Museen und ihr koloniales Erbe - "Wir müssen anfangen über Rückgabe zu sprechen"
Tansanias Nationalmuseum verfügt kaum über Objekte, die etwas über das Land erzählen. In Berlin-Dahlem lagern hingegen Tausende Stücke im Archiv. Gemeinsam arbeiten beide an einer Ausstellung, die im Humboldt-Forum gezeigt werden soll - ausgerechnet. Von Oliver Noffke
Von der Wiege der Menschheit sind es für Flower Manase nur wenige Schritte und sie steht inmitten der deutschen Kolonialvergangenheit. Ein paar Meter trennen die Urmenschen, die durch die Olduvai-Schlucht in der Serengeti liefen, vom Wilhelminischen Kaiserreich. Dazwischen hängen Tafeln, die Handelsrouten von Sklavenschiffen verdeutlichen; der Propeller eines Doppeldeckers, der 1920 von Kairo nach Kapstadt fliegen sollte, aber in Tansania abstürzte; und Bilder vom Moment, in dem die Unabhängigkeit des Landes erklärt wurde.
Flower Manase ist Kuratorin am Nationalmuseum in Daressalam. Auf den ersten Blick eine ziemlich elegante Anlage. Der weiß gestrichene neuere Teil aus den 1960ern wirkt durch seine klaren Linien fast wie ein Klassiker der Moderne. Dahinter verbirgt sich eine kleine Parkanlage, durch die ein Pfad zum alten Museumsgebäude führt. Die Briten haben es in den Dreißigern gebaut. Sein großes Portal im maurischen Stil wirkt pittoresk und gleichzeitig fehl am Platz.
Das irgendetwas nicht recht stimmt, ist ein Gefühl, das sich verfestigt, umso länger man sich im Museum umschaut. Irgendwann wird klar: Dass Manase an ihrem Arbeitsplatz derart geschwind durch die Epochen schreiten kann, ist keiner genialen Ausstellungsplanung geschuldet – sondern der geradezu erschütternd übersichtlichen Anzahl bedeutender Objekte, mit denen die Geschichte des Landes erzählt wird.
Besonders offensichtlich ist dieser Mangel in der Ecke, die von der Zeit als deutsche Kolonie erzählen soll. Ein paar blaustichige Fotografien hängen neben der Kriegsflagge des Kaiserreichs. Daneben verrostet ein großes Blechschild des deutschen Zolls. Tansania ist ein Land mit einer turbulenten Geschichte, doch das Nationalmuseum kann diese kaum abbilden. Es ist geradezu leergefegt. "Ich glaube, wir müssen anfangen über Rückgabe zu sprechen. Afrikanische Museen sollten voll mit Ausstellungsstücken sein und nicht voll mit Fotos", sagt Manase. "Diese Objekte müssen wieder nach Hause kommen."
Gestohlene Bergspitzen
In den Archiven der ehemaligen Völkerkundemuseen in Deutschland lagern unterdessen Gegenstände, die zum Teil seit Jahrzehnten in keiner Ausstellung zu sehen waren. "Wir haben in unserer Datenbank ungefähr 10.000 Objekte aus Tansania", sagt Paola Ivanov. Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz arbeitet sie an einer Ausstellung, die von Tansania erzählen soll. Dazu kann die Kuratorin auf die Sammlung des Ethnologischen Museum in Dahlem zurückgreifen. Der Großteil davon kam während der Kolonialzeit nach Berlin. Ivanov schränkt aber ein, dass der Katalog der Sammlung einige Dopplungen enthalte. "Wenn die Depotverwalter früher etwas unter 'Massai' abgelegt haben, dann haben sie meist zur Herkunft sowohl Kenia als auch Tansania eingetragen."
Durch die Kolonien eröffneten sich deutschen Ethnologen sprichwörtlich neue Welten. Sie nutzten die Gelegenheit, um Dinge herbeizuschaffen, mit denen jeder Aspekt einer Kultur erfasst werden sollten. "Da wurde alles gesammelt: Schuhe, Kämme, Haushaltsgegenstände, Waffen, Schmuck", sagt Ivanov. Auch Werkzeuge und Kleidungsstücke wurden aus den Ländern gebracht sowie unzählige menschliche Knochen. Selbst die Gipfelspitze des Kilimandscharos wurde herausgebrochen und mitgenommen. Eine Kopie des Steins befindet sich heute im Neuen Palais in Potsdam. Das Original ist verschollen.
Ethnologen wollten damals typologische Reihen erstellen, so wie es in den Naturwissenschaften üblich ist. Das heißt, sie glaubten, dass menschliche Kulturen gesetzmäßige Entwicklungsstufen durchliefen. "Das ist total veraltet", sagt Ivanov. "Aber damals hat man gedacht, dass man so Rückschlüsse zur Gesellschaft und Kultur machen könnte."
Zum Teil wurden Objekte eingesammelt, die überhaupt nicht den tatsächlichen Lebensverhältnissen entsprachen, sagt sie. In Tansania hätten vor 120 Jahren bereits viele Menschen Kleidung aus importierter Baumwolle getragen. Trotzdem wurde versucht Kleidungsstücke aus Fell oder Baststoff aufzutreiben, obwohl sie völlig unüblich war. "Da wurde also auch ein ahistorisches Bild kreiert, von traditionellen Kulturen, die angeblich abgeschlossen vom Rest der Welt existierten."
Das genaue Ausmaß der Sammlungen ist vielen Afrikanern nicht bewusst
Durch die berüchtigten Völkerschauen wurden solche Fantasien in Deutschland auf die Spitze getrieben. Als eine Art Wanderzirkus und zum Teil sogar in Zoos wurden ganze Dörfer aufgebaut, die irgendwie exotisch aussahen. Menschen aus fernen Ländern spielten darin den vermeintlichen Alltag ihrer Heimat nach. Selten ensprach das der Realität.
Vor einigen Jahren hat Paola Ivanov eine Gruppe von tansanischen Kollegen eingeladen, Teil des Projekts Humboldt Lab Tanzania zu werden. Anhand der Bestände in Dahlem arbeiten sie gemeinsam die Kolonialgeschichte auf. Aus der Zusammenarbeit soll eine Ausstellung über das ostafrikanische Land für das Humboldt-Forum entstehen. Im Gespräch wird immer wieder deutlich, dass dies kein einfacher Prozess ist. Ivanov atmet dann tief aus, macht eine kurze Pause und spricht dann mit Bedacht. "Was uns wirklich erschreckt hat, ist, dass die Aneignung von sehr, sehr vielen Objekten mit Kriegen in Verbindung steht", sagt sie. Bereits seit einiger Zeit wird deshalb Provenienzforschung betrieben, also die Herkunft der einzelnen Objekte untersucht.
Was genau mit Gegenständen passieren wird, die bei dieser Untersuchung als Raubgut oder ähnliches erkannt werden, ist derzeit nicht genau abzusehen. Noch im Mai 2018 versicherte der tansanische Außenminister Augustine Mahiga bei einem Besuch in Berlin seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas (SPD), sein Land werde weder Entschädigungsforderungen stellen noch die Rückgabe von Kunstgegenständen. Ob das so bleibt, muss stark angezweifelt werden.
Zum einen ist Mahiga mittlerweile gar nicht mehr im Amt. Zum anderen ist das genaue Ausmaß der damaligen Sammelwut kaum jemanden richtig bewusst. "Oftmals ist in den Herkunftsregionen überhaupt nicht bekannt, was sich in unseren Depots befindet", sagt Alexis von Poser. Er ist stellvertretender Direktor des Ethnologischen Museums in Dahlem. Möglichen Ansprüchen aus Tansania stehe das Haus offen gegenüber, sagt er: "Wir öffnen unsere Sammlungen, um miteinander eine gemeinsame Zukunft mit den Objekten zu besprechen." Das könne auch in Restitution münden - also der Rückgabe.
Flower Manase gehörte zu der Delegation, die aus Tansania eingeladen wurde. Der Moment, als ein deutsches Museum zum ersten Mal für sie sein Archiv öffnete, sei gleichzeitig eine Offenbarung als auch ein schwerer Schock gewesen. "Wenn Sie sich diese Sammlungen ansehen, bekommen Sie das Gefühl, die Geschichte von Tansania ist vollständig. Aber wir haben solche Sammlungen eben nicht hier", sagt sie.
Zudem wüssten die deutschen Museen oft nicht, wozu die Objekte wirklich gedient hätten. Mal wurde der genaue Zweck nicht überliefert, mal seien die Beschreibungen fehlerhaft; oder Gegenstände wurden lediglich mitgenommen, weil sie hübsch waren, aber für die Menschen vor Ort wertlos. Schwierig findet Manase zudem, dass die afrikanischen Objekte in Europa geradezu versteckt werden. "Diese Sammlungen erzählen nichts über Afrika. Die sind eingelagert."
Berlin, ein zweites Paris?
Noch ist nicht entschieden, wie die Ausstellung genau aussehen wird. Ivanov und von Poser wollen dazu erst etwas sagen, wenn gemeinsam mit den Vertretern aus Afrika finale Entscheidungen getroffen wurden. "Wir sind da immer noch am Anfang", sagt auch Flower Manase. "Wir schauen uns immer noch die Sammlungen an, um zu sehen, was überhaupt aus Tansania dort ist und was in die Ausstellung muss, um auch die afrikanische Sicht der Dinge einzubringen."
Grundsätzlich seien Museen eine europäische Erfindung, sagt Manase. Aber: "Früher haben afrikanische Könige besondere Objekte so aufbewahrt, dass alle sie sehen konnten. Jeder konnte in die Hallen seines Königs kommen und sie sich ansehen, denn sie gehörten der Gemeinschaft, nicht dem König."
Voraussichtlich ab der zweiten Jahreshälfte sollen Artefakte und Kunstgegenstände aus den ehemaligen deutschen Kolonien im Humboldt-Forum zu sehen sein - also ausgerechnet im Nachbau des Schlosses jener Kaiser, die das Land während der Kolonialzeit anführten. Flower Manase kommentiert diese Aussicht knapp mit dem Wort "interessant" und einem zusammengekniffenen Lächeln. Vielleicht sei das kopierte Schloss eine Chance, um die Mythen des Kolonialismus auseinanderzunehmen und zu fragen, wie diese Ausstellungsstücke überhaupt nach Europa gekommen seien, sagt sie. Aber andererseits: "Es wirkt so, als versuchen die Deutschen ein zweites Paris zu erschaffen", sagt Manase. Ein Ort, zu dem die Welt kommen kann, um alles zu sehen. "Dabei sollten wir im 21. Jahrhundert die Dinge anders angehen, als im 19. oder 18. Jahrhundert."
Museen und ihr koloniales Erbe
Lesen Sie außerdem aus dieser Reihe:
Das Verbrechen, erschienen am 2. Februar 2020
Der Knochenberg, erschienen am 16. Februar 2020
Die Überwindung der Berlinisation, erschienen am 23. Februar 2020