Fragen und Antworten - Warum die Berliner Pannenwahl jetzt wieder ein Gericht beschäftigt

Di 18.07.23 | 06:06 Uhr | Von Jan Menzel
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Symbolbild: Blick in den leeren Plenarsaal im Bundestag. (Quelle: dpa/Michael Kappeler)
Video: rbb24 | 18.07.2023 | Agnes Sundermeyer | Studiogast: Jan Menzel | Bild: dpa/Michael Kappeler

Berlin ist dieser Tage ein Fall für Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem Chaos bei der Berlin-Wahl im September 2021 und die Auswirkungen auf den Bundestag. Doch worum genau geht es? Von Jan Menzel

Die chaotische Berlin-Wahl im September 2021 beschäftigt noch immer die Gerichte. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte im November 2022 die komplette Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl angeordnet, die schließlich am 12. Februar dieses Jahres durchgeführt wurde.

Die obersten deutschen Richter in Karlsruhe stehen nun vor einer ähnlich schwierigen Entscheidung. Sie haben sich Zeit gelassen und zunächst zwei Tage angesetzt, um sich in mündlicher Verhandlung mit grundlegenden Fragen der Wahlprüfung zu beschäftigen. Am Ende wird es aber sehr konkret um die Frage geben, welche Konsequenzen aus der in weiten Teilen Berlins auch chaotisch verlaufenen Bundestagswahl vor zwei Jahren zu ziehen sind.

Warum entscheidet jetzt noch einmal ein Gericht über die Berliner Pannenwahl?

Weil es zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Bei der Abgeordnetenhauswahl, die ja eine Landtagswahl ist, liegt die Überprüfung ganz allein in den Händen des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Der hat entschieden und die Abgeordnetenhauswahl wurde im Februar komplett wiederholt.

Im Bund liegen die Dinge anders: Hier übernimmt bei Beschwerden und Unregelmäßigkeiten zunächst der Bundestag die Prüfung. Er hat mit der Mehrheit der Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP entschieden, dass die Bundestagswahl in 431 Berliner Stimmbezirken wiederholt werden muss. Das ist rund ein Fünftel aller Stimmbezirke. Sie sind quer über alle Bezirke verteilt.

Warum ist nun das Bundesverfassungsgericht am Zug?

Es ist der ganz normal vorgesehene Rechtsweg: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gegen den Beschluss des Bundestags eine Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt. Sie wird von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe verhandelt. Die Richter müssen abwägen, ob die vom Bundestag geplante Teilwiederholung die Wahlfehler ausmerzen kann oder nicht. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die so genannte Mandatsrelevanz und damit die Frage, ob die Fehler so gravierend waren, dass sie Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestags hatten.

Was wollen die Beschwerdeführer erreichen?

CDU und CSU kritisieren, dass eine Wiederholung der Wahl in 431 Stimmbezirken nicht ausreicht. Das Chaos sei sehr viel umfassender gewesen. Deshalb müssten auch deutlich mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre Stimme neu abzugeben. Die Unionsfraktion fordert, dass in sechs Berliner Bundestagswahlkreisen komplett neu gewählt wird. Das sind: Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. In den anderen sechs Bundestags-Wahlkreisen solle nur in den Stimmbezirken gewählt werden, in denen Fehler nachgewiesen wurden.

Geht es bei dieser Wahlwiederholung um die Erst- oder um die Zweitstimmen?

Das wird ein Teil der Entscheidung der Verfassungsrichter sein, denn auch hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Der Bundestag hatte in seinem Beschluss bestimmt, dass in den von ihm identifizierten 431 Stimmbezirken sowohl die Erst- als auch die Zweitstimmen-Wahl wiederholt werden muss. CDU und CSU wollen dagegen, dass in deutlich mehr Wahllokalen als von der Ampel festgelegt die Zweitstimmen-Wahl stattfindet. Die Erstimmen-Wahl, also die Wahl von Direktkandidaten, wollen CDU und CSU dagegen nur in Pankow und Reinickendorf wiederholen.

Welche politischen Auswirkungen hat die Wahlwiederholung?

Das hängt ganz wesentlich davon ab, in welchem Umfang noch einmal gewählt werden muss. Als sicher kann gelten, dass sich an der Ampel-Mehrheit im Bundestag nichts ändern wird. Dafür ist Berlin im Vergleich mit den anderen Bundesländern einfach zu klein. Spannend ist jedoch die Frage, in wie vielen Stimmbezirken oder sogar Wahlkreisen noch einmal mit der Erststimme gewählt wird. Daraus könnten sich durchaus Veränderungen ergeben. In Reinickendorf etwa hat die CDU-Kandidatin Monika Grütters 2021 nur mit etwas mehr als einem Prozentpunkt Vorsprung das Direktmandat gewonnen. In Pankow lag der grüne Bundestagsangeordnete Stefan Gelbhaar knapp vier Prozentpunkte vorn.

Ist Berlin auf die Wiederholung der Bundestagswahl vorbereitet?

Grundsätzlich: Ja. Schließlich sind die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl und die Durchführung des Klima-Volksentscheids in diesem Jahr problemlos über die Bühne gegangen. Allerdings sind noch nicht alle Reformen, die nach der Pannenwahl von 2021 beschlossen wurden, umgesetzt. Verschärfend kommt der Faktor Zeit dazu: Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleiben nur maximal 60 Tage bis zum Wahltag.

Bei der Abgeordnetenhauswahl gab es mit 90 Tagen deutlich mehr Zeit für die Vorbereitung und das Anwerben von Wahlhelfern. Landeswahlleiter Stefan Bröchler hat erklärt, dass er sich auch auf das "Worst-Case-Szenario" einer kompletten Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin einstellt. Gänzlich ausgeschlossen ist dieses Szenario nicht. Die AfD will genau das und hat eine entsprechende Wahlprüfungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Wie das Bundesverfassungsgerichts damit verfährt und ob diese angenommen wird, ist noch offen.

Sendung: rbb24, 18.07.2023, 13:00 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

17 Kommentare

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  1. 17.

    "Das Bundesverfassungsgericht ist nun mal der oberste Hüter unseres Grundgesetzes und sollte gegen alle Kritik, z.B. zum Thema jutistischer Schnellschuss, erhaben sein."

    Das ist trotz allen verbalen Aufschäumens hier und da ingesamt auch so gehandhabt worden - glücklicherweise. Mal schäumten die einen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau nach dem Vorwurf der Fristenlösung mit Füßen getreten werde, mal die anderen, die von "spätrömischer Dekadenz" sprachen, weil das BVerfG in seiner Urteilsbegründung von einer Unverfügbarkeit der Menschenwürde sprach, dies hinsichtlich der sozialen, polit. und gesellschaftl. Teilhabe.

    Außer in Interviews ist keines der BVerfG-Urteile auf solches Aufschäumen hin noch einmal begründet und verteidigt worden. Legendär empfand ich das Urteil zum Ansinnen von N 24, jederzeit aus Gerichtssälen senden zu wollen. Das BVerfG-Urteil: Gerichtsurteile werden gesprochen IN der Öffentlichkeit, nicht FÜR die Öffentlichkeit.

    Klarer geht es nicht.

  2. 16.

    fischersfritz:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 18.07.2023 um 14:24
    Die Chaos-Begleitumstände beider Wahlen waren fast identisch. Es ist daher naheliegend, dass dann die Folgen dieses Chaos ähnlich sind."

    Sie übersehen, dass bei der Bundestagswahl sehr viel weniger Direktmandate als bei der Landeswahl betroffen sind und deshalb die Mandatsrelevanz eine andere ist. Außerdem gibt es den entscheidenenden Unterschied, dass es prozentual bei der Landeswahl viel mehr mandatsrelevante Unstimmigkeiten gab als bei der Bundestagswahl, so dass es höchstwahrscheinlich bei der Bundestagswahl nicht zu einer kompletten Wahlwiederholung im gesamten Wahlgebiet kommen wird.

    Im übrigen ist das BVerfG frei und unabhängig in seiner Entscheidung (nur an Recht und Gesetz gebunden!), insbesondere unabhängig von der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts!

    Also besser abwarten als sinnfrei spekulieren!

  3. 15.

    Die Chaos-Begleitumstände beider Wahlen waren fast identisch. Es ist daher naheliegend, dass dann die Folgen dieses Chaos ähnlich sind. Die Ampel-Regierung will, dass die Wahl nur in 431 von insgesamt 2257 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden muss. Das erscheint aus meiner Sicht wenig begründet zu sein. Die Richterinnen und Richter am Zweiten Senat machten am Dienstag mit ihren Fragen deutlich, dass sie die Aufklärung der Pannen bei der Wahl in Berlin im September 2021 durch den Bundestag für unzureichend halten.

  4. 14.

    >"Bei zu langen Verfahrens/Bearbeitungszeiten ist der Rechtsfrieden auch in Gefahr."
    Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht dauern immer so lange, ehe solche Klagen beim Bundesverfassungsgericht vorliegen. Ich finde es auch gut, dass die Richter bis in alle Tiefe alles prüfen. Das braucht dann auch schon Zeit, alle Gesetze und alle Eventualitäten, die für den Grund der Klage eine Rolle spielten, auch zu prüfen und abzuwägen.
    Das Bundesverfassungsgericht ist nun mal der oberste Hüter unseres Grundgesetzes und sollte gegen alle Kritik, z.B. zum Thema jutistischer Schnellschuss, erhaben sein.

  5. 13.

    Das ist Demokratie. Und wenn die Wahlen nicht ordnungsgemäß waren muss neu gewählt werden. Das ist doch Logo. Wir sind nun mal nicht mehr in der DDR. Das waren doch keine Wahlen. Eher Zettelfalten.

  6. 12.

    Lieschen:
    "Die "Schwarzen" schrecken wohl vor gar nichts zurück, um die Grünen aus der Ampel und die Linke aus dem Parlament zu kriegen?!"

    Das ist ein ganz normales demokratisches Verfahren, in dem das Gericht entscheiden wird! Da ist nichts dran zu kritisieren (außer vielleicht die lange Verfahrensdauer aufgrund von Überlastung).

    Lieschen:
    "Die Wahl zum AGH und zu den BVVen wurde in am 12.02.2023 wiederholt und hat die CDU ins Amt lanciert."

    Die Wähler haben entschieden! Niemand hat da irgendetwas "lanciert"!

    Lieschen:
    "Eine Neuwahl des BT in allen Bezirken nach zwei Jahren unter völlig anderen politischen Bedingungen (nach Corona, Kriegsbeginn, Energiekrise, Inflation etc.) wäre Wahlbetrug!"

    UNSINN! Das ist ein demokratisches Wahlprozedere!

    Lieschen:
    "Aber die "christlichen" hatten ja noch nie ein Problem damit, den rechten Rand abzufischen."

    Hat das irgendetwas mit dem Thema der Wahlwiederholung zu tun? NEIN!

  7. 11.

    Bernhard:
    "Antwort auf [fischersfritz] vom 18.07.2023 um 08:19
    Das BVG beschäftigt sich nicht mit dem Thema. BVG ist die Abkürzung für Bundesverwaltungsgericht.
    Sie meinen das BverfG - das Bundesverfassungsgericht"

    Falsch! Das Bundesverfassungsgericht wird in der Rechtswissenschaft als BVerfG und das Bundesverwaltungsgericht als BVerwG abgekürzt. (jeweils mit groß geschriebenem "V")

  8. 10.

    piefke:
    "Wenn es angeblich um das hohe Gut der Demokratie geht, müssten alle Beteiligte die Wahl anfechten, oder keine."

    Wo ist da irgendeine Logik?

  9. 9.

    Die "Schwarzen" schrecken wohl vor gar nichts zurück, um die Grünen aus der Ampel und die Linke aus dem Parlament zu kriegen?!
    Die Wahl zum AGH und zu den BVVen wurde in am 12.02.2023 wiederholt und hat die CDU ins Amt lanciert.
    Eine Neuwahl des BT in allen Bezirken nach zwei Jahren unter völlig anderen politischen Bedingungen (nach Corona, Kriegsbeginn, Energiekrise, Inflation etc.) wäre Wahlbetrug!
    Aber die "christlichen" hatten ja noch nie ein Problem damit, den rechten Rand abzufischen.

  10. 8.

    Demokratie ist doch nicht, wenn sich alle einig sind!
    Demokratie ist gleiches Wahlrecht für alle.
    Rechtsstaat ist, wenn man sich gegen den Staat vor Gericht wehren kann.
    Ihre Vision von "alle oder keiner" ist politische Romantik.

  11. 7.

    Das ganze dauert einfach nur viel zu lange. Wenn die Legislatur fast vorbei ist brauchen wir auch keine Wiederholung. Bei zu langen Verfahrens/Bearbeitungszeiten ist der Rechtsfrieden auch in Gefahr.

  12. 6.

    In einem Rechtsstaat sollten Wahlen normalerweise korrekt ablaufen. Wenn es da Unklarheiten oder Probleme gab, müssen Gerichte eben prüfen und dann entscheiden, wie verfahren wird.

  13. 5.

    Na und? Genau das macht doch einen Rechtsstaat aus. Jeder, der sich unangemessen benachteiligt wähnt, hat das Recht, dies ordentlich juristisch prüfen zu lassen. Dass die Nutznießer einer Panne nicht klagen, liegt ja wohl in der Natur der Sache. Es wird spannend, wie das BVerfG entscheiden wird. Meiner Meinung nach haben beide Seiten durchaus valide Argumente.

  14. 3.

    Das BVG beschäftigt sich nicht mit dem Thema. BVG ist die Abkürzung für Bundesverwaltungsgericht.

    Sie meinen das BverfG - das Bundesverfassungsgericht

  15. 2.

    "Warum muß sich das BVG mit der Bundestagswahl befassen?" Ganz einfach. Weil der Wahlverlierer glaubt, die Organisation der Wahl ist irregulär gewesen. Ob, und wenn ja und in welchem Umfang das der Fall gewesen ist, muss nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

  16. 1.

    Warum muß sich das BVG mit der Bundestagswahl befassen? Ganz einfach. Weil der Wahlverlierer die Niederlage nicht akzeptiert. Hat man schon davon gehört, dass Nutznießer von Entscheidungen gegen diese Klagen? Ich nicht. Wenn es angeblich um das hohe Gut der Demokratie geht, müssten alle Beteiligte die Wahl anfechten, oder keine. So aber kann man getrost die Klage als Machtspiel der Verlierer abtun. Trotzdem: Ich bin froh, dass unsere Demokratie relativ gut funktioniert. Auch dank der unabhängigen Presse und Medien, die soviel erdulden müssen.

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