Nach Erfolg bei Europawahl - Bündnis Sahra Wagenknecht will in diesem Sommer Berliner Landesverband gründen

Fr 28.06.24 | 20:13 Uhr | Von Tobias Schmutzler
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Archivbild:10.06.2024, Berlin: Sahra Wagenknecht, Parteivorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).(Quelle:dpa/K.Nietfeld)
Video: rbb24 Abendschau | 27.06.2024 | Tobias Schmutzler | Bild: dpa/K.Nietfeld

Bei der Europawahl hat das BSW vor allem in den östlichen Berliner Bezirken stark abgeschnitten. Bei einem Unterstützertreffen wird deutlich, dass die neue Partei Menschen anzieht, die anderen Parteien keine Lösungen mehr zutrauen. Von Tobias Schmutzler

  • Bündnis Sahra Wagenknecht hat bislang keinen Berliner Landesverband
  • Zahl der Parteimitglieder in Berlin bisher überschaubar
  • Unterstützer haben sich jetzt in Berlin-Mitte getroffen und über Themen und weiteres Vorgehen beraten

"Auf Euch! Ihr wart großartig!" Im Saal der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Rathaus Berlin-Mitte klirren die Sektgläser. Gut fünfzig Unterstützerinnen und Unterstützer aus Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow stoßen auf das Europawahlergebnis an: 8,7 Prozent hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in ganz Berlin erreicht. In einigen östlichen Bezirken wie Pankow bekam die Partei sogar über zehn Prozent der Stimmen.

"Das BSW ist eben nicht nur ein Medienphänomen oder eine Phantompartei, sondern es ist eine Partei, die in Berlin ein Ergebnis erzielt hat, das weit über dem liegt, was alle erwartet haben", sagt Alexander King in seiner Rede bei dem Regionaltreffen am Mittwochabend. King ist der Berliner Koordinator der neuen Partei und im vergangenen Herbst aus der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgetreten und nun fraktionsloser Abgeordneter im Landesparlament.

Unterstützer sind Friedensbefürworter und Wagenknecht-Fans

Wie soll das künftige Parteiprogramm des BSW aussehen? Dafür sammeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens in Mitte Vorschläge auf Zetteln, die sie an eine Pinnwand heften. Für die meisten ist der Ukraine-Krieg das wichtigste Thema. Erik Weihönig, von Beruf Historiker, sagt: "Wir müssen aufhören, Krieg in unangemessener Weise zu subventionieren. Jede Granate, die jetzt noch in die Ukraine geliefert wird, ist eine zu viel." Dem pflichtet auch die Unterstützerin Dana bei: Sie befürwortet die "Friedensinitiative von Sahra Wagenknecht" und kritisiert, die anderen Parteien würden "Kriegshysterie" betreiben.

Auch die Popularität der Parteigründerin spielt eine Rolle für viele, die zum Treffen gekommen sind. Kathrin Radke sagt: "Ich war immer schon Sahra-Wagenknecht-Fan. Als ich gehört habe, dass sie eine eigene Partei gründet, war mir klar: Da will ich mich mit einbringen." Inhaltlich geht es ihr vor allem um das Thema Bildung. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern und langjährige Elternvertreterin erklärt, sie traue den anderen Parteien beim Thema Schule nichts mehr zu: "Der Zustand der Schulräume ist unterirdisch. Da geht einfach nichts voran. Die ganzen letzten Jahre reden und versprechen alle etwas – aber es passiert einfach nichts."

BSW zieht Menschen an, die anderen Parteien nichts mehr zutrauen

Das Bündnis Sahra Wagenknecht zieht offensichtlich Menschen an, die von den anderen Parteien in verschiedenen Politikbereichen keine Lösungen mehr erwarten. Viele sind von der Politik enttäuscht, etwa durch die Maßnahmen während der Corona-Pandemie. Der Rentenberater Wolfgang Rasenack kritisiert: "Was die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen angeht, ist für mich vieles problematisch. Den Umgang mit den Menschen, der damals erfolgte – und wie er erfolgte – fand ich sehr abstoßend. Das hat für mich eine Spaltung der Gesellschaft verursacht, und das halte ich nicht für sinnvoll." Rasenack sagt, er habe sich von SPD und Linken abgewandt und hoffe nun, beim BSW etwas bewirken zu können.

Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik rechnet dem BSW gute Chancen aus, weiter zu wachsen. "Was wir in den Wahlnachbefragungen gesehen haben, ist, dass das BSW relativ breit Stimmen geklaut hat: Sie haben Nichtwähler mobilisiert, aber sie haben eben auch von den etablierten Parteien Wählerinnen und Wähler abgeworben – und nur zu einem Bruchteil von der AfD." Für die kommenden Wahlkämpfe erwartet der Experte eine ähnliche Strategie wie zur Europawahl: "Sie werden erstmal weiter diese Protestpartei sein, die sich auch nicht ganz festnageln lässt im Links-Rechts-Spektrum – und damit eine breitere Protestwählerschicht ansprechen kann."

Partei will im Sommer Berliner Landesverband gründen

Bisher hat das BSW weder ein bundesweites Programm noch einen Berliner Landesverband. Der soll aber noch in diesem Sommer gegründet werden, sagt Koordinator Alexander King. In seiner Rede auf dem Regionaltreffen in Mitte wirbt er dafür, dass auch Berlin auf ein Ende des Ukraine-Kriegs hinwirken soll: "Berlin hat Städtepartnerschaften – die mit Moskau ist jetzt auf Eis gelegt. Das kann man so oder so finden." Das öffentliche Gelöbnis von Bundeswehrrekruten vor dem Abgeordnetenhaus, kurz vor der Europawahl, nennt King "geschmacklos, gerade in dieser Zeit".

Landespolitisch plädiert King für ein Bildungssystem, das allen die gleichen Chancen geben und dafür sorgen solle, dass weniger junge Menschen die Schulen ohne Abschluss verlassen. Das könne auch den Fachkräftemangel bekämpfen. Im Gesundheitsbereich müsse die Schließung von Krankenhäusern verhindert werden. Zudem fordert King, Tochterunternehmen von Vivantes und Charité wieder in die landeseigenen Krankenhauskonzerne zurückzuführen.

Geflüchtete: "Unterbringung immer in denselben Nachbarschaften abgeladen"

In der Migrationspolitik kritisiert das BSW-Mitglied, dass der Senat bei der Einrichtung neuer Container-Unterkünfte für Flüchtlinge nicht auch die Infrastruktur und wirtschaftliche Lage vor Ort einbeziehe, sondern nur nach freiem Platz suche: "Was auffällt, ist, dass die Herausforderung der Unterbringung und Integration von so vielen Menschen ja immer in denselben Nachbarschaften abgeladen wird – gerade in den Ostbezirken."

Zudem übt King in seiner Rede grundsätzliche Kritik an Medien und verweist dabei auch explizit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: "Wir wollen Medien, die die Meinungsvielfalt in Deutschland abbilden und fördern. Das haben wir nicht – das ist jedenfalls meine Meinung." Auf Nachfrage erklärt er, er beziehe sich auf Bewertungen wie "Putinfreund oder Putinknecht" in der Debatte über den Ukraine-Krieg, oder den Begriff "Schwurbler" während der Corona-Pandemie. "Natürlich kann man seine Meinung aussprechen, aber sie wird sehr schnell abgewertet", so King. Dem wolle sich das BSW entgegenstellen.

Bisher nur gut 80 BSW-Mitglieder in Berlin

Die gut fünfzig Unterstützer, die zum Regionaltreffen im Rathaus Mitte gekommen sind, verteilen sich am Ende des Abends auf vier Arbeitsgruppen zu den Themen Soziales, Wirtschaft, Demokratie und Frieden. Die meisten von ihnen sind bisher keine Parteimitglieder. Davon gibt es aktuell erst 78 in Berlin. Grund ist, dass der BSW-Bundesvorstand bisher alle Mitglieder handverlesen aussucht. Die Partei wolle "kontrolliert wachsen", sagt Alexander King, auch um zu verhindern, "dass man unterwandert wird". Man wolle Leute fernhalten, "die gar nicht aus politischen Gründen kommen, sondern vielleicht auch schwierig sind in irgendeiner Hinsicht".

Thomas Lehmann stört es nicht, sich für eine Partei zu engagieren, in der er noch nicht offiziell Mitglied ist. Ob er überhaupt eines werden will, kann der Pädagoge und Künstler noch gar nicht sagen: "Ich will mich erstmal nur einbringen. Das BSW ist für mich ein Vehikel, damit die Themen Frieden und soziale Gerechtigkeit angepackt werden. Ich sehe sie woanders vernachlässigt."

Kim Reichelt hat dagegen schon einen Mitgliedsantrag gestellt, aber auch für sie hat die Bearbeitung keine Eile. Sie studiert Soziale Arbeit, arbeitet in der Jugendhilfe und will sich beim BSW für Verbesserungen im Gesundheits- und Sozialsystem einsetzen. Vielen Unterstützerinnen und Unterstützern ist eine offizielle Parteimitgliedschaft bisher offenbar nicht so wichtig, solange sie das Gefühl haben, die neue Partei inhaltlich mitgestalten zu können.

Sendung: rbb24 Abendschau, 27.06.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Tobias Schmutzler

59 Kommentare

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  1. 59.

    Und das böse Erwachen kommt dann,wenn das Ganze mit der AFD umgesetzt wird.

  2. 58.

    Hoffentlich reichen die Wählerstimmen für das BSW, um den Kriegsverrückten in diesem Land endlich Paroli bieten zu können. Wer Kriegsparteien wählt und für atomare Aufrüstung plädiert soll sich hinterher nicht über die Folgen beklagen.
    Aber dazu wird dann in Europa auch niemand mehr Gelegenheit haben.

  3. 57.

    Also diese Partei mit ihrem 5 Seite Punkte Programm wird eindeutig nicht gebraucht. Und verändern kann diese Selbstdarstellerin Wagenknecht auch nichts. Schön reden ohne realistische Verwirklichung.

  4. 56.

    Lieber Namensvetter. Ich finde den Kommentar gut und auch sachlich richtig. Aber Politik, insbesondere Außen- und Sicherheitspolitik, müssen sich oft von den "gerechten" Zielen verabschieden. Nach dem Desaster in den USA, wird Trumps Sieg immer wahrscheinlicher. Das bedeutet Deutschland und Europa müssten noch viel viel mehr in militärische Sicherheit stecken. Das bedeutet in letzter Konsequenz natürlich auch Atomwaffen. Sie sind und waren der EINZIG WIRKLICHE Schutz. Nachfrage bei der Ukraine wäre da hilfreich. Ist diese Gesellschaft von Mützenichs, Stegners und anderen linken SPD'lern und linken Grünen überhaupt dazu bereit? Das was derzeit an die Ukraine geliefert wird ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.

  5. 55.

    Bitte? Wer ist noch mal völlig unmotiviert in die Ukraine einmarschiert? Ich empfehle die Doku „20 Tage in Mariupol“ und danach möchte ich sehen, ob Sie den Deutschen bzw. der EU daran immer noch eine Mitschuld geben. Unfassbar.

  6. 54.

    Danke.
    Dieser Kommentar ist anschaulich Zusammengefasst, insbesondere zeigt er auf, warum die EU als Wertegemeinschaft auf der Seite der Ukraine stehen muss, samt militärischer Hilfe, ansonsten würde sie als unglaubwürdiges, nicht ernstzunehmende Gebilde wahrgenommen, unter anderen auch vom Putin.

    Übrigens, Herr Orban wird kritisiert, aber die Zahl derer, die bei ihm "gut" aufgehoben wäre, die steigt und steigt hierzulande, leider.

  7. 53.

    Gut so. die Partei wird dringend gebraucht und wird einiges verändern.

  8. 52.

    Warum immer nur diese Panikmache?
    Die etablierten Parteien haben sich nicht mehr um die Sorgen und Nöte der Bürger bemüht und nur noch mit Phrasen ihre Macht verteidigt.
    Jetzt liegen die Nerven blank und das Heulen und Zähneklappern nimmt immer mehr Raum in ihren Reihen ein. Wenn Verbotsforderungen gegen gewählte Parteien nicht funktionieren und neue Parteien auf der Bühne erscheinen sind die Hinterbänkler mit ihrer Selbstbedienungsmentalität zu Recht höchst beunruhigt.
    Dumm nur wenn das neue Bündnis nicht einmal genug Personal hat um ihre erworbenen Posten zu besetzen, dann greift man notgedrungen auf die alten Freunde der SED-Nachfolge zurück.

  9. 51.

    Es kommt auf die Dosis, das Spektrum der Waffengattungen und den richtigen Zeitraum an. Mit Stahlhelm über Strela und anderen NVA-Schrott kann man keine erfolgreiche Bodenoffensive führen.
    Das Momentum ist vertan, der Russe eingegraben und die Gebiete weiträumig vermint. Während die Ukrainer jetzt gezwungen (wurden) sind den langen Weg zu gehen, wollen einige Politiker die Ukrainer (bei der Gelegenheit gleich) in einen Diktatfrieden treiben, bei dem sich Putin schon mal 1/5-tel abschneidet und 4/5-tel von einem russischen Präfekt gefügig gehalten werden.

  10. 50.

    „ Bei allen. Bzw. Frieden im Sinne von es wird nicht mehr geschossen, es muss keiner mehr sterben.“
    Was sie behaupten stimmt so nicht. Natürlich will die Mehrheit der Menschen in Frieden leben. Aber das heißt nicht, dass alle Menschen gewaltsame Grenzverschiebungen, Terror, ethnische Säuberungen und Unterwerfung tatenlos hinnehmen.
    Hier wird ausschließlich von einer Minderheit so getan, als wäre die Ukraine „zudem historisch“ irgendeine beliebige Verfügungsmasse für ein großrussischen Sandkasten-„Imperator“ wie Putin, wo seine persönlichen Interessen im Zweifel ruhig weit über dem Völkerrecht stehen können und die Ukrainer für den „Weltfrieden“ gefälligst Gebiete an den „Großinquisitors“ abzutreten haben. Hauptsache wir sind nicht zu lange in unserer „Ruhe“ gestört.
    Sterben „tun“ übrigens die Ukrainer, die man nicht mittels Politikkommissare und Waffengewalt in das gegnerische Feuer treibt wie die Russen. Die sterben und kämpfen freiwillig für ihre Heimat und Freiheit!

  11. 49.

    Frau Wagenknecht verfolgt eine Schwarz-Weiß-Strategie. Die nach ihr benannte Partei vertritt ausschließlich russische Positionen. Sie schreckt nicht vor Lügen wie angebliche deutsche Gas-Sanktionen und falschen Dilemmata wie wie Diplomaten statt Soldaten zurück. Ihr plumper Populismus ist eigentlich leicht durchschaubar.

  12. 48.

    Wo ist die denn cool? Schlau kann sein, die Menschen zu manipulieren. Kann mich noch erinnern, dass sie sagte, die Partei wird nicht meinen Namen tragen, und nun? Völlig unglaubwürdig, Selbstdarstellerin. Null wählbar.

  13. 47.

    nicht immer ist das was so scheint auch die Wahrheit . Was immer der Grund des Krieges ist die Deutschen und die EU gesamt sind nicht Unschuldig bei dieser Auseinandersetzung.

  14. 46.

    Da stimme ich nicht zu. Ernsthaftes Interesse an einem Ende dieses Konflikts und Verhandlungen sehe ich nicht. Stattdessen diskutieren wir hier wieder eine Wehrpflicht. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge, als es hieß, "das ist bald vorbei"?
    Es war da schon klar, dass das ein ewiger Konflikt werden würde (war es ja schon immer) und irgendwann wird auch der vergessen. Die ukrainischen Fahnen in den Fenstern, sofern sie noch hängen, verblassen.

  15. 45.

    Unsinn, die UA wird mit modernsten westlichen Waffen ausgerüstet, die sie nach belieben einsetzen kann.

  16. 43.

    Brandenburg

  17. 42.

    Coole, schlaue Frau, meine Stimme hat Sie

  18. 41.

    Das fehlt ja auch noch.

  19. 40.

    Volle Zustimmung zu Ihrem Kommentar und Danke dafür. Ich würde gerne noch eine Ergänzung hinzufügen, weil ich eine Sache sehr wichtig finde: was passiert mit den ukrainischen Kindern, die nach Russland verschleppt wurden und dort zur Adoption freigegeben wurden bzw. gerade werden? Das wäre ein Punkt für mich, der definitiv in die Verhandlungen mit aufgenommen werden müsste und niemals vergessen werden darf. Eltern, die solche Kinder adoptieren, sollten sich niemals zu sicher sein, dass sie diese nicht wieder an die wirklichen Eltern zurückgeben müssen und ich hoffe, dass so viele wie nur irgend möglich gefunden und zurückkommen werden.

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