Regierungsbildung im Bund - Das bedeutet der schwarz-rote Koalitionsvertrag für Berlin
Auf über 140 Seiten haben Union und SPD aufgeschrieben, was sie als neue Bundesregierung in den kommenden vier Jahren planen. Nicht alles, aber sehr vieles ist auch für Berlin relevant. Dies sind besonders wichtige Punkte. Von Sabine Müller
Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) lobt, "Deutschland bekomme eine verlässliche Regierung", das sei gut für das Land und damit auch für Berlin. Aber was genau ist drin für die Hauptstadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner?
Steuerzahler, Studierende, Start-Ups
Dem Land Berlin werden durch die Pläne von Union und SPD im Bund auf jeden Fall Einnahmen entgehen. "Unterm Strich wird weniger Geld reinkommen, weil es steuerentlastende Maßnahmen geben soll", sagt Finanzsenator Stefan Evers (CDU) dem rbb. Unter anderem soll Mitte der Legislaturperiode die Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen sinken. Wie stark, ist noch unklar, der Koalitionsvertrag nennt keine Details. Ab nächstem Jahr soll außerdem in der Gastronomie die Umsatzsteuer für Speisen dauerhaft auf sieben Prozent reduziert werden. Die Folgen wird die Landeskasse spüren, da Einkommens- und Umsatzsteuer einen guten Teil der Berliner Einnahmen ausmachen.
Der Finanzsenator verweist darauf, im Koalitionsvertrag werde Ländern und Kommunen auch Entlastung versprochen. "Daran wird die neue Regierung zu messen sein, wenn sie im Amt ist", so Evers. Hoffnungen setzt der Senat darauf, dass die geplante Reform der Sozialausgaben finanzielle Entlastung für Berlin bringt. Auf Landesebene läuft bereits eine Überprüfung dieser sehr hohen Ausgaben mit dem Ziel, sie zu verringern. Die geplante Altschuldenregelung, bei der der Bund den Kommunen finanziell unter die Arme greifen will, wird sich nach Einschätzung aus Senatskreisen "nicht signifikant" für Berlin auswirken.
In keiner anderen deutschen Stadt gibt es so viele Studierende wie in Berlin. Die geplante Bafög-Novelle wird ihnen mehr Geld im Portemonnaie bringen. Unter anderem soll die Wohnkostenpauschale zum Wintersemester 2026/27 einmalig auf 440 Euro pro Monat erhöht werden, danach soll sie regelmäßig überprüft werden. Der Grundbedarf für Studierende soll in zwei Schritten dauerhaft an das Grundsicherungsniveau angepasst werden.
Die Berliner Wirtschaft setzt Hoffnungen in eine neue schwarz-rote Bundesregierung. Der geplante Bürokratieabbau wie etwa die Abschaffung des Lieferkettengesetzes sollte positive Auswirkungen haben, ebenso schnellere Digitalisierung durch ein eigenes Bundesministerium. Dass die neue Koalition Start-Up-Gründungen erleichtern will, dürfte Berlin als Deutschlands Start-Up-Hauptstadt nutzen. In der Steuerpolitik seien die geplanten Abschreibungen für zusätzliche Investitionen hilfreich, sagt der Präsident des Unternehmensverbandes Berlin-Brandenburg (UVB), Stefan Moschko. Als "echte Wende in der Wirtschaftspolitik" bewertet er den Koalitionsvertrag aber nicht.
Mieten
In keiner deutschen Stadt sind die Mieten zuletzt so stark gestiegen wie in Berlin. Im vierten Quartal 2024 waren es 8,5 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Für Mieterinnen und Mieter finden sich im Koalitionsvertrag Licht und Schatten.
Positiv: die Mietpreisbremse wird für weitere vier Jahre verlängert. Sie regelt, dass bei Neuvermietung der Preis maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Wenn sich Vermieter nicht an die Mietpreisbremse halten, sollen sie in Zukunft ein Bußgeld zahlen müssen, der Mietwucherparagraf soll präzisiert werden. Beides soll laut Koalitionsvertrag bis Ende 2026 "vorbereitet" werden, wann es in Kraft greifen könnte, ist aber noch offen.
Der Berliner Mieterverein begrüßt, dass Indexmieten, möbliertes Wohnen und Kurzzeitvermietungen eingeschränkt werden sollen - das seien wichtige Schritte gegen Verdrängung. Positiv wird auch die Ankündigung von Union und SPD gewertet, dass staatliche Förderung unter anderem für sozialen Wohnungsbau ausgebaut werden soll. Berlins Bausenator Christian Gaebler hat schon erklärt, wenn der Bund seine Mittel erhöhe, habe Berlin auch Reserven, um in Kofinanzierung weitere Projekte anzustoßen.
Negativ für Mieterinnen und Mieter: Zentrale Forderungen der SPD aus dem Wahlprogramm wie etwa ein Mietenstopp in angespannten Wohnungsmärkten finden sich nicht im Koalitionsvertrag, ebenso wenig Reformvorschläge für das Problem der Eigenbedarfskündigungen.
Interessant sowohl für Mieter als auch Vermieter in Berlin liest sich diese Passage im Koalitionsvertrag: "Damit Vermieten wieder attraktiver wird, gilt: Wer günstig vermietet, wird steuerlich belohnt." Was das konkret bedeutet, bleibt aber bisher offen.
Bürgergeld
Hier bringt der Koalitionsvertrag Änderungen für hunderttausende Menschen in Berlin. Die Hauptstadt hat nach Bremen bundesweit den höchsten Anteil an Bürgergeldbeziehern, es sind 14,5 Prozent der Stadtbevölkerung. Im November 2024 gab es laut den Berliner Jobcentern 446.208 leistungsberechtigte Bürgergeldempfänger in Berlin, davon waren 327.212 erwerbsfähig.
Sie müssen sich auf eine härtere Gangart einstellen, denn Union und SPD im Bund planen beim Bürgergeld deutliche Verschärfungen. Das bisherige System soll umgestaltet werden zu einer "neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende". Erklärtes Ziel: Hürden bei der Vermittlung in Arbeit beseitigen, Mitwirkungspflichten ausbauen und Sanktionen verschärfen und schneller als heute greifen lassen. Wenn Menschen, die arbeiten können, wiederholt zumutbare Arbeit nicht annehmen, können Leistungen komplett gestrichen werden. Die geltenden Schonzeiten für Vermögen sollen abgeschafft werden, außerdem soll die Höhe des Schonvermögens an die Arbeits-Lebensleistung gekoppelt werden.
Migration
Die Berliner CDU kritisiert schon seit längerem, die Hauptstadt sei mit den vielen Geflüchteten überfordert und pocht auf einen härteren Kurs in der Migrationspolitik. Die Pläne von Union und SPD im Bund könnten dazu führen, dass weniger Menschen nach Berlin kommen. Denn geplant sind unter anderem Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie ein Ende des Familiennachzugs und freiwilliger Aufnahmeprogramme für besonders gefährdete Gruppen.
Die Koalitionsvereinbarungen könnten auch dazu führen, dass mehr Geflüchtete Berlin wieder verlassen müssen. Unter anderem soll es mehr Abschiebeflüge auch in Länder wie Afghanistan und Syrien geben.
Laut Koalitionsvertrag sollen "alle Möglichkeiten" ausgeschöpft werden, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft "deutlich zu erhöhen".
Ob diese Pläne in der Praxis tatsächlich weitreichende Auswirkungen haben, wird davon abhängen, wie konsequent sie umgesetzt werden.
Bei der Bezahlkarte für Geflüchtete macht Schwarz-Rot im Bund Druck, will sie bundesweit sehen. In Berlin wurde die Karte bisher nicht eingeführt, SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe bremst.
Eine spürbare Veränderung steht für tausende Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin und die zuständigen Behörden an. Für die Bürgerkriegsflüchtlinge soll es in Zukunft kein Bürgergeld mehr geben, sondern geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das bedeutet: Statt der Jobcenter sind dann die Sozialämter für die Auszahlung der Leistungen zuständig. Bei mehr als 20.000 ukrainischen Bürgergeldbeziehern kommt eine Menge Arbeit auf die sowieso überlasteten Berliner Ämter zu.
Personal
Vermutlich wird der Berliner Senat mindestens ein Mitglied verlieren: Kultursenator Joe Chialo (CDU). Der 54-Jährige gilt als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Kulturstaatsministers im Bund. Nachtrauern würden Chialo in der Landespolitik wenige, denn selbst in der CDU finden sich kaum Menschen, die positiv über seine bisherige Arbeit sprechen.
Unklar ist aktuell, wie viel dran ist an Spekulationen über einen Wechsel von Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) in die Bundespolitik. Laut Medienberichten ist Günther-Wünsch als Staatssekretärin im unionsgeführten Familien- und Bildungsministerium "gesetzt". Vertraute der Senatorin gehen aber davon aus, dass sie ihre Arbeit in der Landespolitik fortsetzen möchte.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.04.2024, 07:05 Uhr
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