Wenn man die alte Bundesrepublik in einen Raum gießen könnte, so sähe er aus: der verlassene Kanzlerbungalow in Bonn, heute denkmalgeschützt. Am 20. Juni 1991 hatte der Bundestag mit einer knappen Mehrheit von 338 zu 320 Stimmen für den Umzug in die alte neue Hauptstadt gestimmt. Nach Schröders Weggang steht der Bungalow leer - heute kann man ihn besichtigen.

Hier posieren eine Zimmerpflanze, die Sekretärin Marianne Duden, die Journalistin Doris Schröder-Köpf und ihr Mann Gerhard Schröder für die Fotografen. Weil das neue Kanzleramt noch nicht steht, fängt Schröder am 23. August 1999 in einem provisorischen Büro an - im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR.

Wie organisiert man den Umzug einer kompletten Regierung? Zur Vorbereitung durchkämmen Mitarbeiter einer Spezialfirma jeden Winkel in den Bonner Gebäuden und kleben Etiketten mit Strichcodes auf die Dinge, die mitkommen würden müssen. Davor hat der Bundestag jahrzehntelang keine Inventur gemacht. Los gehts's ganz in deutscher Sitte mit der Aktenregistratur: Mit schweren Kartons beladen diese Arbeiter im April 1999 im Bonner Wirtschaftsministerium eine Palette. Zigtausende solcher Kartons fahren in Güterzügen an die Spree - die ganz wichtigen Akten auf Geheimrouten.

24 Züge sind nötig, um im Sommer 1999 alleine das bewegliche Innere des Bundestages nach Berlin zu bringen, auf der Straße hätte man dafür 1.500 Lkw gebraucht. Etwa die gleiche Menge kommt nochmal für die Ministerien obendrauf. Die Weinsammlung der Parlamentarischen Gesellschaft wird in einem Laster mit Spezialfederung nach Berlin gekarrt.

Sie können sich diese Massen nicht vorstellen? Mit an Bord sind 11.000 Meter Akten - das entspricht dem Fußweg vom Alexanderplatz bis zum S-Bahnhof Heerstraße. Gut zweieinhalb Stunden würde man dafür brauchen.

Hier klopfen Arbeiter den Gehweg vor dem zukünftigen Parlament schick. Der Bundestag zieht während der parlamentarischen Sommerpause um. Am 6. September nimmt er im umgebauten Reichstagsgebäude mit der neuen gläsernen Kuppel seine Arbeit auf.

Auch die Ministerialbeamten müssen vom Rhein an die Spree gebracht werden. Hier sieht man einige Exemplare beim Ausstieg aus dem ersten "Beamtenshuttle" am Flughafen Schönefeld - Tausende pendeln jahrelang auf Staatskosten mit dem Flieger, viele bis heute. Aktuell arbeitet immer noch gut ein Viertel der Regierungsmitarbeiter in Bonn.

In der neuen Hauptstadt muss erst einmal Platz für die Regierenden geschaffen werden und den gibt es damals noch - es herrscht Aufbruchstimmung. Hier drehen sich die Kräne über der Baustelle am Moabiter Werder - dort entstehen 718 Wohnungen für Bundesbedienstete und Abgeordnete.

Mit dem Ausflugsschiff kommt man heute auf fast jeder Berliner Tour an dieser Schlange vorbei. Zunächst meckern Abgeordnete, die Wohnungen seien zu klein und zu teuer.

5.000 Neu-Berliner bekommt die Hauptstadt durch den Großumzug. Ihre beliebteste Wohngegend ist Mitte. Für die Kleinsten wird eine Bundestags-Kita gebaut, ebenfalls gut vom Schiff aus zu sehen. Der Großteil des Umzugs ist nach dem Sommer 1999 geschafft - der Rest dauert weitere zwei Jahre.

Rückblickend muss man sagen: Bonn hat exzellent verhandelt. Der befürchtete Abstieg bleibt aus, abgefedert durch Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe. Das Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 sieht eine "faire Arbeitsteilung" vor, bei der einige Ministerien nach Berlin ziehen, während andere in Bonn bleiben. Bis heute haben sechs Ministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn, darunter das hier abgebildete Ministerium für Bildung und Forschung. Den Status als zweite Hauptstadt hat sie sich mit dem Titel "Bundesstadt" gesichert.

Zu Schröders erstem Arbeitstag im provisorischen Bundeskanzleramt heißt ihn der Regierende Eberhard Diepgen mit einer zweistöckigen Torte willkommen. Die winzigen Berliner Bären, die den Säulentempel aus Zucker umranden, sind eine besonders süße Aufmerksamkeit. "Ich habe Berlin immer gemocht", sagt Schröder.