Interview | Volker Wieprecht zum Mauerfall - "Ich wusste gar nicht, ob ich das richtig erfasst hatte"
rbb-Moderator Volker Wieprecht hat sehr lebendige Erinnerungen an den Abend des 9. November 1989: Damals moderierte er aus dem SFB-Studio den legendären O-Ton von Günter Schabowski an - und hoffte anschließend sehr, dass er ihn richtig interpretiert hatte.
rbb|24: Hallo Herr Wieprecht, ohne den Mauerfall wären Sie heute nicht…?
Volker Wieprecht: … der, der ich bin. Ich wäre ein armes Würstchen, das nie verstanden hätte, was Teilung und Vereinigung bedeuten.
Inwiefern hat der Mauerfall Ihr Leben beeinflusst?
Abgesehen davon, dass ich in den 90er Jahren unerreicht lange Partys feiern konnte, habe ich durch den Mauerfall auch verstanden, dass ich mich ideologisch geirrt hatte. Vorher war ich einer von denen, dem man gesagt hätte "Dann geh doch rüber". Erst als die Mauer dann gefallen war, habe ich die Perfidie und die Unausweichlichkeit der Kontrollwut derer mitbekommen, die es eigentlich besser machen wollten. Das hat mich für populistische Versprechen unempfänglich gemacht. Ich bin Ideologien gegenüber seitdem grundsätzlich misstrauisch.
Als die Mauer fiel, waren sie ein Mittzwanziger und schon als Journalist für den SFB tätig. Wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt?
Ich war an diesem Tag im Sendestudio und habe den S-F-Beat [die SFB-Jugendsendung, d.Red.] moderiert. Da lag ja schon klar was in der Luft. Aber das war ein wenig wie bei einer Schwangerschaft: eigentlich weiß jeder, wie es zu Ende geht, aber trotzdem fragt man sich, was das wohl wird. Die Sendung war von der Tagesaktualität eigentlich eher unberührt, trotzdem hieß es dann irgendwann, es habe eine Pressekonferenz gegeben, auf der Schabowski eine Erklärung gegeben habe. Dann kam jemand, und an diese Szene kann ich mich genau erinnern, mit dem Tonband, und sagte: "Das ist jetzt der O-Ton Schabowski. Kündige den mal an". Er gab mir noch eine kurze Meldung, das ging alles ganz schnell. Ich hörte dann das Band ab und sagte dazu im Radio, das bedeute wohl faktisch, dass die Mauer gefallen ist. Dann habe ich die nächste Musik gespielt. Ich dachte dann selbst, dass es vielleicht ein bisschen voreilig gewesen war, weil ich ja nicht einmal eine zweite Quelle hatte. Es war ein Schnellschuss. Ich wusste gar nicht sicher, ob ich das richtig erfasst hatte.
Im Nachhinein wissen wir ja, dass Sie Recht hatten. Wie ging denn der Abend für Sie weiter?
Später kam der Regierende Bürgermeister Walter Momper zu mir ins Studio. Da hatte ich einen Heidenrespekt, weil ich das Interview mit ihm unvorbereitet führen musste. Aber es ging ja gar nicht anders in der Situation. Danach bin ich noch als Reporter rausgefahren Richtung Bernauer Straße. Aber da war nichts um 21 Uhr. Ich bin dann zurück zum Sender. Die Kollegen, die später hinfuhren, hatten dann mehr Glück. Ich fuhr denen dann mit dem Reportergolf noch Kassetten hinterher. Als ich Schluss hatte, bin ich in der Nacht selber zur Mauer und bin am Brandenburger Tor auf die andere Seite gehüpft.
Fühlen Sie sich heute als Wessi oder Ossi oder ist das eine längst überholte Frage?
Ich finde es in Ordnung, wenn mir jemand die Frage stellt. Wir fragen einander ja immer, wo wir herkommen, weil uns das eine Vorstellung der Geschichte des andern ermöglicht. Ich verstehe diese Frage immer auch als die Frage danach, wie mir eigentlich geht. Also danach, was ich erlebt habe, wo ich herkomme, was ich gemacht habe und was mich beschäftigen könnte. In diesem Sinne ist es nach wie vor eine zeitgemäße Frage. Bei mir selbst ist es so, dass mein Vater aus dem Osten kommt. Er ist vor dem Mauerfall geflohen. Ich habe meine halbe Kindheit in der DDR verbracht. Denn wann immer es ging, waren wir bei unseren Verwandten in der Altmark. Ich fühle mich heute als Kind eines ehemals geteilten und jetzt vereinten Landes.
Der rbb lädt am 9. November ins Sony Center am Potsdamer Platz zu Talk und Musik ein. Was ist da Ihre Rolle?
Ich bin bei dieser Veranstaltung vor allem Conférencier und vermittele zwischen Aufritten. Ich weise darauf hin, was bei der Veranstaltung alles möglich ist. Nämlich einerseits, seine eigene Geschichte zu erzählen oder sich entspannt hinzusetzen und verschiedenen Geschichten aus unterschiedlichen Blickwinkeln zuzuhören. Sei es den politischen Kommentatoren von Radioeins oder beispielsweise dem Abendschau-Talk. Man kann da gut schauen, wer damals die Protagonisten auf unterschiedlichsten Gebieten waren. Ich selbst moderiere den Abendschau-Talk mit Walter Momper, Ulli Zelle und unserem rbb-Chefredekteur Christoph Singelnstein.
Das ganze findet ja mit dem Potsdamer Platz an einem traditionsreichen Ort statt, was Mauer und Teilung betrifft. Ist das der richtige Ort, um über diese Themen zu sprechen?
Mit dem Potsdamer Platz hat es ja sehr verheißungsvoll begonnen. Aber man konnte schnell feststellen, dass Europas verkehrsumtriebigster Platz doch kein Hotspot geworden ist. Das Sony Center ist zwar markant, aber ob es jetzt architektonisch gelungen ist…
Aber eigentlich kann man gerade über Bau- und Stadtgeschichte an diesem Ort richtig gut reden. Er ist insofern durchaus gut gewählt.
Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung?
Ich wünsche mir sehr, dass Menschen dahinkommen und die Chance nutzen, übergreifend über das Thema Mauerfall zu reden. Es gibt ja nicht so viele Daten, die zu dem Gespräch "Wo warst Du eigentlich, als…" taugen. Da gibt es Kennedy, 9/11 und den 9.11. Über diese Themen zu sprechen, beinhaltet unweigerlich eine Reflektion unserer Gegenwart – und zwar in einem Ausmaß, das immer wieder neu und überraschend ist. Diese Geschichten sind längst nicht auserzählt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24