Verlegung am Mittwoch - Diese Geschichten erzählen die Stolpersteine für schwarze Menschen in Berlin
Fast 10.000 Stolpersteine zum Gedenken an die Verfolgten des Nationalsozialismus gibt es bereits in Berlin. Die Namen schwarzer Menschen sind bislang nur auf einer Handvoll von ihnen zu lesen. In diesem Jahr werden noch einige dazu kommen. Von Simon Wenzel
- Schwarze Menschen waren bereits 1935 von den sogenannten Nürnberger "Rassengesetzen" betroffen
- Einige von ihnen mussten während der NS-Zeit beispielsweise in rassistischen und kolonialpropagandistischen Filmen mitspielen
- Nun sollen sechs Stolpersteine für schwarze Menschen verlegt werden
An ihrem Geburtstag, dem 8. März, wird vor Erika Dieks ehemaligem Zuhause in der Gaudystraße im Prenzlauer Berg ein goldener Pflasterstein mit ihrem Namen in den Bürgersteig eingesetzt. Diek wäre heute 107 Jahre alt geworden, sie wurde 1916 in Danzig geboren und zog später mit ihrem Mann, dem Schauspieler Ludwig M'bebe Mpessa, nach Berlin.
Die Stolpersteine für diese beiden, die am Mittwoch verlegt werden sollen, sind nach Angaben der Initiatoren erst der vierte und fünfte für schwarze Menschen in der Stadt. Vier weitere sollen in den kommenden Monaten dazu kommen.
Initiiert und betreut werden die Verlegungen von der Koordinierungsstelle Stolpersteine und Erinnerungskultur der Museen Tempelhof-Schöneberg [museen-tempelhof-schoeneberg.de]. Die Aktionen finden gemeinsam mit den Angehörigen und dem Historiker Robbie Aitken, Tahir Della von Decolonize Berlin [decolonize-berlin.de] und dem Projektverbund "Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt" [12.berlinbiennale.de] statt.
In Danzig als Sohn eines Kameruners und einer Ostpreußin geboren
Dass Erika Diek und ihr ehemaliger Mann ausgewählt wurden, liegt auch an einer Ausstellung des Museums Schöneberg. Hier wird derzeit die Familiengeschichte der Dieks erzählt, die Nachfahren haben ihre Archive mit dem Museum geteilt, wie Kurator Philipp Holt berichet.
Erika Dieks Vater, Mandenga, kam 1891 aus Kamerun nach Deutschland, zunächst nach Hamburg. Später zog er nach Danzig, gründete eine Familie mit einer Frau aus Ostpreußen und bekam zwei Töchter. Eine war Erika.
"Man kann zu dieser Familie sagen, dass sie zu Beginn der NS-Zeit in Danzig noch in einem etwas geschützteren Raum lebte, weil die Stadt zunächst noch nicht Teil des deutschen Reichs war", sagt Philipp Holt. Die Familie sei integriert gewesen. "Allerdings berichtete Erika Diek auch, dass sie schon 1933 von der Schule gehen muss, weil die Schulleitung sie nach rassistischen Anfeindungen wegschickt. Sie kann also ihr Abitur nicht abschließen und findet auch keinen Ausbildungsplatz. Das ist eine typische Geschichte der Ausgrenzung, die schwarze Menschen zu dieser Zeit erleiden", erzählt Holt.
1938 heiratete Erika Diek den Schauspieler und politischen Aktivisten Ludwig Mpessa, der damals unter dem Künstlernamen Louis Brody durchaus erfolgreich war. Das Paar zog nach Berlin, in die Gaudystraße. Zwar wurden schwarze Menschen hier zu dieser Zeit wohl noch nicht systematisch verfolgt, aber die rassistischen Anfeindungen seien - so Dieks überlieferte Schilderungen - bereits deutlich spürbar gewesen.
Auch die Nürnberger "Rassengesetze" von 1935 betrafen bereits schwarze Menschen. Die Geschichte von Dieks Ehemann Mpessa verdeutlicht zudem, welche Rolle schwarze Künstler zu Beginn des Nationalsozialismus - im wahrsten Sinne des Wortes - spielen mussten.
Schwarze Künstler mussten Rollen spielen, die rassistische Vorurteile verstärkten
"Er ist damals schon ein erfolgreicher Schauspieler und kann seine Karriere zumindest fortsetzen, ist aber immer mehr eingeschränkt in seiner Rollenwahl", sagt Philipp Holt über Ludwig Mpessa. Die Rollen sind perfide: Mpessa musste Charaktere spielen, die rassistische Vorurteile und Stereotype gegenüber Schwarzen und den afrikanischen Ländern bedienen und verstärken. "Er ist eigentlich nur noch in antisemitischen oder kolonialpropagandistischen Filmen angestellt. Die Rollen, die er verkörpert sind immer extrem exotisierende Darstellungen, er muss Stereotype verkörpern, die die vermeintliche Unterlegenheit schwarzer Menschen widerspiegeln", sagt Holt.
Kein Einzelschicksal: Auch zwei andere schwarze Künstler, deren Stolpersteine Ende August in der Schöneberger Fuggerstraße verlegt werden sollen, waren davon betroffen. Benedikt Gambé und Charlotte Rettig mussten während der NS-Zeit für einige Zeit in der "Deutschen Afrika Schau" ihren Lebensunterhalt verdienen. "Schwarze Menschen haben kaum noch Anstellung in klassischen Berufen gefunden. Sie wurden in solche Rollen im Unterhaltungsmilieu gedrängt", sagt Holt.
Tahir Della vom Verein "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" [isdonline.de] , der ebenfalls an der Beantragung und Umsetzung der sechs Stolpersteine beteiligt war, engagiert sich bereits seit 35 Jahren für die Aufklärung von Kolonialgeschichte und Rassismus gegen Schwarze in Deutschland. Er konnte deshalb noch mit einigen Zeitzeugen sprechen, die den Nationalsozialismus erlebt und ebenfalls in der damaligen Unterhaltungsindustrie gearbeitet haben. "Aus deren Erzählungen wird deutlich, dass sie durchaus verstanden haben, welche Rollen sie damals abbilden sollten, klassische rassistische Klischees. Trotzdem war ihnen bewusst, dass es eine Möglichkeit war, der Verfolgung ein Stück weit auszuweichen", sagt Della.
Auch Schwarze wurden nach Beginn des Zweiten Weltkriegs verfolgt und deportiert
Das gilt allerdings in vielen Fällen nur für die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft und könnte laut Philipp Holt möglicherweise daran gelegen haben, dass die Nationalsozialisten zu Beginn auch noch koloniale Pläne hegten, für die sie die in Deutschland lebenden Schwarzen als "nützlich" erachteten. Damit war es allerdings spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs vorbei, so der Experte.
"Danach wurden die Hüllen immer mehr fallen gelassen. Dann kam es zu ganz drastischen Verfolgungsmaßnahmen: Es sind viele angedrohte und durchgeführte Zwangssterilisationen schwarzer Frauen bekannt", sagt Holt. "Auch KZ-Haft ist in vielen Fällen bekannt. Es kommt dann also auch zu ganz aktiver Verfolgung und Vernichtung."
Auch Benedikt Gambé, der Künstler, dessen Stolperstein im August in Schöneberg verlegt werden soll, konnte sich nicht lange in die Unterhaltungsindustrie retten. Er starb 1940 in einer Klinik unter nicht geklärten Umständen. Zuvor war er 1937 in die Wittenauer Heilstätten eingewiesen worden.
Er ist der einzige der sechs Menschen, die nun Stolpersteine bekommen, der während der NS-Zeit umkam. Andere wie Charlotte Rettig retteten sich ins Ausland.
Die Familie Diek, Erika und ihr Mann Ludwig Mpessa, überlebte den Krieg in Berlin. Erika Diek zog später nach Schöneberg, wo ihre Nachfahren noch heute leben. Ihre Geschichte ist eine der besonders gut dokumentierten Biografien von schwarzen Menschen während der NS-Zeit. Sie wird derzeit in der Ausstellung im Museum Schöneberg erzählt.
Sendung: Fritz, 08.03.2023, 8:00 Uhr