Interview | Schauspieler Gefängnistheater "Aufbruch" - "Zum ersten Mal hat jemand Interesse an mir gezeigt"
Max Sonnenberg ist im Gefängnistheater "Aufbruch" zum Schauspiel gekommen. Für ihn war es ein Schlüsselerlebnis. Dass das Theater jetzt durch die Sparpläne des Senats in Gefahr ist, macht ihm Angst. Was das Spiel für ihn bedeutet, erzählt er im Interview.
Max Sonnenberg hat in mehreren Produktionen des Berliner Gefängnistheaters "Aufbruch" - eigene Schreibweise "aufBruch" - mitgespielt. Jetzt droht das Theaterprojekt den Sparmaßnahmen des Senats zum Opfer zu fallen. Die Senatsverwaltung für Justiz will für das kommende Jahr 70 Prozent der Zuschüsse streichen.
rbb|24: Wie haben Sie reagiert, als Sie gehört haben, dass es das Gefängnistheater "Aufbruch" vielleicht bald nicht mehr gibt?
Max Sonnenberg: Man will ja so was immer verdrängen, verdrängen, verdrängen. So richtig realisiert habe ich es, als ich einen Bericht in der "taz" gelesen habe … also da habe ich schon eine ganze Nacht lang durchgeflennt, das war ganz schön krass.
Warum bedeutet Ihnen "Aufbruch" so viel?
Es ist halt die einzige Möglichkeit, dass ich in dieser Theaterwelt stattfinde. Ich habe kein Schauspiel studiert, ich passe in so ein Theater auch gar nicht so richtig rein. Aber dadurch, dass dieser Mikrokosmos entstanden ist, wo ich mir auch meinen Respekt erspielt habe, habe ich meinen Platz gefunden.
Das ist jetzt, wie wenn man mir ein ganz großes Stück aus meinem Herzen nimmt. Die nehmen mir damit einfach meine Existenz, meine Perspektive, weil ich nichts gelernt habe. Ich habe keine Ausbildung, ich habe immer nur blöde Jobcenter-Maßnahmen gemacht, die mich nicht weiterbringen. Und das Theaterspielen bringt mich halt immer weiter.
Was für ein anderer Max kommt da bei den Proben für "Aufbruch" raus?
Der Fröhliche, der Leichte, der immer irgendwie einen lockeren Spruch hat, der die ganze Zeit eigentlich Dauergrinsen hat. Ich bin so voll mit Inspiration.
Meistens mache ich mir sonst Sorgen, meistens hab ich irgendwas, worüber ich nachdenke, aber wenn ich dann bei "Aufbruch" aufschlage, dann ist alles sofort vergessen, das ist wie ein heiliger Ort.
Was hat das mit Ihnen gemacht, als Sie das erste Mal durch diesen Probenprozess im Knast durchgegangen sind?
Eigentlich war schon nach dem zweiten Probentag klar für mich: Das ist voll geil und es macht total Spaß. Du siehst die ganzen anderen Insassen auf einmal von einer ganz anderen Seite, weil die sich die ganze Zeit benehmen und ganz ausgewählte Worte benutzen. Die verhalten sich total korrekt, und das ist im Haus wieder ganz anders, im Haus sind sie wieder mit ihren Kumpels und tun auf krass.
Dadurch, dass mein Zellennachbar auch mitgespielt hat, haben wir uns immer über das Fenster unterhalten, weil wir das immer alles verarbeitet haben. Du kommst irgendwie 20 Uhr aufs Haus, gehst duschen, machst Dir noch was zu essen, und dann ist Sense, dann wird deine Zelle zugemacht. Und wir mussten immer darüber reden, weil es so viel Impact auf Dich hat, da prasseln so viele Sachen auf Dich ein.
Es war wahrscheinlich auch nicht immer ganz leicht, sich auf die Proben einzulassen, oder?
Es könnte natürlich sein, dass man sich beeinflussen lässt von anderen Insassen, die sagen: 'Ey Du Theater-Schwuchtel, was machst Du da so, bist Du noch ganz sauber im Kopf?' Diese ganzen Leute, die dich erst mal verspotten, kommen dann aber zu den Vorführungen und geben Dir Respekt. Die feiern das total ab.
Die Schwierigkeit ist: Wenn du nicht in den Proben bist, geht ja der Tag trotzdem weiter und egal was für Widrigkeiten passieren, ob Dir jemand auf's Maul gehauen hat oder sonstwas - du willst trotzdem zu diesen Proben kommen, weil die dir voll heilig sind. Die Schwierigkeit ist eigentlich, dass Du diese negative Energie nimmst und sie für die Proben in eine positive Energie umwandelst.
Dieses sich frei machen - beim Theater geht es ja viel um Scham ablegen: Du lernst in den Proben, dass es Dich gar nicht zu interessieren braucht, was andere Leute darüber denken, weil Du da gerade was Tolles schaffst, was Zeitloses.
Hat Ihnen das in der Zeit im Gefängnis auch Halt und Stabilität gegeben?
Selbstbewusstsein, fester Stand ist immer ganz wichtig. Präsenz, den Raum für dich einnehmen und so die ganzen Dinge - das hilft dir halt total weiter.
Auch wenn da einer kommt und dich einschüchtern will auf dem Gang zum Beispiel – da guckst du dem tief in die Augen und da ist nichts mit Einschüchterung. Der merkt: Bei dem komme ich nicht weiter und er geht einfach weiter.
Wie ist das so, dann vor den 150 externen Zuschauern zu stehen, was macht das mit einem, wenn man das dann aufführt?
Sagt Ihnen "Ganzkörper-Gänsehaut" was? Das hatte ich zum ersten Mal nach der ersten Aufführung bei "Die Gerechten". Zum ersten Mal hat jemand Interesse an mir gezeigt. Davor war ich ein absolutes Nichts, habe nicht existiert - und da habe ich zum ersten Mal wieder mein Selbstwertgefühl entdeckt.
Du hast halt Feedback, was Du normalerweise nie bekommen hast. Es ist eine ganz krude Mischung, weil du danach wieder in der Zelle bist und nach den Theaterproben ging ja auch der ganze normale Alltag weiter. Du bist auch süchtig nach diesem Gefühl, danach wieder auf die Bühne zu kommen.
Inwieweit glauben Sie ist "Aufbruch" wirklich Resozialisierung?
Es gibt nichts, was da drin mehr Resozialisierung ist. Die Sozialarbeiter haben gar keine Kapazitäten, dir irgendwie zu helfen. Die haben da ihre sechs, sieben, acht Leute, die sie gleichzeitig irgendwie zufriedenstellen wollen, was eh nie funktioniert. Wo sollst du resozialisiert werden, in deiner Zelle?
Du arbeitest [beim Theaterspielen, Anm.d.Red.] sehr viel mit Sprache, das ist schon mal so ein Punkt. Du hebst dich total von den Leuten ab zum Beispiel beim Amt, wenn du total das ausgefeilte Vokabular hast. Die nehmen dich ja ganz anders wahr und die gehen auch ganz anders mit dir um, die sehen dann nicht mehr so einen Idioten, den sie verarschen können, sondern sie sehen eine ernstzunehmende Person vor sich.
Und ich denke mal, das ist ein ganz harter Punkt: die Würde, die du wieder zurückerlangst. Es hat viel mit Selbstwert, Selbstwertgefühl zu tun.
Wenn mich jemand fragt: 'Was arbeiten Sie?', sage ich: 'Ich bin Theaterdarsteller.' Das hatte ich halt vorher auch nie gekannt.
Bei mir geht es viel um Sicherheit. Ich habe oft die Situation, wo ich denke, ich will heute gar nicht rausgehen, weil es könnte irgendein Idiot mir über den Weg laufen. Und dann sage ich mir: 'Ey, weißt du, was? Du bist wer! Du gehst jetzt raus, du machst jetzt deine Dinge, auch wenn du darauf keinen Bock hast, aber dir kann niemand was.'
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Davod Donschen, rbb88,8
Sendung: rbb88,8, 19.12.2024, 7:15 Uhr