Interview | Moderatorin Lena Cassel - "Bei Hertha durfte ich die sein, die ich bin"

Di 15.04.25 | 10:57 Uhr
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Lena Cassel als DAZN-Moderatorin. (Bild: IMAGO, Chai v.d. Laage)
Bild: IMAGO, Chai v.d. Laage

Moderatorin Lena Cassel hat ein Buch über ihren steinigen Weg als Sport-Moderatorin geschrieben. Ein Gespräch über Homophobie, mangelnde Diversität im Sportjournalismus, ihren Rettungsanker Hertha BSC und die Kraft des Fußballs.

rbb|24: Frau Cassel, Sie stammen aus dem Arbeitermilieu. Ihre Mutter war Krankenschwester, zog Sie mit Ihrer Schwester größtenteils allein groß. Geld war oft knapp. Sie schreiben in ihrem Buch, der Fußball schaffte ein Gefühl von Zugehörigkeit zum Leben. Wo wären Sie ohne den Fußball gelandet?

Lena Cassel: Ohne den Fußball wäre ich nicht die, die ich heute bin. Das spielt nicht nur im beruflichen Kontext eine Rolle, sondern auch, was meine Person angeht. In meiner Kindheit habe ich mit den Jungs im Käfig gespielt, dort war ich das erste Mal so richtig allein. Da war niemand, hinter dem ich mich verstecken konnte. Auf dem Bolzplatz habe ich mich mit der Frage konfrontiert gesehen, wer bin ich, wenn es mal Gegenwind gibt? Vieles von dem, was ich jetzt bin, hat sich da auf dem Fußballplatz geformt. Egal, ob es der Bolzplatz war, der Vereinsfußball oder das Stadion, es war immer ein Ort, wo ich wusste, ich kann dort hingehen und ich fühle mich wohl.

Zur Person

Lena Cassel, Moderatorin bei "hart aber fair". (Bild: IMAGO / HMB-Media)
IMAGO / HMB-Media

Moderatorin und Sportjournalistin - Lena Cassel

Sportmoderatorin Lena Cassel ist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Köln aufgewachsen. In ihrer aktiven Zeit spielte sie u.a. für den SC Fortuna Köln und Türkiyemspor Berlin. Während ihres Bachelor-Studiums der Medienwissenschaften ging sie zur ARD Sportschau und wurde dort zur MAZ-Redakteurin ausgebildet. 2019 startete Cassel in Berlin einen Neuanfang und arbeitete zwei Jahre für "Hertha TV". Mittlerweile moderiert die 30-Jährige für Amazon Prime und für DAZN. Ihre Autobiografie "Aufstiegskampf" ist am 12. April erschienen.

Woher kommt dieses Gefühl?

Weil ich dort auf Menschen getroffen bin, die unabhängig von ihrer sozialen Prägung, die gleiche Sprache gesprochen haben. Das ist etwas, was ich bis heute auch in meinem Herzen trage. Der Fußball ist die große Konstante in meiner Geschichte. Er ist mir enorm wichtig. Obwohl er immer weiter professionalisiert und modernisiert wird und seinen Kern manchmal ein bisschen zu verlieren droht, ist das der Grund, warum ich ihn oftmals auch vehement verteidige.

Sie spielten Regionalliga bei Fortuna Köln, ohne Bezahlung, waren verletzungsgeplagt und fanden kaum professionelle Strukturen vor. Warum investieren viele Vereine nicht in ihre Frauenteams?

Es liegt an der fehlenden Vision, aber auch an der grundsätzlichen Betrachtung des Frauenfußballs, weil man sagt, da lohnt es sich nicht zu investieren. Ich glaube, dass das eine totale Hybris ist. In der jüngeren Vergangenheit haben wir zumindest bei Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften gesehen, dass es sich lohnt, weil er die Menschen berührt, sogar jene Zielgruppen, die sich vom Männerfußball abgewandt haben. Denn der Frauen-Fußball ist noch sehr durchlässig. Er ist nah am Fan. Bevor wir über die ganzen Themen sprechen, wie gleiche Bezahlung oder Aufstockung der Bundesliga, sollten wir viel mehr an der Basis arbeiten. Wie können wir da die Anreize schaffen, dass viele Mädchen in den Frauenfußball gehen? Wenn wir einen strukturellen Wandel vollziehen und mehr in Richtung Gleichberechtigung im Fußball gehen wollen, müssen wir die Basis gesunden lassen.

Sie sagen, der Mensch zählt, nicht das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung. Der Frauenfußball scheint für diese Werte zu stehen. Offen lesbische Spielerinnen wie Sie sind keine Seltenheit. Warum ist der moderne Männer-Fußball noch nicht reif dafür, dass nur der Mensch zählt?

Der moderne Männerfußball ist zu sehr zu einem Businessmodell geworden, wo eben nicht der Mensch zählt, sondern primär das Kapital und der Erlös. Das ist ein fundamentales Problem, weshalb sich auch kein Fußballspieler outet. Das Problem sind nicht die Fans oder die Medien. Ich glaube, das Problem sind die Vereine mit ihren Funktionären und die Berater. Mal ehrlich: Welcher Verein würde seinen Topspieler, der sich homophob in der Kabine geäußert hat, wirklich suspendieren? Da haben wir jüngste Beispiele, ohne dass jetzt Kevin Behrens ein Topspieler beim VfL Wolfsburg war. Aber er hat sich homophob geäußert und darf weiterhin in diesem Verein Fußball spielen.

Die Vereine sollten also bei Homophobie härter durchgreifen?

Jeder junge Spieler, der sich eventuell outen möchte, sieht, dass es kaum Konsequenzen gibt. Der fragt sich dann: Werde ich überhaupt geschützt vom Verein? Die Gefahr für homosexuelle Fußballspieler, sich zu outen, die ist viel unmittelbarer. Die sitzt in der Kabine, die sitzt im Verein. Und ich glaube nicht, dass wir da mittlerweile einen Nährboden haben, der gut genug gedüngt ist, damit sich Fußballspieler outen können. Das sehe ich nicht.

Kommen wir zu Ihrem beruflichen Werdegang. Im Buch heißt es, man sollte im Haifischbecken Sportjournalismus lieber kein Schaf, sondern ein Hai sein. Gleichzeitig sei es Ihnen aber auch wichtig, Emotionen und Gefühle zuzulassen. Wie haben Sie es geschafft, sich dort durchzusetzen?

Ich wünschte, ich könnte sagen, ich sei so weit gekommen, weil ich immer authentisch und ich sein konnte. Ich habe es nur so weit gebracht, weil ich lauter, selbstbewusster und mutiger war, als ich eigentlich bin. Vielleicht ist das eine Krankheit von Aufsteigerkindern, dass man das Gefühl hat, es reicht nicht aus, nur man selbst zu sein. Dass man extremer sein muss, um gesehen zu werden. Dass hat mich am Ende diese Laufbahn nehmen lassen. Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft aufweichen. Dass man nicht als Frau unbedingt ein Hai oder wahnsinnig durchsetzungsstark sein muss, oder die ganze Zeit eine freche Schnauze haben muss, um aufzufallen. Dass wir sowohl für Frauen, aber auch für Männer, mehr Authentizität zulassen. Es bedeutet auch, dass man nicht immer stark sein kann, dass man Fehler machen und weich sein darf.

Sie begannen als Praktikantin im Archiv der Sportschau, später wurden Sie dort die erste weibliche MAZ-Redakteurin – mit nur 23 Jahren. Die Redaktion beschreiben Sie als ein "Elefantengehege privilegierter weißer Männer". Haben Sie das nur dort erlebt, oder gibt es da ein generelles Problem im Sportjournalismus?

Es gibt schon ein generelles Diversitätsproblem im Sportjournalismus. Das ist nicht nur eine Geschlechterfrage, sondern auch eine der unterschiedlichen Lebensrealitäten, die oftmals nicht in der kompletten Breite abgebildet werden. Dort ist es sehr weiß, sehr elitär, sehr Akademiker-Kinder. Wenn wir relevant bleiben wollen und einen unterschiedlichen Diskurs ermöglichen wollen, brauchen wir andere Realitäten und Sichtweisen. Das war auch einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Weil ich glaube, dass wir viel mehr solcher Geschichten brauchen. Hoffentlich werden viele junge Menschen, die ihren Lebensweg noch vor sich haben, sich abgeholt fühlen und Anknüpfungspunkte finden. Und eines ist ganz wichtig: Man wird nie merken, wenn ein Team divers ist, aber man wird es merken, wenn es das nicht ist.

Bei Hertha hatte ich wieder dieses Zugehörigkeitsgefühl. Ich dachte, hier bin ich genau am richtigen Ort.

Lena Cassel, Moderatorin

Sie arbeiteten neben dem Studium zeitweise in vier Jobs, erlitten einen Burnout, gingen für einen Neuanfang nach Berlin und wurden Moderatorin von Hertha TV. Für Sie eine Zeitenwende. Warum war bei Hertha plötzlich alles anders?

Es gibt im Leben ein paar glitzernde Panini-Sticker-Momente, wo du eine kleine Packung vor dir hast und gar nicht weißt, was drin ist. Als ich den Hertha-BSC-Sticker aufgemacht habe, hatte ich keine Erwartungen, eher ein bisschen Sorge, weil ich dachte, jetzt wirst du zu einem Strang in der Unternehmenskommunikation. Aber die haben mir einfach ein Mikro in die Hand gedrückt, auf Play gedrückt und ich durfte so sein, wie ich bin, was ganz gut bei den Fans angekommen ist. Eine völlig neue Erfahrung für mich und ein heilender Prozess nach dem Burnout und der Identitätssuche. Bei Hertha hatte ich wieder dieses Zugehörigkeitsgefühl. Ich dachte, hier bin ich genau am richtigen Ort.

Nach Hertha nahm Ihre Karriere an Fahrt auf. Mittlerweile moderieren Sie die Highlight-Show der Champions League bei Amazon Prime und die Bundesliga bei Dazn. Aber sie berichten auch von Schattenseiten wie Panikattacken und Versagensängsten. Wie sind Sie aus dieser Achterbahn herausgekommen?

Ich bin noch mittendrin in dieser Achterbahn. Ich spüre eine extreme Verantwortung, weil ich schon gemerkt habe, dass ich als Person mit der Art und Weise, für welche Themen ich mich einsetze, zu einer Stimme geworden bin für all jene Leute, die normalerweise nicht so gehört werden. Das führt zu einem inneren Druck, mit dem ich nicht immer so umgehen kann. Das Buch heißt zwar "Aufstiegskampf", aber ich will nicht, dass das so eine lineare Erzählung ist - nach dem Motto: Jetzt hat sie es geschafft. So ist das Leben nicht. Nur weil alles geil aussieht, heißt es nicht, dass alles geil ist. Ich glaube, ich wollte mich ein bisschen demaskieren und ehrlich machen, um genau das zu zeigen.

Welche Ziele haben Sie noch? Oder denken Sie nur von Spiel zu Spiel, von Job zu Job?

Zuletzt habe ich einen schönen Satz gelesen, an dem ich mich versuche, zu orientieren: Ich will vieles können, aber nichts wollen. Jüngst habe ich in einem anderen Interview einen acht Jahre alten Clip von mir vorgespielt bekommen, wo ich gefragt wurde, was denn so mein Ziel sei. Da sagte ich, frei und unabhängig sein. Mich nicht mehr getrieben fühlen von meinen Ängsten und Traumata. Das würde ich sagen. Alles, was jetzt noch kommt, ist Bonus. Dinge zu machen, weil ich Bock draufhabe und nicht, weil ich Angst habe. Das ist ein Ziel, was ich erreichen möchte.

Lena Cassel, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führte Fabian Friedmann für den rbb Sport.

Lena Cassel wird ihr Buch "Aufstiegskampf" im Rahmen ihrer Lesereise am 14. Mai im Berliner Pfefferberg Theater vorstellen. Die Lesung beginnt um 20 Uhr.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.05.2025, 12:15 Uhr

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5 Kommentare

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  1. 5.

    "Aber er hat sich homophob geäußert und darf weiterhin in diesem Verein Fußball spielen."
    Behrens hat nur eine Äußerung getätigt, die politisch unkorrekt ist. Das heißt noch lange nicht, dass er homophob ist. Soll mir doch niemand erzählen, dass er so was noch nie gemacht hat.
    Muss er gezwungen werden das Trikot gut zu finden?
    Er hat sich für die Äußerung entschuldigt, hat eine Geldstrafe gezahlt und war deswegen tagelang Thema bei den empörten Medien und hat wahrscheinlich seinen Ruf jetzt weg. Wegen einer Äußerung! Was erwartet sie noch? Dass er ein Berufsverbot bekommt?

    Manche Leute haben echt die Kurve nicht gekriegt..

  2. 4.

    Das Fernsehgeld ist die wichtigste Einnahmequelle für alle Profivereine, davon werden die Gehälter bezahlt. Und da reden wir vom internationalen Fernsehgeld, denn jedes Spiel der 1. und 2. Liga wird weltweit übertragen. Ein Beispiel ,wenn sie deutschen Fußball in Brasilien sehen wollen, geht das über Katar, denn die besitzen die Übertragungsechte für Südamerika und verkaufen jene über eine Sublizenz an das brasilianische Tv zur Übertragung. Der Fußball lebt von diesem System, da sitzen alle im gleichen Boot. Zur Erinnerung nach Katar hat auch Saudi Arabien eine Weltmeisterschaft bekommen.

  3. 3.

    Was ist denn "wenig geistreich" daran hier als Beispiel für homophobes Verhalten den Spieler Behrens zu nennen? Von ihm stammt das belegte Zitat aus einer Signierstunde, als ihm ein ein Trikot mit regenbogenfarbenem Logo des VfL Wolfsburg vorgelegt wurde: „So eine schwule Scheiße unterschreibe ich nicht.“ Welcher Mitspieler würde sich wohl outen wollen, wenn er einen solchen Teamkollegen hat? Nicht bei jedem Verein kommt die "große Kohle" aus Ländern, in denen Homophobie Staatsdoktrin ist. Aber in jedem Verein dürfte es Leute wie Behrens geben, die nicht mit Homosexualität umgehen können. Insofern finde ich die Äußerungen von Frau Cassel erheblich geistreicher als Ihre.

  4. 2.

    Ich finde die meisten Aussagen von Lena Cassel wenig geistreich. Vor allem, dass sie hier Behrens als Beispiel nennt. Der Hauptgrund warum sich niemand outet ist einzig und allein das Geld. Denn die ganz große Kohle kommt aus Katar, Saudi Arabien und weiteren Ländern. Ein einfacher Blick auf die Inhaber der weltweiten Fernsehübertragungsrechte für die großen Ligen und Turniere reicht völlig aus.

  5. 1.

    Das ist ein interessanter Bericht, um auch mal eine Seite von einer Sportmoderatorin kennen zu lernen, die man in den kurzen Augenblicken vorm Fernseher ja nie mitbekommt. Ich werde mir das Buch kaufen.