Mehr Privatsphäre und Datenschutz - Wie Berliner Aktivisten Smartphones "entgoogeln"
Konzerne wie Google, Meta oder Apple tracken unser Leben mit – jeden Tag und fast überall. Dagegen wehren sich Aktivisten, indem sie Handys auf Wunsch mit neuen Betriebssystemen ausstatten. Von Robert Ackermann
Es ist ein Ort, wo man Datenschutz-Aktivisten eher nicht erwarten würde. In der Arminius-Markthalle in Berlin-Moabit hat der Verein Topio ein Mini-Wohnzimmer eingerichtet: Irgendwo zwischen Wursttheke und Gemüsestand – gleich hinter dem Asia-Imbiss stehen Sessel vor einer Wand mit gerahmten Bildern. Daneben eine kleine Theke. Hier können Interessierte drei Mal pro Woche ihr Smartphone "entgoogeln" lassen, also ein trackingfreies Betriebssystem draufspielen, das keine Nutzerdaten an Google sendet.
"Die kennen uns besser als wir selbst"
"Wir wollen Privatsphäre für jeden Menschen zugänglich machen", sagt Mitgründer Michael Wirths. "Denn wir wissen alle nicht, was Google, Apple oder Facebook in ihren Serverräumen machen. Da weiß der Journalismus nicht Bescheid, da weiß die Politik nicht Bescheid und da weiß auch die Wissenschaft nicht wirklich Bescheid."
Wirths und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter wollen sich gegen die Übermacht der Digitalkonzerne wehren, denn wie viel diese über sie inzwischen wissen, sei den meisten Menschen nicht klar. "Die Betriebssysteme und Apps bekommen ja nicht nur mit, wen wir anrufen oder was wir googeln. Die wissen, was wir fotografieren, wann wir schlafen, wie viele Schritte wir gehen, wie schnell wir Auto fahren. Die kennen uns besser als wir selbst", so Wirths.
Möglichst wenig Informationen sollen preisgegeben werden
Deswegen ist auch Ingrid an den Stand von Topio gekommen. Die 30-jährige Musikerin arbeitet selbst im IT-Bereich und hat ein älteres Sony-Smartphone dabei. Techniker Moritz Mangold schaut sich das Gerät an und entsperrt zunächst den so genannten Bootloader, ein kleines Programm, das das Betriebssystem in den Arbeitsspeicher des Smartphones lädt. "Das ist so etwas wie die Sicherheitstür des Handys", sagt Mangold, "diese lässt sich leider nicht bei jedem Gerät problemlos öffnen."
Bei Ingrids Modell funktioniert es. Jetzt verbindet Mangold das Smartphone per Kabel mit einem Rechner und spielt "LineageOS" darauf - eine veränderte Version von Android, dem Google-Betriebssystem, die den Zugriff auf Nutzerdaten für Google weitgehend sperrt. Denn genau darum geht es Ingrid: Sie will möglichst wenige Informationen über sich preisgeben – wegen der personalisierten Werbung, die online ausgespielt wird, und wegen möglicher politischer Beeinflussung. "Ich finde es gefährlich, dass die Firmen mit den Daten die Gedanken von vielen Leuten beeinflussen können, ohne dass diese es merken", sagt sie.
Ingrid bezieht sich dabei auf Skandale wie den um "Cambridge Analytica" [ardmediathek.de]. Das Datenanalyse-Unternehmen hatte vor der US-Wahl 2016 Daten von Millionen Facebook-Nutzern abgegriffen und diese mutmaßlich missbraucht, um Donald Trump zu unterstützen.
Alternative Apps haben auch Nachteile
Was die Aktivisten des Vereins Topio anbieten, schützt jedoch nicht alle Smartphone-Nutzer vor potenziellen Datenkraken. Apple-Geräte, also iPhones und iPads, können nicht mit alternativen Betriebssystemen ausgestattet werden. Auch wer Apps wie Instagram, TikTok, Twitter oder Google Maps nutzt, gibt in der Regel massig Informationen über sich preis – unabhängig vom Betriebssystem.
Deswegen bieten die Aktivisten an, auch den alternativen App-Store F-Droid zu installieren. Hier sind die Programme größtenteils trackingfrei: K-9 für E-Mails zum Beispiel oder Delta Chat als Messenger. Außerdem gibt es alternative Kartendienste und Apps wie Tusky, um den Twitter-Ersatz Mastodon zu nutzen. Manche der Apps haben aber auch Nachteile: Der Kartendienst Organic Maps hat beispielsweise keinen Zugriff auf die Millionen Verkehrsinformationen von anderen Nutzern wie Google Maps und zeigt entsprechend keine Staus an. Denn die Digitalkonzerne nutzen Daten ja auch für ein besseres User-Erlebnis. Einige Programme laufen auch schlicht nicht auf dem veränderten Betriebssystem. Dazu gehören unter anderem Apps von Carsharing-Anbietern oder der Sparkasse.
"Es ist natürlich ein Kampf gegen Goliath"
Davon, das eigene Handy selbst zu "entgoogeln", rät Moritz Mangold ab. Es gebe zwar online Anleitungen für verschiedene Handy-Modelle, aber allein den Bootloader zu entsperren, sei nicht immer einfach. Und auch generell ist das Thema derzeit noch nicht im Mainstream angekommen – obwohl eine Community weltweit daran arbeitet, die alternativen Betriebssysteme weiterzuentwickeln.
Gerade einmal 90 Handys haben die Topio-Aktivisten in den letzten Monaten "entgoogelt". Aber Mangold lässt sich davon nicht entmutigen. "Es ist natürlich ein Kampf gegen Goliath", sagt er. "Bei uns sind es nur ein paar Geräte gegen Millionen von Smartphones, die jedes Jahr neu an Kunden ausgegeben werden. Aber jedes Gerät, das ausgebrochen ist aus dem System, ist wieder eins mehr."
Aktivisten hoffen auf mehr Bewusstsein für Datenschutz
Auch Michael Wirths hofft darauf, dass sich das Bewusstsein der Handy-Nutzer für mehr Datenschutz entwickelt. "Aktuell ist die Marktmacht von Google noch sehr groß, aber vielleicht gibt es irgendwann auch trackingfreie Android-Geräte bei Media Markt", sagt er. Wirths könnte Recht haben. Auch Bio-Lebensmittel waren früher schwer zu bekommen, heute werben die Discounter damit.
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