Krisen und Herausforderungen - Modelabels in Berlin bangen um die Existenz
Erst Corona, dann steigende Energie-Kosten und Gewerbemieten - und vor allem fehlende Kundschaft. Die andauernden Krisen machen vor Mode-Labels in Berlin nicht halt. Darunter sind auch alteingesessene Fair-Fashion-Marken. Von Christina Rubarth
Die Nähmaschine surrt. Philippe Werhahn arbeitet Aufträge ab, näht von seinem Miteigentümer Dennis Pahl vorgeschnittene Stoffteile zu Pullovern. In der Eingangstür aus Glas des kleinen Ladens in der Neuköllner Bürknerstraße klebt ein Schild: "Wir schließen". "Vor zwei Jahren waren hier in der Straße noch sechs, sieben Labels, die alle selbst produziert haben", sagt Philippe Werhahn, "jetzt sind nur noch wir da und zwei Läden, die Schmuck machen."
Das Berliner Unternehmen Kolla.Berlin verkauft eine Handvoll Modelle: T-Shirts, Hoodies, Kleider, Pullover. "Made to order", auf Maß für seine Kunden und im Online-Shop. Ohne Überproduktion. Auch Upcycling-Kleidung hängt an den Kleiderstangen. Also neue Mode aus schon mal getragenen Kleidern.
Als es richtig gut lief, hatten Werhahn und Pahl zehn Mitarbeiter:innen, jetzt sind sie wie am Anfang nur zu zweit. Dennis arbeitet schon lange nebenbei in einem Pflegedienst, um zusätzlich Geld zu verdienen. Als der Umsatz merklich zurück ging, suchte sich auch Werhahn einen anderen Job - er arbeitet als Sportlehrer. Das Modegeschäft rechnet sich für beide nicht mehr.
Slow Fashion lohnt sich nicht mehr
Die Aufträge, an denen Philippe Werhahn jetzt schneidert, gehören zum Weihnachtsgeschäft und kamen nach dem Newsletter an die langjährige Kundschaft vor ein paar Tagen rein. "Wir wissen gerade nicht, in welcher Form es Kolla.Berlin in Zukunft geben wird", schrieben die beiden an ihre Kund:innen.
Bis der Stoffvorrat leer ist, laufen die Maschinen. Anfang April, Stand jetzt, geht es nach Rixdorf, in ein kleineres Atelier. Für wie lange diese Sparmaßnahme reicht, ist unklar. "Unser Ziel ist, hier nicht mit Schulden rauszugehen", sagt Werhahn, "wir hören lieber vorher auf."
Viele Herausforderungen schaden Modeläden
Es ist eine Kombination aus mehreren Krisen und Herausforderungen, die dem Laden schadet: die letzten Corona-Auswirkungen, der Krieg in der Ukraine, der die Energiekosten steigen ließ, die Inflation, die die Kaufkraft der Menschen schwächte.
Einen großen Teil der Einnahmen machte Kolla.Berlin früher an Samstagen. In diesem Jahr gab es aber schon viele Samstage komplett ohne Umsatz. "Dieses bewusste Shoppen gehen, was Samstag immer war, ist weggefallen." Ein Trend, der nicht nur Kolla.Berlin getroffen hat.
Moritz Marker von Loveco - ein Geschäft, das nur Mode aus nachhaltigen Materialien vertreibt und auf faire Produktionsbedingungen achtet - sagt, auch er merke, dass das Geld offenbar für andere Dinge ausgegeben werde. Nachhaltiger Konsum rücke in den Hintergrund. Loveco musste Personal abbauen und einen Laden in der Kreuzberger Manteuffelstraße schließen. Seit 2018 hat Loveco einen Laden in der Eisenacher Straße in Schöneberg, der älteste liegt in der Sonntagstraße in Friedrichshain. Gerade läuft es etwas besser. Jetzt gibt es einen neuen in der Kreuzberger Körtestraße. Ob der Trend anhält - Marker weiß es nicht.
Jeder fünfte Arbeitsplatz in der Modebranche ist verschwunden
"Mode, Schuhe, Spielwaren - das Segment läuft immer weniger", sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Das sehe er an den Abmeldungen im Handelsverband. Das bedeutet, Läden würden schließen. Nicht die großen Ketten, aber kleinere inhabergeführte Unternehmen. Attraktive Einkaufsstraßen mit kleinen Läden, die zum Einkaufsbummel einladen, wie sie sich Busch-Petersen wünscht, gibt es immer weniger in Berlin.
Nach Zahlen des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg meldeten im vergangenen Jahr 1.647 Berliner Unternehmen Insolvenz an – das waren 395 Insolvenzverfahren oder knapp ein Drittel mehr als im Jahr 2022.
Besonders hart trifft es die Modebranche. Dort ist laut des Berichts "Status Deutsche Mode" des Fashion Council Germany und Oxford Economics zwischen 2019 und 2023 bundesweit jeder fünfte Arbeitsplatz verloren gegangen.
Gerade für kleine Unternehmen sieht Nils Busch-Petersen auch den weiter wachsenden Online-Handel als immer größeres Problem. Zahlen des Status-Reports belegen das Wachstum dieses Sektors: Der Anteil des Online-Umsatzes für Bekleidung und Schuhe am gesamten Einzelhandel mit diesen Produkten erreichte im Jahr 2023 schätzungsweise 27 Prozent. Im Vergleich zum Anteil von 21 Prozent im Jahr 2019 ist das eine deutliche Zunahme.
Der stationäre Handel leidet in Berlin auch unter den steigenden Gewerbemieten. Die zu beschränken, wäre aber Sache des Bundes.
Modelabel UVR Berlin musste Insolvenz anmelden
Getroffen haben Weltlage und hohe Gewerbemieten auch das Unternehmen UVR Berlin. UVR entwirft seit 30 Jahren Mode in Berlin und fertigt in Europa. Viele Stücke sind aus recycelten Fasern hergestellt. In den besten Zeiten verkaufte das Label seine Mode in sechs Läden in Berlin und jeweils einem Laden in Hamburg und Hannover.
Anna Schieber hat viele Jahre als Designerin für UVR gearbeitet, vor knapp drei Jahren übernahm sie das Unternehmen. Doch der Aufschwung nach Corona blieb aus, Material- und Energiekosten stiegen und die Umsätze gingen stark zurück. Im November 2023 meldete Schieber Insolvenz an. "Wir dachten ja alle, dass es da nach vorne geht, dass Corona vorbei ist und dass sich irgendwie alles wieder entspannen wird", sagt sie. "Wir sind von einer Krise in die nächste geraten."
In diesem Jahr musste Schieber den Laden in der Oranienstraße schließen, in dem die Umsätze besonders stark zurückgegangen waren, außerdem die Filiale in Hamburg.
In der Oranienstraße waren sie vorher einmal umgezogen, denn die Miete im alten Laden sollte sich auf 10.000 Euro pro Monat verdoppeln. In der Straße gibt es mittlerweile fast nur noch Gastronomiebetriebe, die sich die Mieten offenbar leisten können. Jetzt ist UVR auch aus dem Nachfolgeladen ausgezogen. Das Ladenlokal steht leer.
Investor:in gesucht
Immerhin: Die Sparmaßnahmen zeigen mittlerweile Wirkung, UVR macht auch wieder stabile Umsätze. Doch Anna Schieber braucht ausreichend Geld, um die neue Kollektion produzieren zu können, damit es weitergehen kann.
Lange sah es so aus, als hätte sie einen Investor gefunden, doch der zog sich vor wenigen Wochen zurück. Um jemanden zu finden, der in UVR investiert, bleibt nun nur noch Zeit bis Ende des Jahres. "Wir sind alle ziemlich von Angst erfasst", sagt Schieber, die inzwischen auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet hat, um UVR zu retten. "Ich habe nicht mehr richtig Kraft, mir vorzustellen, wie es wird, wenn die Firma zu ist." Wenn das passiert, muss sie 25 Mitarbeiter:innen entlassen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.12.2024, 19:30 Uhr