Ende der Fastenzeit - "Nach sechs Wochen ohne Smartphone war ich entspannter, konzentrierter und neugieriger"
Sechs Wochen lang blieb das Smartphone von rbb-Redakteurin Miriam Keuter aus. Nach dem ersten Hochfahren trudeln Hunderte Nachrichten ein. Die Ruhe ist vorbei. Doch ohne Smartphone ist der Alltag manchmal deutlich komplizierter.
Ich habe eine Woche vor Ostern das Smartphone-Fasten gebrochen. Klingt wie eine Niederlage, aber ich finde, ob sechs oder sieben Wochen, das macht doch echt keinen Unterschied. "Warum hast Du nicht noch die letzte Woche durchgehalten", fragt mich eine Freundin? Tja, ich sag's mal so, die äußeren Umstände haben mich dazu gedrängt. Meine Teenager Tochter ist mit Freunden auf großer Fahrt in Frankreich und alle besorgten Eltern sind vernetzt. Natürlich über Whatsapp.
Also bin ich wieder dabei. Und ich gebe zu, etwas neugierig war ich schon. Habe ich vielleicht wirklich was verpasst? Der Moment, als ich mein Smartphone wieder anschalte, fühlte sich an, als täte ich etwas Verbotenes. Ein bisschen Nervenkitzel war dabei, als würde ich ein Weihnachtsgeschenk auspacken, bevor der Heilige Abend angebrochen ist!
270 Whatsapp-Nachrichten in fünf Sekunden...
...und das war nur einer der Gruppenchats
Whatsapp lädt rasend schnell alle verpassten Nachrichten. Sie flimmern vor meinem Auge wie ein kleines Gewitter aus roten Zahlen. Es dauert nicht länger als vier, fünf Sekunden. 270 Whatsapp-Nachrichten sind es allein in einem meiner Gruppenchats. Wow, da muss ja offensichtlich einiges passiert sein, von dem ich nichts mitbekommen habe.
Doch die Wahrheit ist: Es war banales Zeug. Es ging um eine Geburtstagsparty, bei der alle Teilnehmer geantwortet haben: "Ja, ich komme/freu mich!"; "Ich schaffe es leider nicht"; "Soll ich was zu essen mitbringen?"; "Schade, aber ich bin schon im Urlaub"… Wäre ich online gewesen, ich wäre vermutlich innerlich ausgerastet. Solche Chats finde ich super nervig. Ehrlich gesagt, ich war enttäuscht von dieser ersten Social-Media-Begegnung nach sechs Wochen Smartphone-Abstinenz.
Dabei bin ich mir nicht einmal im Klaren darüber, was ich erwartet hatte. Schließlich bin ich stets über mein Tastentelefon erreichbar geblieben. Es war nicht so, dass ich einen kalten Entzug hingelegt habe. Nein, zur Wahrheit gehört auch: Leben ohne Smartphone hieß für mich nicht, digital-detox zu machen. Ich habe auch weiter E-Mails geschrieben oder im Internet recherchiert. Aber eben vom Rechner aus und nicht mehr von unterwegs. Ich habe nicht schon auf dem Weg zur Arbeit meine Dienst-Mails beantwortet und habe nicht an digitalen Sitzungen teilgenommen, während ich noch in der U-Bahn saß.
Mehr Zeitung, öfter Telefongespräche und ja, auch mehr TV
Zu Beginn meines Fastenprojekts hatte ein Kollege etwas abfällig bemerkt, als Journalistin könnte man sich so etwas nicht erlauben. Darüber habe ich lange nachgedacht. Jetzt weiß ich, das ist Unsinn. Wenn es Dinge gibt, die relevant sind, dann muss ich dafür nicht erst stundenlang durch Instagram oder Facebook scrollen. Stattdessen stelle ich etwas provokant die Gegenfrage: Könnte es nicht vielleicht sein, dass der Blick fürs Wesentliche erst wieder möglich wird, wenn man mal wieder aufrecht geht und hochschaut?
Alle elf Minuten gucken wir Deutschen durchschnittlich aufs Handy, auch wenn dort gar nichts passiert. Zu dem Ergebnis kam jüngst eine Untersuchung zur Handynutzung. Diese Zeit konnte ich in den vergangenen Wochen anderweitig nutzen. Ich habe endlich wieder gelangweilt meine Umgebung beobachtet, habe öfter eine Zeitung gelesen, mehr geredet, vor allem am Telefon und ja, vermutlich habe ich auch mehr Fernsehen geguckt.
Die Wirkung von Smartphones auf uns ist noch nicht abschließend erforscht. Die Aussagen wenig eindeutig. Die einen behaupten sogar, dass ein kompletter Verzicht hauptsächlich Stress verursachen würde. In Teilen konnte ich das auch bei mir feststellen. Allerdings bezog sich der Stress auf die Funktionen im Smartphone, die meinen Alltag vereinfachen.
Ständig ist man abgele... Ping! Oh, eine Nachricht!
Es ist schon toll, dass ich per App ein Auto mieten kann, wenn ich auf der Straße stehe und die BVG nicht fährt. Es ist toll, wenn ich von unterwegs eine Rechnung per Paypal begleichen kann. Oder dass mich eine Fluggesellschaft über Verspätungen informiert, während ich noch auf dem Weg zum Flughafen bin.
Oder wenn die erwähnte Elterngruppe mir Fotos schickt und ich sehen kann, dass es meiner Tochter auf ihrer Reise gut geht. Google Maps, das BVG-Ticket, meine Banking-App, die rbb|24-Nachrichten-App - das sind alles Errungenschaften, die ich sehr schätze und die ich sehr vermisst habe in den vergangenen sechs Wochen. Insofern, ja, der Verzicht hat auch Stress bedeutet. Vieles war in den vergangenen Wochen umständlich, weil gefühlt fast alles nur noch digital läuft.
Was die Forscher allerdings meinen, wenn sie von Stress durch Smartphone-Verzicht reden, ist das sogenannte Fomo-Phänomen. Fomo steht für "Fear of missing out" - also die Angst, etwas zu verpassen. Gemeint sind damit die Sozialkontakte über social Media. Kann sein, dass ich eine Ausnahme bin, aber ich habe diese Form der sozialen Kontakte Null vermisst. Vor allem nicht dieses ewige Ding, Ping oder Tüdeldü, das, egal was ich tue, mich unterbricht und nötigt auf mein Handy zu schauen.
Ohne Smartphone ist der Alltag schwerer
Iwan Pawlow hätte seine Freude daran gehabt uns zu beobachten. Erinnern Sie sich an das Pawlowsche Experiment zur Konditionierung von Hunden? Immer wenn der Hund zu fressen bekam, läutete eine Glocke. Irgendwann läutete die Glocke, obwohl noch kein Futter da war. Der Hund begann allein vom Geräusch zu sabbern allein und er begann zu sabbern. Ein gelernter Reflex, besser gesagt Konditionierung.
Während ich das schreibe, macht es auf meinem Handy mehrfach Pling oder Tüdeldü und ich kann nicht anders, als jedes Mal auf den Bildschirm zu gucken.
War ich in den letzten Wochen selbstbestimmter, autonomer, zufriedener? Ich würde gerne uneingeschränkt ja sagen, doch das wäre gelogen. Ich habe das Smartphone-Fasten am Anfang mit der Zeitumstellung verglichen. Während alle in der Sommerzeit leben, läuft meine Uhr im Wintertakt. Denn 2024 ticken alle Uhren digital, um im Bild zu bleiben. Und wer nicht mitmacht, hat es im Alltag schwerer.
Ein Leser schrieb mir nach meiner Halbzeitbilanz. Er arbeite in einem digitalen Beruf und habe sich bewusst gegen ein Smartphone entscheiden, sein Leben sei dadurch nicht schwerer. Klar, das Meiste lässt sich am Desktoprechner oder Laptop erledigen. Die Zeit, die ich täglich vor dem Bildschirm meines Laptops verbringe, ist in den vergangenen sechs Wochen wahrscheinlich extrem angestiegen. Denn natürlich habe ich das fehlende Smartphone darüber kompensiert.
Bleibt die Frage, was ich durch meine Abstinenz gewonnen habe? Ich war deutlich entspannter, konzentrierter und neugieriger in den vergangenen Wochen. Ich habe mich mal wieder vor meiner Haustür umgesehen und nicht nur im Leben anderer Leute gewühlt, beziehungsweise gescrollt. Das Leben im "Breitwandbildformat" sei spannender ohne Smartphone, schrieb mir der Leser. Stimmt, das wissen wir alle. Dennoch verschwenden wir viel Zeit und Aufmerksamkeit an den Apparat.
Mein Fazit:
Ich werde nicht auf das Smartphone verzichten. Aber ich werde einiges verändern. Instagram kommt mir zum Beispiel nicht mehr aufs Handy. Das war der Zeitkiller Nummer 1. Ich werde außerdem die Push-Nachrichten ausschalten, Arbeitsprogramme nur während der Arbeit nutzen und mein alter Funkwecker bleibt am Bett.
Ich habe seit Beginn des Selbstversuchs vor sechs Wochen im Übrigen einen großen Fan: meine Tochter. Sie hat mich offen und ehrlich für meinen Verzicht bewundert. Das hat mich wiederum alarmiert, denn für sie wären sechs Wochen ohne Smartphone undenkbar.
Die Ironie an der Geschichte: Während ich das Fasten vorzeitig abgebrochen habe, um nichts von der Auslandsreise meiner Tochter zu verpassen, hat sie dort kein WLAN und kaum Empfang. Sie hat es gelassen genommen. Dank meines Experiments weiß sie schließlich: Es geht auch ohne Smartphone!
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