Antisemitismus an Berliner Hochschulen - "Dieser Griff an die Davidstern-Kette, ob sie offen liegt oder verdeckt ist"

Di 08.04.25 | 08:59 Uhr | Von Oda Tischewski
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Symbolbild:Vorderansicht Person mit Davidstern Anhänger.(Quelle:picture alliance/imagebroker/O.Latkun)
Audio: rbb24 Inforadio | 08.04.2025 | Oda Tischewski | Bild: picture alliance/imagebroker/O.Latkun

Die Proteste sind abgeflaut, die Camps abgebaut – doch die Stimmung an den Berliner Hochschulen ist weiterhin gereizt: Jüdische Studierende berichten weiter von Angst, Ausgrenzung und offenem Antisemitismus. Von Oda Tischewski

In den vergangenen Wochen scheint es still geworden zu sein um die pro-palästinensischen Proteste an Berliner Hochschulen. Von Hörsaalbesetzungen und Protest-Camps war nichts mehr zu hören, Debatten wie die um die Einladung der umstrittenen UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, liefen eher geordnet ab. Hat sich die Lage an den Hochschulen beruhigt?

Jüdische Studierende erheben schwere Vorwürfe

Ron Dekel ist im Februar zum neuen Präsidenten der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) gewählt worden und gerade von München nach Berlin gezogen. Für ihn ist die gegenwärtige Ruhe vor allem den äußeren Umständen geschuldet: "Das Einzige, was in der Zwischenzeit passiert ist, sind der Winter und die Semesterferien. Die Camps sind abgebaut worden, aber der Antisemitismus, den die Proteste in die Universitäten reingebracht haben, der ist geblieben, da hat sich nichts geändert. Das liegt auch daran, dass die Universitäten sich nicht klar positioniert haben. Und weil sie sich nicht klar positioniert haben, können sich Jüdinnen und Juden nicht sicher fühlen."

Ron Dekel sitzt vor der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Quelle: picture alliance/SZ Photo/Catherina Hess).
Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) | Bild: picture alliance/SZ Photo/Catherina Hess

Es sind schwere Vorwürfe, die die JSUD gegen die Hochschulen erhebt. Und es sind bedrückende Szenarien, die Ron Dekel beschreibt – der Angriff auf Lahav Shapira war für ihn eine absehbare Eskalation. "Zu diesem Zeitpunkt hatte die Aggressivität schon immer weiter zugenommen - auf dem Campus, aber auch drumherum. Viele jüdische Studierende haben sich vorher schon nicht an die Universitäten getraut. Darum muss man leider sagen, dass das nicht überraschend war."

"Das gefährdet die Wissenschaftsfreiheit"

Er sieht in der Atmosphäre an den Hochschulen eine Bedrohung - nicht nur für einzelne Personen: "Ich höre von vielen Mitstudierenden, dass man sich nicht mehr so offen zeigen will. Dieser Griff an die Brust, um zu gucken, ob meine Davidstern-Kette offen liegt oder vom Pullover verdeckt wird, den kannte ich bisher nur von nächtlichen U-Bahn-Fahrten - seit dem 7. Oktober kommt es gehäuft auch im universitären Kontext zu diesem Griff, nicht nur bei mir. Ich kenne Studierende, die sich ihre Lehrveranstaltungen nicht mehr danach aussuchen, was sie interessiert, sondern danach, wo sie stattfinden. Wo sind Leute, die mir vielleicht gefährlich werden können? Und das gefährdet die Wissenschaftsfreiheit!"

Die Freie Universität Berlin, an der Lahav Shapira und der mutmaßliche Täter studieren, bestreitet, sich nicht ausreichend gegen Antisemitismus auf dem Campus positioniert zu haben. So seien Ansprechpartner geschaffen, Gespräche geführt, Workshops angeboten, nach physischen Angriffen aber auch Hausverbote ausgesprochen worden, heißt es schriftlich aus der Pressestelle. "Unsere Universität [sic] nimmt ihre Verantwortung sehr ernst, sie unternimmt alles in ihren Möglichkeiten, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle Studierenden, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, sicher und respektiert fühlen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Antisemitismus und Diskriminierung nicht allein über Sanktionen bekämpft werden oder verhindert werden können. Die Hochschule steht vor der Herausforderung, gleichermaßen die Meinungsfreiheit der Studierenden zu schützen und ein sicheres Umfeld für alle Mitglieder der akademischen Gemeinschaft zu gewährleisten."

Änderungen am Hochschulgesetz

Nach dem Angriff auf Lahav Shapira wurde das Berliner Hochschulgesetz geändert: Schon zuvor sah das Gesetz vor, dass Universitäten auf eine "diskriminierungsfreie Bildung" hinzuwirken haben. Doch die Änderung, die im Juli 2024 in Kraft trat, gibt den Hochschulen weiterreichende Sanktionsmöglichkeiten: Seither können die Hochschulen Studierende bei schwerem Fehlverhalten nicht nur rügen, zeitweise von Lehrveranstaltungen ausschließen oder ihnen Hausverbote erteilen, sondern sie in letzter Konsequenz auch exmatrikulieren.

Diese Ordnungsmaßnahmen waren erst 2021 aus dem Hochschulgesetz gestrichen worden, nun müssen die einzelnen Universitäten Satzungen verabschieden und sogenannte Ordnungsausschüsse bilden, um die Sanktionen rechtssicher aussprechen zu können. Bislang - so die Senatsverwaltung für Wissenschaft - sei aber noch an keiner der elf Hochschulen des Landes Berlin ein entsprechendes Statut in Kraft getreten.

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.04.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

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74 Kommentare

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  1. 74.

    Hinweis an Susi Sorglos:
    Diese Dokumentation kommt im Öffentlich-Rechtlichen Programm und äußert Kritik an der rechten extremen Regierung in Israel. Und DAS ist kein Antisemitismus.

  2. 72.

    Ich bin Mensch. Ich wähle meine Worte immer sehr sorgsam und Sie entspringen immer meinen Gedanken. Ich treibe kein Spiel, sondern ich schreibe meine freie Meinung, die ich mir nach reiflichem Studium der Umstände gebildet habe. Ich höre gerne Gegenargumente und lerne daraus und passe meine Meinung ggf. an. Was genau wollten Sie mir eigentlich sagen?

    Ich stehe zu den jüdischen Menschen in unserem Land. Antisemitismus und jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind mir ein Graus. Ich bin froh, dass im Falle Lahav Shapira ein Täter gefasst werden konnte und dass er verurteilt wird.

  3. 71.

    Ich kann nur meine uneingeschränkte Solidarität mit allen Menschen dieser Gesellschaft demonstrieren, auch ich stehe uneingeschränkt hinter dieser religiösen Minderheit. Niemand sollte das Recht haben, andere zu entmenschlichen, schon gar nicht in unserer Demokratie. Wer sich dazu hinreißen lässt, sollte Grenzen aufgezeigt bekommen, nie wieder Menschenhass in dieser Art und Weise an deutschen Universitäten, nie wieder Gleichgültigkeit in der Gesellschaft.
    Nie wieder Verharmlosung und Schuldumkehr.

  4. 70.

    Es geht im Beitrag um Menschenhass in Deutschland, ich weiß nicht, warum Sie das nicht lesen können, ich konnte es gut erkennen. Also es geht um die Freiheit einer religiösen Minderheit in Deutschland, der man hier mit Gewalt und ohne Respekt vor dem GG einfach mit Gewalt die Rechte einschränken möchte.

    Oder kommentieren Sie unter dem falschen Beitrag? Wäre ja möglich.

  5. 69.

    Das ist doch Schwachsinn. Selbstverständlich kann und muss diese Regierung kritisiert werden für das, was in Gaza an menschlichem Leid geschieht . Und ich glaube kaum, dass der rbb im Sinne dieser rechten Regierung berichet bzw. wertet.

  6. 68.

    Es geht hier im Artikel um Gewalt gegen Juden in Deutschland. Die Angst, den Davidstern offen zu tragen.

  7. 67.

    Ich muss noch was nachschieben: Die Hochschulleitungen finde ich schwach. Wer antisemitisch agiert und noch Gewalt anwendet oder nur androht, gehört von der Hochschule entfernt. Da geht es viel zu lasch und verständnisvoll zu. Der propalästinensische Brief der Hochschullehrenden zum Gazakrieg war unpassend und hat m.E. die folgenden Besetzungen und Zerstörungen in Schulgebäuden eher noch herbeigeführt.

  8. 64.

    Jüdische Studenten in Deutschland, also Deutsche und ihre Angst sind ihnen egal? Darum geht es doch im Beitrag. Hier unter uns in unserem Land. ihr Kommentar ist irgendwie weit ab vom Verstehen des Inhaltes, es geht um Gewalt gegen Juden in Deutschland, deutsche Juden. Warum werden die hier angegriffen und von Unis gemobbt?

    Hauptsache man schreibt irgendwas gegen Israel, aber warum? Warum? Warum schreibt man nichts gegen die Hamas? Komisch, oder?

  9. 63.

    Achten Sie auf Ihre Worte, sie entspringen Ihren Gedanken. Antisemitismus ist immer erkennbar und ich weiß nicht, ob Sie hier nur ein Spiel treiben oder unüberlegt irgendetwas in den Raum stellen.

    Wer Haltung zeigen will und kann, der sollte es tun, damit jüdische Deutsche wissen, dass wir hinter Ihnen stehen, es sind unsere Schwestern und Brüder, Deutsche und ich sehe keinen Zusammenhang zu einer Demokratie woanders. Ich sehe aber viel Relativierung und Schuldzuweisung und Verdrehung der Wahrheit und das ist klar und deutlich Antisemitismus. Mensch zu sein, ist eigentlich so einfach.

  10. 62.

    Ich schließe mich - uneingeschränkt - Ihrem Kommentar an und kann somit Susi Sorglos auch nur zustimmen.

  11. 61.

    Antisemitismus fängt immer damit an, ohne Wissen Israel zu kritisieren. Das dürfen Sie auch. Aber was hat das mit dem Antisemitismus in Deutschland zu tun, Menschenhass? Wie bauen Sie eine Verbindung zu Gewalttätern, die in Deutschland Juden töten wollen? Die öffentlich dazu aufrufen. Wieso kritisieren Sie Israel, bemerken aber nicht, dass das iranische Regime Israel und alle Juden auslöschen will, denn das ist doch das Thema. Sie kritisieren Israel, obwohl Geiseln, deutsche Geiseln durch die Hölle gehen, Sie kritisieren Israel und vergessen, dass man eigentlich die Hamas kritisieren müsste und ja, das ist Antisemitismus, gut und klar erkennbar und sich dahinter zu verstecken, man hätte ja Mitleid, ja aber, aber was? Sie tragen die Verantwortung für Ihre Worte, nicht ich.

  12. 60.

    Toffelchen, wie ist denn Ihre Meinung zur Politik der rechtsextremen Regierung unter Netanjahu? Wetten, Sie geben keine Antwort auf meine Frage!

  13. 59.

    Ich beziehe die Kommentare eigentlich auf den Antisemitismus in Deutschland, oder haben Sie den Beitrag nicht lesen können?

    Oder bezieht sich Ihr Kommentar auf das Regime im Iran? Warum eigentlich nicht? Sie haben eine seltsame Sicht von Demokratien und Theokratien.

    Antisemitismus kommt immer mit der Kritik an einer Demokratie, obwohl die Kritik am Iran, an den Hisbollah, an der Hamas, an dem IS eigentlich eher angebracht wäre. Stoppt den Antisemitismus.

  14. 58.

    Danke für die netten Worte! Ich bin ein friedliebender Mensch und versuche mich freundlich auszudrücken. Ich bin erstaunt und dankbar, dass bei diesem Thema überhaupt die Kommentarfunktion offen ist.

  15. 57.

    Ich habe die Gewalt gegen Juden hier jederzeit verurteilt und habe gesagt, dass ich mich dafür schäme. Und ich bin sehr traurig über die rechtsextreme Regierung in Israel. Gerne würde ich hören, dass auch Juden hier in Deutschland sich davon distanzieren.

    Was ich bekommen habe? Mir wurde Antisemitismus vorgeworfen. Sie werfen mir Relativierung vor...

  16. 56.

    Warum verurteilen Sie dann die Gewalt gegen jüdische Studenten nicht einfach?
    Ohne jedes Wenn und Aber? Oder glauben Sie, dass die gegenwärtige israelische Regierung hier ermöglicht, zu relativieren?

  17. 55.

    Susi Sorglos. Sie schreiben klug und fundiert. Ärgern Sie sich nicht zu sehr. Die Reaktionen auf Ihre Zeilen bestärken mich im meiner Meinung: So lange immer wieder Kritik an der Regierung Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, dürfte hier jeder Kommentar vergebliche Müh sein.
    Ich befürchte, dass Leute, wie ihre Kritiker, eingentlich nur möchten, dass die Kommentarfunktion geschlossen wird.