Wiederholungswahl Berlin - Warten aufs Bundesverfassungsgericht
Keiner weiß, wann und in wie vielen Berliner Bezirken die Bundestagswahl von 2021 wiederholt werden muss. Nur, dass es bald so weit sein könnte. Für die Wahlämter ist die Ungewissheit eine Zerreißprobe. Von Franziska Hoppen
In Maschinenräumen zischt und dampft es, Öl tropft auf den Boden, die Rohre knacken. Im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf ist es ruhig. Nur der Stadtrat für Bürgerdienste, Tim Richter, joggt die Treppen hoch. Kollegen abholen und gleich zu einem Außentermin in Dahlem. Aber Richter sagt, er arbeite auch in einem Maschinenraum.
Nur dass seiner aus Aktenbergen, Gebäudeplänen und Papierlieferscheinen besteht. Ein Maschinenraum der Demokratie, irgendwo zwischen warm- und heißgelaufen. Eine Wiederholungswahl organisieren, das kennen die Bezirke nach der im Februar schon. Damals bereiteten sie die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenasmmlung zum zweiten Mal vor. Aber so etwas wie jetzt hat es wirklich noch nie gegeben.
Dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe liegt eine Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU Bundestagsfraktion vor. Sie richtet sich gegen einen Beschluss von SPD, Grünen und FDP. Demnach soll die Bundestagswahl von 2021 in 432 Berliner Stimmbezirken wiederholt werden - wegen der vielen Fehler, die damals passiert sind. CDU/CSU reicht das nicht. Sie wollen, dass in Mitte, Pankow, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf komplett neu gewählt wird - also in deutlich mehr Stimmbezirken.
Noch radikalere Entscheidung möglich
Die Richter in Karlsruhe könnten jedoch – ähnlich wie das Berliner Verfassungsgericht – eine noch radikalere Entscheidung treffen, so die Befürchtung: eine komplette Wahlwiederholung in allen zwölf Bezirken. Das wäre der "worst case" aus organisatorischer Sicht. Keiner weiß, wen es trifft, und keiner weiß, wann: Karlsruher Roulette. Klar ist nur: Ab dem Gerichtsurteil sind 60 Tage Zeit, um die Wahl auf die Beine zu stellen. So will es das Bundeswahlgesetz. Ein winziger Bruchteil der Zeit, die es eigentlich braucht.
Karlsruher Roulette
Die Bezirke müssen also jetzt schon versuchen, so viel wie möglich zu organisieren. Eine der größten Herausforderungen dabei: Räume. Die Wahl könnte mitten in den Vollbetrieb der Bezirksämter fallen, freie Büros oder Säle werden dann von der Bezirksverordnetenversammlung oder Ausschüssen belegt. Also müssen andere Orte her, um zum Beispiel Briefwahlzentren einzurichten. Nur: Wie soll man Räume mieten, ohne den Mietzeitraum zu kennen? Außerdem müssen sichere Computer-Anschlüsse vorhanden sein und Stauraum für etliche Paletten Papier.
Kaum Räume verfügbar
Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat Glück und wird eine alte Villa in Dahlem, ein leerstehendes Jugendamt, umfunktionieren. Eigentlich sollte es längst saniert werden. Dieses Projekt liegt nun auf Eis, bis die Wiederholungswahl durch ist.
Andere Bezirke vermelden weniger Glück. So antwortet etwa Reinickendorf auf rbb-Nachfrage: "Die größte Herausforderung besteht darin, dass man nicht abschätzen kann, wann eine mögliche Wiederholung stattfinden könnte. So können weder private Räume für Wahllokale angemietet noch Schul-, Sport- oder andere Veranstaltungen an den Wochenenden abgesagt werden." Aus Treptow-Köpenick meldet eine Sprecherin: "Insbesondere in den Wintermonaten werden kurzfristig wenig bis keine Turnhallen zur Verfügung stehen können. Auch andere Einrichtungen wie Kiezklubs könnten bereits mit Weihnachtsfeiern ausgebucht sein."
Einstellen auf gut Glück
Die zweite Herausforderung: Zeitarbeitskräfte einstellen, ohne ihnen einen Arbeitszeitraum nennen zu können. Zwar wird gewöhnlich ein Teil des Personals für die Wahlvorbereitung aus den Bürgerämtern abgezogen – doch die sollen möglichst problemlos weiterlaufen und Pässe oder Geburtsurkunden ausstellen können. Und nach der Wiederholungswahl im Februar hätten die Mitarbeitenden auch mal eine Verschnaufpause verdient, findet Tim Richter. Die würde jedoch wegfallen, wenn die Wahl in die Winterferien fällt. Vielleicht wird sie aber auch mit der Europawahl kommenden Juni zusammenfallen. Wer weiß das schon.
Steglitz-Zehlendorf hat immerhin 53 Zeitarbeitskräfte rekrutieren können – darunter Rentner und Studierende – die spontan genug sind, um flexibel einzuspringen. "Aber da wird ganz sicherlich noch irgendetwas privat dazukommen, oder manche haben dann doch vielleicht eine Anstellung, die mit dem Plan kollidiert", gibt Bezirkswahlleiter Joachim Stürzbecher zu Bedenken.
Bezirksstadtrat Tim Richter wurmt das. Eigentlich hat sein Bezirk gerade andere Baustellen, will vor allem in der Digitalisierung vorankommen. "Wir möchten mehr Termine, schnelleren Service für die Bürger einrichten. Da ist natürlich Mitarbeit aus den Bürgerämtern gefragt, die wir jetzt erstmal zurückhalten müssen, weil wir im Zweifel Unterstützung für die Wahl brauchen."
Ständiges Wahlamt
Hilfreich wäre es, sagen Richter und Stürzbecher, wenn es endlich richtige ständige Wahlämter gäbe und Wahlen nicht nebenbei im Vollbetrieb arrangiert werden müsste. Die Innenverwaltung hat dafür sogar schon 36 Stellen im Doppelhaushalt 24/25 angemeldet – drei Stellen pro Bezirk. Doch den Haushalt muss das Abgeordnetenhaus erst noch beschließen. Das wird bis Ende des Jahres dauern.
Papier bleibt geduldig
Bis dahin werden weiter Überstunden geschrubbt. Auch wenn sich manche Dinge, wie die Vorbereitung der Briefwahl, nicht im Detail planen lassen. Das Papier ist in Steglitz-Zehlendorf zwar schon bestellt – ohne zu wissen, wie viel man wirklich braucht – doch welche Namen darauf gedruckt werden, kann der Druckerei erst ganz zum Schluss durchgegeben werden. Zu groß ist die Gefahr, dass bis zum Gerichtsurteil noch Abgeordnete heiraten, also ihren Namen ändern, wegziehen oder sterben. Dann müsste alles noch einmal neu gedruckt werden. Da die Briefwahl weit vor der Urnenwahl losgeht, dürfte sie ziemlich hektisch werden.
Das gilt in Steglitz-Zehlendorf auch für die Lieferung des Mobiliars in die alte Villa. Tische, Stühle, Lampen, Computer: Der Bezirk muss erstmal offiziell Transportaufträge vergeben.
Die Bezirke hoffen deshalb, dass die Karlsruher Richte Gnade walten lassen und ihnen rechtzeitig ein Zeichen geben, wann die Entscheidung fallen könnte.
Trotz allem findet Bezirksstadtrat Richter es richtig und wichtig, dass es in seinem Amt jetzt mal wieder zischt und dampft - metaphorisch zumindest: "Es ist Aufwand. Es ist anstrengend. Es ist vielleicht auch nicht der beste Zeitpunkt, den wir uns vorstellen können", sagt Richter. "Aber der Grund, warum funktionierende Wahlen wichtig sind, rechtfertigt das."
Nun heißt es nur noch: Warten aufs Bundesverfassungsgericht.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.08.2023, 19:30 Uhr