Beleidigungen und Schläge auf dem Rasen - Woher kommt die Gewalt im Berliner Amateurfußball?

Sa 05.04.25 | 11:25 Uhr
  19
Polizisten am Rande eines Fußballspiels | Bild: IMAGO/foto2press
Bild: IMAGO/foto2press

Beleidigungen und Schlägereien – seit Jahren ist Gewalt ein Thema im Amateurfußball. Zwei oft formulierte Thesen: Die Gewalt nehme zu und sei vor allem unter Spielern mit Migrationshintergrund ein Problem. Aber stimmt das? Von Jakob Lobach

Es waren Szenen mit symbolischer Strahlkraft: Mitte März bahnte sich am Sonntagnachmittag die Berliner Polizei ihren Weg auf einen Fußballplatz in Prenzlauer Berg. Dort hatte sich ein Amateurspiel in eine Prügelei verwandelt, es soll zu rassistischen Beleidigungen gekommen sein. Exakt eine Woche später boten sich in Lichtenberg und Friedrichshain ähnliche Bilder: hier eine Prügelei der beiden Teams mitsamt Platzwunden und Prellungen, dort Fans und Spieler, die aufeinander losgingen.

"Kleine Schwankungen" in der Gewaltbereitschaft

Es sind drei Extremfälle, die stellvertretend für ein altes Problem stehen: Gewalt im Amateurfußball. Seit Jahren wird hierüber auch in Berlin diskutiert – oft verbunden mit dem Gefühl, dass die Gewalt zunimmt. Dabei stehen zwei Fragen oft im Fokus: Wieso gibt es im Fußball so viel mehr Gewaltvorfälle als in anderen Sportarten? Und gibt es ein typisches Täterbild?

Vorneweg eine Antwort auf ein Gefühl: Wenngleich viele Menschen den Eindruck haben, dass die Gewalt auf Amateurplätzen weiter stetig zunimmt, lässt sich das durch die jüngsten Zahlen nicht mehr bestätigen. "Die Tendenz ist, dass es keine neue Tendenz gibt", sagt Theresa Hoffmann. Sie ist beim Berliner Fußballverband (BFV) federführend zuständig für Gewaltprävention und initiierte eine große Studie zu Vorfällen in der Berliner Amateursaison 2022/23.

Das Ergebnis: 1.020 Fälle von verbaler und physischer Gewalt aus knapp 34.500 Saisonspielen verhandelten das Sportgericht und die Ausschüsse des BFV – exakt 38 Vorfälle mehr als in der Saison 2021/22. Für die vergangene Saison 2023/24 berichtet der Deutsche Fußball-Verband bundesweit von einem leichten Rückgang der Spielabbrüche, und Fälle von Gewalt und Diskriminierung. Insgesamt sind die Zahlen in den vergangenen zehn Jahren allerdings gestiegen. "Es gibt immer wieder kleine Schwankungen hoch und runter", sagt Hoffmann, "aber wir nehmen nicht wahr, dass die Gewalt extrem zu- oder abnimmt."

Es kommt im Fußball schlicht und einfach häufiger vor, dass ausufernde Gewalt entsteht.

Prof. Dr. Silvester Stahl, Sportsoziologe

Unterschiede in der Art der Gewalt

Fakt bleibt: In durchschnittlich knapp drei Prozent der Berliner Amateurspiele gibt es Tätlichkeiten oder Beleidigungen, die so derb sind, dass der Schiedsrichter sie in seinen Spielbericht schreibt. Zumal sich die Anzahl der Spiele, in deren Folge die Polizei Strafverfahren einleitete, in dieser Saison von sieben auf 15 verdoppelt.

"Allgemein sind im Sport ja viele Auseinandersetzungen erlaubt, die in anderen Lebensbereichen als Gewalt gelten würden", sagt der Sportsoziologe Silvester Stahl. Schläge im Kampfsport, heftiges Gerangel am Kreis im Handball, aber auch Grätschen im Fußball. "Aber wenn das durch Regeln festgelegte Maß überschritten wird, entsteht ausufernde Gewalt", sagt Stahl, "und das kommt im Fußball schlicht und einfach häufiger vor als in anderen Sportarten."

Gesellschaftliche Impulse im Fußball

Blicke in die Amateurligen aus Rugby, Basketball und Co. bestärken diesen Eindruck, der laut Stahl auch mit Zahlen belegbar sei. Die Hintergründe dieses Gewaltpotenzials sind vielfältig, reichen von der Spieleranzahl bis zu jugendlichen (Über-)Ambitionen, die von der Perspektive Profifußball getrieben werden. "Am Ende ist es aber auch eine kulturelle Frage", sagt Stahl und ergänzt: "In der Wahrnehmung der Leute geht es um viel mehr. Der Fußball ist aufgeladen mit gesellschaftlichen Impulsen und Faktoren."

Womit wir mittendrin in der sportlichen Soziologie und dessen Terminologie wären. "Der Fußball erreicht mit seiner Popularität auch bestimmte Gesellschaftsmilieus, die andere Sportarten nicht erreichen", sagt Stahl. In anderen Worten: Im Gegensatz zu Sportarten wie Handball, Tennis oder Hockey erreicht der Fußball in Deutschland alle möglichen Bevölkerungsschichten und -gruppen. "Auch viele bildungsferne Milieus, in denen junge Männer auch in anderen Lebensbereichen mit Gewalt auffallen", sagt Stahl.

Alltagsfrust auf dem Fußballplatz

Im Fachbereich des Sportsoziologen gibt es zu diesen Milieus verschiedene Annahmen: Zum Beispiel, dass Menschen, die eine "bürgerliche Erziehung" und gute schulische Bildung erleben, Konflikte eher verbal austragen, als zur Gewalt zu neigen. Oder auch, dass Gewalt und Aggression – auch im Sport – oft eine Folge von Frustration sind. "Männer lassen auf dem Fußballplatz das raus, was sich in anderen Lebensbereichen aufstaut", sagt Stahl, "und wenn man aus einer sozial schwächeren Schicht kommt, dort Ausgrenzung und vielleicht auch Diskriminierung erfährt, dann hat man viele objektive Gründe, mit mehr Frust auf den Platz zu gehen."

Rund um den Berliner Amateurfußball hat sich dabei in vielen Diskursen ein Eindruck verfestigt: Mannschaften, in denen viele Spieler mit Migrationshintergrund spielen, und deren Fans sollen demnach besonders zu extremen Beleidigungen und zu körperlicher Gewalt neigen. Es ist eine Aussage, die genauestens betrachtet werden muss, die man aber immer wieder hört, wenn man sich in unterschiedlichsten Kontexten mit Spielern oder anderweitig Aktiven aus dem Amateurfußball unterhält.

Die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen und internationale Krisen spiegeln sich vermutlich auch im Amateurfußball wider.

Pressestelle der Berliner Polizei

Auch ein Spieler und Jugendtrainer aus dem Südosten Berlins, mit dem rbb|24 gesprochen hat, berichtet von solchen Erfahrungen. Der gebürtige Mexikaner lebt seit 18 Jahren in Berlin und erzählt von einer Vielzahl gewalttätiger Vorfällen, die er in dieser Zeit auf Fußballplätzen erlebt habe. Bei vielen Aktionen seien Angriffe von Spielern mit türkischen oder arabischen Spielern oder deren Fans ausgegangen, erzählt er. Darunter seien körperlichen Angriffe, Bedrohungen oder rassistische Beleidigungen gegenüber Trainern, Spielern gegnerischer Mannschaften und Schiedsrichtern.

Die Faktoren hinter dem Migrationshintergrund

Laut Silvester Stahl müsse man die mittlerweile entstandenen, oft ähnlich klingenden Vorurteile objektiv und mit viel Vorsicht betrachten. Deshalb tut der Professor in seiner Arbeit an der Fachhochschule für Sport und Management in Potsdam genau das. "Interkulturelles Zusammenleben" gehört dort genauso zu seinen Forschungsschwerpunkten wie "Gewalt und Gewaltprävention im Sport".

Zwar erklärt Stahl, dass die Studienlage zu Gewalt im Amateursport insgesamt noch eher dünn ist und Nachholbedarf bietet. Dennoch betont er explizit, dass der Migrationshintergrund von Spielern, Fans und Co. im Kontext von Gewalttaten im Fußball immer wieder ein entscheidender Faktor sei. Wobei die eigentlichen Faktoren die Dinge sind, die der besagte Migrationshintergrund in Deutschland oft mit sich bringt. Die würden, laut Stahl, schließlich weit über Unterschiede im oft von Stärke und tapferer Gewaltbereitschaft geprägten Männlichkeitsverständnis hinaus gehen.

So berichtete nicht zuletzt der "Lagebericht Rassismus in Deutschland" von der Bundesregierung im Jahr 2023 von struktureller Chancenungleichheit in Schule, Beruf und im Alltag für Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch offene Diskriminierung und Ausgrenzung. Der Sport ist eigentlich ein Gegenpol zu alledem. Ein Bereich, in dem – vereinfacht formuliert – allein das Leistungsprinzip zählt, in dem erst einmal Chancengleichheit besteht. "Wenn man sich dann beim Fußball auch noch ungerecht behandelt fühlt, zum Beispiel durch den Schiedsrichter, birgt das ein erhöhtes Gewaltpotenzial", sagt Silvester Stahl.

In einer Zeit, die von großen politischen Krisen, kulturellen Konflikten und einer wachsenden Unzufriedenheit geprägt ist, ist das ein entscheidender Teil des Problems. Oder um es in den Worten der Berliner Polizei zu sagen: "Die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen und internationale Krisen spiegeln sich vermutlich auch im Amateurfußball wider."

Nächster Artikel

19 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 19.

    Die guten alten Zeiten, die so nie stattgefunden haben.
    Kein Verein in höheren und die meisten Vereine in unterklassigen Ligen waren und sind mit solchen „erlebnisorientierten“ Fans ausgestattet. Manche mit ganz besonders energischen Begleitern.

  2. 17.

    Das ist Unsinn. Legendär die "Spiele" zwischen Rotweiss Essen und Schalke. Schon in den 70ern Jahren waren diese Spiele nur mit massiver Polizeipräsenz möglich. Oder die Hertha Frösche.

  3. 16.

    Na dann empfehle ich Ihnen mal, ein Wochenende in Kreuzberg und Wedding sich Amateurfussball anzutun. Danach werden Sie Ihre Meinung geändert haben.

  4. 15.

    Es gab Zeiten,da war das Spielfeld mit einem Zäunchen von der Tribüne abgetrennt,das reichte völlig.Die Gewalt gibt es,seitdem sich sog.Fans meinen ihren Frust beim Fußball,wie bei Gladiatorenspielen,herauslassen zu können.
    Und die Poltik und Fifa und DFB sind ja nicht unschuldig an der Entwicklung.Durch die Strafen des DFB Privatgerichtes verdient der DFB ja noch an den Ausschreitungen,und eine hupfende Frau Merkel oder ein norddeutscher SPD Vorsitzender im Vorstand bei Bayern München zeigen die Verbindung zwischen Fußball und Politik.Und dass die Ausschreitungen,z B.auch der Fans von Essen,um die Mähr vom bösen Osten zu relativieren,auch bei den unteren (Bundes)Ligen angekommen sind war doch zu erwarten.Herr Infantino und der DFB sind doch auch Vorbilder für Fußballfans und sie machen was sie wollen und werden für ihre Kaltschnäuzigkeit auch noch belohnt,z.B.auch mit von der Politik bezahlten Stadien und kostenfreien Polizeieinsätzen.Und das Vorbild Höness ist auch nicht vorbildlich

  5. 14.

    Wo ist die Neuigkeit, dass Gewalt im Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft ist? Natürlich ist Gewalt leider ein fester Bestandteil des (Amateur-)Sports. Und natürlich wird Gewalt dort meistens von jenen ausgeübt, wie beruchtet. Alle, die selbst aktiv waren oder sind, können das seit Jahrzehnten bestätigen. Alle, die das anzweifeln, haben offensichtlich noch nie oder zu selten Fußballspiele besucht. Dennoch ein guter Artikel, der auch Hintergründe aufzeigt und erfreulicherweise sogar wissenschafte Erkebtnisse darstellt.

  6. 13.

    Brutale Hooligans waren schon in den 1980er Thema in der Bundesliga. Und wer sich, nur als ein Beispiel von vielen, die Gewaltspuren der Fans von Eintracht Frankfurt in ganz Europa anschaut, der kommt drauf, daß das ein gesamtdeutsches Problem ist. Aber dann darf das eigene Weltbild nicht an der eigenen Haustür enden.

  7. 12.

    Erstens hat Gewalt nichts im Sport verloren, ein gesunder Konkurrenz Kampf sollte sein.
    Zweitens dieses ist auch ein Zeichen unser Gesellschaft die immer mehr Verroht wo Gewalt zum Alltag dazu gehört. Dieses hat mit Vorbildfunktion gegenüber unseren Kindern nichts zu tun.

  8. 11.

    Das Unionurteil sollte nun auf alle folgenden Spiel übertragen werden, bis in die untersten Ligen und ebenso verbal gerichtete, rassistische oder sexistische No-goes und Gewaltdrohungen, z.B. in Form von konzertierten Fangesänge konsequenter zu Spielabbruch und Punktabzug führen, ggf. gegen beide Teams.

    Verantwortliche des Clubs sollten zukünftig Spielablaufstörer ala Union, Verbalchaoten und ggf. ganze Blöcke frühzeitig vom Vereinsgelände entfernen, BEVOR Spielabrüche und Anzeigen passieren müssen und zu weitgehenden, im Wiederholungsfall zu noch größeren Punktabzügen sowie Vereins- und Fanausschlüssen führen.

  9. 10.

    "...strukturelle Chancenungleichheit in Schule, Beruf und Alltag für Menschen mit Migrationshintergrund"
    Was für eine Erkenntnis? Das kennen ostdeutsche Biographien immer noch...bei Stellenausschreibungen für Spitzenjobs, Arbeitszeiten, Bezahleinstufungen, Beförderungsverhinderungen usw. usf. Und es hört nicht auf...Die Mauer stand dagegen „nur“ 28 Jahre...Das würde es in keinem anderen Land so geben. Warum hier?

  10. 9.

    Zu Westzeiten gab es das im Osten auch nicht.
    "Und seitdem hat sich viel verändert" - ist der Franz eventuell in der Lage, ein aus seiner Sicht gravierenstes Beispiel zu benennen?
    Franz sollte den Beitrag nochmal lesen!
    Thema - Berliner Amateurfußball!
    Es geht nicht um Duisburg, Hamburg, Dortmund, Bayern oder die Gebiete in Deutschland wo die AFD als stärkste oder (auch nur) Zweitstärkste Partei gewählt worden ist.

  11. 8.

    Sie haben diesen Artikel sowie es aussieht nicht verstanden.
    Es geht nicht um Cottbus, Rostock....das hätten Sie gerne es geht um die Zustände in Berlin und der Gewalt auf Fussballplätzen wo wenn man sich etwas informiert zum größten Teil Schlägerei und Gewalt von Teilen der Bevölkerung mit einem bestimmten Hintergrund begangen wird und dieser Teil ist nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen. Nehmen wir TuS Makkabi Berlin der bei Spielen gegen andere Vereine sogar mit Polizeischutz antreten musste und welche Gesinnung die Spieler der anderen Vereine haben weiß man ,sind aber kaum dem rechten Spektrum zuzuordnen.
    Ps.
    habe selbst Fussball gespielt und gehe auch regelmäßig zu Spielen hier in meiner Gegend (Brandenburg)solche kranken Zustände wie bei Spielen in Berlin habe ich noch nie erlebt ,aber Hauptsache mit Fingern auf die andere zeigen ist das einfachste um von den eigentlichen ablenken.

  12. 7.

    Ist schon lange her, zu Ostzeiten gab es sowas in Dresden ,Rostock...auch nicht. Im Westen sind die Fans ja ganz friedlich und haben sich so lieb. Woher kommen eigentlich die Hooligans, die kommen natürlich aus dem Osten.

  13. 6.
    Antwort auf [Müller's Detlef] vom 05.04.2025 um 13:13

    Steinbruch? Ich nehme mal an so ein Steinbruch gehört auch irgendwie einer Gemeinde,Privatperson ...

  14. 5.

    Liegt daran das die häufig rechts affin sind und außerden ist ja heute eine Vorliebe für gewalttätige Lösungen ( Militär etc ) vorherrschend

  15. 4.

    "...strukturelle Chancenungleichheit in Schule, Beruf und Alltag für Menschen mit Migrationshintergrund". Das vergessen viele gern...

  16. 3.

    Zu Westzeiten gab es das nicht. Ja, das ist lange her. Und seitdem hat sich viel verändert. Aber vielleicht sollte man sich mal anschauen, woher sehr viel Gewalt kommt, und dann dort gezielt ansetzen: Cottbus, Rostock, Dresden…

  17. 2.

    Es kann nur am strukturellen Rassismus der aufnehmenden Gesellschaft liegen, oder?

  18. 1.

    "Die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen und internationale Krisen spiegeln sich vermutlich auch im Amateurfußball wider." - dieser Satz hätte als erstes bzw. als Einleitung gebracht werden sollen.
    Da brauch es auch keinen "Fachbereich des Sportsoziologen" um da eine Einschätzung zu haben.