Interview | Kardiologe Martin Halle - "Hinweise zur Reanimation sollten vor jedem Sportereignis über die Leinwände laufen"
Beim Spiel des 1. FC Union in Stuttgart bricht ein Fan der Eisernen auf der Tribüne zusammen und wird erfolgreich reanimiert. Treten derartige Notfälle in Fußballstadien gehäuft auf und was sollten Fans beachten?
rbb|24: Herr Halle, beim Auswärtsspiel von Union Berlin in Stuttgart musste ein Fan der Eisernen im Stadion reanimiert werden. Von derartigen Vorfällen hört man immer mal wieder. Ist das subjektive Wahrnehmung oder besteht bei großen Veranstaltungen wie Fußballspielen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Notfälle?
Halle: Grundsätzlich passieren Ereignisse wie ein Herz-Kreislauf-Kollaps, der vielleicht zu Kammerflimmern, also Herz-Rhythmus-Störung, oder sogar plötzlichem Herztot führt, überall. Zuhause in der Wohung, auf dem Fußballfeld oder eben auf der Tribüne. Die Wahrnehmung ist im Stadion aber natürlich eine andere. Auch der mediale Blick darauf ist ein größerer. Es ist aber schon so, dass Zuschauer beim Fußball oder anderen Sportarten besonders erregt sind. Es kommt zu einem Anstieg der Stresshormone, der Puls geht hoch, der Blutdruck steigt. Das alles sind Belastungen fürs Herz.
Lässt sich das statistisch belegen?
Tatsächlich kennen wir das von Großereignissen wie der Fußball-WM, wo das mal getestet worden ist. Die Herzinfarktrate während und nach den Spielen - gerade wenn es knapp wird oder Deutschland gespielt hat - nimmt zu und es treten häufiger Herz-Kreislauf-Probleme auf.
Also gibt es während eines Fußballspiels schon zusätzliche Faktoren, die das Risiko eines Herz-Kreislauf-Notfalls erhöhen.
Ja. Es ist so, dass 30 Prozent aller 50-Jährigen erhöhte Blutdruckwerte haben. Das wird entweder medikamentös behandelt oder aber noch nicht. Gerade die noch nicht behandelten Personen oder Menschen, bei denen die erhöhten Werte noch nicht erkannt wurden, sind wegen der oben genannten Gründe besonders gefährdet, wenn sie sich psychisch aufregen. Auch kalte Außentemperaturen, bei denen sich die Gefäße zusammenziehen, können ein Faktor sein. Desweiteren sind einige Fußballfans sicherlich auch nicht die gesündesten Menschen. Es sind also verschiedene Komponenten, die zusammenkommen.
Ist die Vorbereitung und Ausstattung in den Stadien gut genug für derartige Notfälle?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Kammerflimmern, plötzlicher Herztot, Wiederbelebung - das passiert rein statistisch und wegen der hohen Zuschauerzahlen alle paar Spiele mal. Dann kommt es auf mehrere Aspekte an. Erstens: Die Menschen, die sich um die betroffende Person befinden, müssen sofort den Sicherheitsdienst und die Erstversorger vom Roten Kreuz rufen können. Zweitens: Defibrilatoren, die sogenannten AEDs, müssen schnell erreichbar und eingesetzt werden. Man kann eigentlich sagen, dass man in einem Stadion besser gewappnet ist, weil der ärztliche Notdienst sofort erreichbar ist. Das ist zum Beispiel in der U-Bahn, zuhause oder beim Spaziergang im Wald nicht so. Insofern ist man eher sicherer im Fußballstadion. Es ist aber sehr wichtig, dass alles gut vorbereitet ist und alle Kenntnis dazu haben. Mein Vorschlag ist deshalb, vor jedem größeren Sportereignis über die Leinwände Hinweise zur Reanimation laufen zu lassen. Wir müssen die Bevölkerung aufklären.
Angenommen neben mir auf der Tribüne bricht jemand zusammen. Was sollte ich machen?
Das Wichtigste ist, Hilfe zu rufen, also einen Notarzt oder die Rettungsdienste. Das muss sofort passieren, denn wenn das gemacht ist, tickt die Zeit. Dann erst widmet man sich der Person, die zusammengesackt ist. Man sollte das Bewusstsein checken und eruieren, was passiert ist. Wenn die Person nicht ansprechbar ist, ist ein Kammerflimmern sehr wahrscheinlich. Dann sollte sofort mit der Reanimation, also der Herzdruckmassage und der Beatmung, begonnen werden.
Was sind Anzeichen für Herz-Probleme, mit denen ich gar nicht erst ins Stadion gehen oder den Fanblock verlassen sollte?
Vor allem mit Druck auf dem Brustkorb, den man nicht auf schlechtes Essen oder die Currywurst schieben darf, sollte man sofort zu einem Arzt. Das kann eine fehlerhafte Durchblutung des Herzens andeuten. Das fühlt sich an, als würde vorne in der Mitte auf dem Brustkorb ein Stein liegen. Dieser Schmerz kann sich in den Hals oder den linken Arm ausbreiten - ein Zeichen für einen Herzinfarkt. Auch Luftnot oder Schwindel können Indizien sein. Bei Frauen können die Symptome etwas anders sein: Magen- oder sogar Rückenschmerzen. Auch mit geschwollenen Beinen, die man sonst nicht hat, sollte man sofort zum Arzt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb sport.