Eindruck vermittelt wird, dass initial zunächst von einem Verschulden ausgegangen wird. Messerangreifer sind letztlich nur mit Distanzwaffen aus sicherer Entfernung zu stoppen. Und zwar frühzeitig.

  9. 36.

    Nun ja, teils, teils. Menschenverachtend ist es, hier nach uns fremden Rechtsvorstellungen beispielsweise "ehrlose" Frauen hinzurichten, weil sie sich nicht an die Normen halten, vor denen sie geflohen sind. Und dafür darf es keine Toleranz geben. Wer hiesiges Recht mit Füßen tritt, der muss sich schlimmstenfalls lebensgefährliche Konsequenzen für dich selbst hinnehmen. Es muss niemand Straftaten begehen.

  10. 35.

    "Dabei ist es egal ob dort die Todesstrafe droht, die Menschenrechte missachtet werden oder Folter an der Tagesordnung ist."
    Wenn es nur das wäre - dem Interview entnehme ich ja, dass demjenigen in seinem Heimatland auch kein Hunger drohen darf - und schon ist keine Abschiebung möglich...

  11. 34.

    Prima, dass sich die Straftäter, um die es hier geht, auch so tiefschürfende Gedanken machen... Die sch... auf unseren Rechtsstaat bzw. Nutzen ihm zu ihren Gunsten aus. Wollen wir das für alle Zeiten akzeptieren?

  12. 33.

    Ihre Ansicht wäre eine Wiedereinführung der Todesstrafe durch die Hintertür. Indem man die - möglicherweise resozialisierbaren! - Täter den Terrorregimes anderer Länder aussetzt. Das ist menschenverachtend, unmenschlich.

  13. 32.

    Abschiebung von Straftätern. Ich sehe da kein Problem. Jedem Flüchtling sollte klar sein. Wer Straftaten begeht sollte wissen, er wird dorthin zurückgeschickt wo er hergekommen ist. Dabei ist es egal ob dort die Todesstrafe droht, die Menschenrechte missachtet werden oder Folter an der Tagesordnung ist. Er gehört dorthin abgeschoben. Jeder Flüchtling hat es selbst in der Hand.

  14. 31.

    Ich glaube fast die Politiker wollen gar nicht mehr regieren.
    Sie schaffen sich selber ab.

  15. 30.

    Es klingt immer so einfach „einfach abschieben“ allerdings nur bei Populisten oder Menschen, die bereit sind deutsches Recht zu brechen. Wir sind ein Rechtsstaat und daher gibt es feste Regeln.
    Was nicht im Artikel steht: Deutschland hat die Takiban in Afghanistan politisch nicht anerkannt. Das müsste erstmal geschehen bevor - theoretisch - abgeschoben werden könnte. Wir müssten erstmal fanatische Islamisten unterstützen, um dann zu hoffen, dass diese unsere Abzuschiebenden aufnehmen WOLLEN.

  16. 29.

    Es tut mir leid, aber wer hier Schutz sucht und sich nicht an die einfachsten Regeln hält, sondern straffällig wird, muss abgeschoben werden, egal ob er verfolgt wird oder nicht. Das ist meine Meinung.

  17. 28.

    Eigentlich stört mich der Verweis auf den schrecklichen Polizistenmord von Mannheim.
    Was war denn mit den ganzen Opfern davor?
    Plötzlich sind Syrien und Afghanistan so ,halb-sichere Länder'?

    Oder ist es schlicht-und-ergreifend eigentlich ,nur' die Angst vor den Erfolgen der AfD?
    M.E. wird es (fast) keine Abschiebungen und diese ganze Diskussion ist reines Wahlkampftgeplänkele!

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