Kommentar | Staatsoper Berlin - Thielemann als Barenboim-Nachfolger: Es passt

Mi 27.09.23 | 12:11 Uhr | Von Maria Ossowski
  11
Archivbild: Christian Thielemann, Dirigent. (Quelle: dpa/S. Kahnert)
Bild: dpa/S. Kahnert

Nachfolger von Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin wird Stardirigent Christian Thielemann. Die Personalie kam nicht unerwartet - und ist ein guter Griff, kommentiert Maria Ossowski.

Von sämtlichen Dächern der Klassiktempel war’s getrommelt und gepfiffen. Spätestens nach einer zunächst geheim gehaltenen Orchesterumfrage im Februar haben die ewigallwissenden Musikjournalisten beim Thema der Barenboim-Nachfolge nur noch müde abgewunken: "Das wird eh der Thielemann".

Denn 80 Prozent der Mitglieder der Staatskapelle, des Orchesters der Staatsoper, hatten sich in einer internen Abstimmung für den Berliner ausgesprochen. Zwar wählt das Orchester den Chef oder die Chefin nicht, aber sein Votum wiegt schwer. Nun hat Christian Thielemann den Vertrag unterschrieben, der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) strahlt, Intendantin Sobotka freut sich - sie hatte das Vorschlagsrecht - und auf den Thielemann-Fan-Seiten jubeln seine Jünger.

Vier Gründe für Thielemann

Heißt das also: Vorhang zu und keine Fragen offen? Nicht ganz. Zunächst ist die Freude aus vier naheliegenden Gründen groß.

Erstens: Christian Thielemann dirigiert dieses von Daniel Barenboim über 30 Jahre geformte Orchester mit seinem sogenannten "deutschen Klang" (dunkel-romantisch und doch strahlend-glänzend) einfach passend.

Zweitens: Auf die Legende Barenboim musste ein ähnlich charismatischer Generalmusikdirektor folgen, und das ist Thielemann zweifellos.

Drittens: Thielemann ist ein Garant für ein ausverkauftes Haus. Bei leeren Kassen und Sparvorgaben ist seine Prominenz auch ökonomisch ein Segen.

Viertens: Thielemann ist Berliner, sogar mit, Selbstzitat, "Berliner Schnauze". Er war Karajan-Assistent in Berlin, hat reüssiert nicht nur in München, Salzburg und Dresden, sondern überall auf der Welt. Und - die Wagnerianer applaudieren besonders frenetisch - mehr als 22 Jahre mit legendären Dirigaten in Bayreuth.

Schwieriger Charakter

Zwei Themen jedoch sind nicht von der Hand zu weisen: Erstens ist Thielemann weder jung noch hip, sondern mit 64 Jahren im gesetzten Alter und vom Typus her konservativ. Warum war kein Signal eines jugendlicheren, überraschenden Neuanfangs möglich?

Antwort: weil Charisma auch Zeit und Entwicklung braucht. Nach Barenboim wäre mit einer jungen, unbekannteren Besetzung der Bruch zu groß gewesen.

Zweitens soll Thielemann ein schwieriger Charakter sein, an der Deutschen Oper Berlin und in München ist er heftig angeeckt, sogar in Bayreuth auf dem Hügel ward er bei den Festspielen in diesem Jahr nicht gehört.

Christian Thielemann wird sich um diplomatischere Umgangsformen bemühen müssen. Vertrauen wir da auf eine gewisse Altersweisheit.

In diesem Zusammenhang seien zwei Frauen genannt, die im Hintergrund geschickt die Strippen gezogen haben: Elisabeth Sobotka als Intendantin und Sarah Wedl-Wilson als klassikkundige Staatssekretärin. Sie haben verhandelt, was von der Höhe des Gehalts bis zu den Entscheidungskompetenzen nicht einfach gewesen sein dürfte. Zumal der Vertrag juristisch hoffentlich festgelegt hat, dass die Pultgott-Zeiten endgültig vorbei sind und auch ein Generalmusikdirektor der Chefin das letzte Wort überlassen sollte.

Glanz passt zur Musikstadt Berlin

Dennoch: Der Glanz, den diese Ernennung mit sich bringt, passt zur Tradition der Staatsoper und zur Musikstadt Berlin. Hoffen wir, dass die nächste, genau so wichtige Neu-Besetzung eines Generalmusikdirektors ähnlich überzeugend gelingt. Die Deutsche Oper an der Bismarckstrasse, das größte Berliner Haus, braucht eine ebenso strahlende Perspektive. Das Zusammenspiel der drei Opernhäuser in der Stadt sollte sich ergänzen und gleichwertig bleiben.

Sendung: rbbKultur, 27.09.2023, 14 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

11 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 11.

    Ein mittelmäßiger Langweiler folgt auf einen mittelmäßigen Langweiler. Aber in der Selbstvermarktung sind beide Weltspitze. Immerhin etwas.

  2. 10.

    Nein, die Chance ist nicht verpasst. Modernisierung heißt doch nicht, dass kein Wagner, kein Strauss, kein Mozart oder andere Klassiker nicht mehr gespielt werden. Diese sind zeitlos - ebenso ist die geniale und wunderbare Arbeit von Christian Thielemann zeitlos. Das heißt nicht, dass nicht auch künftig moderne Werke aufgeführt werden - im Gegenteil, man kann sie dann noch grandioser erleben.

  3. 9.

    Lassen Sie doch bitte Ihre Vorurteile mal beiseite. Christian Thielemann ist einfach der derzeit wohl beste Dirigent Deutschlands und auch weltweit hoch geschätzt. D. Barenboim hat auch wegen seiner Biographie das West-östliche -Diwan-Orchester gegründet und geleitet und das finde ich großartig - aber das kann es nicht von jedem Dirigenten erwarten und verlangen. Da Thielemann ein so grandioser Dirigent ist kann er auch junge Menschen begeistern. Man kann auch genau das Gegenteil denken von dem, was Sie schrieben - da mit Christian Thielemann ein so überragender charismatischer Künstler an die Staatsoper kommt wird er auch junge Menschen für die Klassik und für die Opern begeistern können. Thielemanns Repertoire ist keineswegs klein und er wird sich auch neuen Opernwerken nicht erschließen.

  4. 8.

    Im Abendschau-Beitrag gestern hätte man einen Hinweis darauf erwarten dürfen, dass die Entscheidung zur Nicht-Verlängerung seines erst 2024 auslaufenden Vertrags in Dresden dort schon vor zwei Jahren (!) gefallen ist. Das ist, abgesehen von den mittlerweile vielen Wechseln unter teils merkwürdigen Umständen, mindestens bemerkenswert.

    Vielleicht hatte man auch gar nicht mal so die Wahl. Vielleicht ist die Zeit der Experimente und Provokationen wie auf der Sprechbühne mit Castorf, Peymann oder Ostermeier, und seit Eidinger anscheinend bald in „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ auftreten dürfte, in Berlin vorerst vorbei.

    Sicher gibt es sehr gute künstlerische Gründe für diese Berufung. Aber sie scheint auch in die Zeit zu passen. Hoffen wir, dass das Programmheft nicht in Fraktur erscheint.

  5. 7.

    Oh, da spricht der Experte. Aber wenn man nicht einmal Bayreuth richtig schreiben kann, kann es mit der Expertise wohl nicht so weit her sein. Sorry, diesen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen.

  6. 6.

    Karajan,Barenboim,Kleiber......was heißtt schwierig, sie alle waren ein Segen,Thielemann ist das Beste was Berlin passieren kann, in der Nachfolge des Genies Barenboim.Freue mich auf Wagnerleuchten......

  7. 5.

    Ich finde die Entscheidung gut, weil so die Möglichkeit, dass Thielemann in Deutschland, also alles ausser Beireuth und Berlin, auftritt unmöglich wird.

  8. 4.

    Ein sehr würdiger Nachfolger wurde hier berufen.

  9. 3.

    Rückwärts immer, vorwärts nimmer. - Ja, der "deutsche Klang" Thielemanns hat seine vor allem zahlungskräftigen Anhänger, die eher älter als jünger sind als er. Was sagt diese Personalie über das zukünftige Repertoire der Oper, was über das zukünftige Publikum?! Betrachtet man den generationenübergreifenden 'impact' Barenboims an der Oper, den Iván Fischers am Konzerthaus und vor allem den Simon Rattles an der Philharmonie, letztere zwei passende Nachfolger gefunden haben, sehe ich das für Thielemann nicht. Seine Zeit an der Deutsche Oper war bereits ein Scheitern (ich wage nicht den Vergleich mit Donald Runnicles). Sein Repertoire ist begrenzt, seine internationalen Erfahrungen (besonders im Vergleich zu seinem Vorgänger) ebenso. Ein West-Eastern Divan Orchestra findet sich bei ihm vergebens, keine Ansätze von Progressivität. Barenboim war und ist weitaus moderner. Vielleicht ist Thielemann der größte unter den Konservativen, aber ist es das, was die Stadt braucht? Ich bezweifle das.

  10. 2.

    Chance für etwas (unbedingt erforderliche) Modernisierung verpasst :(

  11. 1.

    Es freut mich riesig, dass ein solcher Hochkaräter unsere Staatsoper jetzt übernimmt und nochmals Tausend Dank an Herrn Barenboim für die grandiose Arbeit in den letzten Jahrzehnten, es hat immer wieder Spaß gemacht den alten Herrn beim dirigieren zu sehen. Dankeschön Erik Trentow

Nächster Artikel