Theaterkritik | "Planet B" im Gorki - Wenn schon Weltuntergang, dann bitte so!

Wer überlebt das Massenartensterben? Yael Ronens hochtourige Science-Fiction-Comedy "Planet B" im Berliner Gorki lässt die Spezies das in einer Reality-Show ausfechten. Ein sehr albernes und größtenteils sehr lustiges Schauspiel-Fest. Von Fabian Wallmeier
Seltsame Lebewesen waren diese Menschen. Sie hatten mehrere Körperöffnungen, Genitalien - und mussten sich penetrieren, um sich fortzupflanzen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einsehen wollten, dass sie nebenbei das Sterben ihres Planeten verschuldeten. Vielleicht am seltsamsten aber: Sie vollzogen ein rätselhaftes Ritual, das sie Theater nannten.
Der neue Abend von Yael Ronen und Itai Reicher am Berliner Maxim-Gorki-Theater blickt aus einer fernen Zukunft auf die letzten Jahre der Menschheit zurück. "Planet B" hat dabei eine solche Fülle an hingebungsvoll bescheuerten kleinen und großen Ideen, dass der Abend immer mal wieder aus der Kurve fliegt. Aber so lange er das so unterhaltsam tut: soll er doch fliegen.
Der Anfang der rund 110 Minuten des Premierenabends gehört einer Gruppe von sieben Humanoiden, die zunächst einmal die wichtigsten, naja, sagen wir: Fakten zusammentragen. Das Hauptwerk, auf das sie sich beziehen, heißt "Unterstufen AG Kreatives Schreiben", ein Schulheft also, das sie todernst nehmen und aus dem sie allerlei sehr witzigen Unsinn ableiten: Mehrere Monate habe der Geschlechtsakt damals gedauert. Der Grund für die vielen Körperöffnungen lasse wohl darauf schließen, dass sich die Menschen gegenseitig als Blasinstrumente benutzt hätten. Und so weiter.

Mensch gegen Krokodil und Fledermaus
Der Tonfall des hochtourigen Blödsinns ist damit für den Abend gesetzt. Die Gags sitzen und zwischen den Albernheiten blitzt immer wieder Existenzielles hervor - klar, denn es geht schließlich um die aus heutiger Sicht leider alle andere als unwahrscheinliche Aussicht der Zerstörung unseres Planeten.
Hochtourig bleibt der Abend auch lange Zeit, während sein narratives Konstrukt immer alberner wird: Jenes seltsame Ritual namens Theater nutzen die Humanoiden nun, um davon zu erzählen, wie vor 40 Millionen Jahren Aliens auf die Erde kamen, um ein Massenartensterben einzuleiten - und um es als Unterhaltungs-Show zu inszenieren. Welche Spezies überlebt, soll in Gruppen-Wettkämpfen an Bord von Raumschiffen ausgetragen werden. Der Mensch landet in Gruppe H - zusammen mit Panda, Fuchs, Ameise, Krokodil, Huhn und Fledermaus.
Es ist ein großes Vergnügen, den sieben Schauspieler:innen dabei zuzuschauen, wie sie sich liebevoll der (ebenso liebevoll detailreich geschriebenen) Tier-Comedy geben. Unterstützt werden sie dabei von Amit Epsteins mit nur wenigen Details die wesentlichen Charakteristika hervorhebenden Kostümen und von Wolfgang Menardis Bühnenkonstruktion: Die steil nach vorn gekippte Kreisfläche, auf der sich der Abend abspielt, lässt jeden Versuch, einigermaßen normal zu gehen, schon von vornherein sehr lustig aussehen.
Ein Panda und ein paar Poser
Maryam Abu Khaled spielt mit schöner Grundgenervtheit einen depressiven Panda. Gewinnen? Daran hat sie eigentlich gar kein Interesse. Die Pandas versuchen schon seit Jahren auszusterben und können nicht verstehen, warum die Menschen so obsessiv versuchen, sie zur Fortpflanzung zu bringen.
Orit Nahmias gibt ein Poser-Huhn, das sich für die beliebteste Spezies hält. Doch immer wieder zuckt es kurz mit dem Kopf und fängt nervös an zu gackern, wenn es sich gedanklich der Massentierhaltung nähert. Alexandra Sinelnikovas Fuchs ist ein noch größerer Poser: ein auf seine Anpassungsfähigkeit enorm stolzes Großstadt-Wildtier, das ständig von irgendwelchen Trends plärrt.
Ganz anders dagegen die von Aysima Ergün verkörperte Ameise: Sie geht im Kollektiv der Kolonie auf. "Unsere Pronomen sind wir/uns" sagt sie, als sie gebeten wird, mal etwas Persönliches zu erzählen. Doch als sie im Raumschiff den "Pheromon-Empfang" zu den anderen Ameisen verliert, entdeckt sie plötzlich zaghaft und fein komisch sich selbst als Individuum.

Schaad ist zurück, Dassler ist eine Fledermaus
Dimitrij Schaad, die einstige unumstrittene Rampensau Nummer eins des Gorki, meistert in seinem ersten neuen Auftritt am Theater seit seinem Ausscheiden aus dem Ensemble vor vier Jahren zwei sehr unterschiedliche Rollen. Als Alien Juri (in der Gestalt eines kasachischen Krankenhaus-Clowns) ist er der strahlend zugewandte und dabei immer etwas abfällig erheiterte Zeremonienmeister der Untergangs-Show. Als Krokodil dagegen strotzt er vor Kraft und vor mit großem Stolz zur Schau getragenem Mackertum. Zwei Massenartensterben habe er schon "gewonnen", prahlt er. Er sei nun mal perfekt als Killermaschine geboren.
Den verblüffendsten und lustigsten Auftritt des Abends legt Jonas Dassler hin. Er spielt eine schreckhafte, vom Leben als Rockstar letztlich nur so halb überzeugte Fledermaus. Die Emo-Strähne hängt ihm vor den Augen, er zuckt ständig und lässt unwillkürlich die Zunge hervorschnellen, um sich kurz selbst zu beschlabbern. Und weil Fledermäuse nun einmal kopfüber schlafen, hängt er irgendwann an einer Stange und verschränkt mit traurig weltverlorenem Blick die Flügel. Ich schwöre: Jonas Dassler ist eine Fledermaus.
Nur mit Ach und Krach den Bogen geschlagen
Niels Bormann schließlich macht sehr überzeugend, was er schon vor vielen Jahren in Yael Ronens "Common Ground" gemacht hat: Er bildet das unangenehme Bindeglied zum Publikum. Damals war er der peinliche Plapperer, der als einziger Biodeutscher an einer Recherchereise zum Balkankonflikt teilnimmt. Hier ist er der Vertreter der Spezies Mensch: Boris Baumann, ein und peinsam ignoranter Versicherungsvertreter, der ungemein ungeschickt durch den Wettkampf stolpert.
Den eigentlichen Wettkampf-Gedanken der Reality-Show lassen Ronen und ihr Co-Autor Reicher irgendwann links liegen. Etwas plötzlich stehen die Sieger fest und nur mit Ach und Krach schlägt der Abend noch irgendwie den Bogen zu seiner Ausgangskonstellation. Aber wer würde das nach einem so spaßigen Schauspiel-Fest nicht verzeihen? Da schaut man dann auch einem etwas beiläufig beigebrachten Weltuntergang gern zu
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 6:55 Uhr
Nächster Artikel
Bebauung landeseigener Flächen - Wohnungsbau nach Erbbaurecht kommt in Berlin nicht in Schwung
Berliner Breitscheidplatz - Weltkugelbrunnen soll bald wieder "Platzjuwel" statt Mülleimer werden
Neuzulassungen bei Pkw - Hersteller von E-Autos erleben Absatzhoch - abgesehen von Tesla
Oder-Spree - Zugverkehr nach tödlichem Unfall auf RE1-Strecke stundenlang unterbrochen
Frist längst abgelaufen - Brandenburg warnt vor Zwangsgeld bei fehlender Grundsteuererklärung
Basketball-Bundesliga - Später K.o. in Würzburg: Alba Berlins Siegesserie ist gerissen
7:0-Sieg im vierten Final-Spiel - Eisbären Berlin nach Machtdemonstration in Köln kurz vor elftem DEL-Titel
KZ-Befreiung vor 80 Jahren - Gedenkstätte Sachsenhausen: Extra-Termin für russische Botschaft
Finanzen und Flächen - Experten zweifeln an Zielen beim Radwegeausbau in Brandenburg
2. Fußball-Bundesliga - Heimschwache Herthaner empfangen auswärtsstarke Magdeburger
Katholische Kirche Deutschland - Zentrale Trauerfeier für verstorbenen Papst Franziskus in Berlin
Einspruch gegen Ergebnis - BSW fordert Neuauszählung der Bundestagswahl
Flutlicht, Ersatzbänke, Torlinientechnik - DFL erteilt Energie Cottbus Auflagen für Zweitliga-Lizenz
52 Kilogramm schwerer Fisch - XXL-Wels aus Oder bringt Anglerin Titel ein
Zugausfälle und Verspätungen - Berliner U-Bahn so unzuverlässig und unpünktlich wie seit fünf Jahren nicht
Märchenfilm-Klassiker - "Aschenbrödel"-Königin Karin Lesch gestorben
Vor 80 Jahren - Gedenken an Befreiung des Kriegsgefangenenlagers bei Mühlberg
Handball - Füchse-Spieler Langhoff erstmals fürs DHB-Team nominiert
Interview | Ex-Energie-Torwart Gerhard Tremmel - "Cottbus gehört für mich auf jeden Fall in die 2. Liga"
Berliner Behörden - Ein Sozialamts-Mitarbeiter kümmert sich um 278 Fälle von Grundsicherung
Berliner ÖPNV - Petition fordert eigene "Flinta"-Abteile in Fahrzeugen der BVG
Zoll-Aktion - Millionen von Zigaretten illegal hergestellt - Bande zerschlagen
Fehlende Azubi-Stellen - Berliner Arbeitssenatorin Kiziltepe treibt die Ausbildungsplatzumlage voran
Gesundheitsatlas der AOK - Weniger Menschen in Berlin und Brandenburg haben Lungenkrankheit COPD
Spandau - Polizei ermittelt nach mutmaßlichem Tötungsdelikt in Berlin-Wilhelmstadt
Verspätungen und Ausfälle - Ist die Berliner U-Bahn der Zukunft fahrerlos?
Koalitionsvertrag - Junge Union Brandenburg ist gegen Eingreifen der Politik beim Mindestlohn
Interview | Eiskunstlauf-Doku "Ice Aged" - "Es ist nie zu spät, Kindheitsträume zu verwirklichen"
Künstliches Ökosystem - "Hühnerwasser" in Welzow-Süd kann weiter erforscht werden
Innenverwaltung - Berlin kann sich keine neuen Blitzer leisten
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten - Russische Vertreter bei Gedenken in Sachsenhausen und Ravensbrück unerwünscht
Höhepunkt der Lyriden - Bis zu 20 Sternschnuppen pro Stunde am Nachthimmel
Union-Kapitän Christopher Trimmel - "Ich habe im Kopf, mit 40 aufzuhören"
Sanierungsprojekt in Berlin - Wiederaufstellung des Riesenrades im Spreepark wird vorbereitet
Regionalzüge, Ringbahn, Stadtbahn - Wo Sperrungen in Berlin und Brandenburg demnächst aufgehoben werden
2. Fußball-Bundesliga - Hertha BSC muss bei der DFL-Lizenzvergabe nachsitzen
Pro-Palästinensische Proteste - Bilder zeigen Ausmaß der Zerstörung nach Hörsaal-Besetzung an der HU
Zehn Millionen Euro - Berliner Senat will junge Start-Ups stärker fördern
Ohne Termin beim Bürgeramt - Anwohnerparkausweis in Berlin ab sofort auch digitale Dienstleistung
Neues Stellwerk - S-Bahnverkehr rund um Bahnhof Schöneweide wochenlang unterbrochen
Bauarbeiten verlängert - S-Bahn zwischen Alexanderplatz und Ostbahnhof bis Sonntag unterbrochen
Handball-Champions-League - Titelhungrige Füchse starten selbstbewusst ins Viertelfinale
Im Alter von 100 Jahren - Holocaust-Überlebender Walter Frankenstein gestorben
Potsdam - Unbekannte werfen Böller in Schlafzimmer
Amtsgericht Frankfurt (Oder) - Strafverfahren nach Hundeangriff bei Seelow eingestellt
Katholische Kirche - Kondolenzbücher und Trauerbeflaggung für verstorbenen Papst Franziskus
Dahme-Spreewald - Defekt an Schaltanlage löste Stromausfall in Eichwalde und Zeuthen aus
Erst Hausarzt, dann Facharzt - Koalitionspläne für neues Arztsystem stoßen auf Kritik
Plattform der Handwerkskammer - Wie die Cottbuser "Nachfolgezentrale" Unternehmen hilft
Berliner Entertainer - Möbel von Harald Juhnke werden versteigert
Interview | Eishockey-Trainer Uwe Krupp - "Egal, ob du 7:0, 5:1 oder 2:1 in der Overtime gewinnst – es zählt nur als ein Sieg"
Drogenhandel - BKA-Präsident beobachtet "Kokain-Schwemme" in Deutschland
Tarifstreit - Erneuter mehrtägiger Streik der Charité-Tochter CFM gestartet
Interview | Archäologe Peter Schöneburg - "In der Baggerschaufel war beim Anheben ein Soldatenstiefel zu sehen"
Bauarbeiten abgeschlossen - Tiefebene des Berliner Hauptbahnhofs wieder offen
Dackel-Hype auf Social Media - Dackel sind nicht nur Kult, sondern auch Community
Freizeitsport - Alles Wissenswerte zum Spreewald-Marathon
Reaktionen zum Tod von Franziskus - Christen in der Region würdigen verstorbenen Papst
Zwangsarbeit für den Westen - Wie DDR-Häftlinge für Ikea und Co. produzieren mussten
Glas, Holz, Beton und eine Krone auf dem Dach - So soll das neue Rathaus für Berlin-Mitte aussehen
Rücktritt vom Amt bei Hertha - "Zecke" Neuendorf geht mit ernüchternder Bilanz - und wohl eher unfreiwillig
Eishockey - Eisbären gehen in der DEL-Finalserie nach Kantersieg über Köln in Führung