Interview | Annette und Inga Humpe - "Wir waren zu wild und zu eigenwillig"

Seit den 1980er Jahren prägen Annette und Inga Humpe die deutsche Musikszene – kreativ und einflussreich. Im Interview sprechen die Schwestern über weibliche Sichtbarkeit, künstlerische Freiräume und ihre ewige Liebe zu Berlin.
rbb: Annette und Inga, Sie haben gemeinsam seit den 1980er Jahren deutsche Musikgeschichte geschrieben. Songs wie "Blaue Augen", "Monotonie in der Südsee" oder "36 Grad" haben sich ins Kollektivgedächtnis eingebrannt. Ist Ihnen Ihre Wichtigkeit bewusst?
Annette Humpe: Also ich fühle mich nicht wichtig, nicht wirklich.
Inga Humpe: Wir sind nicht so die Typen, das einzufordern. Es ist vielleicht auch eher eine männliche Eigenschaft, dass man damit offensiv rausgeht. Das haben wir nie gemacht. Was uns gespiegelt wurde - gerade auch früher - war eher das Gegenteil: Unsere Meriten wurden relativ durchgewunken. Ob das jetzt daran liegt, dass Frauen generell weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, ist uns irgendwo auch egal. Aber wenn man das so zusammengefasst hört, könnte die Resonanz schon größer sein.
Sie haben nie nur gesungen, sondern auch Songs geschrieben, komponiert, produziert und Instrumente gespielt. Sie gelten als feministische Vorbilder.
Annette: Ja, das haben wir schon gehört. Junge Musikerinnen strahlen uns an und sagen, dass sie berührt wurden von uns. Das freut mich wahnsinnig.
Inga: Das stimmt. Die kommen zu einem, oder man trifft sich bei Veranstaltungen oder nach Konzerten und man wird ins Studio eingeladen zum Kooperieren. Das ist heute natürlich mehr als früher. In den 80er-Jahren gab es so wenig Musikerinnen. Da hat man sich immer gefühlt, als würde man sich gegenseitig die Butter vom Brot nehmen, weil jeder nicht genug Aufmerksamkeit hatte. Das ist heute viel besser. Es gibt so eine tolle Vielfalt von Frauen.
Sie sind in der Konditorei Ihrer Eltern aufgewachsen. Gab es viel Musik in Ihrer Kindheit?
Annette: Ja, unser Vater war Fan der Comedian Harmonists. Wenn wir die Beatles gehört haben, war das am Anfang noch Krach in seinen Ohren. Aber als "Yesterday" herauskam, sagte er: 'Nun muss ich zugeben, das ist ein schönes Lied.'
Inga: Unsere Eltern waren aus dem Krieg. Die waren relativ einfach, also nicht besonders gut gebildet. Man ging nicht auf ein Gymnasium oder so, die mussten relativ schnell arbeiten. Und dann haben sie alle Mühen auf sich genommen, um ihren beiden Töchtern die beste Ausbildung zu ermöglichen. Und wir haben natürlich mit 17 Jahren gesagt: 'Unsere Eltern können uns nicht mehr helfen.' Und leider haben wir sie das auch spüren lassen. Die haben kleine Monster erzogen, die dann stärker waren als sie. Eine Weile war das unheimlich schwer für sie. Und für uns war es auch schwer, weil wir kein Zuhause mehr hatten. Wir waren da schon rausgewachsen. Wir waren zu wild und zu eigenwillig.

War das immer ein harmonisches Miteinander unter Schwestern, oder gab es auch Konkurrenzgedanken?
Inga: Das war für mich wirklich schwierig, als Annette so erfolgreich war mit Ideal, und wir mit den Neonbabies ein bisschen herumdümpelten. Das waren richtige Schmerzen. Und alle reagierten darauf auch mit einer gewissen Häme. Ich war immer die Kleine. Und andererseits hat mich das motiviert.
Annette: Ja, das tut mir auch leid. Aber ich konnte nicht anders. Ich musste das durchziehen. Ich war bei Ideal die einzige Songwriterin und musste dann oft diskutieren, was da wie arrangiert wird. Und ich wollte das jetzt nicht auch noch mit Inga besprechen. Ich wollte jetzt einfach mal machen - und zwar so, wie ich es wollte.
Wenn man sich alte Konzertausschnitte anschaut, ist es als Frau sehr empowernd, Annette so cool zu sehen - wie sie so gar nicht schüchtern ins Mikro bellt.
Annette: Aber ich bin keine Rampensau. Als ich zum Beispiel noch mit Ideal auf der Bühne war, stand zwischen mir und dem Publikum immer ein Klavier. Ich bin nicht mit einem Mikrofon nach vorne gegangen. Das wäre unter meiner Würde gewesen, weil ich in erster Linie Pianistin und Autorin war. Nicht, weil ich das niedrig betrachte, sondern weil das nicht meine Stärke ist. Ich schäme mich ganz schnell, wenn viele Leute mich angucken..
Inga: Ich habe das nicht. Ich habe zwar wahnsinniges Lampenfieber, wenn ich live spiele, aber das gehört dazu. Wenn man Performerin ist, dann muss man sich irgendetwas überlegen, wie man diese Bühne füllt, und was man da macht. Ich stehe auch gerne mal hinter einem Keyboard, aber ich gehe eben auch gerne nach vorne.

Als Humpe & Humpe haben Sie nur ein Lied auf Deutsch und ansonsten immer auf Englisch gesungen.
Annette: Weil wir die Nase voll hatten von der NDW [Neue Deutsche Welle; Anm. d. Red.] und uns absetzen wollten von dem, was wir früher gemacht haben.
Inga: Die Sprache war auch so abgelatscht. Wir hatten einfach genug von dem Ganzen, besonders als es nur noch ultrawitzig wurde. Da brauchte man erst mal Abstand.
Aber NDW ist doch eigentlich ein Gütezeichen.
Inga: Ja, aber der NDW merkte man an, dass sie sich furchtbar dem Ende zuneigte. Und wir waren froh, da raus zu sein, weil jede Bewegung eben nur eine Weile dauert und dann kommt der Abgesang. Es wurde einfach flacher und hatte nicht mehr das Innovative.
Annette: Es ist wie damals beim Punk. Irgendwann kommt der Kapitalismus und verballert eine Strömung so sehr, dass sie sich ins Gegenteil kehrt und billig wird. Aber wir sind da mit einer gewissen Ernsthaftigkeit an die New-Wave-Sachen und die NDW rangegangen - vielleicht sogar zu ernst. Aber wenn du merkst, da wird einfach nur noch ein Schema wiederholt und dann düdelt das irgendwie durch die Gegend, finde ich es echt langweilig.

Gab es ein Projekt in Ihrer künstlerischen Laufbahn, das am wichtigsten war?
Annette: Da meine Produzentenphase viel länger war und mir auch mehr entspricht, ist es diese. Ich bin Ideal sehr dankbar, weil mir der Erfolg Türen in Richtung Studioarbeit geöffnet hat. Da hatte ich einen Fuß drin und den habe ich nicht mehr rausgenommen.
Inga: Für mich ist natürlich 2raumwohnung das Projekt, womit ich mich am meisten und längsten wohlfühle, und wo auch immer noch Freiräume sind. Aber eigentlich hatte natürlich jedes Projekt seine Berechtigung. Wenn ich so zurückgucke, was wir gemacht haben, ist diese Vielfalt beeindruckend. Was wir uns alles getraut haben.
Was immer gleichgeblieben ist, ist Berlin. Wollten Sie nie woanders leben?
Annette: Wir haben einfach keinen anderen Lebensmittelpunkt gefunden außer Berlin. Ich möchte nicht woanders hin. Manchmal geht mir Berlin tierisch auf den Wecker, dann muss ich mal weg. Und dann freue ich mich, wieder hierherzukommen.
Inga: Berlin ist, auch mit allen politischen Aufs und Abs, die beste Stadt. Berlin ist mein Refugium. Diese Vielfalt, die es hier gibt, die Diversität der Leute und die verschiedenen Viertelch. Ich fühle mich hier unheimlich wohl.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Caspary, rbb24 Inforadio.
Diese Fassung ist gekürzt und redaktionell bearbeitet.
Sendung: rbb24 Inforadio, 01.04.2025, 08:10 Uhr