Wiederholungswahl Berlin - Warten aufs Bundesverfassungsgericht

Sa 19.08.23 | 08:13 Uhr | Von Franziska Hoppen
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Ein Wähler gibt seinen Stimmzettel für die Bundestagswahl ab. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Video: rbb24 Abendschau | 19.08.2023 | Franziska Hoppen | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Keiner weiß, wann und in wie vielen Berliner Bezirken die Bundestagswahl von 2021 wiederholt werden muss. Nur, dass es bald so weit sein könnte. Für die Wahlämter ist die Ungewissheit eine Zerreißprobe. Von Franziska Hoppen

In Maschinenräumen zischt und dampft es, Öl tropft auf den Boden, die Rohre knacken. Im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf ist es ruhig. Nur der Stadtrat für Bürgerdienste, Tim Richter, joggt die Treppen hoch. Kollegen abholen und gleich zu einem Außentermin in Dahlem. Aber Richter sagt, er arbeite auch in einem Maschinenraum.

Nur dass seiner aus Aktenbergen, Gebäudeplänen und Papierlieferscheinen besteht. Ein Maschinenraum der Demokratie, irgendwo zwischen warm- und heißgelaufen. Eine Wiederholungswahl organisieren, das kennen die Bezirke nach der im Februar schon. Damals bereiteten sie die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenasmmlung zum zweiten Mal vor. Aber so etwas wie jetzt hat es wirklich noch nie gegeben.

Dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe liegt eine Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU Bundestagsfraktion vor. Sie richtet sich gegen einen Beschluss von SPD, Grünen und FDP. Demnach soll die Bundestagswahl von 2021 in 432 Berliner Stimmbezirken wiederholt werden - wegen der vielen Fehler, die damals passiert sind. CDU/CSU reicht das nicht. Sie wollen, dass in Mitte, Pankow, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf komplett neu gewählt wird - also in deutlich mehr Stimmbezirken.

Noch radikalere Entscheidung möglich

Die Richter in Karlsruhe könnten jedoch – ähnlich wie das Berliner Verfassungsgericht – eine noch radikalere Entscheidung treffen, so die Befürchtung: eine komplette Wahlwiederholung in allen zwölf Bezirken. Das wäre der "worst case" aus organisatorischer Sicht. Keiner weiß, wen es trifft, und keiner weiß, wann: Karlsruher Roulette. Klar ist nur: Ab dem Gerichtsurteil sind 60 Tage Zeit, um die Wahl auf die Beine zu stellen. So will es das Bundeswahlgesetz. Ein winziger Bruchteil der Zeit, die es eigentlich braucht.

Karlsruher Roulette

Die Bezirke müssen also jetzt schon versuchen, so viel wie möglich zu organisieren. Eine der größten Herausforderungen dabei: Räume. Die Wahl könnte mitten in den Vollbetrieb der Bezirksämter fallen, freie Büros oder Säle werden dann von der Bezirksverordnetenversammlung oder Ausschüssen belegt. Also müssen andere Orte her, um zum Beispiel Briefwahlzentren einzurichten. Nur: Wie soll man Räume mieten, ohne den Mietzeitraum zu kennen? Außerdem müssen sichere Computer-Anschlüsse vorhanden sein und Stauraum für etliche Paletten Papier.

Kaum Räume verfügbar

Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat Glück und wird eine alte Villa in Dahlem, ein leerstehendes Jugendamt, umfunktionieren. Eigentlich sollte es längst saniert werden. Dieses Projekt liegt nun auf Eis, bis die Wiederholungswahl durch ist.

Andere Bezirke vermelden weniger Glück. So antwortet etwa Reinickendorf auf rbb-Nachfrage: "Die größte Herausforderung besteht darin, dass man nicht abschätzen kann, wann eine mögliche Wiederholung stattfinden könnte. So können weder private Räume für Wahllokale angemietet noch Schul-, Sport- oder andere Veranstaltungen an den Wochenenden abgesagt werden." Aus Treptow-Köpenick meldet eine Sprecherin: "Insbesondere in den Wintermonaten werden kurzfristig wenig bis keine Turnhallen zur Verfügung stehen können. Auch andere Einrichtungen wie Kiezklubs könnten bereits mit Weihnachtsfeiern ausgebucht sein."

Einstellen auf gut Glück

Die zweite Herausforderung: Zeitarbeitskräfte einstellen, ohne ihnen einen Arbeitszeitraum nennen zu können. Zwar wird gewöhnlich ein Teil des Personals für die Wahlvorbereitung aus den Bürgerämtern abgezogen – doch die sollen möglichst problemlos weiterlaufen und Pässe oder Geburtsurkunden ausstellen können. Und nach der Wiederholungswahl im Februar hätten die Mitarbeitenden auch mal eine Verschnaufpause verdient, findet Tim Richter. Die würde jedoch wegfallen, wenn die Wahl in die Winterferien fällt. Vielleicht wird sie aber auch mit der Europawahl kommenden Juni zusammenfallen. Wer weiß das schon.

Steglitz-Zehlendorf hat immerhin 53 Zeitarbeitskräfte rekrutieren können – darunter Rentner und Studierende – die spontan genug sind, um flexibel einzuspringen. "Aber da wird ganz sicherlich noch irgendetwas privat dazukommen, oder manche haben dann doch vielleicht eine Anstellung, die mit dem Plan kollidiert", gibt Bezirkswahlleiter Joachim Stürzbecher zu Bedenken.

Bezirksstadtrat Tim Richter wurmt das. Eigentlich hat sein Bezirk gerade andere Baustellen, will vor allem in der Digitalisierung vorankommen. "Wir möchten mehr Termine, schnelleren Service für die Bürger einrichten. Da ist natürlich Mitarbeit aus den Bürgerämtern gefragt, die wir jetzt erstmal zurückhalten müssen, weil wir im Zweifel Unterstützung für die Wahl brauchen."

Ständiges Wahlamt

Hilfreich wäre es, sagen Richter und Stürzbecher, wenn es endlich richtige ständige Wahlämter gäbe und Wahlen nicht nebenbei im Vollbetrieb arrangiert werden müsste. Die Innenverwaltung hat dafür sogar schon 36 Stellen im Doppelhaushalt 24/25 angemeldet – drei Stellen pro Bezirk. Doch den Haushalt muss das Abgeordnetenhaus erst noch beschließen. Das wird bis Ende des Jahres dauern.

Papier bleibt geduldig

Bis dahin werden weiter Überstunden geschrubbt. Auch wenn sich manche Dinge, wie die Vorbereitung der Briefwahl, nicht im Detail planen lassen. Das Papier ist in Steglitz-Zehlendorf zwar schon bestellt – ohne zu wissen, wie viel man wirklich braucht – doch welche Namen darauf gedruckt werden, kann der Druckerei erst ganz zum Schluss durchgegeben werden. Zu groß ist die Gefahr, dass bis zum Gerichtsurteil noch Abgeordnete heiraten, also ihren Namen ändern, wegziehen oder sterben. Dann müsste alles noch einmal neu gedruckt werden. Da die Briefwahl weit vor der Urnenwahl losgeht, dürfte sie ziemlich hektisch werden.

Das gilt in Steglitz-Zehlendorf auch für die Lieferung des Mobiliars in die alte Villa. Tische, Stühle, Lampen, Computer: Der Bezirk muss erstmal offiziell Transportaufträge vergeben.

Die Bezirke hoffen deshalb, dass die Karlsruher Richte Gnade walten lassen und ihnen rechtzeitig ein Zeichen geben, wann die Entscheidung fallen könnte.

Trotz allem findet Bezirksstadtrat Richter es richtig und wichtig, dass es in seinem Amt jetzt mal wieder zischt und dampft - metaphorisch zumindest: "Es ist Aufwand. Es ist anstrengend. Es ist vielleicht auch nicht der beste Zeitpunkt, den wir uns vorstellen können", sagt Richter. "Aber der Grund, warum funktionierende Wahlen wichtig sind, rechtfertigt das."

Nun heißt es nur noch: Warten aufs Bundesverfassungsgericht.

Sendung: rbb24 Abendschau, 19.08.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

15 Kommentare

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  1. 14.

    Greifen Sie dem Urteil nicht vor.

    Letztlich liegt die Schuld zum Teil auch beim Wähler.

    Eine Neuwahl nur der Neuwahl wegen bringt nichts und kostet nur unnötig Geld

  2. 13.

    Am BVerfG gibt es keine Mitglieder, sondern nur Richter. Wo sehen Sie bei den Richtern eine Befangenheit? Wissen Sie überhaupt, was Befangenheit bedeutet?

    Bitte nennen Sie Namen und beweisen Sie eine mögliche Befangenheit stichhaltig!

  3. 12.

    Der Schaden für die Demokratie weil zwei befangene cDU Mitglieder des BVerfG welches die verfassungswidrige Entscheidung des BerlVerfGH nicht kassiert, dessen Urteil von Anfang an feststand?

  4. 11.

    Die Wahl ist ein Fundament unserer Demokratie. Ich finde es auch sehr schlimm, dass wiederholt werden muss. Das finde ich vor allem deshalb, weil die ursprüngliche Wahl wohl nicht in Ordnung war. Wenn Wahlergebnisse falsch sind (auch wegen möglicher Fälschung der Wahlergebnisse) oder falsch sein könnten, ist das für eine Demokratie nicht hinnehmbar. Der Bürger muss Vertrauen haben, dass so regiert wird wie gewählt wurde. Aus diesem Grund sind die Wahlwiederholungen zwingend notwendig!

  5. 10.

    Es wäre schon ein beträchtlicher Schaden für das Ansehen von Deutschland im Ausland, wenn Wahlwiederholungen gerichtlich angeordnet werden müssen. Eine rechtlich einwandfreie Wahl ist schließlich die Grundlage der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

  6. 9.

    Ich habe selten so einen Unsinn gelesen.

    Denken Sie wirklich, dass wir Richter sonst nichts zu tun haben?

    Schon mal daran gedacht, dass nicht an jedem Wochentag verhandelt werden kann und dass Richter auch andere Termine und Aufgaben haben?

    Ich bin im Strafrecht tätig und terminiere jetzt schon für Anfang 25.

    Jahrelang wurde die Justiz in Deutschland kaputt gespart. Jetzt bekommt der Bürger das Ergebnis seiner Sparmaßnahmen.

    Etwas weniger Stammtischparolen täten Ihnen gut

  7. 8.

    Hallo Kaya!
    Den Schaden hat in der Vergangenheit RRG verursacht was RGR nutzte, aber nicht der Demokratie sondern ... ( Siehe Rückschritte seid 2016 in Berlin )!!!
    Das Gericht steht für Rechtssicherheit und Bedarf einer gründlichen Prüfung ( es steht aber nicht für die Unsummen, die besser angelegt werden könnten!!!). Dafür steht aber RRG und sollte auch die Kosten wegen Ihrer Unfähigkeit tragen, was gesetzlich möglich wäre!!!
    Nun müssen Wir Uns überraschen lassen ob Recht und Ordnung wieder regiert, oder weiterhin Anarchie und Diktatur ( da Jeder machte was er wollte, und Eine Minderheit diktierte was die Mehrheit machen sollte )??? Wer vom Volk respektiert wird braucht nicht Schummeln um Wahlen zu gewinnen ( Ratschlag an das zukünftige Schwarz/Rot/Rot/Gelb/Grün oder Andere Parteien )!?



  8. 7.

    Vielleicht bekommen wir bundesweit Neuwahlen?
    G.Schröder verkündete diese noch am Wahlabend der verlorenen Landtagswahl in NRW 2005.

    O-Ton / Begründung: "Vor allem aber braucht es die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für eine solche Politik."

    Am 8. Oktober wählen Bayern und Hessen.
    Und wenn das so weitergeht mit der Ampel, könnte O.Scholz wirklich bald die Vertrauensfrage stellen.

  9. 6.

    Was für einen Schaden?
    Das Ihnen das Ergebnis nicht gefällt, das ist ausschliesslich Ihr Problem, aber kein Schaden für die Demokratie, und schon gar nicht für Berlin. Berlin..

  10. 5.

    Vielleicht kommen die Karlsruher Richter aber auch zu dem Schluss, dass jede Wiederholung der Bundestagswahl sinnfrei wäre und nur unnötig Geld kostet. Das wäre die beste Entscheidung. Die komplette Wiederholung der Berlin-Wahl hat genug Schaden angerichtet.

  11. 3.

    Keine der Regierungsparteien hat ein Interesse an einer Wahlwiederholung, denn das würde Stimmenverluste bedeuten. Also verhindert man nach Möglichkeit!

  12. 2.

    Das ist typisch Deutschland, von der Feststellung einer fehlerhaften Wahl, bis zum Beschluss die Wahl zu wiederholen vergehen fast 2 Jahre.
    Was machen unsere Gericht sonst so?
    Alle Verfahren in Deutschland brauchen ewige Zeiten, um sie endlich abzuschließen. Würde mich nicht wundern, wenn nach der nächsten Wahl endlich die Wiederholungswahl kommt.

  13. 1.

    In einem Staate wie Deutschland mit 85 Millionen Insassen wäre eine Wahl(-wiederholung) innerhalb von einer Woche machbar. Aber leider gibt es hierzulande ~65 Millionen Nichtskönner und Nichtstuer.

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