Europawahl in Berlin und Brandenburg - AfD will "Brandmauer abbauen" - BSW sieht "kühnste Erwartungen" übertroffen
Nach der Wahl sind AfD, CDU und BSW in Berlin und in Brandenburg in Feierlaune, deutlich schlechter ist die Stimmung bei den Wahlverlierern von SPD und Grünen. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke übte Kritik an der SPD-Bundesspitze.
Nach der Europawahl hat der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Bundesregierung zu einem Kurswechsel aufgerufen. Der Ausgang der Wahl sei ein deutliches Zeichen an die Ampel-Regierung, ihre Politik endlich zu ändern und auf die Sorgen der Menschen zu reagieren, sagte Wegner am Montag. "Der Dauerstreit in der Bundesregierung richtet großen Schaden an, immer mehr Menschen wenden sich den extremen Parteien zu. Die Wahlergebnisse für die AfD müssen wir alle sehr ernst nehmen." Deutschland brauche dringend einen Neustart in der Migrationspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Sicherheitspolitik. "Und das kann nur mit einer starken CDU in Regierungsverantwortung gelingen", sagte Wegner.
"Die Union ist bei dieser Europawahl ganz klar stärkste Kraft geworden", sagte Wegner. "Auch in Berlin gewinnt die CDU bei der Europawahl immer mehr Vertrauen." In der Hauptstadt legte die CDU im Vergleich zur Europawahl 2019 zwar leicht zu, aber nur auf 17,6 Prozent und musste sich mit dem zweiten Platz zufriedengeben. Deutschlandweit holte die CDU 23,7 Prozent der Stimmen und verbesserte ihr Ergebnis um 1,1 Prozent leicht. Bundesweit liegen CDU/CSU bei 30 Prozent.
Die AfD erreichte bei der Wahl am Sonntag 15,9 Prozent. In allen ostdeutschen Ländern wurde sie stärkste Kraft. Die Berliner Landesvorsitzende der AfD, Kristin Brinker, zeigte sich erfreut über das Abschneiden ihrer Partei. Dem rbb sagte sie, dass die AfD in Berlin "weiter nach oben" wachse und dem Bundestrend "so langsam nachfolge". In Berlin erreicht die AfD 11,6 Prozent.
Brinker sprach davon, dass die AfD im Westen Berlins "Nachholbedarf" habe. Sie betonte aber, dass ihre Partei in drei Ost-Bezirken vorne liegt. Mit Blick auf zahlreiche Enthüllungen über Treffen von Rechtsextremen und Russland-Kontakten von AfD-Funktionären sprach die AfD-Landesvorsitzende von einer "unfassbaren Diffamierungskampagne". Das habe sicherlich auch dazu geführt, dass das Ergebnis nicht so gut ausgefallen sei, wie es frühere Umfragen angedeutet hätten.
Der Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzende, Hans-Christoph Berndt, forderte die anderen Parteien auf, "ihre Brandmauern gegen die AfD abzubauen". "Wir werden nichts an unserer Strategie ändern", sagte Berndt am Montag in Potsdam. Die Europawahlen hätten gezeigt, dass die AfD gerade bei jüngeren Wählerinnen und Wählern auf Zuspruch stoße. Der Verfassungsschutz stuft den Brandenburger AfD-Landesverband als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, den Fraktionsvorsitzenden Berndt als rechtsextremistisch. In Brandenburg erhielt die AfD bei der Europawahl 27,5 Prozent der Stimmen und schnitt als stärkste Kraft ab.
Der Brandenburger CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann schloss weiterhin jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus, auch auf kommunaler Ebene. Ähnlich äußerten sich die Vertreterinnen und Vertreter der SPD, Grünen, Linken sowie BVB - Freie Wähler. Maßgeblicher Grund dafür ist die radikale Ausrichtung der Partei.
Die SPD kam bei der Europawahl am Sonntag mit 13,9 Prozent (-1,9 Prozent) nur noch auf den dritten Platz. Dieses ohnehin schon schlechte Ergebnis wurde in Berlin mit 13,2 Prozent noch einmal unterboten. Nach Auffassung der Berliner SPD-Landeschefin Nicola Böcker-Giannini war die Ausrichtung des Wahlkampfes die zentrale Ursache für Wahlschlappe ihrer Partei. "Wir haben Frieden, Freiheit und gegen Rechts sehr stark plakatiert. Das sind ja die Dinge für die die SPD sowieso immer steht. Das ist Kern-DNA", so Böcker-Giannini gegenüber dem rbb. Die Partei habe es aber versäumt die Themen "darüber hinaus" zu setzen, sagte sie und führte den Mindestlohn als Beispiel an.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kritisierte nach der Wahl die SPD-Spitzenpolitiker auf Bundesebene. Es sei ein Ergebnis, mit dem man nicht zufrieden sein könne, so Woidke im Interview mit rbb|24 am Montag. Woidke, der auch SPD-Landesvorsitzender in Brandenburg ist, forderte eine kritische Aufarbeitung seitens der SPD-Spitze. "Die Kampagne ist nicht gut gelaufen, die Botschaften sind nicht angekommen", so Woidke. "Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesebene es schafft, mehr Stabilität und Zuversicht zu transportieren."
Bezüglich der Landtagswahlen im September gab sich Woidke hingegen zuversichtlich. "Ich bin optimistisch, was die Landtagswahl angeht. Es ist eine völlig andere Ebene. Da werden wir ein völlig anderes Ergebnis haben", so Woidke.
Bündnis 90/Die Grünen mussten bei der Europawahl die größten Verluste hinnehmen: Bundesweit stürzte die Partei auf 11,9 Prozent ab (-8,6 Prozent). Die Brandenburger Landesvorsitzende der Grünen, Alexandra Pichl, erklärte die deutlichen Verluste ihrer Partei mit einer veränderten Stimmung im Land. Die Wahlen 2019 seien noch nicht überschattet gewesen von den Folgen durch eine Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Man habe dennoch einige Grünen-Hochburgen verteidigen können, so Pichl. Mit Hinblick auf den Wahlerfolg der AfD sagte Pichl: "Es ist ein besorgniserregendes Ergebnis, wenn ein Drittel der Brandenburger eine rechtsextreme Partei wählt."
Die Grünen in Berlin führen ihre schweren Stimmenverluste bei der Europawahl auf die Performance der Ampelkoalition im Bund zurück. "Es bringt jetzt aber nichts, mit dem Finger aufeinander zu zeigen", sagte der Berliner Landesvorsitzende Philmon Ghirmai dem rbb. Wichtig sei, dass die Grünen stattdessen "intern" nach Gründen suchten und Politik für die Menschen machten. Er mache "keinen Hehl" daraus, dass man sich insgesamt ein besseres Ergebnis gewünscht hätte, sagte Ghirmai. Gleichwohl seien die Grünen bei dieser Wahl stärkste Kraft in Berlin geblieben. Mit 19,6 Prozent liegt die Partei in ihrer Hochburg Berlin deutlich über dem Bundesergebnis.
Der fraktionslose Berliner Abgeordnete Alexander King, der dem Bündnis Sahra Wagenknecht angehört, sprach davon, dass der Wahlausgang seine "kühnsten Erwartungen" übertroffen habe. Das BSW war erstmals zu einer Europawahl angetreten und hatte bundesweit 6,2 Prozent der Stimmen erhalten. "Mit so einem tollen Ergebnis in Berlin habe ich gar nicht gerechnet", sagte King dem rbb. Das BSW fülle "eine politische Lücke" und das sei auch die Absicht der Neugründung gewesen.
Als einen Grund für den Erfolg seiner politischen Formation, die aus dem Stand 8,7 Prozent in Berlin erreichte, nannte der Abgeordnete den Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Er habe beobachtet, dass die "Friedensfrage" gerade im Ostteil der Stadt viele Menschen beschäftige. Wähler hätten zudem Sorgen vor dem wirtschaftlichen Abstieg und sähen die Meinungs- und Diskursfreiheit bedroht. Insbesondere bei den Parteien der Ampel vermissten die Wählerinne und Wähler die richtigen Antworten, so King.
Der Landesvorsitzende der Berliner FDP, Christoph Meyer, schrieb auf "X" (ehem. Twitter), die FDP habe dem enormen Druck von rechts und links entgegentreten können, "da wir wie keine andere Partei für Sicherheit, Freiheit & Demokratie einstehen - was am Ende auch honoriert wurde", so Meyer. "Das vorläufige Ergebnis ist eine solide Basis für die Wahlen 2025."
Bundesweit kamen die Liberalen auf 5,2 Prozent (-0,2 Prozent).
Angesichts ihres Einbruchs des Wahlergebnisses der Linken sprach der Landesvorsitzende der Berliner Linken, Maximilian Schirmer, von einem "Desaster". Die Partei erzielte bundesweit ein Ergebnis von 2,7 Prozent (-2,8 Prozent), deutlich weniger als in Berlin (7,3 Prozent) und in Brandenburg (4,4 Prozent). "Wir müssen uns in nächster Zeit einige schwerwiegende und ehrliche Fragen stellen, wie wir uns für die Zukunft aufstellen wollen", sagte Schirmer dem rbb. Seine Partei habe einiges aufzuarbeiten, räumte der Landesvorsitzende ein. "Wir sind mit den Themen kostenlose Bildung europaweit, ein guter Mindestlohn oder auch steigende Kosten in den Supermärkten nicht durchgedrungen." Die Linke müsse "schonungslos" die Lage analysieren und sich überlegen, wie sie wieder näher an die Menschen herankomme.
Die Landesvorsitzende der Brandenburger Linken, Katharina Slanina, sagte mit Hinblick auf das Bündnis BSW, dieses habe bisher kein wirkliches Programm anzubieten. Trotzdem lasse sich das "Ergebnis der Linken auf Europaebene nicht schönreden", so Slanina. Wahlforschern zufolge hat die Linke durch die Abspaltung des Bündnisses zahlreiche Unterstützer verloren.
Sendung: rbb24 Spezial, 10.06.2024, 20:15 Uhr