Geld aus Saudi-Arabien - Der deutsche Sport zwischen Pragmatismus und Goldgräberstimmung
Aus Saudi-Arabien strömt das Geld in den europäischen Spitzensport. Dem Wüstenstaat geht es dabei längst nicht nur um "Sportswashing". Auch der deutsche Sport sieht sich zunehmend der Frage gegenüber, wie er auf das Geld vom Golf reagiert. Von Shea Westhoff
Plötzlich war das saudische Geld, von dem alle reden, ganz real. Für Bob Hanning bedeutete es, dass er seine Hoffnungen auf den ersehnten neuen Rückraumspieler für seine Füchse Berlin begraben musste. “Wir hatten tatsächlich Interesse an André Gomes”, bestätigt der Geschäftsführer am Telefon. Doch dann stieg der saudi-arabische Handballverein Al Safa in den Poker um den Spieler von MT Melsungen ein.
Das Angebot aus Saudi-Arabien habe das der Berliner “um ein Vielfaches überstiegen”, so Hanning. Der Portugiese Gomes entschloss sich gegen ein Engagement beim deutschen Titelaspiranten in der wohl besten Liga der Welt – und für einen Wechsel in eine unbekannte Stadt am Persischen Golf.
Hanning nimmt es pragmatisch
"Ich bin da tiefenentspannt", sagt Hanning und fügt in gewohnt spitzfindiger Hanning-Manier hinzu: "Ein Spieler, der sich für Saudi-Arabien entscheidet, entscheidet sich auch für die Beendigung seiner Karriere." Die Aufregung um die astronomischen Summen, die die Saudis in die westliche Sportwelt spülen, hält Hanning für Bohei. "Mir ist Saudi-Arabien egal. Wenn sie mir fünf Stars für horrende Ablösesummen weg kaufen würden, dann habe ich fünf neue, junge Spieler auf der Liste, bei denen ich mich freuen würde, wenn sie bei mir spielen."
Bob Hanning nimmt es pragmatisch. Vielleicht ist es die angemessene Haltung - weil das Geld aus Saudi-Arabien dem deutschen Sportmarkt am Ende sogar nützen könnte? Andererseits herrscht Unklarheit über die Agenda des Wüstenstaats. Die Frage ist: Was sind die Motive? Wie wollen die Saudis Einfluss nehmen auf die Sportwelt, und was bedeutet das für den deutschen Spitzensport?
Drei Ebenen der saudi-arabischen Investments
Rückblick auf den Oktober 2021. Obwohl Newcastle United im Tabellenkeller der Premier League feststeckt, feiern die Fans des Traditionsklubs am Stadion St. James Park. Denn gerade machte die Meldung die Runde, dass der Verein für rund 360 Millionen Euro an einen neuen Eigentümer verkauft wurde, und nun der reichste Fußballklub der Welt ist. Neuer Vorstand ist Yasir Al-Rumayyan, ein gutaussehender Geschäftsmann mit graumeliertem 10-Tage-Bart. Er ist ein Vertrauter des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und Gouverneur des PIF (Public Investment Fund), dem saudi-arabischen Staatsfonds. Dieser hat den Zweck, den Reichtum des Landes zu sichern und zu mehren. Geschätzte Reserven: 650 Milliarden Dollar.
Der Kauf des nordenglischen Fußballklubs war der erste Ton eines Dreiklangs von Investitionen in den Sport, glaubt der in Berlin lebende Experte Sebastian Sons, der seit rund 20 Jahren intensiv zur Golfregion forscht und aktuell beim Bonner Nahost-Thinktank "Carpo" tätig ist.
Katar und die Emirate als Vorbild
"Saudi-Arabien hat sehr genau hingeschaut, wie es Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch China im Sport gemacht haben und will aus all diesen Modellen das beste zusammenfügen", sagt Sons. Das bedeutete zunächst den Kauf eines mittelmäßigen Fußballteams mit großem Potenzial, wie es zuvor auch die Kataris mit Paris Saint-Germain und die Emirate mit Manchester City vollzogen hatten.
Der zweite Ton sei der Aufbau einer eigenen schlagkräftigen Liga durch schillernde Transfers mit horrenden Gehältern, bei denen sich teilweise auch der gestählteste Athlet erweichen lässt. Außer den einstigen Weltfußballern Cristiano Ronaldo und Karim Benzema schloss sich zuletzt auch unter anderem die einstige Hoffnung des FC Bayern, Sadio Mané, einem saudischen Topklub an.
Saudi-Arabien verfüge dabei über einen Vorteil gegenüber anderen investitionsfreudigen Staaten, glaubt Sons: einen nicht ausgeschöpften Markt. "Das Land hat 30 Millionen Einwohner, viele sind fußballbegeistert. Das Potenzial ist dort sehr viel höher als etwa in Katar, sich eine Liga aufzubauen, die sich tragen kann, und dann auch in Regionen wie Afrika oder Asien stärker frequentiert werden dürfte."
"Sportswashing"-Vorwurf zu eindimensional
Und dann der letzte Ton, der in Europa oft überhört wird: "Der Einstig in den Sport hat auch eine gesellschaftliche Komponente. Man will die heimische Bevölkerung am Fortschritt teilhaben lassen, indem man ihr Brot und Spiele liefert." Dabei liege der Schwerpunkt auf dem Fußball, weil dieser dort schlicht die beliebteste Sportart sei.
Der Aufbau einer eigenen Topliga und der Kauf eines europäischen Erstligavereins, das brachte den Saudis zuletzt immer wieder den Vorwurf des sogenannten "Sportswashings" ein, dass also sportlicher Glanz die dramatischen Menschenrechtsverstöße in der Heimat überstrahlen solle. "Das könnte ein Aspekt sein, aber dieses Erklärmuster ist zu eindimensional", sagt Sons.
Das entscheidende Motiv sei vielmehr, die saudische Wirtschaft zu diversifizieren. "Die Ära des Erdöls wird sich einmal dem Ende zuneigen." Dann werde die Hauptfrage sein, ob das Land in prosperierende Geschäftsfelder investiert habe. Der Sport könnte dafür ein Schlüssel sein. “Man sieht zum Beispiel in Manchester, dass die Emirate im Zuge des Einstiegs bei Mancity auch verstärkt in den Immobilienmarkt der Stadt investiert haben", so Sons. Manchmal berühre der Sport sogar eine politische Dimension. "Die Übernahme von Paris Saint-Germain zog eine deutliche Verbesserung der sicherheitspolitischen oder wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Katar und Frankreich nach sich."
Es gehe um Netzwerke und neue Beziehungen, weniger um Image.
Golfsport abhängig von saudi-arabischem Geld
Wie Saudi-Arabien sogar eine ganze Sportart auf links drehen kann, zeigte sich im Golfsport. Mit einer eigenen Turnierserie lockte das Land für Fabelsummen einige der weltbesten Profis in den Wüstenstaat. Um nicht gänzlich auf das Abstellgleis zu geraten, beschloss die traditionsreiche US-Golforganisation PGA Tour, mit der saudischen Golfliga zu fusionieren – und untersteht dieser nun faktisch. Man könnte auch sagen: Saudi-Arabien hat sich einen Sport gekauft.
Der Geldstrom aus Saudi-Arabien ist breit und fließt zunehmend in weitere Sportarten, ob direkt oder indirekt. Außer Golf und Fußball sind das etwa Tennis, die Formel 1, der Pferdesport - oder eben der Handball.
Füchse spielen Top-Turnier in Saudi-Arabien
Just zu Wochenbeginn verkündeten Bob Hannings Füchse Berlin, dass sie eine Wild Card für die Teilnahme am IHF Super Globe erhalten haben (7.-12. November). Es ist die Weltmeisterschaft der Klubmannschaften, mit Topteams wie SC Magdeburg, dem polnischen Kielce oder dem nordamerikanischen Kontinental-Gewinner San Francisco Calheat. Die Bühne für die weltbesten Handballklubs wird wieder einmal Saudi-Arabien bereiten, das den Austragungsort stellt.
“Wir haben nicht die Einladung von Saudi-Arabien angenommen, sondern die des Handball-Weltverbands", betont Bob Hanning gegenüber rbb|24. Eine Gefahr der zunehmenden Abhängigkeit vom Geld aus dem Wüstenstaat, wie es im Golfsport etwa der Fall war, sehe er für den Handball nicht.
Anruf eines saudischen Topklubs
Ähnlich unbeeindruckt vom neuen Player im Sport gibt sich auch Stefan Backs. Er ist Spielerberater und Mitgründer einer Agentur, bei der unter anderem Torhüter Alexander Nübel unter Vertrag steht. "In erster Linie bin ich Dienstleister für die Spieler, so etwas wie ein Makler", sagt Backs. Bei einem vorliegenden Angebot aus Saudi-Arabien informiere er seine Spieler und wolle nicht im Vorfeld kuratieren, welche Offerten "ich durchlasse und welche nicht".
Unlängst, so berichtet Backs, habe einer der vier großen arabischen Vereine, die sich alle in staatlichem Eigentum befinden, tatsächlich Interesse an einem seiner Klienten bekundet, es ging um einen Trainer. Um wen es sich genau handelte, sagt der Spielerberater nicht. Letztlich sei das Angebot für den Klienten nicht in Frage gekommen.
"Das kann den Markt verändern"
Backs glaubt: "Wenn die Investoren aus Saudi-Arabien das durchziehen und durchhalten, dann kann das den Markt hier verändern." Die Bundesliga habe sich mit ihrer 50+1-Regel für den Ausschluss von Investoren entschieden. Damit, so Backs, seien deutsche Vereine nicht wettbewerbsfähig mit Klubs, die über Investoren verfügen, welche massiv Geld hineinpumpen würden, auch Geld aus Saudi-Arabien.
Am Ende gehe das auf Kosten der Attraktivität des Sports in Deutschland, weil die Superstars woanders hingingen. "Noch sind die Bundesliga-Stadien alle ausverkauft. Man darf gespannt sein, wie lange noch."
Union-Berlin-Präsident Dirk Zingler gab unlängst zu verstehen, dass er keinerlei Bedenken habe, den Markt in Richting Saudi-Arabien zu öffnen: "Dass die arabische Welt, die Golfregion, den westlichen Demokratien in den nächsten Jahrzehnten den Rang ablaufen wird, ist ja nun so sicher wie das Amen in der Kirche", sagte er im Trainingslager in Österreich unlängst der DPA. Auf diese Veränderungen müsse man sich einstellen. "Regionen entwickeln sich unterschiedlich, so entwickelt sich auch Sport."
"Kuchen wird kleiner"
Noch mal zurück zu Sebastian Sons, dem Experten. "Es wird ein Problem geben, wenn das Geld im Fußball knapp wird und die Vereine auf staatliche Gelder zurückgreifen müssen, um Löcher zu stopfen. Und diesen Trend sehe ich”, sagt er. Die Vereine in Saudi-Arabien seien an keinerlei Financial-Fair-Play-Regeln gebunden, könnten deswegen astronomische Gehälter zahlen, die außerhalb jeglicher Konkurrenz für europäische Normalsterbliche stehen.
Schon jetzt seien Teile der europäischen Fußballelite von Golf-Investoren übernommen worden. "Der Teil vom Kuchen wird immer kleiner, dementsprechend gibt es die Notwendigkeit vom europäischen Fußball, darauf zu reagieren."
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.08.2023, 12:15Uhr