Der Oder-Havel-Kanal und das Schiffshebewerk Niederfinow - Hoch die Schiffe!
Mehr als 100 Jahre alt ist der Oder-Havel-Kanal. Sein Prunkstück, das alte Schiffshebewerk Niederfinow, brachte es auf fast 90 Jahre. Millionen Gütertonnen hievte es, fast täglich und rund um die Uhr. Nun übernimmt ein Nachfolger die Hebearbeit. Von Stefan Ruwoldt
Nach fast 90 Jahren bekommt das alte Schiffshebewerk in Niederfinow eine Ablösung: Am 4. Oktober wird das neue Schiffshebewerk in Betrieb genommen. 14 Jahre wurde gebaut - die Fertigstellung wird mit einem Fest über mehrere Tage gewürdigt. Doch für das alte Werk ist damit immer noch nicht ganz Schluss.
Das alte Schiffshebewerk Niederfinow ist ein technisches Wunder inmitten einer ausgesprochen kargen und kaum bebauten Urstromtal-Landschaft: ein Wasserlauf im Osten, ein Wasserlauf ein wenig höher liegend im Westen - und beide verbindet der mehr als haushohe stählerne Schiffsfahrstuhl. Seit dem Jahr 1934 hebt dieser Fahrstuhl bereits Schiffe und Kähne und ganze Schubverbände über 36 Meter.
Die Vorgeschichte
Die Geschichte des Oder-Havel-Kanals begann bereits im 17. Jahrhundert. 1605 unter dem Brandenburger Kurfürsten Joachim Friedrich entstand in nur 15 Jahren Bauzeit der erste Finowkanal als Verbindung zwischen Oder und Havel mit der Zwischenstation über das Flüsschen Finow. Die einzelnen Abschnitte wurden mit Schleusen verbunden.
Unterbrochen von einer Phase des wirtschaftlichen Niedergangs und des Verfalls in der Folge des 30-jährigen Krieges sorgte der Kanal vor allem im 18. Jahrhundert für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region. Zahlreiche Sperrwerke waren dabei nötig, weil der Kanal auf seinen gut 40 Kilometern einen Höhenunterschied von rund 38 Metern überwinden musste. 1746 wurde dann die Erneuerung und teilweise Umverlegung des Kanals abgeschlossen, bis 1753 kamen dann weitere Kanalstufen hinzu. Der zunehmende Verkehr machte im 19. Jahrhundert den Bau sogenannter Parallelschleusen notwendig.
Der Vorgängerbau
Vor rund einhundert Jahren dann, im Kriegsjahr 1914, wurde der Hohenzollernkanal - später umbenannt in Oder-Havel-Kanal - als neue Wasserstraße für Großschiffe in Betrieb genommen. Die Höhenunterschiede wurden damals zunächst durch eine so genannte Schleusentreppe überwunden: Vier Kammerschleusen überwanden neun Meter. Allerdings war die Länge der Kammern auf 67 Meter für Schiffe von 600 Tonnen beschränkt. Insgesamt dauerte die Schleusung durch alle Stufen rund anderthalb Stunden und erhebliche Wassermengen wurden dabei umgeleitet.
Bereits vor dem ersten Weltkrieg gab es deshalb Pläne für den Bau eines Schiffsfahrstuhls. In den 1920er-Jahren aber wurden die Pläne für den Bau des Schiffshebewerks konkreter. Rund sechs Jahre lang konzipierten und überprüften Ingenieure verschiedene mechanische Varianten. Im Jahr 1927 wurde dann schließlich mit der Errichtung des Hebewerks für die künftig einstufige Überwindung der 36 Höhenmeter begonnen.
Der Bau
Grundlage für den Bau waren aufwändige Kartierungsarbeiten und Bodenuntersuchungen. So wurden mehrere hundert Bohrungen gesetzt. Auch die Bauvorbereitungen sorgten für einen erheblichen Aufwand: Straßen wurden verlegt und neu gebaut, Gleise gebaut, ein Hafen angelegt, Kiesgruben und Steinbrüche erschlossen, Wohnhäuser für Arbeiter errichtet, Lagerräume, Werkstätten und ein Kraftwerk aus dem Boden gestampft. Von 1926 bis 1929 erfolgte dann der Grundbau, also die Neuregelung des Grundwasserstandes, der Aushub, die Gründung und die Errichtung der Pfeiler für den Bau.
Ein Jahr später stand der Hauptkran und 1931 wuchs das Hebewerksgerüst. Das Hebewerk musste aufgrund der Baustatik ein wenig vom Hang abgerückt werden und machte den Bau einer längeren Kanalbrücke zum Hebewerk notwendig. Im Herbst 1932 waren Hebewerk und Kanalbrücke fertig, ein Jahr später war die gesamte technische Ausrüstung montiert, abgestimmt und erprobt. Ende März 1934 wurde der Bau dann mit einem mehrtägigen Probebetrieb abgeschlossen. Am 21. März 1934 feierten Industrie und Politik die Eröffnung.
Der Betrieb
Die Erwartungen, verbunden mit der nun schnelleren Schleusung und der möglichen Kapazitätserweiterung, erfüllte das Werk sehr schnell. Waren zuvor nur 600.000 Gütertonnen über den Kanal bewegt worden, bewältigte das Hebewerk bereits im Eröffnungsjahr eine Kapazität von mehr als 2,8 Millionen Gütertonnen.
Der Schiffsverkehr zwischen Oder und Havel profitierte vom Neubau: Die Kapazitäten wurden erweitert, die Fahrzeit verkürzt, die technischen Ausfälle und Unwägbarkeiten der Schleusentreppe fielen weg und das neue Hebewerk lief mit erstaunlicher Präzision und Beständigkeit.
In den Kriegsjahren allerdings ging der Handel zurück, und in den letzten Kriegsmonaten musste der Betrieb ganz eingestellt werden, weil wichtige Teile demontiert wurden oder Mängel nicht behoben werden konnten. Aber bereits im Sommer 1945 wurde der Betrieb wieder - zunächst beschränkt - aufgenommen.
Abgesehen vom kriegsbedingten Ausfall und einem wochenlangen Schleusenstopp im Frühjahr 1947 aufgrund eines Hochwassers läuft der Betrieb des Hebewerks nun bereits seit Jahrzehnten nahzu reibungslos. In den Wintermonaten gilt alljährlich eine Schleusenpause, die die Schleusenverwaltung für Wartung und Instandhaltung nutzt.
Die Aussichten
Auch wenn die technische Präzision und Beständigkeit des Hebewerks noch immer besticht: Das Werk ist zu klein. Die Schiffe werden größer und schwerer, Länge, Breite, Tiefe und die Kapazität des Schleusentrogs reichen nicht mehr aus. Anfang der 1990er-Jahre wurde daher ein Neubau in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen, 2009 erfolgte die Grundsteinlegung. Ursprünglich sollte der neue Schiffsfahrstuhl bereits 2014 in Betrieb gehen, aufgrund von Verzögerungen am Bau und wegen technischer Probleme kam es immer wieder zu neuen Startterminen, die wiederholt verschoben wurden. Nun wird es am 4. Oktober in Betrieb genommen.
Das alte Schiffshebewerk soll laut Verkehrswegeplan noch mehrere Jahre "vorgehalten" werden, also als alternative Schleusungsmöglichkeit bereitstehen. Nach der Inbetriebnahme des neuen Hebewerks soll das alte aber zunächst mit neuen Seilen ausgestattet werden und so für die kommenden Jahre eine sichere Alternative sein. Seinen 100. Geburtstag im Jahr 2034 wird das alte Hebewerk dann aber bereits - so der Plan - im Ruhestand erleben.
Vom alten zum neuen Schiffshebewerk Niederfinow
Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung von einem Beitrag, den der rbb im Jahr 2014 veröffentlicht hat.
Sendung: rbb24, 01.10.2022, 10:00 Uhr