Mikro-Trends - Modephänomene im Schnelldurchlauf

Mo 28.10.24 | 10:55 Uhr | Von Marie Röder
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Symbolbild:Eine Beyoncé-Fan trägt einen Cowboy-Hut mit glitzernden Fransen.(Quelle:picture alliance/NurPhoto/R.Mathalone)
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Audio: Radioeins | 24.10.2024 | Marie Röder über Mikro-Trends | Bild: picture alliance/NurPhoto/R.Mathalone

"Cowboy Core" und "Mob Wife Aesthetic" sind zwei Modetrends, die in diesem Jahr viral gegangen sind. Diese "Mikro-Trends" setzen sich oft kurz durch, um vom nächsten abgelöst zu werden. Das ist zwar nicht nachhaltig, hat aber auch positive Aspekte. Von Marie Röder

Fransenjacken und Cowboystiefel: Der Frühling stand modisch ganz im Zeichen von "Cowboy Core", ausgelöst durch das neue Beyoncé-Album. Kurz darauf folgte der nächste Trend: der "Brat Girl Summer". Eine Ästhetik, die gezielt unperfekt war - mit verschmiertem Eyeliner, zerzausten Haaren und 2000er-Vibes. Auch die "Mob Wife Aesthetic" schaffte es in diesem Jahr für einige Wochen in die Kleiderschränke: viel Leopardenmuster, Pelzmäntel und dazu hochtoupierte Haare. Diese schnellen Wechsel nennt man Mikro-Trends.

"Normalerweise haben Modetrends mindestens eine Saison Bestand, aber Mikro-Trends zum Teil nur einen Monat oder sogar nur ein paar Wochen", sagt der Trendanalyst Carl Tillessen aus Berlin. Sie erreichen vor allem jüngere Menschen, meist aus der Generation Z. Es geht dabei nicht nur um modische Erneuerung, der gesamte Lebensstil kann sich kurzzeitig den Trends unterwerfen: "Nehmen wir mal aktuelle Mikro-Trends wie 'Brat Girl Summer' oder 'Mob Wives'. Die stehen im Zusammenhang mit größeren Trends, bei denen es darum geht, mit traditionellen Vorstellungen von gutem Geschmack zu brechen. Dazu würde zum Beispiel eben auch eine ungesunde Ernährung gehören", so Carl Tillessen.

Soziale Medien als Trendtreiber

Soziale Medien sind entscheidend für die Verbreitung dieser Trends. Mit Hashtags wie #cowboycore oder #bratgirlsummer drücken Nutzer:innen auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram ein Lebensgefühl aus. "In dem Moment, in dem man dem Trend einen Namen gibt, definiert man ihn. So fällt es anderen leichter, darauf einzusteigen und ihn für sich umzusetzen. Dann flackert er wie ein Strohfeuer kurz und hell auf", erklärt Carl Tillessen.

Die wachsende Bedeutung der sozialen Medien führt laut dem Trendanalysten allerdings nicht dazu, dass traditionelle Modestandorte wie Berlin an Einfluss verlieren. "Trotz Globalisierung gibt es ausgeprägte lokale Ästhetiken, die bleiben", erklärt er. In Berlin prägt die Clubkultur weiterhin die Mode, mit typischen Fetisch- und Grunge-Elementen. "Berlin setzt immer wieder auch global Impulse", betont Tillessen.

Warum Mikro-Trends so attraktiv sind, erklärt der Psychologe und Social-Media-Forscher Hannes-Vincent Krause: "Als Menschen haben wir zum einen das Bedürfnis, einzigartig zu sein und herauszustechen. Auf der anderen Seite gibt es auch das Bedürfnis danach, von anderen Menschen Anerkennung zu bekommen." Mikro-Trends würden es erlauben, von einem gewissen Anteil an anderen Menschen gut gefunden zu werden - "aber auch nicht von so wahnsinnig vielen Menschen, als dass dadurch unsere Einzigartigkeit verloren gehen könnte." Allerdings können diese Trends auch negativen Druck erzeugen: "Man könnte das Gefühl bekommen, andere Leute können sich mehr Sachen leisten. Denn um so einen Trend zu befolgen, gehört natürlich auch ein bisschen finanzielles Investment dazu", sagt Hannes-Vincent Krause.

Vreni Jaeckle, Carl Tillessen, Hannes Vincent Krause. (Quelle: Livia Kappler, Martin Mai, Tim Labenda)
Livia Kappler, Martin Mai, Tim Labenda

Carl Tillessen ist Chef-Trendanalyst am Deutschen Mode-Institut. Außerdem arbeitet er als Berater, Autor und Modedesigner. Er lebt in Berlin.

Hannes-Vincent Krause ist Psychologe und Forscher, der sich auf die Auswirkungen von Social Media auf das menschliche Wohlbefinden spezialisiert hat. Er arbeitet am Weizenbaum Institut in Berlin.

Vreni Jäckel ist Mitgründer:in von "Fashion Changers", einer Plattform, die sich für faire und nachhaltige Mode einsetzt. "Fashion Changers" betreibt ein Online-Magazin mit Artikeln zu Themen wie Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Politik im Kontext der Modeindustrie.

Mikro-Trends als Identitätssuche

Dass die sozialen Medien zu einem kritischen Konsum führen können, zeigt auch eine aktuelle Studie des Fraunhofer Instituts [isi.fraunhofer.de]. Mindestens ein Viertel der Jugendlichen erlebt regelmäßig negative Reaktionen, wenn sie dem Marketing von Influencer:innen ausgesetzt sind. Beispiele dafür sind Impulskäufe, zwanghaftes Kaufverhalten oder soziale Konflikte. Rund die Hälfte der Jugendlichen hat laut Studie schon Produkte gekauft, die von Influencer:innen beworben wurden.

Jugendliche sind besonders anfällig für Trends, erklärt auch Hannes-Vincent Krause. Mikro-Trends bieten jedoch auch Vorteile, Menschen werde es ermöglicht, alternative Lebensmodelle kennenzulernen, Zustimmung zu erfahren und Gefühle von sozialer Verbundenheit zu spüren. "Wenn ich merke: Da ist eine Gruppe, die befolgt einen bestimmten Trend und ich fühle mich dem total zugehörig und in meinem Offline-Kontext gibt es das gar nicht, kann das für die Suche nach Identität, nach Zugehörigkeit ein Benefit sein", erklärt der Psychologe weiter.

Allerdings seien sich Nutzer:innen nicht immer bewusst, welche Werte hinter bestimmten Trends stehen. "Es gibt diese 'Trad-Wife'-Ästhetik, das steht für 'Traditional Wife' dabei spiegeln Frauen traditionelle Rollen wider: Sie bereiten Essen vor, sorgen für den Haushalt, machen am besten alles selbst. Diese Videos gehen viral. Das ist nicht nur einfach Content, sondern dahinter steht ein Menschen- und ein Rollenbild." Eine kritische Auseinandersetzung mit den Werten, die durch Mikro-Trends vermittelt werden, sei deswegen wichtig, so Krause.

Nachhaltigkeit versus Fast Fashion

Auch die Umwelt kann unter der Schnelllebigkeit der Mikro-Trends leiden: "Die einfachste Art, Mikro-Trends umzusetzen, ist Fast-Fashion und Ultra-Fast-Fashion zu kaufen", sagt Vreni Jäckle von der Plattform "Fashion Changers", die sich für Nachhaltigkeit in der Modebranche einsetzt. Mode-Unternehmen wie Shein könnten innerhalb weniger Wochen neue Trends in ihrem Online-Shop anbieten: "Das ist eine Turbokurbel für den Konsum", so Vreni Jäckle. Laut einer Studie des Europäischen Parlaments [europarl.europa.eu] war die Textilindustrie bereits 2020 die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch. Bis 2050 könnte sie für ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein, prognostiziert die britische Mac-Arthur-Stiftung [ellenmacarthurfoundation.org].

Wie also umgehen mit Mikro-Trends? Vreni Jäckle empfiehlt, nicht jedem Trend zu folgen, genau zu überlegen, was zur eigenen Persönlichkeit passt, bewusst zu konsumieren. Auch Second-Hand-Läden bieten trendige Stücke, oder man tauscht Kleidung mit Freund:innen. Vreni Jäckle trägt selbst immer noch pinke Cowboyboots, auch wenn der Trend längst vorbei ist.

Sendung: Radioeins, 24.10.2024, 16:10 Uhr

Beitrag von Marie Röder

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3 Kommentare

  1. 3.

    Muss total an mir vorbei gegangen sein. Danke rbb für de Vergangenheitsbewältigung!

  2. 2.

    Tja - für normale Menschen, die ihrer normalen Arbeit nachgehen müssen, ein normales Gehalt haben und einen normalen Haushalt mit Kindern undundund führen müssen, wären solche Moden Luxus und für Luxus ist einfach keine - äh - Zeit... Da hat man andere Probleme.
    Viel Spaß in Ihrem Leben.

  3. 1.

    Also ich habe, obwohl sehr viel in Berlin unterwegs, von diesen drei genannten Trends überhaupt nichts gesehen. Im Gegenteil, alles wird immer langweiliger. Lange glatte Haare ohne Pepp, maximal mit Knödel Dutt, Jeans, einfarbige Shirt oder Pulli, Turnschuhe - mehr sieht man nicht. Keine Accessoires wie Tücher, Gürtel oder Schmuck, keine raffinierten Schnitte oder Muster. Langweiliger geht es kaum noch.

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