BSW-Gründungsparteitag - Wagenknecht im Scheinwerferlicht ihrer Partei
Die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht hat ihren ersten Parteitag absolviert. Im Vorstand sitzt etwa die Berlinerin Friederike Benda als Vize-Parteichefin. Auch ein Brandenburger ist Teil der am Samstag gewählten Parteispitze. Von Boris Hermel
Der ehemalige Kinosaal im Kosmos an der Karl-Marx-Allee ist in dezentes Orange getaucht. Die knapp 400 Mitglieder müssen bis zum frühen Nachmittag warten, bis die unumstrittene Hauptperson des Gründungsparteitags endlich die Bühne betritt. Und Sahra Wagenknecht, in hochgeschlossenem roten Kostüm, weiß genau, wie sie ihr Publikum in Wallung bringen kann.
"Verwöhnte Jungpolitiker"
In der Ampel sieht sie "verwöhnte Jungpolitiker" am Werk, "die mit jedem im Käfig gehaltenen Huhn leiden, aber den Menschen die Heizkosten erhöhen". Beifallsstürme im Saal. Sie werden noch lauter, als Wagenknecht die Ampelkoalition erneut als "die dümmste Regierung Europas" bezeichnet. Die Parteichefin geißelt die "unverantwortlichen Waffenexporte" an die Ukraine, die die Regierung Scholz offenbar bis zu einem vermeintlichen Sieg fortführen wolle, "an den nicht mal die ukrainischen Generäle mehr glauben".
Besonders laut wird der Applaus, als die Parteichefin den Grünen, der SPD und der FDP ein Hofieren der Rüstungslobby vorwirft, allen voran, so Wagenknecht hämisch, "Marie-Agnes Strack-Rheinmetall". Und "wenn in den Rüstungsverträgen gegendert wird, dann ist die grüne Welt wieder in Ordnung".
Am Ende ihrer halbstündigen Rede steht der Saal minutenlang in rhythmischen Klatschen vereint - Wagenknecht genießt das Scheinwerferlicht und winkt in die Menge. Das Gefühl von Aufbruch ist mit Händen zu greifen.
Berlinerin Benda will sich klar abgrenzen von Rechtsextremismus
Viele Mitglieder haben sich in Anzug oder Kostüm geworfen, bunte Haare oder abgewetzte Jeansjacken wie auf Parteitagen der Linken sind im Kosmos nicht zu finden – das BSW gibt sich optisch ein seriöses, eher konservatives Image.
Vorn im Saal sitzen die rund 50 Berliner Mitglieder, eine der großen Landesgruppen des BSW. Eine von ihnen, die 36-jährige Friederike Benda, bis vor Kurzem Kommunalpolitikerin der Linken in Schöneberg, wird gleich zu Beginn des Parteitags zu einer der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt – mit 96 Prozent der Stimmen.
"Es braucht eine Kraft, die sagt, wir stellen uns gegen Waffenlieferungen, wir setzen uns für Frieden ein", sagt Benda. Im Gegensatz zur Ampel wolle sie nicht die Superreichen, sondern die "hart arbeitende Mitte der Bevölkerung" entlasten - ein Satz, der in vielen Reden immer wieder zu hören ist. Benda will sich klar abgrenzen von Rechtsextremisten und Nazis. Für diejenigen, die die AfD aus Protest wählten, wolle das BSW aber durchaus eine wählbare Alternative sein.
Früher bei Linken, Grünen oder der FDP
Im erweiterten Bundesvorstand ist mit Stefan Roth aus Senftenberg auch ein Brandenburger vertreten, Ex-Landesvorstandsmitglied der Linken und Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Sahra Wagenknecht. Für ihn hat die Linke ihre ursprüngliche Rolle als Ventil für sozialen Protest verloren. "Heute erleben wir eine Linke in Brandenburg, die sich von Sozial- und Friedensprotesten distanziert."
Roth organisiert den Aufbau des BSW-Landesverbands in Brandenburg, der auf dem Parteitag mit nur 14 Mitgliedern vertreten ist. Sein klares Ziel ist die Teilnahme an der Landtagswahl Ende September. In jüngsten Umfragen wird dem BSW in Brandenburg ein Potential von bis zu 13 Prozent prognostiziert.
Neben Roth schaffen es auch der Islamwissenschaftler und Publizist Michael Lüders und Reinhard Kaiser für Berlin als Beisitzer in die Parteispitze. Kaiser war 41 Jahre lang bei den Grünen, hat 1998 auf der Arbeitsebene den rot-grünen Koalitionsvertrag der Schröder-Regierung mitverhandelt und für Bundesumweltminister Jürgen Trittin gearbeitet. Die Grünen hätten mal für Verhandlungen und Diplomatie gestanden. "Heute machen sie das Gegenteil", sagt Kaiser, "Eskalation, Waffenlieferungen in einem Ausmaß, das früher undenkbar war." Wer heute bei den Grünen das Wort "Verhandlungen" benutze, der gelte "als Putin-Knecht".
Sehr ähnliche Motive hat auch Jürgen Kunze für seinen Eintritt in das BSW. Er war von 1981 bis 1983 Vorsitzender der Berliner FDP. "Wir sind auf dem Weg vom Trommeln für Kriegstüchtigkeit zur Kriegssüchtigkeit, das darf nicht sein", so Kunze. Die Entspannungspolitik eines Hans-Dietrich Genscher "ist in der Ampel doch völlig im Eimer!"
Berliner Landesverband bis Sommer
Eine der bekannten Berliner BSW-Vertreterinnen ist Jutta Matuschek, langjährige Linken-Verkehrs- und Haushaltsexpertin im Abgeordnetenhaus. Den Ausschlag gegeben für ihren Wechsel zum BSW habe die "völlig inakzeptable Haltung der Linken zur großen Friedensdemonstration vor einem Jahr". Man könne nur für den Frieden eintreten, wenn man die Waffenexporte an die Ukraine ablehne – und das hätten die Linken eben nicht konsequent getan. Matuschek wurde am Abend mit 92 Prozent auf Platz zehn der BSW-Liste für die Europawahl im Juni gewählt.
Bis zur Sommerpause könnte der Berliner Landesverband des BSW gegründet sein, hofft der ehemalige Linken-Abgeordnete Alexander King aus Schöneberg, der in der Hauptstadt den Parteiaufbau koordiniert. Ob er selbst als Landesvorsitzender kandidieren wird, lässt der zur Zeit fraktionslose Parlamentarier noch offen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.01.2024, 19:30 Uhr
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