Tabellenletzter - Welchen Anteil hat Oliver Ruhnert an der Union-Misere?
Nach einem Drittel der Saison ist Union Berlin Tabellenletzter. Von den hochveranlagten Neuzugängen ist bisher keiner eine Verstärkung. Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert ist für die Kaderplanung verantwortlich. Von Till Oppermann
Geht man nach den Fotos der Bildatenbank "Imago", ist Oliver Ruhnert ein sehr einsamer Mann. Auf den meisten Bildern aus den letzten Wochen sitzt Unions Sport-Geschäftsführer nach einer Niederlage alleine auf einer Auswechselbank und starrt ins Leere. Gründe, um nachdenklich zu sein, hat er genug.
Nach der 0:4-Schlappe in Leverkusen sind die Champions-League-Teilnehmer aus Köpenick nach neun Niederlagen in Serie auf dem letzten Platz der Bundesliga angekommen. Und weil das im Fußball eben so läuft, wird schon längst über die Zukunft von Trainer Urs Fischer diskutiert. Sein Chef Ruhnert steht weniger im Fokus. Dabei fallen einige der Ursachen für die Union-Misere in seinen Aufgabenbereich.
Qualität reicht nicht einmal für Punkte in der Liga
Mit Stars wie Ex-Nationalspieler Kevin Volland, Europameister Leonardo Bonucci und Rekordeinkauf Robin Gosens wollte Ruhnert den Kader im Sommer für die Champions League rüsten. Das ist misslungen. Aktuell reicht Unions Qualität noch nicht einmal für Punkte in der Bundesliga. "Leverkusen war einfach eine Klasse zu stark für uns, in allen Belangen", sagte Christopher Trimmel nach dem Spiel am vergangenen Sonntag.
Selbstvertrauen und Kampfgeist hören sich anders an. Dabei wirkte die Transferperiode im Sommer wie Ruhnerts Meisterstück. Nachdem der Manager in den Jahren zuvor regelmäßig Leistungsträger ersetzen musste, hielten die Eisernen diesmal alle wichtigen Spieler. Dazu kamen potenzielle neue Leistungsträger. Noch nach dem 4:2-Sieg in Darmstadt am zweiten Spieltag titelte die Süddeutsche Zeitung: "Union fliegt einfach weiter."
Verpatzte Transferphase
Dass daraus seitdem wenn nicht gleich eine Bruchlandung bestenfalls ein Tiefflug wurde, hängt insbesondere mit den Neuzugängen zusammen. Keiner von ihnen konnte bisher wirklich überzeugen. In Leverkusen musste sogar Nationalspieler Gosens auf der Bank platznehmen - zum zweiten Mal in Folge. Auf dem Platz standen dafür die Neuen Leonardo Bonucci - nach 23 Minuten verletzt raus, Alex Kral - mit einem Fehlpass Schuld am ersten Gegentor, und Stürmer David Datro Fofana - kein Torschuss bis zu seiner Auswechselung in der 78. Minute.
Ein Geheimnis der Union-Erfolge der vergangenen Jahre war die Arbeitsteilung zwischen Präsident Dirk Zingler, Trainer Fischer und Ruhnert: Bei Union konzentriert sich jeder nur auf seinen Aufgabenbereich und redet dem Kollegen nicht rein. Für die Kaderplanung ist eben Ruhnert verantwortlich. Im Erfolg, aber eben auch im Misserfolg.
Strategie nicht geändert
Weil Unions Aufstieg aus der zweiten Liga bis zur dreimaligen Europacupteilnahme stets auch davon geprägt war, dass Spieler über sich hinauswuchsen, verdiente sich Ruhnert den Ruf, ein gutes Auge für versteckte Talente von Fußballern zu haben, die bisher unter dem Radar spielten. Spieler wie Niko Gießelmann und Kevin Behrens reiften bei Union von soliden Zweitligakickern zu zuverlässigen Scorern in der Bundesliga.
Und Ruhnert konnte noch mehr. Schon immer war es Teil seiner Transferstrategie, sich auch an auf den ersten Blick unrealistische Personalien zu wagen. Bonucci, Volland und Gosens hießen früher Neven Subotic, Robin Knoche und Max Kruse, das Prinzip war ähnlich: Mit ihrer Klasse und Erfahrung sollten sie das Kollektiv auf eine neue Ebene heben. Bei seiner Strategie ist sich Ruhnert also auch in diesem Sommer treu geblieben. Nur der Erfolg hat ihn verlassen.
Individuelle Erklärungen wie die verpassten Saisonvorbereitungen von Bonucci und Lucas Tousart können nicht darüber hinwegtäuschen, dass bisher kein Neuzugang Union verstärkt. Noch schlimmer: Während der Verletzungspausen von Knoche und Rani Khedira stellten Neuzugänge wie Bonucci und Kral eine Verschlechterung dar. Wer also Urs Fischer für die schlechten Leistungen kritisiert, sollte nicht vergessen, dass er mit dem arbeiten muss, was ihm Oliver Ruhnert gegeben hat.
Ruhnert hätte handeln können
Nach der leblosen Leistung in Leverkusen sagte Fischer: "Wenn du Abstiegskampf spielst, dann braucht es eine andere Körpersprache, eine andere Mentalität." Eine Schwäche, die Kaderplaner Ruhnert schon während der Transferphase bewusst gewesen war, als er im August zugegeben hatte, dass der Mannschaft "noch ein bisschen Mentalität und Leben" fehle. Vielleicht denkt Ruhnert auch daran, wenn er nach den Spielen einsam durch das Stadion guckt. Er hätte diese Lücke schließen können.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.11.2023, 14:15 Uhr