Interview | Kardiologe Martin Halle - "Hinweise zur Reanimation sollten vor jedem Sportereignis über die Leinwände laufen"

Fr 20.12.24 | 12:29 Uhr
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Union Fans stellen nach einem medizinischen Notfall in Stuttgart die Gesänge ein. Quelle: imago images/Matthias Koch
Bild: imago images/Matthias Koch

Beim Spiel des 1. FC Union in Stuttgart bricht ein Fan der Eisernen auf der Tribüne zusammen und wird erfolgreich reanimiert. Treten derartige Notfälle in Fußballstadien gehäuft auf und was sollten Fans beachten?

rbb|24: Herr Halle, beim Auswärtsspiel von Union Berlin in Stuttgart musste ein Fan der Eisernen im Stadion reanimiert werden. Von derartigen Vorfällen hört man immer mal wieder. Ist das subjektive Wahrnehmung oder besteht bei großen Veranstaltungen wie Fußballspielen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Notfälle?

Halle: Grundsätzlich passieren Ereignisse wie ein Herz-Kreislauf-Kollaps, der vielleicht zu Kammerflimmern, also Herz-Rhythmus-Störung, oder sogar plötzlichem Herztot führt, überall. Zuhause in der Wohung, auf dem Fußballfeld oder eben auf der Tribüne. Die Wahrnehmung ist im Stadion aber natürlich eine andere. Auch der mediale Blick darauf ist ein größerer. Es ist aber schon so, dass Zuschauer beim Fußball oder anderen Sportarten besonders erregt sind. Es kommt zu einem Anstieg der Stresshormone, der Puls geht hoch, der Blutdruck steigt. Das alles sind Belastungen fürs Herz.

Zur Person

Dr. Martin Halle von der technischen Universität München. Quelle: Silvia Béres
Silvia Béres

Prof. Dr. Martin Halle ist Ärztlicher Direktor des Lehrstuhls für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin an der Technischen Universität München und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung

Lässt sich das statistisch belegen?

Tatsächlich kennen wir das von Großereignissen wie der Fußball-WM, wo das mal getestet worden ist. Die Herzinfarktrate während und nach den Spielen - gerade wenn es knapp wird oder Deutschland gespielt hat - nimmt zu und es treten häufiger Herz-Kreislauf-Probleme auf.

Also gibt es während eines Fußballspiels schon zusätzliche Faktoren, die das Risiko eines Herz-Kreislauf-Notfalls erhöhen.

Ja. Es ist so, dass 30 Prozent aller 50-Jährigen erhöhte Blutdruckwerte haben. Das wird entweder medikamentös behandelt oder aber noch nicht. Gerade die noch nicht behandelten Personen oder Menschen, bei denen die erhöhten Werte noch nicht erkannt wurden, sind wegen der oben genannten Gründe besonders gefährdet, wenn sie sich psychisch aufregen. Auch kalte Außentemperaturen, bei denen sich die Gefäße zusammenziehen, können ein Faktor sein. Desweiteren sind einige Fußballfans sicherlich auch nicht die gesündesten Menschen. Es sind also verschiedene Komponenten, die zusammenkommen.

Ist die Vorbereitung und Ausstattung in den Stadien gut genug für derartige Notfälle?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Kammerflimmern, plötzlicher Herztot, Wiederbelebung - das passiert rein statistisch und wegen der hohen Zuschauerzahlen alle paar Spiele mal. Dann kommt es auf mehrere Aspekte an. Erstens: Die Menschen, die sich um die betroffende Person befinden, müssen sofort den Sicherheitsdienst und die Erstversorger vom Roten Kreuz rufen können. Zweitens: Defibrilatoren, die sogenannten AEDs, müssen schnell erreichbar und eingesetzt werden. Man kann eigentlich sagen, dass man in einem Stadion besser gewappnet ist, weil der ärztliche Notdienst sofort erreichbar ist. Das ist zum Beispiel in der U-Bahn, zuhause oder beim Spaziergang im Wald nicht so. Insofern ist man eher sicherer im Fußballstadion. Es ist aber sehr wichtig, dass alles gut vorbereitet ist und alle Kenntnis dazu haben. Mein Vorschlag ist deshalb, vor jedem größeren Sportereignis über die Leinwände Hinweise zur Reanimation laufen zu lassen. Wir müssen die Bevölkerung aufklären.

Angenommen neben mir auf der Tribüne bricht jemand zusammen. Was sollte ich machen?

Das Wichtigste ist, Hilfe zu rufen, also einen Notarzt oder die Rettungsdienste. Das muss sofort passieren, denn wenn das gemacht ist, tickt die Zeit. Dann erst widmet man sich der Person, die zusammengesackt ist. Man sollte das Bewusstsein checken und eruieren, was passiert ist. Wenn die Person nicht ansprechbar ist, ist ein Kammerflimmern sehr wahrscheinlich. Dann sollte sofort mit der Reanimation, also der Herzdruckmassage und der Beatmung, begonnen werden.

Was sind Anzeichen für Herz-Probleme, mit denen ich gar nicht erst ins Stadion gehen oder den Fanblock verlassen sollte?

Vor allem mit Druck auf dem Brustkorb, den man nicht auf schlechtes Essen oder die Currywurst schieben darf, sollte man sofort zu einem Arzt. Das kann eine fehlerhafte Durchblutung des Herzens andeuten. Das fühlt sich an, als würde vorne in der Mitte auf dem Brustkorb ein Stein liegen. Dieser Schmerz kann sich in den Hals oder den linken Arm ausbreiten - ein Zeichen für einen Herzinfarkt. Auch Luftnot oder Schwindel können Indizien sein. Bei Frauen können die Symptome etwas anders sein: Magen- oder sogar Rückenschmerzen. Auch mit geschwollenen Beinen, die man sonst nicht hat, sollte man sofort zum Arzt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb sport.

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5 Kommentare

  1. 5.

    Mit Blick auf Kosten und Nutzen von Defibrilatoren schlage ich vor, das in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden, Geschäften, Restaurants, Einrichtungen etc. ab einer bestimmten Grösse, an Eingangstüren gekennzeichnet, Defi's zur Verfügung stehen. Alle anderen Kleineren können sich gerne anschliessen. In Schulen muss die erste Hilfe-Ausbildung ab einer vernünftigen Altersstufe in den Lehrplan aufgenommen werden. Bis das alles soweit ist, können alle in unserer Gesellschaft auf freiwilliger Basis zeigen, welchen Wert sie einem Menschenleben geben.

    An dieser Stelle und mit Blick auf das endende und bevorstehende Neue Jahr allen Engagierten und allen haupt- und ehrenamtlichen, beruflich oder freiwillig Hilfeleistenden den grössten Respekt und Dank!!!

  2. 4.

    Leider bieten die wenigsten Schulen solche Kurse an.

    Beim Führerschein lernst du auch nur LSM, was auch ausreichend ist, um jemanden wiederzubeleben... nur wie viele trauen es sich, wirklich einen Menschen wiederzubeleben? Viele haben das vergessen oder haben Angst, was falsch zu machen.

    Wenn ich jetzt einen EH-Kurs von 20 Jahren nehme und mit jetzt vergleiche, hat sich einiges verändert, und zwar richtig was.

    Sei es der Rhythmus bei der Wiederbelebung oder auch bei der stabilen Seitenlage usw.


    Wer vor 20 Jahren oder 10 Jahren seinen Kurs gemacht, hat, sollte dringend einen Kurs zur Auffrischung besuchen.


    auffrischung vom erlernten fördert die Sicherheit in der enstprechenden Situation.

  3. 3.

    Vielleicht sollte hier mal erwähnt werden, daß es Union Fans waren die ihren Kameraden,durch die erste Hilfe,im Leben gehalten haben.Für die Experten ganz wichtig,die in Fußballfans immer nur besoffene, randalierende Dumpfbacken sehen.

  4. 2.

    Den erste Hilfe Kurs hat jeder, das ist schon jetzt so. Sei es in der Schule oder Ausbildung, spätestens aber bei der Fahrschule.

  5. 1.

    Es sollte einfach verpflichtend werden, mindestens einmal einen 1. Hilfe-Kurs zu besuchen und diesen erfolgreich zu bestehen (besteht jeder).

    Es sollten auch im öffentlichen Raum immer wieder Automatische Externe Defibrillatoren (AED) hängen und wenn diese abgenommen werden, ein Notruf erfolgen, sodass die Rettungskräfte automatisch alarmiert werden.

    Leider wird das nicht finanziert werden können, da man im Land Berlin sparen muss. Wie immer wird am falschen Ende gespart. Auch Veranstalter sollten in ihren Bereich solche AED's aufhängen und mit dem örtlichen Sanitätsdienst koppeln.

    Jede Minute, die vergeht und keiner hilft, ist schädlich für die betroffene Person.

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