Nach Erfolg bei Europawahl - Bündnis Sahra Wagenknecht will in diesem Sommer Berliner Landesverband gründen
Bei der Europawahl hat das BSW vor allem in den östlichen Berliner Bezirken stark abgeschnitten. Bei einem Unterstützertreffen wird deutlich, dass die neue Partei Menschen anzieht, die anderen Parteien keine Lösungen mehr zutrauen. Von Tobias Schmutzler
- Bündnis Sahra Wagenknecht hat bislang keinen Berliner Landesverband
- Zahl der Parteimitglieder in Berlin bisher überschaubar
- Unterstützer haben sich jetzt in Berlin-Mitte getroffen und über Themen und weiteres Vorgehen beraten
"Auf Euch! Ihr wart großartig!" Im Saal der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Rathaus Berlin-Mitte klirren die Sektgläser. Gut fünfzig Unterstützerinnen und Unterstützer aus Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow stoßen auf das Europawahlergebnis an: 8,7 Prozent hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in ganz Berlin erreicht. In einigen östlichen Bezirken wie Pankow bekam die Partei sogar über zehn Prozent der Stimmen.
"Das BSW ist eben nicht nur ein Medienphänomen oder eine Phantompartei, sondern es ist eine Partei, die in Berlin ein Ergebnis erzielt hat, das weit über dem liegt, was alle erwartet haben", sagt Alexander King in seiner Rede bei dem Regionaltreffen am Mittwochabend. King ist der Berliner Koordinator der neuen Partei und im vergangenen Herbst aus der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgetreten und nun fraktionsloser Abgeordneter im Landesparlament.
Unterstützer sind Friedensbefürworter und Wagenknecht-Fans
Wie soll das künftige Parteiprogramm des BSW aussehen? Dafür sammeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens in Mitte Vorschläge auf Zetteln, die sie an eine Pinnwand heften. Für die meisten ist der Ukraine-Krieg das wichtigste Thema. Erik Weihönig, von Beruf Historiker, sagt: "Wir müssen aufhören, Krieg in unangemessener Weise zu subventionieren. Jede Granate, die jetzt noch in die Ukraine geliefert wird, ist eine zu viel." Dem pflichtet auch die Unterstützerin Dana bei: Sie befürwortet die "Friedensinitiative von Sahra Wagenknecht" und kritisiert, die anderen Parteien würden "Kriegshysterie" betreiben.
Auch die Popularität der Parteigründerin spielt eine Rolle für viele, die zum Treffen gekommen sind. Kathrin Radke sagt: "Ich war immer schon Sahra-Wagenknecht-Fan. Als ich gehört habe, dass sie eine eigene Partei gründet, war mir klar: Da will ich mich mit einbringen." Inhaltlich geht es ihr vor allem um das Thema Bildung. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern und langjährige Elternvertreterin erklärt, sie traue den anderen Parteien beim Thema Schule nichts mehr zu: "Der Zustand der Schulräume ist unterirdisch. Da geht einfach nichts voran. Die ganzen letzten Jahre reden und versprechen alle etwas – aber es passiert einfach nichts."
BSW zieht Menschen an, die anderen Parteien nichts mehr zutrauen
Das Bündnis Sahra Wagenknecht zieht offensichtlich Menschen an, die von den anderen Parteien in verschiedenen Politikbereichen keine Lösungen mehr erwarten. Viele sind von der Politik enttäuscht, etwa durch die Maßnahmen während der Corona-Pandemie. Der Rentenberater Wolfgang Rasenack kritisiert: "Was die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen angeht, ist für mich vieles problematisch. Den Umgang mit den Menschen, der damals erfolgte – und wie er erfolgte – fand ich sehr abstoßend. Das hat für mich eine Spaltung der Gesellschaft verursacht, und das halte ich nicht für sinnvoll." Rasenack sagt, er habe sich von SPD und Linken abgewandt und hoffe nun, beim BSW etwas bewirken zu können.
Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik rechnet dem BSW gute Chancen aus, weiter zu wachsen. "Was wir in den Wahlnachbefragungen gesehen haben, ist, dass das BSW relativ breit Stimmen geklaut hat: Sie haben Nichtwähler mobilisiert, aber sie haben eben auch von den etablierten Parteien Wählerinnen und Wähler abgeworben – und nur zu einem Bruchteil von der AfD." Für die kommenden Wahlkämpfe erwartet der Experte eine ähnliche Strategie wie zur Europawahl: "Sie werden erstmal weiter diese Protestpartei sein, die sich auch nicht ganz festnageln lässt im Links-Rechts-Spektrum – und damit eine breitere Protestwählerschicht ansprechen kann."
Partei will im Sommer Berliner Landesverband gründen
Bisher hat das BSW weder ein bundesweites Programm noch einen Berliner Landesverband. Der soll aber noch in diesem Sommer gegründet werden, sagt Koordinator Alexander King. In seiner Rede auf dem Regionaltreffen in Mitte wirbt er dafür, dass auch Berlin auf ein Ende des Ukraine-Kriegs hinwirken soll: "Berlin hat Städtepartnerschaften – die mit Moskau ist jetzt auf Eis gelegt. Das kann man so oder so finden." Das öffentliche Gelöbnis von Bundeswehrrekruten vor dem Abgeordnetenhaus, kurz vor der Europawahl, nennt King "geschmacklos, gerade in dieser Zeit".
Landespolitisch plädiert King für ein Bildungssystem, das allen die gleichen Chancen geben und dafür sorgen solle, dass weniger junge Menschen die Schulen ohne Abschluss verlassen. Das könne auch den Fachkräftemangel bekämpfen. Im Gesundheitsbereich müsse die Schließung von Krankenhäusern verhindert werden. Zudem fordert King, Tochterunternehmen von Vivantes und Charité wieder in die landeseigenen Krankenhauskonzerne zurückzuführen.
Geflüchtete: "Unterbringung immer in denselben Nachbarschaften abgeladen"
In der Migrationspolitik kritisiert das BSW-Mitglied, dass der Senat bei der Einrichtung neuer Container-Unterkünfte für Flüchtlinge nicht auch die Infrastruktur und wirtschaftliche Lage vor Ort einbeziehe, sondern nur nach freiem Platz suche: "Was auffällt, ist, dass die Herausforderung der Unterbringung und Integration von so vielen Menschen ja immer in denselben Nachbarschaften abgeladen wird – gerade in den Ostbezirken."
Zudem übt King in seiner Rede grundsätzliche Kritik an Medien und verweist dabei auch explizit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: "Wir wollen Medien, die die Meinungsvielfalt in Deutschland abbilden und fördern. Das haben wir nicht – das ist jedenfalls meine Meinung." Auf Nachfrage erklärt er, er beziehe sich auf Bewertungen wie "Putinfreund oder Putinknecht" in der Debatte über den Ukraine-Krieg, oder den Begriff "Schwurbler" während der Corona-Pandemie. "Natürlich kann man seine Meinung aussprechen, aber sie wird sehr schnell abgewertet", so King. Dem wolle sich das BSW entgegenstellen.
Bisher nur gut 80 BSW-Mitglieder in Berlin
Die gut fünfzig Unterstützer, die zum Regionaltreffen im Rathaus Mitte gekommen sind, verteilen sich am Ende des Abends auf vier Arbeitsgruppen zu den Themen Soziales, Wirtschaft, Demokratie und Frieden. Die meisten von ihnen sind bisher keine Parteimitglieder. Davon gibt es aktuell erst 78 in Berlin. Grund ist, dass der BSW-Bundesvorstand bisher alle Mitglieder handverlesen aussucht. Die Partei wolle "kontrolliert wachsen", sagt Alexander King, auch um zu verhindern, "dass man unterwandert wird". Man wolle Leute fernhalten, "die gar nicht aus politischen Gründen kommen, sondern vielleicht auch schwierig sind in irgendeiner Hinsicht".
Thomas Lehmann stört es nicht, sich für eine Partei zu engagieren, in der er noch nicht offiziell Mitglied ist. Ob er überhaupt eines werden will, kann der Pädagoge und Künstler noch gar nicht sagen: "Ich will mich erstmal nur einbringen. Das BSW ist für mich ein Vehikel, damit die Themen Frieden und soziale Gerechtigkeit angepackt werden. Ich sehe sie woanders vernachlässigt."
Kim Reichelt hat dagegen schon einen Mitgliedsantrag gestellt, aber auch für sie hat die Bearbeitung keine Eile. Sie studiert Soziale Arbeit, arbeitet in der Jugendhilfe und will sich beim BSW für Verbesserungen im Gesundheits- und Sozialsystem einsetzen. Vielen Unterstützerinnen und Unterstützern ist eine offizielle Parteimitgliedschaft bisher offenbar nicht so wichtig, solange sie das Gefühl haben, die neue Partei inhaltlich mitgestalten zu können.
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.06.2024, 19:30 Uhr